Samarra

5,00 Stern(e) 2 Bewertungen

Mimi

Mitglied
Sie gingen schweigend auf dem alten Feldweg, der sich wie eine Schlange ins Niemandsland schlängelte.
Es zirpten die Singzikaden ihr immer gleiches Lied.
Die Nacht war schwül und am Himmel stand der Vollmond wie eine übergroße Laterne.
Sadeq wollte ihr so vieles sagen.
Seine Gedanken und Gefühle waren wie flatternde Blätter im Wind.
Aber in diesem Moment konnte er sie nicht einmal anschauen, obwohl er sie wunderschön fand.
Er hatte Mädchen wie sie sonst immer nur im Fernsehen gesehen und das auch nur heimlich, wenn seine Eltern nicht zu Hause waren.
Eigentlich schauten sie in seinem Elternhaus nur heimische Sender, obwohl sein Vater auch Englischlehrer an der Universität von Bagdad war.
Aber sie war schöner als alle Mädchen, die er je gesehen hatte.
Ihr goldenes Haar, das sich im Mondlicht zu Silber verwandelte.
Die Augen, die die Farbe von Smaragd hatten. Ihr Mund, der wie der Kelch einer blühenden Pfingstrose war.
Alles an ihr war schön, selbst wenn sie Arabisch sprach, klang es für ihn wie eine einzigartige Melodie.
Ihr Dialekt, eine Symbiose aus libanesischem und syrischem Singsang, klang in seinen Ohren wie Musik.
Morgen würde sie im Flieger sitzen und zurück nach Spanien fliegen.
Weit weg von ihm und allem was sich diesen Sommer zwischen ihnen entwickelt hatte.
Es machte ihn traurig und wütend zugleich.
Warum blieb sie nicht hier, bei ihm?, dachte Sadeq und blickte zum Mond hinauf. Warum war sie so furchtbar kompliziert?
Er wollte sie ohrfeigen und gleichzeitig küssen, für das, was sie ihm antat.
"Sadeq!" Sie war stehengeblieben und er blieb ebenfalls stehen, starrte immer noch in den Nachthimmel.
Sie stellte sich direkt vor ihn, nahm sein Gesicht in beide Hände und zwang ihn sie anzuschauen.
Er spürte heiße Tränen in seinen Augen aufsteigen und versuchte sie wegzublinzeln.
Sie strich mit ihren Daumen über die Nässe auf seinen Wangen und ihre Haut war trotz der Schwüle kalt.
"Bitte, sei nicht mehr wütend auf mich!"
Sadeq schaute ihr in die Augen und seine Welt begann zu beben. All seine angestauten Gefühle begannen, wie Magma aus einem Vulkan, aus ihm herauszuschießen.
"Ya Samarra, warum reiche ich dir nicht? Siehst du nicht den Schmerz in meinem Angesicht?", rezitierte er mit bebender Stimme in Hocharabisch.
Samarra lächelte ihm zu und ihr Lächeln versetzte ihm schmerzliche Hiebe.
"Ich liebe es, wenn du im Mondschein für mich dichtest", begann sie und wollte ihn küssen.
Aber Sadeq riss sich von ihr los und ergriff ihre Handgelenke in einer schnellen Bewegung.
Sein Griff war fest und ihr Lächeln erlosch augenblicklich.
"Ich will eine Antwort, ya Samarra!", schrie er ihr ins Gesicht und bemerkte wie sie erschrocken vor ihm zusammenzuckte.
"Sadeq, tu das nicht. Nicht heute."
Sie versuchte ihre Hände aus seinem Griff zu befreien, aber er ließ sie nicht los.
"Antworte mir!", schrie er erneut.
Er spürte ihre Angst und trotzdem trat sie näher an ihn heran.
In ihrem Atem roch er den Honigkuchen, den sie beide vor der Moschee gegessen hatten, als der Muezzin zum Abendgebet gerufen hatte.
Ihr Kuss elektrisierte und beruhigte ihn zugleich und er lockerte seinen Griff bis er sie schließlich völlig losließ.
Sie trat wieder einen Schritt zurück und blickte ihm ein letztes Mal in die Augen.
Er sah wie eine einzelne Träne langsam ihre Wange hinunter floss. Wie eine Perle leuchtete sie im Licht des Mondes.
Dann drehte sie sich wortlos um und ihr langes Haar flimmerte für einen Moment wie der Schweif eines Kometen.
Sie ging in schnellen Schritten zurück in die Richtung, aus der sie gekommen waren.
Sadeq blieb noch lange auf dem Feldweg stehen und schaute ihr nach, auch nachdem er ihre Silhouette im Mondlicht längst nicht mehr erkennen konnte.
Er dachte daran, wie sie in der alten Ruine für ihn getanzt hatte, an ihre schmalen, ihn faszinierenden Hüften, die sie lasziv im Rhythmus seiner Darbuka schwang.
Und daran, wie sie sich wie ein Derwisch im Kreis gedreht hatte, sodass sich ihr Rock bauschte und die weiße Haut ihrer Oberschenkel aufblitzte.
Samarra, dachte Sadeq. Wie die Stadt, die nördlich von Bagdad lag und deren historischer Name "Surra man ra'a" bedeutete, "erfreut, wer sie sah."
 
