Schaltjahre

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Monochrom

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Schaltjahre

An diesem Tag schlief ich lange.
Ich wachte auf ohne Erinnerung an einen Traum. Doch blieb eine Ahnung, dass ich geträumt hatte. Noch am überlegen, ob nicht die reale Welt der eigentliche Traum war, schlurfte ich in die Küche und bereitete Kaffee. Meine Kaffeemaschine erzeugte einen Kaffee, der immer nach Eisen schmeckte. Ich trank die ersten drei Tassen mit Milch, und natürlich mit Zucker. Viel Zucker, um den Eisengeschmack zu überdecken.
Der Tag war bereits gefüllt mit Terminen. Ich folgte meinem Gefühl, und sagte alles ab. Das dauerte eine halbe Stunde und mehrere Telefonate, bei denen ich sämtliche Ausflüchte und Ausreden nutzte, die mir an diesem lausigen Morgen einfielen. Nachdem die Freiheit eines zeitlosen Tages eingekehrt war, trank ich die letzte Tasse Kaffee, diesmal ohne Zucker. Es schmeckte nach Eisen. Ich betrachtete die leicht vergilbte Tapete, bewunderte die Schatten, die das Morgenlicht auf die kleinen Furchen und Erhebungen warf.
Die Sonne, ein weißes Ross, das ohne Bitten und Klagen seine Bahn über den Himmel zog. Glutball aus Gedärmen, gestanzt in den Auswurf eines Momentes der Unbedachtheit von Regeln, denen sich lediglich der Tod entzog. Wohin mich auch das Leben warf, alles war gefüllt mit Gesetzen. Hämmern auf Blech, Rosinen in weichem Teig, Kalendern, die sich alle vier Jahre einen Tag erlogen. Wie schnell würde alles beiseite gewischt, wenn sich die Beine einer Frau auf diesen Nummern und Zahlen räkelten. Ein leichtes Vibrieren von Augenbrauen und Geschlechtsteilen, dann brachen die Gesetze, die Sonnen brannten gleißender, die Sterne im Rausch, die Hast von kurzfristigen Zielen, kein Entkommen mehr möglich im Tanz zwischen den Pappwänden sich auswechselnder Städte voller Gier und Festivitäten. Das Tanzen der Kugeln der Jongleure, das Feuer im Atem der köchelnden Gaumenfreuden, mit der abfälligen Spucke von verschwitzten Köchen darin, dem leisen Hauch der Vergänglichkeit an den Stränden aus Marmor.
Wohin der Schritt sich in den Straßen auch erging, mit dem Verfall, der in den Schatten lauerte, ständig einen Bissen Welt in sich schlingend, hin zu den Kaufräuschen, gepresste Erde, Kot, Erze, Untaten und Wohltat zugleich, wo kein Auge platzen würde, kein rettender Gedanke in den Schlingen aus Fleisch und Helmen, dem Trott zähnefletschender Armeen aus Glutspänen, die sich ihr Feuer als Heilung erwählten, diesen Blut spuckenden und um sich schlagenden Tätern aus Gewalt und Gewissensbiss, gemischt in die Patienten der Psychatrien, um sich schlagend für Ziele, die kein Sinn mehr fasste. Der Sinn, der ewig mit Türen winkte, golden glänzende Felder aus Mais und Weizen durch Schlüssellöcher jagte, in dunkler, trächtiger Erde versinkende Vorhänge, mit den Maden und Würmern lachender Echos des Scheiterns, ein nackter Tross aus hungrigen Wahrheiten, die sich nichts mehr wünschten als ein Fell, um mit den Winden und Stürmen zu jaulen.
Vielleicht hätte ich den Rest des Tages in dem schummrigen Schlafzimmer bleiben sollen, den Traum wieder durch die Tür lassen und mir einbilden, dass es nichts anderes als das Eisen im Kaffee war, das mich animiert hatte, alles abzusagen. Was dann noch kommen würde, wäre ein weiterer Geschmack, der wie Blei über die Zunge glitt und sich einen Weg in das faulende Feuer meines Magens bahnen würde, wo alles aufkochte, was wir mitnahmen und der ewigen Energie direkt ins feixende Gesicht feuerten.
Ich schlief noch eine Weile im Tag, bis der Traum mich wieder aufwecken sollte.
 

Ralf Langer

Mitglied
Hallo Monochrom,

Der Eingang zu diesem Text wirkt auf mch etwas spröde,
wirkt ein bischen so, als suchtest du einen Weg zu dem, was für mich den eigentlichen Text ausmacht.

