Rosas Blues

Heinrich VII

Mitglied
Teil 1
Gleich nach dem Aufstehen gönnte sich Roswita eine Prise Kokain, das sie sich am Tag zuvor besorgt hatte. Sie nahm noch eine Line im linken Nasenloch
auf und stand einen Moment da, um das Prickeln zu genießen. Dann zog sie sich einen Pyjama an und stellte sich vor den Spiegel. Sie überprüfte ihr Gesicht, zupfte einen Moment an ihren Augenbrauen und steckte sich schließlich die Haare hoch. So ging sie ins Esszimmer, wo ein Frühstück auf sie wartete.
Sie ließ sich Zeit damit, hatte die Tageszeitung auf dem Tisch liegen und vertiefte sich darin, während sie aß.
Danach schlüpfte sie in einen sportlichen Overall und rief nach dem Hausdiener.
Als er vor ihr stand, sagte sie: „Anton, mach den Ferrari fertig!“
Der Diener sah sie erstaunt an: „Den Ferrari, Madame Roswita?“
Frau von Gutenburg nickte.
„Aber ihr Mann hat doch ausdrücklich verboten …“
Roswita unterbrach ihn mit einer Mischung aus Ernst und Umgarnung.
„Du wirst mir doch den schönen Tag nicht versauen wollen Anton, oder?“
„Aber auf ihre Verantwortung, Madame Gutenburg.“
Ihr Mann hatte ihr tatsächlich verboten, den Ferrari zu fahren. Er traute ihr womöglich nicht zu, dass sie so ein Auto steuern konnte. Vielleicht lag es auch daran, dass dieses Auto sein ganzer Stolz war, den er ganz alleine zu genießen gedachte.

Als Roswita wenig später in der 500 PS starken Kiste in Richtung Ausgang preschte, fühlte sie sich blendend. Bei der Tor-Wache hatte sie das Fenster unten und grüßte die beiden Posten: „Hallo, wunderschöner Tag heute.“ Die Wachen nickten, lächelten und einer beeilte sich, den Schlagbaum hoch zu lassen.
Roswita von Gutenburg gab Gas, als sie draußen auf der Straße war. Eine Nase voll Kokain und so einen Schlitten unterm Hintern, das war besser als Sex. Sie steuerte den Wagen in die nahen Berge und fuhr ihn dort so rasant es ihr möglich war. Eigentlich war sie nur den Mercedes gewöhnt, der bequemer war, aber lange nicht so spritzig – der aber auch nicht so hohe Anforderungen an das fahrerische Können stellte.
An so einem Tag hätte sie sich mit der vergleichsweise lahmen Daimler-Karosse nur gelangweilt, also war es mehr als richtig, diesen Flitzer zu fahren. Ein Porsche überholte sie im nächsten Moment. „Oh, mal sehen!“, rief sie entzückt und hing sich an ihn dran. Als vorne frei war, kurz nach einer Kurve, trat sie das Gaspedal durch und zischte an ihm vorbei. Diese Kiste ist ja wirklich eine Rakete, hui …
Im Porsche saß ein Mann, der seine Fahrerehre angetastet sah und im Gegenzug versuchte, sie nun zu überholen, was ihm auch gelang. Doch Rosa ließ sich nicht die Butter vom Brot nehmen, nicht an so einem Tag. „Schau mir auf mein Rücklicht, Kleiner!“, rief sie zu ihm rüber, als sie ihn überholte.
So ging es eine ganze Weile hin und her; mal überholte Roswita, mal wurde sie überholt. Bis es ihr nach einigen aufregenden Manövern gelang,
den Porsche endgültig abzuhängen.
Rosa hatte immer noch ein mörderisches Tempo drauf. Es gefiel ihr, wie die Landschaft zu beiden Seiten an ihr vorbei flitzte. So in ihren Gefühlen schwelgend, raste sie auf eine scharfe Doppelkurve zu. Sie ging vom Gas und schaffte den rechten Schlenker gerade noch. Als sie in die linke Kurve driftete, wurde ihr das zu hohe Tempo bewusst – doch zu spät. Sie bekam das Auto nicht mehr in den Griff, wurde raus getragen, schleuderte, schrammte ein Stück an der Leitplanke entlang. Und dann – „Nein, nur das jetzt nicht!“ – kam ein LKW auf sie zu.

Als sie Tage später aufwachte, wusste sie im ersten Moment nicht, wo sie war. Das fremde Bett, der Schlafanzug, der nicht ihrer war und das Zimmer,
in dem sie sich umsah und es nicht erkannte. Wenn sie sich rührte, hatte sie Schmerzen und auf der linken Seite ihres Gesichtsfeldes war alles dunkel.
Sie trug einen Verband um den Kopf, der so ziemlich alles bedeckte, außer ihrem rechten Auge.
Nach einer sofortigen Operation und mehreren Tagen auf der Intensivstation, war sie schließlich in ein Einzelzimmer verlegt worden. Sie drückte den Knopf über ihrem Bett, was ihr ziemliche Schmerzen und Mühe bereitete. Ein Arzt kam. Sie verlangte, dass man den Verband abnehme und einen Spiegel bringe.
„Sind sie erst mal froh“, sagte der behandelnde Arzt, „dass sie den Unfall überlebt haben.“

Ihre Mutter besuchte sie am nächsten Tag und erkannte sie im ersten Moment nicht wieder. Der Arzt hatte ihr den Verband abgenommen.
Roswita´s Kopf war kahl geschoren. Ihre linke Kopf-Seite war dermaßen entstellt, dass sich ihre Mutter erst gar nicht traute, hin zu sehen.
„Es sieht schrecklich aus, nicht wahr?“
Mutter drückte ihr die Hand und antwortete nicht. Später, als sie weg war, kam Max, ihr Mann. Er setzte sich wortlos neben sie ans Bett und betrachtete
sie eine ganze Weile. Roswita kam sich schrecklich dabei vor. „Sie geben mir keinen Spiegel“, entschuldigte sie sich.
Max von Gutenburg nickte und dachte: Hat wohl seinen Grund.
„Es wird wieder besser“, versuchte Roswita die Sache abzumildern, „sie operieren die verbrannte Seite und ein neues Auge wird eingesetzt. Der Arzt hat es mir gesagt. Die Haare wachsen ja wieder.“
Roswita sah ihren Mann an und versuchte ein verbindliches Lächeln.
Max von Gutenburg erwiderte es nicht.
„Du nimmst also Kokain, hat man mir gesagt.“
Roswita sah ihren Mann an, ohne Antwort zu geben. „Und den Ferrari hast du auch genommen, obwohl ich dir das ausdrücklich verboten habe.“
Roswita unterbrach ihn an der Stelle: „Ich kann dir das erklären, ich…“
Max von Gutenburg winkte ab und murmelte etwas wie: „Kaum zu glauben.“
Dann sah er seine Frau an und sagte: „Wir Gutenburgs sind alt eingesessener Adel, wie du weißt. Wir repräsentieren und dazu gehört eine Frau, die entsprechend aussieht. Bei dir ist das nicht mehr gegeben. Und meine Anweisungen und Bitten scheinen bei dir auf taube Ohren zu stoßen.“
Er räusperte sich und sah sie direkt an: „Ich werde mich von dir scheiden lassen; der Anwalt leitet bereits alles in die Wege.“
Roswita bekam riesengroße Augen. Sie schluckte, bevor sie wiederholte: „Scheidung?“
„Genau, Scheidung!“

Drei Wochen später wurde Roswita aus dem Krankenhaus entlassen. Jetzt stand sie so zu sagen vor dem Nichts. Den Namen Gutenburg durfte sie nicht mehr tragen. Sie nannte sich jetzt Rosa Schmied, hatte ihren Mädchennamen wieder angenommen. Mit den zehntausend Euro, die ihr Max überlassen hatte – es bestand Gütertrennung, er hätte diese Summe nicht mal bezahlen müssen – zog sie in eine andere Stadt und nahm sich dort eine Wohnung in einer Reihenhaussiedlung. Im gleichen Stadtteil fragte sie in einem Supermarkt nach einem Job und bekam ihn. Eigentlich wollte sie an die Kasse, aber dahin ließ man sie nicht, wegen ihrem Gesicht. „Hinten im Lager können Sie arbeiten“, sagte der Marktleiter. Vermutlich dachte er den Satz mit einem „dort sieht Sie niemand“ zu Ende. Die restlichen Operationen, die noch nötig waren, bezahlte Max von Gutenburg nicht. Das Auge wurde auch nicht eingesetzt. Sie könne froh sein, dass er das Geld für den demolierten Ferrari nicht zurück verlange, ließ er sie wissen.
Rosa ließ sich die Haare halblang wachsen und färbte sie schwarz. Vorne waren sie extra lang, um die verbrannte linke Gesichtshälfte abzudecken. Wegen des fehlenden Auges trug sie ständig eine getönte Brille. Sah man sie von Weitem, meinte man die tolle Frau von einst zu erkennen. Ihre Figur war immer noch sehr gut und sie hatte immer noch einen eleganten Gang, den die Männer bewunderten. Kamen sie aber näher und der Wind wehte zufällig noch die Haare weg, sahen sie was los war und wandten sich ab. Ich werde nie mehr einen Mann bekommen, dachte Rosa und vermutlich einsam und ungeliebt sterben.
Eines Abends, nach der Arbeit, saß sie in ihrem Wohnzimmer, leerte eine Flasche billigen Wein und dachte über einen Schluss-Strich nach. Es war merkwürdig: Die erste Zeit in ihrem neuen Leben, als Rosa Schmied, hatte ihr sogar gefallen. Sie genoss es irgendwie, nicht mehr tatenlos in einem goldenen Käfig umher wandeln zu müssen. Das Leben war jetzt mühselig, aber es war nicht mehr so langweilig. Doch dann begriff sie mehr und mehr ihre chancenlose Situation. Sie war jetzt ein Monster, das wohl nur noch für die Geisterbahn taugte. Sie arbeitete, aß und trank, aber ihr Leben war zu nichts mehr nütze. Sie konnte keinen Mann mehr bekommen, sie konnte keinen besseren Job bekommen; sie konnte sich nur noch endlos im gleichen Kreis drehen und auf das Ende warten. Selbst in dem Haus, in dem sie wohnte, nahmen die Leute Reißaus vor ihr, mit diesem entstellten Gesicht.