Zuletzt bearbeitet:

Franke

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Mimi,

das ist wunderbar!
Obwohl es eigentliche eine traurige Geschichte ist, schaffst du es, dass der Leser mit einem Lächeln (mit der berühmten Träne im Augenwinkel) zurückbleibt.
Ich finde auch gut, dass du den Schluss offen lässt. So kann ich als Leser selbst entscheiden, wie es mit Sadeq und Samarra weitergeht.

Liebe Grüße
Manfred
 

Mimi

Mitglied
Hallo Manfred,
...es freut mich, dass meine Geschichte dir gefallen hat... danke dir auch für die Bewertung...

Viele Grüße an dich
Mimi
 
G

Gelöschtes Mitglied 14278

Gast
Hallo Mimi,

die Geschichte als solche würde mir ja gefallen – wenn ich nicht nach jedem Satz wieder aus dem Lesefluss gerissen würde. Diese ständigen Zeilenwechsel bringen eine völlig unnötige Unruhe in den Text und lassen einen die Geschichte nicht im Zusammenhang fassen.

Darf ich fragen, warum Du jeden Satz mit einer neuen Zeile beginnst?

Gruß, Ciconia
 

Mimi

Mitglied
Hallo Ciconia,
...ja eigentlich schreibe ich mehr Lyrik... aber manchmal sind meine Gedanken und Ideen, die ich im Kopf habe zu prosaisch für Lyrik ...allgemein ist es bei mir eher ein fließendes Empfinden von Lyrik und Prosa... deshalb die Zeilenwechsel...

viele Grüße
Mimi
 
G

Gelöschtes Mitglied 14278

Gast
Hallo Mimi,

aber manchmal sind meine Gedanken und Ideen, die ich im Kopf habe zu prosaisch für Lyrik

Das verstehe ich (ansatzweise). Nur andererseits sollte man sich als Autor auch an die Regeln für Prosa halten - und die wird nun mal überwiegend in Fließtexten geschrieben.

Und noch eine Frage: Was haben die vielen Punkte in Deinen Kommentaren zu bedeuten?

Gruß, Ciconia
 

Mimi

Mitglied
Liebe Ciconia!
...da haben wir unterschiedliche Ansichten, auch wenn ich die Regeln der Prosa kenne...
...ich fühle mich wesentlich wohler, wenn ich meinem Stil treu bleibe...

die Punkte, fragst du?... ja das ist eine von circa 50 Eigenarten von mir...
habe damit schon meinen Dozenten an der Hochschule zur Verzweiflung gebracht...der war aber im Herzen ein bemerkenswerter Freigeist...

Grüße zurück
Mimi
 

Ji Rina

Mitglied
Sehr dicht... sehr poetisch....
Ich fühte mich wie in einem Märchen aus Tausendundeine Nacht!
Danke Mimi,
Mit Gruss, Ji
 
G

Gelöschtes Mitglied 21589

Gast
Liebe Mimi,

deine Geschichte hat Feuer, Pathos und ein grandioses Ende. Ich habe selten so einen guten letzten Satz gelesen wie er dir hier in diesem Text gelungen ist. Die hier verwendete Versform stört mich persönlich nicht, ich finde sie sogar dem Inhalt zuträglich, weil sich die sehr mit Bildhaftem aufgeladene Sprache so Satz für Satz in mein Gehirn einhämmert.