Ab:
"Die Sonne, ein weißes Ross,...", gefällt mir das was du schreibst und wie du es schreibst richtig gut.

Es ist gefährlich mit verschachtelten Satzkonstrukionen zu arbeiten.
Ich finde aber, das du es sehr souverän meisterst.

Man spürt beim Lesen die "Hatz",den "Unmut".
Tolle Bilder, neue Bilder...

Das Leben im Empfinden des Überdrusses.
Was gibt es ?
Wut und Schlaf. Die Hoffnung - trügersisch - das Wirklich sei
der Traum.

Wenn wir denn aufwachten, wünschten wir uns vielleicht in den Traum zurück.

Wie gesagt, bis auf den anfang, gefällt es mir ausnahmslos
sehr gut.

lg
Ralf
 
K

KaGeb

Gast
Hi Monochrom,

grandios! Großes Kopfkino in stimmigem Stakkato. Da ist dir ein sehr guter Text gelungen.
Das mit dem "Kaffee" find ich auch zu lang, da gebe ich Ralf Langer absolut recht.
Der Rest ist fantastisch, bin begeistert :)

Liebe Grüße
 

Monochrom

Mitglied
Danke fürs Lesen

Hi,

vielen Dank fürs Lesen und Kommentieren,

@Ralf Langer:
Ich hatte mit der Einleitung den Vorsatz, von sehr lapidaren und alltäglichen Dingen auf den etwas surrealistischen Hauptteil einzuschwenken. Da fiel dann die Entscheidung auf den Kaffee. Dessen Beschreibung, diese alltägliche Kleinigkeit, rahmt den Text (taucht am Ende nochmal auf).
Spröde wirkt wohl der ungebundene Satz " Der Tag war bereits gefüllt mit Terminen. Ich folgte meinem Gefühl, und sagte alles ab.". Das war allerdings Absicht, dieses Absagen kurz gebunden, ohne Schweife, einzubauen.

@KaGeb:
Da nunmehr zwei Leute den Anfang kritisieren, sollte ich mich dem nochmals zuwenden. Hmm, ich finde den Anfang an sich in Ordnung. Vielleicht kommen noch ein zwei Kommentare rein, damit sich der Blick schärfen kann.

Es lohnt sich mit Sicherheit, dem Text noch ein wenig Zeit zum Verbessern zu widmen, weil es sehr viel Spaß gemacht hat, ihn zu schreiben.

Viel Spaß beim Schreiben und Lesen, ciao, Monochrom
 
D

Dominik Klama

Gast
Ich bin nun genau der Antagonist zu Ralf Langers Meinung.
Mir gefiel der Anfang gut. Aber genau bei dem von ihm als Umschwenken ins Bessere genannten Satz verspürte ich sofort den Impuls, diesen zu kopieren, um ihn nachher in die Antwort als Zitat einfügen zu können als Beispiel für eine wenig gelungene Stelle.

Leider ging das von da ab immer so weiter.

Beim Anfangsteil mochte ich, dass es um was Wirkliches geht, was jeder von uns kennt. Ein Text, der was über die Welt aussagen will. Es kommt ja nichts Besonderes vor, aber diese Frage, ob vielleicht der Traum das echte Leben war, der Morgen, in den man hineingeht, aber eigentlich nicht wahr, sondern ein Traum ist, macht einen gespannt auf das, was folgen wird. Ebenso dieser Eisengeschmack des Kaffees, den man mit viel Zucker überdecken muss. Signal: Irgendwas stimmt hier nicht. Das erweckt Interesse. Man will weiterlesen und sehen, was nun passieren wird.

Dann aber befindet man sich flugs in einer längeren Passage, wo es nicht mehr wirklich um irgendwas geht, außer darum, dass der Autor ein enormes Sprachgewitter anrichtet und uns Lesern mal so richtig vorführt, was er alles kann. Ich mag keine Texte, mit denen Autoren mir zeigen, was sie alles können. Ich mag Texte, wo mir Autoren was erzählen oder beschreiben, was es wirklich gibt. Ich mag keine Sprache-für-Sprache-Werke, ich mag Sprache-für-Welt-Werke.

Man wird mir entgegnen, dass es sich aber doch genau darum handeln täte. Nein, finde ich nicht. Dieses Wuchern mit Expressionismus führt zur Manier. Ab dieser Stelle kann alles und jedes, können Jeder und Jegliche apokalyptische Katastrophen darstellen. Dann wird alles austauschbar in seiner Fatalität und bedeutet am Ende gar nichts mehr.