Schließlich bekam sie zwei Tage frei und fuhr in die Stadt, in deren Nähe sie mit Max gelebt hatte. Dort suchte sie den Dealer auf, der ihr früher das Kokain besorgt hatte. Sie hatte nie direkten Kontakt mit ihm gehabt, wusste aber dennoch wie er heißt und wo er zu finden war.
„Was für Stoff brauchst du, Lady?“
Rosa überlegte einen Moment: Ein Näschen in Ehren wäre nicht schlecht; aber wie sollte sie ihre Sucht auf Dauer finanzieren? Seit der Trennung von Max hatte sie nichts mehr genommen. Sie wollte auch nichts mehr und fragte: „Kannst du mir auch einen Revolver besorgen?“
Der Dealer sah ihre verbrannte Seite an und fragte: „Ist es deswegen?“
Rosa zwang sich zu einem Lächeln und verneinte: „Kein Selbstmord, nur ne Bank überfallen.“
Der Dealer sah sie ungläubig an.
Rosa lachte und fragte: „Und, was ist jetzt?“

Vielleicht eine Woche später, gleich nach der Arbeit, war sie unterwegs. Sie war zu Fuß und wollte raus aus der Stadt, in den Stadtwald. Unterwegs kam sie an einer Tankstelle vorbei, wo ein junger, gut aussehender Mann gerade seinen Porsche auftankte. Da sie in gebührender Entfernung an ihm vorbei ging, riskierte sie ein Lächeln und bekam es erwidert. Mit so einem nochmal in die Kiste, dachte sie, bevor ich... Sie sah über die Schulter zu ihm zurück und holte sich erneut ein Lächeln ab. Und dann, mit einem Mal fragte sie sich: Warum eigentlich nicht? Zu verlieren habe ich nichts. Ist eh alles weg -
Sie beobachtete, wie der Mann nach drinnen ging, um zu bezahlen. Den Moment nutzte sie, schlich zum Porsche und setzte sich rein. Er war unverschlossen, wie sie vermutet hatte. Sie duckte sich runter, so dass sie nicht gleich gesehen wurde. Der Mann kam zurück, setzte sich auf den Fahrersitz und sah erst da, dass jemand neben ihm saß: "Ist das nicht die, die mir gerade zu gelächelt ...?" Weiter kam er nicht, weil er die verbrannte Gesichtshälfte und das fehlende Auge sah. Protestieren und sie raus schmeißen, dazu kam er nicht mehr. Rosa hielt einen Revolver auf ihn gerichtet und sagte: „Fahren Sie!“
„Und wenn ich´s nicht tue?“
„Dann muss ich noch jemanden ermorden, bevor ich mich selbst umbringe.“
Rosa warf einen schnellen Blick nach draußen, aber niemand schien sie zu beobachten. Der Tankwart war mit einem anderen Kunden beschäftigt.
Der Porsche wurde gestartet, der Gang eingelegt und der Fahrer gab Gas.
„Wohin?“
Gute Frage, dachte Rosa und hielt den Revolver in seine Richtung.
„Auf die Autobahn, genau, Richtung Süden.“

* Fortsetzung folgt -


Teil 2:
Sie fuhren schon eine Weile auf der Autobahn Richtung Basel. Rosa hielt immer noch den Revolver auf den Mann gerichtet.
Er hieß Frank Neuhaus. Sie hatte sich seine Brieftasche und sein Handy geben lassen.
„Wie lange soll das noch so weiter gehen?“
Rosa sah ihn an und überlegte einen Moment. Das wusste sie eigentlich selbst nicht. Aber er hatte recht. Irgendwann würde sie müde werden, er würde die Polizei rufen und der Trip wäre zu Ende. „Fahr auf die nächste Tankstelle und mach voll!“
Frank Neuhaus sah sie konsterniert an, fuhr aber an der nächsten Raststätte runter und tankte.
„Den Schlüssel lässt du stecken“, sagte Rosa, "wenn du drinnen bezahlst und irgendwelche Tricks versuchst, fahre ich ohne dich.“
Frank Neuhaus zischte einen unverständlichen Fluch und lief weg.
Nach einer Weile kam er mit belegten Brötchen und Mineralwasser zurück.
"Das ist eigentlich nur für mich", sagte er, "aber bevor ich nochmal da rein muss, hab´ ich auch für dich -"
Rosa hieß ihn los fahren und fünf Kilometer weiter an einer Haltebucht anhalten. Dort aßen sie die Brötchen mit Heißhunger und tranken das Mineralwasser. Danach ließ sich Rosa den Schlüssel geben, stieg aus und schloss den Porsche ab. So abgesichert, schlug sie sich in die Büsche, um mal ordentlich Pippi zu machen.

„Was soll´n das werden?“, fragte Frank, „ist das eine Entführung, willst du Lösegeld von meiner Familie?“
Sie fuhren inzwischen auf der Autobahn Richtung Mülhausen. Rosa schüttelte den Kopf und sah ihn an. Ich will nur dich, wäre ihr fast raus gerutscht,
aber sie sagte: „Frag´ nicht so viel, wir müssen weiter.“
Frank Neuhaus sah sie an: „Und wohin?“
“Nach was sieht´s denn aus?“
Frank schlug in einer verzweifelten Geste die rechte Hand auf das Lenkrad.
„Ich muss Morgen in der Firma sein, sonst gibt´s riesigen Ärger.“
Rosa hob die Hand mit dem Revolver wieder hoch, die sie auf dem Schoss abgelegt hatte und sagte:
„Keine Panik, wir regeln das.“

An der nächsten Haltebucht hielten sie an. Als der Motor abgestellt war, sagte Rosa:
„Du rufst jetzt in deiner Firma an und lässt dir zwei Wochen Urlaub geben.“
Sie gab Frank das Handy zurück, der es nahm und sie verwundert anglotzte.
„Na los, mach schon!“
Frank rief die eingespeicherte Nummer auf und drückte auf Verbindung. Das Gespräch lief aber nicht so, wie Rosa es sich vorgestellt hatte; der Chef wollte keinen Urlaub genehmigen. Als Frank drauf und dran war aufzugeben, rieb ihm Rosa die Knarre unter die Nase und machte ihm mit dieser motivierenden Geste klar, dass es klappen muss. So bestand Frank gegenüber seinem Chef auf den Urlaub. Tat, als wäre sein Leben davon abhängig. Was unter diesen Umständen noch nicht einmal gelogen war. Zähneknirschend gewährte ihm der Chef schließlich den Urlaub.
„Na bitte, geht doch!“ kommentierte Rosa und entriss ihm das Handy.

