Sag noch mal einer, die haben es nicht drauf!

Willibald

Mitglied
Sag noch mal einer, die haben es nicht drauf:

Leerstellen, Polysemie, Poetizität, Rhetorik, und all das, Päng!

a) Haben Sie schpn mal verszucht, auf einr zu kleinen Tasztatur eine Telrfonum-mer einzutippen? (Handy von Alcatel)

b) Und der Hunger ist gegessen. (Snickers Schokoriegel)

c) Damit würz was. (Iglo Tiefkühl-Salat-Kräuter)

d) You ess, ej! Leckt schmecker. (Transatlantische Wochen bei Mc)

e) Für uns ist von Montag bis Sonntag Dienstag. (RWE; Energiegruppe)

f) Tankwart und wart und wart und wart. (VW-Käfer)

g) Für Großmundbesitzer. (Mc)

h) Vom Land in den Mund. (Familie Gruber: In Kärnten bei ihren Verwandten hochwertige Lebensmittel für ihr Restaurant einkaufend – Grubersche Head Line)

i) Haben wir nicht. Gibt’s nicht. (Bauhaus)

j) Wo keine Bordelektronik drin ist, kann auch keine kaputt gehen. (Lada Automobile)

k) Der Unterschied zu einem Geschenk wird immer kleiner. (Lada Automobile)

l) "Ist es nicht ungerecht, dass Ihr Müll immer Mercedes fährt und Sie nicht?" (Sixt Autovermietung)

m) Jetzt in jedem Zimmer eine Zwanzig-Watt-Lampe. Und: Keine Hundescheiße vor dem Eingang. (El Tappo, preiswerte Hotelkette)


- Viel gescholten und wirkungsvoll?
- Deutsche Werbungssprachler und ihre poetisch-rhetorischen Mittel?
- Anregende Lines und Claims und Slogans?


- Analyse? Kritische Würdigung? Eigene Kreationen?
 

jon

Mitglied
Teammitglied
Werbung lebt von sowas - "glatte Sätze" flutschen zu leicht aus dem Gedächtnis. Oft gefallen mir die Ideen sogar, ich merke aber immer öfter, dass ich auf Gedankenspiele (z. B. wie bei b, k und l) wohlwollender reagiere als auf Wortspiele. Grund: Es gibt so viele dusslige, an den Haaren herbeigezogene Wortspiele, dass ich mir manchmal wünsche, Wortspiele würden sich als "No Go" in der Werbe- (aber auch Journalismus-)Branche etablieren. Der "Großmundbesitzer" zum Beispiel hat Charme, weil die entstehende Aussage zur beabsichtigten Werbebotschaft passt. Bei "All incluShip" (für ein Kreuzfahrt-Angebot) entsteht keine neue Botschaft, der alte Sinn (von "all inklusive") wird also völlig umsonst aufgegeben - das ist eine Spielerei um der Spielerei willen.

Merke: Wortspiele um des Wortspiels willen sind bäh!
 

James Blond

Mitglied
3 x Widerspruch

1. Glatte Sätzen "flutschen" keineswegs aus dem Gedächtnis - im Gegenteil: Sie landen in gut vorbereiteten, geöffneten Schubladen.

2. Definition: Wenn b, k und l "Gedankenspiele" beinhalten, warum dann nicht auch e, m, j?

3. Wann ist ein Wortspiel nur Selbstzweck?
Hier wird stets Neues phonetisch an etwas Bekanntes geknüpft. Die so entstandene neue Bedeutung kann dabei mehr oder weniger mit dem ursprünglichen Inhalt konkurrieren:

A. Großmundbesitzer : Vielfraß - oder auch Großmaul
B. AllincluShip : Kreuzfahrt mit umfassendem Angebot

Ob ein Wortspiel für Werbungszwecke gelungen ist, hängt weniger von seiner höheren Bedeutungsdistanz als von der Zielgenauigkeit ab. A. mag witziger sein, hat aber auch verschiedene negative Konnotationen, während B. die beabsichtigte Information in einem Wort transportiert.

Merke: Werbung verzichtet auf literarische Qualitäten. Sie nutzt Ironie und Sprachwitz, um Aufmerksamkeit zu erregen.

Grüße
JB
 

jon

Mitglied
Teammitglied
Wenn glatte Sätze nicht aus dem Gedächtnis flutschen, warum benutzt Werbung dann so ungern welche?

Wer hat behauptet, e, m und j seien keine Gedankenspiele?

Ein Wortspiel ist dann lediglich Selbstzweck, wenn kein neuer Inhalt generiert wird. Bei "All incluShip" ist der Inhalt (mit etwas gutem Willen) auch nur "Alles ist dabei."
Das heißt nicht, dass es im Sinne der Werbung nicht funktionieren könnte. Das macht es allerdings nicht zu "nicht bäh!" - Werbung lebt eben auch von diesem "Bäh!"-Effekt (oder netter gesagt: "Das ist so blöd, das hab ich mir gemerkt.")
 