Die Sonne, ein weißes Ross, das ohne Bitten und Klagen seine Bahn über den Himmel zog. Glutball aus Gedärmen, gestanzt in den Auswurf eines Momentes der Unbedachtheit von Regeln, denen sich lediglich der Tod entzog.
Echt, ich könnte das auch. Ich will es aber einfach nicht, darum tue ich es nicht.
Irgendwas an Metaphern und Vergleichen herbeizwingen, beliebige Wörter, die dem Leser sagen, dass es gerade um was sehr Zerknirschendes ginge.
Was soll denn ein Glutball aus Gedärmen sein? Wenn da Glut ist, dann bleiben Gedärme nicht lange Gedärme. Entweder schmelzen sie oder zerschmurgeln.
Ein in einen Auswurf gestanzter Glutball. Man stanzt Löcher und keine Bälle. Wie soll das gehen, etwas in Auswurf stanzen?
Was heißt das: Auswurf eines Moments? Ich kann das auch: in die Schmutzigkeit eines Augenblicks, in die Behauptung einer Sekunde, in die Gefügigkeit eines Lidschlags... Und so weiter. Alles literarisch bis zum Abwinken.
Es gab einen Moment der Unbedachtheit von Regeln.
Finden wir das gut? Sprachlich? Haben Regeln eine Unbedachtheit? Gemeint ist doch wohl eher es gab einen Moment, wo irgendwer an irgendwelche Regeln nicht gedacht hat. Ja wahrscheinlich. Aber dann kann man es nicht so schreiben, wie es dort steht.
Aber: Es gab einen Moment der Unbedachtheit von Regeln. Und in diesen Moment wurde die Sonne hineingestanzt.
Ich mag's ganz und gar nicht. Ich mag's absolut nicht.

Es gab Regeln, denen sich niemand entzog. Nur der Tod entzog sich diesen Regeln.
Aha.
Klingt gut.
Aber was soll das?
 

Ralf Langer

Mitglied
hallo dominik,

eine interessante replik von dir.
allein, ich mag den widerspruch nicht erkennen.
du schreibst:

"Ich mag Texte, wo mir Autoren was erzählen oder beschreiben, was es wirklich gibt. Ich mag keine Sprache-für-Sprache-Werke, ich mag Sprache-für-Welt-Werke."

Dem kann ich nur zustimmen.

Aber dies Stück stellt doch zu einem großteil die innere, ich nenne sie mal gedankenwelt - des erzählers dar.
ausgehend davon, das der autor seinen text wissentlich konstruiert hat, stelle ich fest, das der längere teil- hier etwa zwei drittel mit "gedanken-gängen" beschäftigt.

mir will scheinen, das war seine absicht, und ich finde das gelang ihm auf ansprechende weise.
(sieh meine antwort)

hier löst sich der widerspruch auf:

ich als leser bzw. kritiker muß mich doch darauf einstellen, was der autor tat. nicht was ich gerne gelesen hätte.

überspitzt gesagt, ist es so, als ginge ich in einen actionfilm und beklage mich , das es keine komödie war.
und sage dann der film wäre nicht gelungen.

aber so werde ich dem film nicht gerecht.

wie gesagt: ja, es ist ein "sprache für sprache werk",
aber dann doch ein geglücktes, oder?


lg
ralf
 
D

Dominik Klama

Gast
Es gibt schon Genres - um beim Kino zu bleiben -, in die man irgendwann gar nicht mehr reingeht. Ich gehe ja immer noch in Horrorfilme und in romantische Frauenmelodramen, wo die irgendeinen superschönen Supermann lieben, der dann leider in Afghanistan oder beim Löschen im World Trade Center am 11.9.2001 ums Leben kommt. Aber freiwillig gehe ich eigentlich nicht mehr in Geschichten von vier amerikanischen Highschul-Jungs, die das Problem haben, dass sie alle noch Jungfrau sind und einen Plan aushecken, wie das geändert werden kann.

An dem Anfang des Textes mag ich gerade, dass er so alltägliche Dinge hat wie Kaffeemaschine, Wecker, Licht auf der Tapete und zugleich andeutet, es werde nun irgendwas nicht ganz so Normales folgen. Dann aber hebt er ab in eine Sprachsphäre des Kosmischen. Ich bekomme die Ahnung vom einem Protagonisten, der eine kleine Unlust verspürt, ein wenig Lebensüberdruss, einer wie wir - und dann prallen die Gestirne und Maisfelder aufeinander. Die ja in dieser Zusammenballung alle nur noch Wörter sind. Hätte er mir erzählt, dass der Typ einen Spaziergang über die Felder macht, wäre an den Maisfeldern was dran. So aber sind es am Schreibtisch zusammengeklaubte Worthülsen. Wo ich denke, dass statt ihnen auch 300 andere dastehen könnten, nach denen er zufällig gerade nicht gegriffen hat.