Über die Grenze kamen sie ohne Probleme. Der Grenzer sah nur kurz zu ihnen rein und winkte das Auto durch.
Rosa sagte: „Nimm die Autobahn Richtung Lyon.“
Frank nickte und murmelte voller Sarkasmus: „In die Stadt wollte ich schon immer mal.“
Hinter Lyon fuhren sie auf eine Raststätte. Frank tankte voll und besorgte eine neue Ladung belegter Brötchen und Mineralwasser.
Sie fuhren wieder ein Stück weiter, bis zu einer Haltebucht, um dort zu essen und zu trinken.
Rosa ließ sich den Schlüssel geben, schloss das Auto wieder ab und ging Pippi machen. Als sie saß und sich erleichterte, murmelte sie:
„Geht ja nichts über gesunde Routine, selbst in so einem Fall.“
Als sie zurück kam, sagte Frank: „Ich muss auch mal, aber nicht nur Pippi.“
Rosa sah ihn an und lachte… „Hier gibt es weit und breit keine Toiletten.“
„Und was schlägst du vor, soll ich auf den Rücksitz kacken oder in den Kofferraum?“
Rosa lachte wieder und zog zwei Papiertaschentücher aus ihrer Hosentasche.
„Hier, zum abputzen!“ Frank nahm sie.
„Ich gehe mit“, sagte sie, „damit du mir nicht abhaust.“
Frank war von den Socken: „Du willst mir beim scheißen zusehen?“
Rosa lief rot an, aber nur ein bisschen. „Mach schon!“, sagte sie, und hielt den
Revolver höher. „Ich sehe nicht hin, aber denk daran, ich stehe gleich neben dir.“

Hinter Orange roch man bereits das Meer und die Landschaft wurde zusehends mediterraner. Rosa´s Herz schlug höher. Es roch anders, das Licht war anders, die Augen erfassten ein völlig anderes Bild der Welt. „Wir suchen uns ein Plätzchen am Strand, wo wir ungestört sind“, sagte Rosa.
Frank sah sie an und dachte über das Wort „ungestört“ nach. Sie meint es sicher in dem Sinne, dass uns dort niemand sieht und sie mich weiter unter Kontrolle halten kann – oder?
Keine zwei Stunden später waren sie auf der Küstenstraße und fuhren am Mittelmeer entlang; dessen erster Anblick sie echt umhaute. Frank hatte das Fenster unten, die Dachluke geöffnet und sog den Duft des Südens ein, der ihn fast vergessen machte, dass er mitten in einer Entführung steckte. Sie hatten nach Orange die Autobahn in Richtung spanischer Grenze eingeschlagen. Rosa stellte sich vor einen Strand zu finden, an dem niemand war. Es war Frühjahr, noch keine Touristensaison, die Chancen müssten gut sein.

Inzwischen war es Abend. Sie fuhren an Restaurants vorbei, die direkt an der Küstenstraße mit ihren Leuchtreklamen warben. Man roch den Essensgeruch, den man im Vorbeifahren aufschnappen konnte. Mein Gott, dachte Rosa. Wenn ich keine Entführerin wäre, und dieser junge Mann mein Freund, würden wir jetzt vor so einem Restaurant anhalten, Arm in Arm rein gehen und schick essen. Aber wie sollte das gehen? Daran durfte sie nicht mal denken.
Sie tankten und Frank besorgte wieder die obligatorischen belegten Brötchen und das Mineralwasser. Sie blieben diesmal im Auto sitzen und aßen. Danach war dringend etwas Zerstreuung fällig. Frank drehte das Radio an und sie erwischten einen französischen Sender mit Rockmusik. Rosa steckte sich eine Zigarette an, lehnte sich zurück und rauchte mit Links, mit der Rechten hielt sie den Revolver.
Da sitze ich nun mit einem attraktiven, jungen Mann in einem Porsche am Meer -
Sie schob den Gedanken beiseite und versuchte sich zu konzentrieren. Wir werden hier stehen bleiben über Nacht, überlegte sie, und im Sitzen schlafen.
Zuvor fessle ich ihm beide Hände ans Lenkrad. Morgen suchen wir uns einen Platz am Strand.

Schon um acht Uhr wurden sie von einer sehr aktiven Sonne geweckt. Das Auto stand nicht im Schatten, so dass sie alle Fenster aufreißen mussten, um nicht zu ersticken. Rosa machte Frank die Fesseln ab. Der rieb seine Handgelenke, auf denen die Abdrücke der Kordel zu sehen waren. Dabei sah er Rosa an. Mit einem Blick, der so etwas wie Schuldgefühle bei ihr auslösen sollte. Tat es auch, aber Rosa ließ sich nichts anmerken. Sie nahm einen Schluck Mineralwasser und gab die Flasche an Frank weiter. Danach sagte sie: „Auf, fahr los!“
„Wohin denn?“
Rosa lachte. Sie wusste gar nicht, woher sie die gute Laune auf einmal nahm.
„Nach China, wohin sonst!“
Frank sah sie mit einem Blick an, als mache er sich Gedanken um ihren Geisteszustand.
„Weiter die Küstenstraße entlang natürlich! Und wenn du irgendwo einen Strand siehst, der zu uns passt – sprich, wo niemand ist - geh voll in die Eisen.“

Es gab einen kleinen Hügel, der sie von der Straße her gesehen abschirmte; dahinter war so eine Art wilde Wiese. Der ideale Ort, dachte Rosa, um sich nieder zu lassen. Weiter vorne gab es nur knöcheltief Sand und die herrlich schäumende Kulisse des Mittelmeeres. Sie waren noch ein Stück die Küstenstraße entlang gefahren, bis Rosa im Vorbeifahren diesen Flecken Erde gesehen hatte, an dem tatsächlich niemand zu sein schien. Der Porsche war etwas abseits von der Straße geparkt, gut getarnt unter ein paar Bäumen. Rosa und Frank spazierten herum, um das Gelände weiter zu erkunden. Sie hatten die Schuhe und Strümpfe ausgezogen, die Hosen hoch gekrempelt. Sie gingen dort, wo die Ausläufer der ankommen Wellen ihnen sanft die Füße umspülten.
Den Revolver hatte Rosa griffbereit in der rechten Jackentasche.
„Schön hier“, sagte Frank.
Rosa sah ihn lächelnd an und nickte.
„Aber was machen wir jetzt?“
„Wir kaufen ein Zelt und zwei Schlafsäcke - bauen uns hier auf der Wiese eine Behausung.“
Frank sah sie stirnrunzelnd an. „Du willst hier für ne Weile bleiben?“
Rosa ging nicht darauf ein und erwiderte: „Lass uns gleich losfahren und einen Outdoor-Laden aufsuchen.“
Frank stand vor ihr, hatte die Hände in die Hüften gestützt und sagte: „Machen wir hier Urlaub?“
Rosa nickte.
„Hast du mich deswegen entführt?“
Rosa holte den Revolver aus der Tasche und richtete ihn auf Frank.
„Komm in die Gänge, Mann, wir haben noch genug Zeit zum quatschen.“

Im nächsten Ort gab es kein Geschäft, das Schlafsäcke und Zelte verkaufte. Sie mussten noch drei Orte weiter. Dann erst kam eine kleine Stadt, die einen entsprechenden Verkaufsladen hatte. Gemeinsam gingen sie rein, nachdem Rosa Frank nochmal klar gemacht hatte, dass sie den Revolver stets griffbereit habe. Sie kauften ein Iglu-Zelt und zwei mit Daunen gefüllte Schlafsäcke. Außerdem zwei Isomatten. Einen Campingkocher, eine Gasflasche, ein paar Töpfe, eine Pfanne, Geschirr, Teller, Tassen und eine Kühltasche. Einen Campingtisch und zwei Stühle nahmen sie auch mit; geht ja nichts über Gemütlichkeit. Danach kauften sie in einem Supermarkt Vorräte: Seife, Klopapier Kerzen, Konserven, Brot, Wurst, Käse, Gurken und ein paar Flaschen Wein. Da Rosa noch Klamotten brauchte und Frank sich auch welche kaufen wollte, vor allem Bade-Klamotten, gingen sich noch in ein Bekleidungsgeschäft.
Frank, der Porsche-Fahrer, bezahlte.

Es hatte schon etwas von einem Einzug, als sie mit alledem zurück kamen an „ihren Strand“, um hinter dem Hügel, auf der wilden Wiese, das Zelt aufzubauen und einzurichten. Danach schraubte Frank den Campingkocher auf die Gasflasche, stellte einen Topf darauf und öffnete eine Büchse mit Bohneneintopf, um ihn in einem Topf warm zu machen. Rosa hatte inzwischen den Tisch und die Stühle aufgebaut. Es war wie bei einem spießigen Familienurlaub; fehlten nur noch die nörgelnden Kinder.
Rosa vergaß fast, dass sie so ein entstelltes Gesicht hatte und kein Auge mehr. In Bade-Klamotten saßen sie unten am Strand, nachdem sie gegessen hatten und besahen sich das Schauspiel der untergehenden Sonne. Vielleicht sollte ich ihm einfach reinen Wein einschenken, dachte Rosa und den Revolver aus dem Spiel lassen. Aber warum sollte ein gut aussehender junger Mann bei einer wie mir bleiben, wenn er nicht dazu gezwungen wird?
„Gefällt es dir hier?“
Frank drehte sich zu ihr um: „Mal abgesehen davon, dass du mich zwingst, finde ich es ganz in Ordnung.“
„Würdest du denn bleiben, wenn ich den Revolver ins Meer werfe?“
Frank sah wieder geradeaus in die untergehende Sonne. Das Meer umspülte die nackten Füße der beiden und plätscherte dabei so sanft, als wolle es deren Unterhaltung nicht stören. Frank sagte nichts und Rosa fragte nicht weiter. Sie tastete neben sich, nur um festzustellen, dass der Revolver noch da lag, den sie in den Sand fallen ließ. Als die Sonne untergegangen war, gingen sie gemeinsam zurück zum Zelt.