Willibald

Mitglied
Hm, vielleicht erst noch mal weg von den Mikrostrukturen in der Syntax der Slogans. Hin zu Scripts: Die Kandidaten/Bewerber für Werbeagenturen müssen ihre Kreativität unter Beweis stellen - und nur wer außergewöhnliche Ideen (Nonsense ist da natürlich durchaus auch gefragt) hat und sie klug umsetzt, wird zum Bewerbungsgespräch eingeladen. Hier einige Auszüge aus den (etwas älteren, Beate Uhse allerdings schon am Abgrund) Copy-Tests großer Agenturen

Springer & Jacoby:

• Einen guten Texter erkennt man daran, dass er überzeugende Copies auch zu den unmöglichsten Themen schreiben kann. Und genau das wollen wir von Dir.

1. Warum sollte ich in der heutigen Zeit den "Knigge 2019" kaufen?

2. Also dann:
• Warum sollte jeder einmal fremdgehen?
• Finde einen Claim, früher auch Slogan genannt, für Mutti.
• Kleine Geschenke erhalten die Kundschaft und bringen neue hinzu. Überleg Dir eine kleine, nicht zu teure Promotion-Idee für einen Kampfhundeverein.
• Der Würstchenfabrikant Meica möchte seine Würstchen im Internet bewerben. Und zwar auf den Seiten http://www.playboy.de (Playboy) und http://www.tofu.de (Tofu)

Denk Dir für beide Seiten jeweils einen lustigen, animierten Text aus.

Jung von Matt:

• Entwirf eine neue Anzeige für Mey. Der Hersteller von hochwertiger Unterwäsche für Damen und Herren steht vor allem für hervorragende Verarbeitung - Mey kratzt nicht, zwickt nicht, rutscht nicht.
• Überlege Dir eine Promotion-Idee für die Deutsche Aidshilfe, die Geld in die leeren Spendenkassen bringt. Da möglichst alles Geld für die Betroffenen ausgegeben werden soll, muss die Aktion besonders günstig sein.

Scholz & Friends:

• Ein prominenter Politiker wird beim Schwarzfahren erwischt. Wie würde die "Bild"-Zeitung darüber berichten? Wie die "Süddeutsche Zeitung"? Was würde Harald Schmidt in seiner Show daraus machen?
• Ein Mann will auf eine Demo gegen rechte Gewalt gehen. Schreib ihm einen Spruch auf das Transparent, der so gut ist, dass Neonazis zum Nachdenken angeregt werden.

Kolle Rebbe:

• Du bist eine Türklinke in einer Bahnhofstoilette. Was sagst Du, damit die Leute Dich trotzdem gerne anfassen?

Texterschmiede:

• SoJoh, der Soja-Johurt, möchte im Funk werben. Schreiben Sie einen 30Sekunden-Funkspot, der jungen Menschen auf humorvolle Art erzählt, wie lecker besonders die Geschmacksrichtungen Pfirsich, Birne und Apfel schmecken. Der Spot soll vor allem denen Appetit machen, die eine Kuhmilch-Allergie haben und deshalb auf Kuhmilch-Joghurts verzichten müssen.

• Beate Uhse am Kurfürstendamm hat wegen Geschäftsaufgabe einen Räumungsverkauf. Überlegen Sie sich eine Aktion, die im Schaufenster, im Laden und eventuell auf der Straße vor dem Geschäft für den 50% Räumungsrabatt auf alle Produkte wirbt.

greetse

ww
 

jon

Mitglied
Teammitglied
Ich überlege gerade, was man auf diesen Beitrag (mit den Beispielen für Testaufgaben) antworten könnte. Oder was außer "Na manchmal haben
sie es nicht drauf" auf den Eingangspost inkl Überschrift.

Leute, die Werbung (oder PR) machen sollen, müssen kreativ sein. Sie müssen etwas Auffallendes/Wirksames schaffen, das Image- und Zielgruppen-passend ist. Das ist aber nun wirklich nicht überraschend, neu oder einer Diskussion wert. Also: Was genau möchtest du eigentlich diskutieren, Willibald?
 

jon

Mitglied
Teammitglied
Da wär ich nie drauf gekommen. Na dann leg mal los: Was für poetische Verfahren meinst du? Was für Strukturen? Dann könnte man über die Wirkung sprechen.

PS: Noch eine Sache müssen Werbung-Macher können: Sofort oder wenigstens schnell erkennbar machen, worum es eigentlich geht.
 

Willibald

Mitglied
Ok, fange ich halt mal an:

Und der Hunger ist gegessen

Spiel mit den Ko-Okkurenzen von Framegliedern:

Gegessen als Partizip des (Normalbedeutung) "Verspeisens",
hier mit einem nichtkonkreten Patiens/Verspeisungsobjekt.
Daher Abweichungsgefühl, Aufmerksamkeitsstimulus, Verrätselungseffekt, Lösungsangebot im mentalen Lexikon: 'Redensarten" außerhalb des Normalfeldes von "essen" in der eher abstrakten Bedeutung "ist vorbei" "ist erledigt".
Es bleibt im Gedächtnis eine Art Bonus für die Verstehensleistung, eine Erinnerung an eine gewisse humorig-komische Leistung der Texter, ein Gebauchpinseltwerden dafür dass man als Rezipient Humor hat. Insgesamt eine Positivierung des Produktes.