Herzliche Grüße
Frodomir
 

Mimi

Mitglied
Liebe JiRina, lieber Frodomir,
...danke fürs Lesen und eure Kommentare...


Grüße zurück
Mimi
 
G

Gelöschtes Mitglied 14616

Gast
Ein wunderschöner Text, der nicht zuletzt von seinem orientalischen Touch mit den entsprechenden Bildern lebt.

Ein Beispiel:

Die Augen, die die Farbe von Smaragd hatten. Ihr Mund, der wie der Kelch einer blühenden Pfingstrose war.


Das könnte in einem westlichen Text kitschig wirken, tut es hier aber überhaupt nicht. Im Gegenteil es ist einfach stimmig.

Die Form des Textes stört meinen Lesefluss durchaus nicht.

Ich habe deinen Text sehr gern gelesen.

LG
Cellist
 

Mimi

Mitglied
...dankeschön, Cellist, für deinen Kommentar...
...es freut mich ,dass ich dich mit meiner kleinen Geschichte mitnehmen konnte ins alte, orientalische Bagdad...

ich sende dir herzliche Grüße
Mimi
 

juliawa

Mitglied
Hallo Mimi,

stellenweise wirkt der Text auf mich etwas kitschig und klischeehaft. Der letzte Satz ist dagegen sehr gelungen.

Liebe Grüße
juliawa
 

Mimi

Mitglied
Hallo Juliawa,
... Dankeschön fürs Lesen... die Geschichte spielt im Irak der 60'er Jahre...
der Stil orientiert sich an noch ältere Erzählungen...
...und der ist oft blumig...
mich würde interessieren, was du als "klischeehaft " empfindest... da sich Samarra zum Beispiel aus meiner Sicht überhaupt nicht klischeehaft verhält...

liebe Grüße zurück
Mimi
 
Zuletzt bearbeitet:

juliawa

Mitglied
Hallo Mimi

Hallo Juliawa,
... Dankeschön fürs Lesen... die Geschichte spielt im Irak der 60'er Jahre...
der Stil orientiert sich an noch ältere Erzählungen...
...und der ist oft blumig...
Ok, das erklärt es. Genau nach dem Wort blumig hab ich gesucht. (passt besser als kitschig) Aber wenn sich das am Stil älterer Erzählungen orientiert, das kann man ja machen. :)

Klischeehaft fand ich:
Aber Sadeq riss sich von ihr los und ergriff ihre Handgelenke in einer schnellen Bewegung.
Sein Griff war fest und ihr Lächeln erlosch augenblicklich.
"Ich will eine Antwort, ya Samarra!", schrie er ihr ins Gesicht und bemerkte wie sie erschrocken vor ihm zusammenzuckte.
"Sadeq, tu das nicht. Nicht heute."
Sie versuchte ihre Hände aus seinem Griff zu befreien, aber er ließ sie nicht los.
"Antworte mir!", schrie er erneut.
Er spürte ihre Angst und trotzdem trat sie näher an ihn heran.
I
das ist ja schon etwas das Bild vom "heißblütigen" Araber, der seine Gefühle nicht richtig im Griff hat.

Liebe Grüße
juliawa
 

Mimi

Mitglied
...liebe juliawa... das kann ich gut nachvollziehen...
... aber ganz ehrlich... welcher teenager hat sich in so einer Situation... noch dazu bis über beide Ohren verliebt... unter Kontrolle?!...
...wenn ich so an meine Zeit denke... ich war sowas von ausser Kontrolle... ;) ...ich weiß nicht?!...

Grüße
Mimi
 

juliawa

Mitglied
Ja Mimi, das stimmt auch wieder. Ich hab das junge Alter der Protagonisten irgendwie übersehen

Liebe Grüße
juliawa
 



 
Oben Unten