* Fortsetzung folgt -


Teil 3
Frank schlief noch. Rosa stand auf und lief zum Meer. Sie bewegte sich langsam ins Wasser, um splitterfasernackt eine morgendliche Runde zu schwimmen. Ein paar Mal schreckte sie zurück, als eine Welle sie zu früh nass machen wollte. Schließlich ging sie in die Hocke, tauchte den Körper bis zum Kopf ein und stürzte sich anschließend vornüber in die Fluten. Sie schwamm ein gutes Stück hinaus und genoss es. Das Meer mit seiner Gischt, den Wellen und der Sonne, die auf dem Wasser reflektiert wurde. Ein morgendlicher, kühler Rausch. Am liebsten wäre sie bis ans Ende der Welt geschwommen. Vielleicht wäre das gar nicht so schlecht. Dann dachte sie an die Haie da draußen, die vielleicht noch nicht gefrühstückt hatten, lachte - und verwarf den Gedanken.
Irgendwann drehte sie um und schwamm zurück an den Strand, wo das Handtuch lag. Sie trocknete sich ab und legte sich darauf, um sich zu entspannen. Die rechte Hand wie einen Schild vor die Stirn gelegt, um das Sonnenlicht abzuhalten, sah sie einen Moment hinaus in die unendliche Weite des Meeres, das nahtlos ins Blau des Himmels überzugehen schien.

Als sie erwachte, sie musste eine ganze Weile gedöst haben, stand jemand vor ihr. Wegen des gleißenden Lichtes, konnte sie ihn nur schemenhaft erkennen.
„Mein Gott!“, entfuhr es ihr, als ihr einfiel, dass sie ja völlig nackt da lag.
Mit einem Satz war sie auf den Beinen und hatte sich das Handtuch um geschlungen. Es war Frank. Er war in Badehosen, hatte eine Sonnenbrille auf und ihren Revolver in der Hand. Rosa sah, dass er seinen Zeigefinger um den Abzug gelegt hatte. Die Waffe war nicht auf sie gerichtet; noch nicht. Rosa graute vor dem, was nun kommen würde. Wie konnte sie nur so gedankenlos sein, den Revolver im Zelt liegen zu lassen. Frank hatte noch geschlafen, das war der Grund, der kein Grund hätte sein dürfen. Der Wunsch, nackt ins Meer zu springen - noch vor dem Frühstück - hatte sie anscheinend alle Vorsicht vergessen lassen.
Frank sagte kein Wort, stand nur da und starrte sie durch die Sonnenbrille an. Dann hob er, wie sie befürchtet hatte, ganz langsam den Revolver hoch und zielte auf sie. Rosa sah den Finger am Abzug und rechnete jeden Moment mit einem Schuss, der ihr krachend und schmerzhaft das Lebenslicht auspusten würde. Er hatte ja recht, dieser Frank. Sie hatte ihn entführt, sie selbst hatte dieses Ding ja schon mehrfach auf ihn gerichtet. Und jetzt hat er es und ich bin das Opfer. Er wird sich rausreden können vor der Polizei. Schließlich bin ich eine Entführerin, eine Kriminelle.
„Kein schönes Gefühl, in so einen Lauf gucken, stimmt´s?“
Rosa nickte und behielt ihr Gegenüber im Auge. Frank stand einfach nur da und zielte mit dem Revolver auf sie. Plötzlich lachte er, nahm die Waffe runter und übergab sie ihr. Rosa war gänzlich von den Socken und hielt den Revolver ungläubig in der Hand. Verwirrt starrte sie Frank an. Der setzte die Sonnenbrille ab, lächelte und fragte: „Vertraust du mir jetzt?“
Als Antwort ließ Rosa die Waffe in den Sand fallen und nickte.

Sie konnte kaum glauben, dass gerade ihr sehnlichster Wunsch in Erfüllung gegangen war. Hatten die Götter, die ihr Schicksal leiteten, ein Einsehen?
Frank setzte noch eins drauf, als er ganz ungeniert die Badehose auszog und sagte: „Ich möchte auch eine Runde schwimmen.“
Rosa nickte. „Yepp - da halt´ ich nochmal mit.“
Lachend ließ sie das Handtuch fallen und hüpfte Frank hinterher, der bereits im schäumenden Meerwasser watete.

Später frühstückten sie, hatten dazu den Tisch und die Stühle vor dem Zelt aufgebaut. Frank hatte Kaffee gemacht und Rosa ein paar belegte Brote geschmiert. Sie hatten sich inzwischen Badesachen angezogen und sahen sich gegenseitig an, als würden sie sich zum ersten Mal sehen. Ein schönes Gefühl, dachte Rosa, keinen Revolver mehr. Sie dachte über Frank´s Motiv nach, einer Entführerin zu trauen. Vielleicht, sagte sie sich, will er ja Morgen schon abhauen. Will die Chance nutzen, die ihm meine Nachlässigkeit eröffnete, um sich elegant aus der Affäre zu ziehen.
„Warum bist du geblieben und nicht abgehauen?“
Frank sah sie an und lächelte. Dann sah er zum Meer hin und sagte, den Blick wieder auf Rosa gerichtet: „Es gefällt mir hier.“
„Und meine Gegenwart - ist die auch okay?“
„Ich bewundere dich, du bist eine mutige Frau.“
Rosa wusste nicht so recht, was sie davon halten sollte. Meinte er damit den Mut der Verzweiflung; tat sie ihm im Grunde leid?
„Und nicht nur das, ich mag dich auch als Frau.“
„Und mein Aussehen stört dich nicht?“
„Du hast eine tolle Figur.“
Rosa wurde ein wenig verlegen und wandte den Blick ab. Dann sah sie Frank wieder an und fragte: „Findest du wirklich?“
„Ja – finde ich.“

Später, als sie wieder am Meeresstrand waren, verbrachten so ziemlich den ganzen Tag dort. Frank hatte nach seinem Auto gesehen und eine Decke aus dem Kofferraum geholt, auf die sie sich legten. Rosa hatte eine Flasche Wein mit genommen, zur Feier des Tages. Wenn sie nicht gerade im Wasser waren, lagen sie auf der Decke, ließen die Flasche hin und her gehen und jeder erzählte dem anderen sein Leben.
„Bin schon seit zehn Jahren in dieser Firma und habe einen ziemlich verantwortungsvollen Posten“, sagte Frank.
„Und was machst du?“
„Wir stellen Druckmaschinen her, ich bin für den Verkauf zuständig.“
Rosa nickte und dachte: Deshalb kann er sich einen Porsche leisten. Frank, der ihre Gedanken zu erraten schien, entgegnete: „Der Preis ist, dass ich so gut wie kein Privatleben habe - nur Firma, oft sogar am Wochenende. Außerdem muss ich des Öfteren nach Übersee, um die Kundschaft zu betreuen, wenn es Probleme gibt.“
Frank schwieg eine Weile und sah raus auf´s Meer. Dann drehte er sich wieder Rosa zu und sagte: „Irgendwie kommt mir das gerade recht, was wir hier machen. Ich hab die ganze Zeit nicht richtig begriffen, wie nötig ich eine Auszeit habe.“
Rosa lächelte, nickte und kam sich nicht mehr ganz so schuldig vor nach diesem Geständnis.

Sie erzählte ihm im Gegenzug den ganzen Absturz von einer reichen, schönen Frau namens Roswita von Gutenburg, der es an nichts fehlte, bis zur Rosa Schmied, die von einem Tag in den anderen lebte und nur noch wenig Perspektive in ihrem Leben sah.
„Der Unfall war also der Wendepunkt?“
Rosa nickte. Und dann erzählte sie Frank, dass eigentlich weitere Operationen geplant waren, um ihr Aussehen wieder herzustellen; die ihr Mann aber nicht bezahlte. Frank sah sich unwillkürlich ihr Gesicht an. Er fand es grausam, dass ein reicher Mann so etwas einer Frau zumutet.
„Max von Gutenburg sagte, ich sei selbst schuld, was ja irgendwie stimmt.“
Sie schwiegen beide und sahen raus auf´s Meer. Frank nahm noch einen Schluck und reichte die Flasche an Rosa weiter. Eigentlich wollte er noch fragen, was sie denn jetzt vorhabe, in Zukunft. Aber er ließ es, weil er spürte, dass er vermutlich ihren wundesten Punkt treffen würde.