Die schnelle Referenz auf das zu bewerbende Objekt ist in z.B. lyrischen Texten natürlich nicht vorhanden. Es bleibt aber das sprachliche Spielen und Crossover, samt dem intellektuellen Spiel der Enträtselung.

Für uns ist von Montag bis Sonntag Dienstag.

Kontradiktorisch, der Ersteindruck des Textes: Wie kann eine Woche einem Tag gleichgesetzt werden? erstmal eine Leerstelle.
Allerdings füllbar und überbrückbar:
Lösungsangebote im Verändern des Lexems Dienstag zu Dienst-Tag. Damit einfallsreicher Hinweis auf ein besonderes Angebot. Spiel damit, dass das "für uns" (eine Art Monopol" so ist und dass der Adressat ebenfalls eine "pro"-Leistung erhält, jetzt aber in der Rolle des Experiencers und Nutznießers (Benefaktiv). Im Subtext sogar eine Variante des "Für uns", die für ihren Dienst Zuspruch und daher ebenfalls Benefaktiv/Nutzen erwarten können: Eine Win-Win-Situation.

Tankwart und wart und wart und wart. (VW-Käfer)

Evozieren eines Frames und eines Scripts "Tanken" mit ensprechenden bildlichen Elementen. Abspalten von "wart" aus Tankwart. (Wohl eine ältere Reklame). Evokation eines Mythos, hier eine Linienführung zum mythischen Urgrund unter vielen anderen. In "Mad Men" diskutiert man über eine VW-Käfer-Reklame des Autors "Bernbach". Sie referenziert unterschwellig auf "typisch amerikanisches Denken" auch in der Automobilbranche "Think big". Bernbachs Antwort:
Think small.
Our car isn't so much of a novelty any more.
A couple of dozen college kids don't try to squeeze inside it.
The guy at the gas station doesn't ask where the gas goes.
Nobody even stares at our shape.
In fact, some people who drive our little flivver don't even think 32 miles to the gallon is going any great guns.
Or using five pints of oil instead of five quarts.
Or never needing anti-freeze.
Or rocking up 40,000 miles on a set of tires.
That's because once you get used to some of our economies, you don't even think about them anymore.
Expect when you squeeze into a small parking spor. Or renew your small insurance. Or pay a small repair bill. Or trade in your old VW for a new one.
Think it over

https://en.wikipedia.org/wiki/Think_Small

Anschließbar an das "läuft und läuft und läuft". Conclusio: Geringer Spritverkauf. Alleinstellungsmerkmal gegenüber typischen Amerikaautos. Entlarvt vielleicht sogar das "Think big" als nicht rationales prestigeorientiertes Denken der Aufplustersorte.

Ähnlich das schöne Conclusionsspiel in dem Lada-Slogan:
Der Unterschied zu einem Geschenk wird immer kleiner. (Lada Automobile)

Beim El Tappo Ding war willibald subversiv-kreativ, eine latentes "Etap" in El Tappo und die Understatement-Strategie der Hotelkette grotesk variiert.

Soweit so gut: Sind das poetisch-rhetorische Verfahren, die mehr oder weniger mit Poetizität zu tun haben?

Dann:
Wie gut sind die Aufgaben, die von den Agenturen gestellt werden (s.o.)

Und nun Bert Brecht:

Singende Steyrwägen:

Wir stammen /
Aus einer Waffenfabrik /
Unser kleiner Bruder ist /
Der Manlicherstutzen. /
Unsere Mutter aber /
Eine steyrische Erzgrube. /
Wir haben: /
Sechs Zylinder und dreissig Pferdekräfte. /
Wir liegen in der Kurve wie Klebestreifen. /
Unser Motor ist: /
Ein denkendes Erz. /
Wir fahren dich so ohne Erschütterung /
Dass du glaubst, du liegst /
Dass du glaubst, du fährst /
Deines Wagens Schatten.

Enjambement, Endstop, Harte und weiche Fügung, Metaphern, Ausklammerung in der Syntax, Bildverschiebungen im Schattenbild...

greetse
ww


greetse in die Runde

ww
 

Willibald

Mitglied
Übrigens:

"Grossmundbesitzer" evoziert wohl - mit einiger Verzögerung - das Bild eines mehrschichtig getürmten Hamburgers. Und das Verzehren mit weit geöffnetem Mund. Also durchaus speichelfördernd.
Der bildungssprachliche "Großgrundbesitzer" bleibt im Hintergrund. Negative Konnotationen werden eher narkotisiert, weil hier eben der Frame "deliziöses,
pretiöses Essen" bei dieser Kette qua Marke nicht gilt.
Hier wird - so das Wortkonzept in "Grossmundbesitzer " - eben der Heißhunger gestillt, fern von grossbürgerlichen Ritualen.

Greetse
ww
 



 
Oben Unten