Als die Sonne unterging, liefen sie rüber zum Zelt. Das Abendessen bereitete diesmal Rosa zu. Sie machte eine Büchse mit Linseneintopf und Würstchen warm und schnitt ein paar Scheiben Brot dazu. Zu trinken gab es wieder Wein. Später lagen sie auf der Decke vor dem Zelt. Frank rauchte eine Zigarette und Rosa hatte das Buch aufgeschlagen; das sie im Supermarkt mitgenommen hatte. Beide waren sie immer noch in Badesachen; es war wirklich warm hier im Süden, bereits schon im Frühjahr. Rosa lag bäuchlings auf der Decke. Als sie einen Seitenblick auf Frank warf, bekam sie mit, dass er sie betrachtet haben musste. Hat sich vermutlich meinen Hintern angesehen. Frank hatte schnell weg gesehen, als Rosa ihn anblickte. Sie grinste, warf das Haar in den Nacken und widmete sich wieder ihrem Buch. Einen Moment später legte sie das Buch beiseite und fragte: „Hat dir gefallen, was du gesehen hast?“
Frank wurde verlegen und gab erst keine Antwort. Rosa richtete sich halb auf und sah ihn mit einem Augenaufschlag an: „Hast du Lust mit mir zu schlafen?“

Am nächsten Morgen, als sie beide wach waren, liefen sie – splitternackt, wie sie waren – rüber zum Meer, wateten ins Wasser und schwammen eine Runde. Danach machten sie Frühstück, ohne sich etwas anzuziehen. Rosa setzte sich danach einfach auf Frank und sie trieben es noch einmal, auf einem Stuhl, obwohl dieser gefährlich wackelte. Wäre jemand am Strand entlang gelaufen, hätte er sie vermutlich sehen können. Aber daran dachten sie nicht; sie hatten die ganze Zeit keinen Menschen zu Gesicht bekommen. Es war wie im Paradies und sie fühlten sich wie Adam und Eva. Dabei stellte Rosa zu ihrer Freude fest, dass Frank, im Vergleich zu ihrem früheren Göttergatten Max, ein ungleich besserer Liebhaber war.

* Fortsetzung folgt


Teil 4

Zwei Tage später war Rosa morgens lange vor Frank wach. Sie hatte sich den Bikini angezogen und ihre Tasche genommen. Sie sah den schlafenden Frank länger an, als sie es normalerweise getan hätte. Schließlich küsste sie ihn sanft auf den Mund und lief los. Bis zum Meer und dann am Strand entlang. Aber nicht nach rechts, wie mit Frank immer, sie lief nach links. Von Weitem konnte man sehen, dass es weiter vorne, etwas den Hügel hinauf, ein kleines Pinienwäldchen gab. Sie hielt darauf zu, lächelte und dachte: Dass er mit mir zusammen sein will, ist mehr als ich mir je vorzustellen wagte. Meine Operationen will er sogar bezahlen, ich bin ihm offensichtlich etwas wert.
Sie drehte sich im Laufen nochmal um und sah in Richtung des Zeltes. Frank würde noch eine gute Weile schlafen. Zeit genug für mich.
Die Sonne schien zwar schon, aber es war noch ziemlich frisch. Rosa nahm einen Pulli aus der Tasche und zog ihn an. Sie hätte sich richtig etwas anziehen müssen, nicht nur den Bikini. Aber egal, war jetzt nicht mehr wichtig. Zurück zum Zelt wollte sie so oder so nicht mehr.
Sie dachte an den vergangenen Tag, als sie beide in einem schicken Restaurant in Marseille essen waren. Frank hatte darauf bestanden, dass sie sich vorher neue Klamotten kaufen. Er einen Anzug, sie ein Abendkleid. Rosa wollte erst nicht: Wegen einem Restaurantbesuch so einen Aufwand? Außerdem erinnerte es sie an den Goldenen Käfig, in dem sie mit Max gelebt hatte. Schoppen gehen, um der Langeweile ein Schnippchen zu schlagen. Obwohl es in dem Fall gar nicht so war.
Nach einer Weile stieg sie den Hügel hoch und das Pinienwäldchen kam in greifbare Nähe. Der Weg wurde steinig und sie war barfuß. Zum Glück hatte sie wenigstens für den Fall vor gesorgt, konnte ihre Sandalen aus der Tasche nehmen und sie anziehen. Sie sah sich noch einmal um, bevor sie in das Wäldchen hinein lief und sich dort auf den moosigen Boden setzte.
Auf dem Nachhauseweg hatten sie einen Absacker in einem Bistro genommen, direkt unten am Meer. Sie hatten sich unter den Sternen geküsst
und angestrahlt wie ein frisch verliebtes Paar. Rosa konnte es im Nachhinein immer noch nicht glauben.

Da drin war es noch kälter als draußen. Aber was machte das jetzt noch? Sie lächelte und dachte an das erste Treffen mit Frank. Die Szene, als sie ihn an der Tankstelle gesehen und entführt hatte. Eigentlich befand sie sich jetzt wieder an der gleichen Stelle; durch Franks Erscheinen war nur alles hinaus gezögert worden. Zum Glück, dachte sie, diese wenigen Tage waren die glücklichsten ihres Lebens. Wann war sie schon mal so verliebt mit einem Mann zusammen? Dennoch sah sie keinen anderen Ausweg und musste ihn jetzt enttäuschen. Ein Weiterleben mit diesem Gesicht konnte sie sich nicht vorstellen. Die Operationen würden es nicht wieder herstellen können, wie es mal war. Sie würde zudem älter werden und dann wäre auch ihre tolle Figur Geschichte. Frank würde sich nach einer anderen umsehen. Außerdem war er Luxus gewöhnt, bei dem sie nicht mehr mit halten konnte. Vielleicht würde ihr Leben dadurch wieder dieser Goldene Käfig werden, den sie mit Max schon hatte. Er hatte das Geld und sie saß zuhause und versuchte den ganzen Tag lang
der Langeweile zu entgehen.
Sie griff in ihre Tasche und zog etwas hervor, was sie seit Tagen nicht mehr in der Hand gehalten hatte. Zögerlich umschlossen es ihre Finger. Es fühlte sich kalt und schwer an. Durch das Pinienwäldchen hindurch, das nicht sehr dicht war, sah sie ein letztes Mal runter zum Meer; dem ewig schäumenden Atem der Götter. Sie sog die Luft ein, die um sie war, den Duft des Südens, der alle Verheißungen des Lebens in sich zu vereinen schien. Was für ein magischer Ort - was für Podium um sich zu verabschieden.
Sie überprüfte das Magazin und hielt sich die Waffe an die Schläfe.
„Wenn´s am Schönsten ist, sollte man gehen.“
Sie schloss die Augen und hatte den Zeigefinger am Abzug -

Frank wurde früher wach als gedacht. Einen Moment saß er im Zelt und versuchte den restlichen Schlaf abzuschütteln. Dann bewegte er sich raus und
sah zum Meer runter. Rosa schien dort nicht zu sein. Im Wasser war sie auch nicht, wie es aussah. Im nächsten Moment hörte er den Schuss, der aus der anderen Richtung gekommen sein musste. Er wirbelte herum – das Pinienwäldchen. Intuitiv ahnte er, dass Rosa dort sein musste.
Seine Stiefschwester Andrea kam ihm unterwegs in den Sinn. Zu ihr war er damals auch rennend unterwegs gewesen.
Frank erreichte den Hügel und lief weiter, steigerte sein Tempo noch.
Bei Andrea war er zu spät gekommen. Er versuchte das Bild zu verdrängen, wie sie mit zerschmetterten Gliedern in einer Blutlache auf der Straße lag.
Halb atemlos erreichte Frank das Pinienwäldchen und stürmte hinein.
Andrea hatte sich vom Balkon gestürzt – mit 19 Jahren ihrem Leben ein Ende gesetzt.
Als Frank Rosa erreichte, war sie in Tränen aufgelöst und hielt den Revolver immer noch in der Hand. Frank nahm ihr die Waffe ab.
Widerstandslos ließ Rosa es geschehen.
„Ich konnte es nicht“,schluchzte sie, „hab´ nur in die Luft geschossen.“
Frank legte die Pistole beiseite, umarmte Rosa und strich ihr sanft über den Kopf.
„Gott sein Dank, hast du es nicht gekonnt.“
Eine ganze Weile verharrten sie so, bis Rosa Frank ins Ohr flüsterte: „Jetzt hast du mich, ist dir das klar?“
Frank löste sich von ihr und sah sie an. Die Erleichterung stand ihm ins Gesicht geschrieben.
Er nahm Rosas Arm, hielt ihn fest und antwortete: "Ja - das weiß ich und das will ich auch."

*Ende
 
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ahorn

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Moin Heinrich VII,

das ist der erste Text, den ich von dir gelesen habe, und ich muss dir schreiben …
Lassen wir das gesüller. Es gab für mich nur einen Grund, diesen Kommentar abzugeben, und das war der Satz:
Gute Frage, dachte Rosa und hielt den Revolver in seine Richtung.
Ja und ich mehr von der Geschichte erfahren. Dennoch ist der Anfang eine Qual und da meine ich nicht die Grammatik oder Logikfehler, denn dafür sind wir hier, sondern alles bis
„Anton, mach den Ferrari fertig!“
Ich will es nicht wissen, ob sie Verdauungsprobleme hat oder was ein ‚schlossartigen Gebäude‘ ist. Es geht mir am Arsch vorbei. Denn einzigen, den das interessiert, ist der Autor und dessen Wissen geht mir genauso … ich als Leser will alles zur rechten Zeit erfahren. Was ist mir am Anfang wichtig? Die Empfindlichkeit des Protagonisten sicher nicht. Warum sollte ich mir das antun, wenn ich den Text sowieso nicht weiter lese? Was fesselt mich? Die Schreibe des Künstlers und die Geschichte, aber von der erfahre ich erst ab:
„Anton, mach den Ferrari fertig!“
Also mein Rat, streiche alles bis
„Anton, mach den Ferrari fertig!“
Dann bin ich gern dabei. ;)

Gruß
Ahorn
 

Heinrich VII

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Hallo ahorn,

Ich will es nicht wissen, ob sie Verdauungsprobleme hat oder was ein ‚schlossartigen Gebäude‘ ist. Es geht mir am Arsch vorbei. Denn einzigen, den das interessiert, ist der Autor und dessen Wissen geht mir genauso … ich als Leser will alles zur rechten Zeit erfahren. Was ist mir am Anfang wichtig? Die Empfindlichkeit des Protagonisten sicher nicht. Warum sollte ich mir das antun, wenn ich den Text sowieso nicht weiter lese? Was fesselt mich? Die Schreibe des Künstlers und die Geschichte, aber von der erfahre ich erst ab: „Anton, mach den Ferrari fertig!“
Also mein Rat, streiche alles bis,,, Dann bin ich gern dabei. ;)
Na ja - da kann man drüber streiten:
Ich erzähle das nicht, um mein Blatt zu füllen. Ich erzähle es, weil das der Background von Roswita ist.
Sie wird durch den Unfall in ein völlig anderes Leben gezwungen - insofern macht es schon Sinn ihre Vorgeschichte zu beleuchten.
Ihr Aussehen, das nach dem Unfall (zumindest im Gesicht) sehr entstellt ist, spielt mehr oder weniger eine große Rolle. Der goldene Käfig,
in dem sie mit ihrem Mann lebt und die daraus resultierende Langeweile, haben sie ja erst in die Lage gebracht, Drogen zu nehmen und mit
dem Ferrari durch die Gegend zu rasen.
Da es sich um eine Erzählung von mehreren Teilen handelt, kann man schon ein bisschen ausschweifender erzählen als bei einer KG,
finde ich. Wenn dich die Geschichte wirklich interessiert, glaube ich kaum, dass du wegen einem Anfang (der dir nicht passt)
nicht weiter lesen wirst. Das ist ja nur der Ausgangspunkt einer leidvollen Odysee, die Rosa erfahren muss.

Gruß, Heinrich

P.S. Wenn ich die Geschichte ab da beginne, als Rosa sagte: "Anton, mach den Ferrari fertig!" -
dann müsste ich ihre Vorgeschichte in einer Rückblende erzählen. :oops:
 
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ahorn

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Moin Heinrich VII

dann müsste ich ihre Vorgeschichte in einer Rückblende erzählen
Welche Vorgeschichte? Ist das Haus, ihr Gatte, ihre Verschwendungssucht Vorgeschichte?
Zeige dem Leser schlicht, wo sie wohnt, führen ihn durch das Haus. Zwischen 'ich will fahren' und 'sie sitzt im Auto' ist genug Raum. Auch während der Fahrt kann sie sich Gedanken machen oder je nachdem später. Und bitte ihr Aussehen, spielt das wirklich eine Rolle. Darf eine Frau, die dem Schönheitsideal entspricht, mehr leiden, als alle anderen? Daher ist alles vor
„Anton, mach den Ferrari fertig!“
langweiliges Geschwafel, was den Leser davon abhält, weiterzulesen. Denn ich verlange eine Geschichte.

Gruß
Ahorn
 

ahorn

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Hallo Heinrich VII,

als ob ich es geahnt hätte. Die Einleitung hatte mich bereits gewarnt: Zeitungsartikel mit eingeworfener wörtlicher Rede. Bereits im ersten Teil fehlt etwas Essenzielles: Emotionen. Gut, okay, vielleicht ist sie gefühlskalt, soll so sein, dachte ich mir, aber Pustekuchen, der Typ, den sie entführt, hat gleichfalls keine. Aber er ist nicht allein blank von Emotionen, er ist ein Volldepp

„Ich hab hier einen Revolver“, sagte Rosa, „denk daran. Wenn du da drinnen bezahlst und irgendwelche Tricks versuchst, erschieße ich dich.“
Sie strich sich die Haare zurück und zeigte ihm ihre linke Gesichtshälfte.
„Eine wie ich hat nichts mehr zu verlieren!“
Frank Neuhaus nickte. „Soll ich was zu essen mitbringen?“
Rosa bejahte. Frank stieg aus, tankte, bezahlte und kam mit belegten Brötchen und Mineralwasser zurück. Sie hieß ihn losfahren und fünf Kilometer weiter an einer Haltebucht anhalten. Dort aßen sie die Brötchen mit Heißhunger und tranken das Mineralwasser. Danach ließ sich Rosa den Schlüssel geben, stieg aus und schloss den Porsche ab. So abgesichert, schlug sie sich in die Büsche, um mal ordentlich Pippi zu machen.
Sie will ihn erschießen, während er in der Tankstelle ist? Wie dämlich ist der, dass er das annimmt.
Glaubt er, sie läuft Amok? Und wenn, bis das passiert, sind doch alle weg. Vielleicht ist er in sie verliebt? Ach nee, geht ja nicht: Er hat keine Emotionen.

Also, nichts für ungut, aber ich gebe dir den Ratschlag aus dem Ding eine Geschichte zu schreiben. Versetzte dich in deine Protagonisten, habe mit ihnen Angst, Wut, Hass und zeige das deinen Lese.

Gruß
Ahorn
 

Heinrich VII

Mitglied
Hallo ahorn,

Also, nichts für ungut, aber ich gebe dir den Ratschlag aus dem Ding eine Geschichte zu schreiben. Versetzte dich in deine Protagonisten, habe mit ihnen Angst, Wut, Hass und zeige das deinen Lesern.
Langsam beschleicht mich das Gefühl, dass du etwas gegen mich hast.
Oder willst du meine Geschichte vielleicht selbst schreiben, weil du es angeblich besser kannst?
Überdies habe ich das Gefühl, dass du den Text nicht wirklich gelesen hast. Deine Interpretationen
desselben lassen wenigstens darauf schließen. Glaubst du, es gibt ein Standard-Verhalten der Protagonisten
in so einer Situation, an das sich ein Autor zu halten hat?

Gruß, Heinrich
 

ahorn

Mitglied
Hallo Heinrich VII,

Langsam beschleicht mich das Gefühl, dass du etwas gegen mich hast.
Da siehst du etwas, was nicht da ist. Wenn man eine Geschichte veröffentlicht - dieses sogar in einem Literaturforum -, dann sollte man zumindest die Möglichkeit in Erwähnung ziehen, dass ein anderer Autor die Geschichte liest und diese mit seinen Augen sieht. Bei deiner Geschichte bin ich nun einmal hin- und hergezogen. Der Plot, die Idee ist gut, jedoch, obwohl, tragisch, kratzt du bloß an der Oberfläche. Allein der erste Teil bringt dermaßen viel Tragik, man könnt glatt einen Roman schreiben. Und dieses ist mein Rat, weiche einmal vom Bekannten weg ab, mache etwas für dich neues, den die LeLu ist genau der rechte Platz etwas auszutesten. Hauch deinen Protagonisten Leben ein, gibt ihnen eine Seele. Wie du es machst, ist schnurz.

Gruß
Ahorn
 

jon

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Teammitglied
Ich wollte es lesen und bin auch über den Infodump am Anfang hinweg gekommen. Aber dann war schnell Schluss. Das alles liest sich wie ein schlecht geschriebener Bericht. Bericht, weil die Handlung nur abgespult und nicht wirklich erzählt wird (was ahorn als Mangel an Emotion bezeichnete), schlecht, weil es eben schlecht geschrieben ist.

Nimm dir viel, viel mehr Zeit, die Szenen innerlich zu erleben. Du bist als Autor nicht nur der Plot-Entwickler, der Regisseur, Ausstatter (Set, Kostüme, Kulissen) und Kameramann, du bist auch die Schauspieler. Also: Spiele die Szenen! Das heißt nicht, dass du erzählen sollst, was die Figuren denken und fühlen (*), du sollst das spielen, was sie tun, weil sie so denken und fühlen. (* obwohl es auch diese Erzählweise gibt, ich nehme aber an, dass du mit der nicht gut zurechtkommen würdest)
 

Heinrich VII

Mitglied
Hallo jon,

Ich wollte es lesen und bin auch über den Infodump am Anfang hinweg gekommen. Aber dann war schnell Schluss. Das alles liest sich wie ein schlecht geschriebener Bericht. Bericht, weil die Handlung nur abgespult und nicht wirklich erzählt wird (was ahorn als Mangel an Emotion bezeichnete), schlecht, weil es eben schlecht geschrieben ist.
Ein Bericht mit Handlung und Dialog - hm, das ist jetzt neu für mich (??)
Wenn du Zeit und Nerven hast, kannst du mir an einem kurzen Textbeispiel zeigen, warum das emotionslos sein soll -

Nimm dir viel, viel mehr Zeit, die Szenen innerlich zu erleben. Du bist als Autor nicht nur der Plot-Entwickler, der Regisseur, Ausstatter (Set, Kostüme, Kulissen) und Kameramann, du bist auch die Schauspieler. Also: Spiele die Szenen! Das heißt nicht, dass du erzählen sollst, was die Figuren denken und fühlen (*), du sollst das spielen, was sie tun, weil sie so denken und fühlen. (* obwohl es auch diese Erzählweise gibt, ich nehme aber an, dass du mit der nicht gut zurechtkommen würdest)
Willst du auf das show it, don´t tell - Ding raus?

Gruß, Heinrich

P.S. Wenn das Ding so schei.. ist, wie ihr beiden meint, dann nimm es raus (löschen)
Mein erster Totalverriss hier drin - ansonsten bin ich schmeichelhaftere Kommentare gewöhnt.
Hab´ es sogar einmal in die Rubrik "lesenswert" geschafft.
 
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jon

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Teammitglied
Es klingt wie ein Bericht, ein Bericht, der eben auch wörtlich wiedergibt, wer was sagt.

Nein, ich will nicht auf "Show, don't tell" hinaus. Ich will darauf hinaus, dass man nicht den Eindruck hat, dass da echte Leute agieren, sondern dass die Figuren nur Pappkameraden sind, die dabei helfen, detalliert zu umreißen, wie das Ganze ablaufen soll.

Dass dir bisher geschmeichelt wurde, ist sicher angenehm für dich. Aber wir reden hier von diesem Text hier und der ist schlecht erzählt.

Man kann schlecht zeigen, was nicht da ist. Wenn ich Zeit habe, versuche ich mal, dir zu zeigen, wie eine Szene mit Schauspielern statt Pappkameraden aussehen würde.
 

Heinrich VII

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Man kann schlecht zeigen, was nicht da ist. Wenn ich Zeit habe, versuche ich mal, dir zu zeigen, wie eine Szene mit Schauspielern statt Pappkameraden aussehen würde.
Da freut sich der Berichteschreiber (mit wörtlicher Rede), dass er aus seinen Pappkameraden-Irrtümern erlöst werden kann,
wenn ein waschechter Literatur-Bartel ihm zeigt, wo der Most zu holen ist. :)

P.S. Ich bin gespannt -
 

ahorn

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Moin Heinrich VII,

dann willkommen im Club :cool:. Es ist zwar bereits fünf Jahre, aber ich glaube, Jon erinnert sich daran: Pappkameraden.
Nachdem du den ersten Absatz gestrichen hast, lebt deine Geschichte förmlich auf. Ich möchte zwar nichts und niemanden vorgreifen, jedoch stelle dir einmal vor, dass sie ganze Geschichte mit dem Unfall und so nicht der Erzähler erzählen würde, sondern Roswitha Frank. Du somit mit der Entführung (Revolver an die Schläfe ;)) beginnen würdest. Stelle es dir schlicht einmal vor.

Gruß
Ahorn
 

Heinrich VII

Mitglied
Hallo ahorn,

Nachdem du den ersten Absatz gestrichen hast, lebt deine Geschichte förmlich auf.
Du hast recht - dadurch gewinnt sie. ;)

Ich möchte zwar nichts und niemanden vorgreifen, jedoch stelle dir einmal vor, dass sie ganze Geschichte mit dem Unfall und so nicht der Erzähler erzählen würde, sondern Roswitha Frank. Du somit mit der Entführung (Revolver an die Schläfe ;)) beginnen würdest. Stelle es dir schlicht einmal vor.
Bestimmt eine interessante Erzählperspektive - das meine ich wirklich so.
Aber ich sehe auch ein Logikproblem: Als Roswita im Auto den Revolver auf Frank richtet, ist dieser ja (für sie) noch ein wildfremder Mann.
Dem würde sie wohl kaum die ganze Geschichte erzählen, oder? Es ginge u.U. ab dem Zeitpunkt (am Strand) als sie ich besser kennen lernen und
sogar Sex haben. Dann wäre die Geschichte aber vermutlich eine einzige Rückblende - meinst du nicht? ;)

Gruß, Heinrich
 

ahorn

Mitglied
Moin Heinrich VII,

Dann wäre die Geschichte aber vermutlich eine einzige Rückblende - meinst du nicht
Nee. ;) Sie soll ja nicht in die Zeit zurückspringen, sondern ihm bloß erzählen. Ein Dialog kann ruhig mehr, als ein Satz haben.

Was mir noch bei deinem Text auffällt, obwohl du bereite auf der Zielgeraden bist, verzettelst du dich in kein-klein.
Frank schlief noch. Rosa stand auf und lief zum Meer. Sie bewegte sich langsam ins Wasser, um splitterfasernackt eine morgendliche Runde zu schwimmen. Ein paar Mal schreckte sie zurück, als eine Welle sie zu früh nass machen wollte. Schließlich ging sie in die Hocke, tauchte den Körper bis zum Kopf ein und stürzte sich anschließend vornüber in die Fluten. Sie schwamm ein gutes Stück hinaus und genoss es. Das Meer mit seiner Gischt, den Wellen und der Sonne, die auf dem Wasser reflektiert wurde. Ein morgendlicher, kühler Rausch. Am liebsten wäre sie bis ans Ende der Welt geschwommen. Vielleicht wäre das gar nicht so schlecht. Dann dachte sie an die Haie da draußen, die vielleicht noch nicht gefrühstückt hatten, lachte - und verwarf den Gedanken.
Irgendwann drehte sie um und schwamm zurück an den Strand, wo das Handtuch lag. Sie trocknete sich ab und legte sich darauf, um sich zu entspannen. Die rechte Hand wie einen Schild vor die Stirn gelegt, um das Sonnenlicht abzuhalten, sah sie einen Moment hinaus in die unendliche Weite des Meeres, das nahtlos ins Blau des Himmels überzugehen schien.
Schön bildhaft formuliert, aber leider hilft es dem Leser nicht mehr weiter, wenn er bis zu dieser Stelle keine Beziehung zum Protagonist aufgebaut hat, ist es eh zu spät.
Frank schlief noch, als Rosa nackt eine Runde im Meer schwamm. Am liebsten wäre sie bis ans Ende der Welt geschwommen. Vielleicht wäre das gar nicht so schlecht. Dann dachte sie an die Haie da draußen, die eventuell nicht gefrühstückt hatten, lachte - und verwarf den Gedanken. Zurück am Strand setzte sie sich auf das Handtuch, spähte über die Weite des Meeres, das nahtlos ins Blau des Himmels überzugehen schien und versank, dabei sich hinlegend, in Schwärmereien (Oder so :) ).

Gruß
Ahorn
 

jon

Mitglied
Teammitglied
Hallo Heinrich,

ich hab's ja versprochen, deshalb will anhand der aktuellen Version mal aufdröseln, wo du den Schauspielern mehr Raum geben könntest.



Teil 1
Gleich nach dem Aufstehen gönnte sich Roswita eine Prise Kokain, das sie sich am Tag zuvor besorgt hatte. Sie nahm noch eine Line im linken Nasenloch
auf und stand einen Moment da, um das Prickeln zu genießen. Später, nach einem ausgiebigen Frühstück, rief sie nach dem Hausdiener.
Als er vor ihr stand, sagte sie: „Anton, mach den Ferrari fertig!“
Der Diener sah sie erstaunt an: „Den Ferrari, Madame Roswita?“
Frau von Gutenburg nickte.
„Aber ihr Mann hat doch ausdrücklich verboten …“ [jon: Wer ist er, sie fast zu maßregeln?]
Roswita unterbrach ihn mit einer Mischung aus Ernst und Umgarnung.
„Du wirst mir doch den schönen Tag nicht versauen wollen Anton, oder?“
„Aber auf ihre Verantwortung, Madame Gutenburg.“ [jon: Das ist zu lax, als stünden sie fast auf der selben Ebene. Anton muss nicht gerade unterwürfig sein ("Wie Sie wünschen, Madame.") aber etwas dienerhafter sollte es schon sein.]
Ihr Mann hatte ihr tatsächlich verboten, den Ferrari zu fahren. Er traute ihr womöglich nicht zu, dass sie so ein Auto steuern konnte. Vielleicht lag es auch daran, dass dieses Auto sein ganzer Stolz war, den er ganz alleine zu genießen gedachte.
Die Roswita-Schauspielerin kommt nicht zum Spielen: Du springst von der Kokain-Sequenz sofort zu "nach dem Frühstück" - ohne Anziehen, ohne Morgentoilette, ohne das Frühstück selbst. Man muss das nicht ausufern lassen, aber man kann es trotzdem ohne Sprung erzählen. Und noch was bei der Gelegenheit: Es gibt nicht nur die globalen Spannungsbögen, auch welche innerhalb von Kapiteln, Abschnitten (also das, was mit Leerzeile getrennt wird) und sogar innerhalb von Szenen.


Gleich nach dem Aufstehen gönnte sich Roswita von Gutenburg eine Prise Kokain, das sie sich am Tag zuvor besorgt hatte. Sie nahm noch eine Line im linken Nasenloch auf und stand einen Moment da, um das Prickeln zu genießen. Dann rückte sie grob ihre Frisur zurecht, wickelte sich ihren seidenen Morgenmantel und ging ins kleine Esszimmer. Dort stand ihr Frühstück schon bereit, Juanita schenkte ihr aromatisch duftenden Kaffee ein und verschwand auf den Wink der Hausherrin hin durch die Tapetentür.
Roswita ließ sich Zeit beim Essen. Sie hatte heute keine Termine, die sie daran hindern konnten, das Frühstück ausgiebig zu genießen. Genau genommen hatte sie fast nie Termine, jedenfalls nicht schon am Vormittag. Sie konnte tun, was ihr gerade einfiel. Und eben fiel ihr etwas ein, etwas Prickelndes.
Beschwingt stand sie auf, schlüpfte in ein sportlich-schickes Outfit und rief dann nach dem Hausdiener.
Als er vor ihr stand, sagte sie: „Anton, mach den Ferrari fertig!“
Der Diener sah sie erstaunt an. „Den Ferrari, Madame Roswita?“
Frau von Gutenburg nickte.
„Ihr Mann hat mich gar nicht informiert, dass …“
Roswita unterbrach ihn mit einer Mischung aus Ernst und Umgarnung. „Du wirst mir doch den schönen Tag nicht versauen wollen Anton, oder?“
„Natürlich nicht, Madame Gutenburg, es ist nur …“
Sie unterbrach ihn erneut. Diesmal ein wenig strenger. „Anton?“
Er nickte und ging. Sie sah ihm lächelnd hinterher. Ihr Mann hatte ihr tatsächlich verboten, den Ferrari zu fahren. Er traute ihr womöglich nicht zu, dass sie so ein Auto steuern konnte. Vielleicht lag es auch daran, dass dieses Auto sein ganzer Stolz war, den er ganz alleine zu genießen gedachte. Wie auch immer: Heute war ihr Mann nicht da und sie würde das Auto fahren. Niemand würde sie aufhalten, auch und erst recht nicht ein Domestik.



Als Roswita wenig später in der 500 PS starken Kiste in Richtung Ausgang preschte, fühlte sie sich blendend. Bei der Tor-Wache hatte sie das Fenster unten und grüßte die beiden Posten: „Hallo, wunderschöner Tag heute.“ Die Wachen nickten, lächelten und einer beeilte sich, den Schlagbaum hoch zu lassen.
Roswita von Gutenburg gab Gas, als sie draußen auf der Straße war. Eine Nase voll Kokain und so einen Schlitten unterm Hintern, das war besser als Sex. Sie steuerte den Wagen in die nahen Berge und fuhr ihn dort so rasant es ihr möglich war. Eigentlich war sie nur den Mercedes gewöhnt, der bequemer war, aber lange nicht so spritzig – der aber auch nicht so hohe Anforderungen an das fahrerische Können stellte.
An so einem Tag hätte sie sich mit der vergleichsweise lahmen Daimler-Karosse nur gelangweilt, also war es mehr als richtig, diesen Flitzer zu fahren. Ein Porsche überholte sie im nächsten Moment [jon: Im nächsten Moment von was?] „Oh, mal sehen!“[jon: Was sehen?], rief sie entzückt und hing sich an ihn dran. Als vorne frei war, kurz nach einer Kurve, trat sie das Gaspedal durch und zischte an ihm vorbei. Diese Kiste ist ja wirklich eine Rakete, hui …
Im Porsche saß ein Mann, der seine Fahrerehre angetastet sah und im Gegenzug versuchte, sie nun zu überholen, was ihm auch gelang. Doch Rosa ließ sich nicht die Butter vom Brot nehmen, nicht an so einem Tag. „Schau mir auf mein Rücklicht, Kleiner!“, rief sie zu ihm rüber, als sie ihn überholte.
So ging es eine ganze Weile hin und her; mal überholte Roswita, mal wurde sie überholt. Bis es ihr nach einigen aufregenden Manövern gelang,
den Porsche endgültig abzuhängen. Rosa hatte immer noch ein mörderisches Tempo drauf, als sie die scharfe Doppelkurve ansteuerte. Doch die Konzentration war nicht mehr die gleiche; der Porsche war geschlagen, der Fahrer unterwegs vermutlich abgebogen und stellte keine Herausforderung
mehr dar. Rosa hatte jedoch vergessen, den Fahrstil wieder etwas moderater zu gestalten.

Den rechten Schlenker schaffte sich gerade noch. Als sie in die linke Kurve driftete, wurde ihr das zu hohe Tempo bewusst – doch zu spät. Sie bekam das Auto nicht mehr in den Griff, wurde raus getragen, schleuderte, schrammte ein Stück an der Leitplanke entlang. Und dann – „Nein, nur das jetzt nicht!“ – kam ein LKW auf sie zu.
In der Lokal-Zeitung stand später, dass es auf der Hohen Bergstraße zu einem grässlichen Zusammenstoß zwischen einem Sportwagen und einem Lastwagen gekommen sei. Bild auf der ersten Seite. Man sah den Laster, dessen Front mächtig verbeult war, in einen total zerstörten Ferrari verkeilt, der gebrannt haben musste. Die Insassin, eine Frau Mitte dreißig hieß es in dem Bericht weiter, hat den Unfall mit schweren Verletzungen überlebt und wurde mit dem Hubschrauber in eine Klinik geflogen.
Das gefällt mir weitgehend, nur diese wie eingeschoben wirkenden breiten Erklärungen stören den Lesefluss deutlich.
Ist das mit der Zeitungsnachricht nötig? Mich stört es. Spannender wäre, das zu streichen und vorerst offen zu lassen, was genau passiert ist. Das würde dir erlauben, zu erzählen, wie Roswita aufwacht, wie sie begreift, dass sie nicht einfach nur verletzt, sondern entstellt war. So kann man zum einem zeigen, was das für Roswita emotional bedeutet, und in Sachen Spannung würde sich erst dann enthüllen, wie schlimm der Unfall war.

Als Roswita wenig später in der 500 PS starken Kiste die Auffahrt hinab preschte, fühlte sie sich blendend. Bei der Torwache hatte sie das Fenster bereits unten, bremste ein wenig und grüßte die beiden Posten: „Hallo, wunderschöner Tag heute.“
Die Wachen nickten, lächelten unsicher und einer beeilte sich, den Schlagbaum hoch zu lassen, ehe seine Chefin mit dem Ferrari hindurchbrechen würde.
Als Roswita von Gutenburg auf der Straße war, gab sie Gas. Eine Nase voll Kokain und so einen Schlitten unterm Hintern, das war besser als Sex. Sie steuerte den Wagen in die nahen Berge und drehte den Motor noch weiter auf. Das war schon etwas anderes als der Mercedes, den sie sonst fuhr. Die Beschleunigung, das Gefühl, die Straße spüren zu können … Unvergleichlich.
Ein Porsche überholte sie. Sie hängte sich an ihn. Na warte!, dachte sie und zog nach der nächsten Kurve an ihm vorbei. Diese Kiste ist ja wirklich eine Rakete, hui …
Im Porsche saß ein Mann, der offenbar seine Fahrerehre angetastet sah und im Gegenzug versuchte, sie nun zu überholen, was ihm auch gelang. Doch Rosa ließ sich nicht die Butter vom Brot nehmen, nicht an so einem Tag. „Schau mir auf mein Rücklicht, Kleiner!“, rief sie zu ihm rüber, als sie ihn überholte.
So ging es eine ganze Weile hin und her; mal überholte Roswita, mal wurde sie überholt. Bis es ihr nach einigen aufregenden Manövern gelang, den Porsche endgültig abzuhängen.
Inzwischen hatte Roswita ein aberwitziges Tempo erreicht. Die Landschaft flog geradezu an ihr vorbei, es fühlte sich an wie fliegen. Wenn sie jetzt in einem Cabrio gesessen hätte - das wäre ein Spaß gewesen. Gerade als Roswita dies dachte, bemerkte sie, dass sie auf eine scharfe Doppelkurve zuschoss. Sie nahm den Fuß vom Gas. Den rechten Schlenker schaffte sie auch gerade noch. Als sie in die linke Kurve driftete, wurde ihr das zu hohe Tempo bewusst – doch zu spät. Sie bekam das Auto nicht mehr in den Griff, wurde aus der Spur getragen, schleuderte, schrammte ein Stück an der Leitplanke entlang. Und dann – „Nein, nur das jetzt nicht!“ – kam ein LKW auf sie zu.

Fünf Tage später erwachte Roswita von Gutenburg und wusste nicht, wo sie war. Sie lag offenbar in einem Bett. Es war nicht ihres, dazu lag sie zu flach. Sie trug auch nicht ihren Seidenpyjama. Und etwas störte ihre Sicht. Sie wollte es wegnehmen, konnte aber den rechten Arm kaum anheben. Auch der linke gehorchte ihr nicht. …


Alternativ kann man diese ganze Passage auch extrem eindampfen. Dadurch könnte man stilistisch den Bruch in Roswitas Leben hörbar machen. Dann weiter mit dem neuen Leben in dem szenischen Stil …


Ich hoffe, ich konnte schon mal illustrieren, was ich meine.
 



 
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