...hin zu den Kaufräuschen, gepresste Erde, Kot, Erze, Untaten und Wohltat zugleich, wo kein Auge platzen würde, kein rettender Gedanke in den Schlingen aus Fleisch und Helmen, dem Trott zähnefletschender Armeen aus Glutspänen, die sich ihr Feuer als Heilung erwählten, diesen Blut spuckenden und um sich schlagenden Tätern aus Gewalt und Gewissensbiss, gemischt in die Patienten der Psychatrien, um sich schlagend für Ziele, die kein Sinn mehr fasste.
um sich schlagen, Zähne fletschen, sich erwählen, Blut spucken, etwas pressen, Augen platzen, Untaten, Wohltaten,
Schlingen, Kaufräusche, Armeen, Feuer, Helme, Psychiatrie, Heilung, Patienten, Gewalt, Gewissenbisse, Kot, Fleisch, Erze, Glutspäne, rettende Gedanken...

Wenn ich dir ein Buch zeigen würde, das du nicht kennst, sagen, alle diese Wörter spielen in diesem Buch eine Rolle, würdest du dir eine enorme Geschichte vorstellen. Hier aber kommen die Wörter nicht auf 120 Seiten, sondern auf wenigen Zeilen vor. Es ist eine Art Aufzählung. Es tut so, als hätte es mit jeder Vokabel auch schon die Sache im Griff. Ich sag dann mal schnell Weltuntergang und ich hab ein Werk über den Weltuntergang verfasst. Nein, hab ich doch gar nicht, ich hab den Leuten vorgeflunkert, ich würde ein höchst bedeutsames literarisches Werk schaffen, indem ich so ein Wort genommen habe, das einen gewissen pathetischen Wert in sich trägt. Aber nur ganz allein, ein Wort für sich, ist keines bedeutender als das andere. Ich hätte auf den paar Zeilen auch die Wörter Quietscheentchen, Salami, Alleskleber, Gähnen, Gully, schlendern, einschlafen... schreiben können, es wäre grundsätzlich literarisch kein anderes Vorgehen gewesen. Es hätte nur nach viel weniger "Gewicht" ausgeschaut.

Dem von mir ziemlich geschätzten Thomas Bernhard wurde ja immer wieder von Kritikern angekreidet, dass er sich mit ganz redundanten Wortkaskaden in seiner vorgeblichen Welt- und Lebenskatastrophe geradezu suhle. Das sei in Wahrheit alles nur Pose und auch zu erzählen habe Bernhard kaum was gehabt. Na ja, Bernhard schreibt immer mal wieder hin, die Menschen seien alle pervers und gemein, sein Land Österreich sei eine Zumutung, die gesamte Welt sei ein Irrenhaus, seine, Bernhards, Existenz sei eine unausweichliche Sackgasse usw. Was er dann macht, ist weniger das Erzählen von interessanten Handlungen als vielmehr das Arrangieren von Sprache. Mit dem hier also durchaus vergleichbar. Bloß macht er seinen Katatrophenbefund doch auch immer an irgendwas konkret Fassbarem fest. Dass es in Salzburg keine Neue Zürcher Zeitung zu kaufen gibt, dass es im Café Bräunerhof zieht, dass man ihn, den Autor, dem man einen Preis überreichen wollte, auf der Verleihungsfeier nicht erkennt, dass die alten Fensterrahmen aus den öberösterreichischen Bauernhöfen herausgerissen werden usw. Es wirkt ja dann oft lächerlich, dass solcher Pipifax die große Weltkatatstrophe sein soll. Aber er hat sie an was festgemacht, die Weltkatastrophe. Und der hier nicht. Er fuchtelt nur wild damit herum.
 
U

USch

Gast
Hallo Monochrom,
atemlos, wabernd, irrsinnig, hat was, nervt, ist aber irgendwie sehr kreativ.
LG Uwe
 
A

Architheutis

Gast
Hallo Mono,

ich schwanke. Teilweise brillante Bilder, herrliche, eigensprachliche Bilder, fliessende Sätze ohne Überdruß - zumindest am Anfang und am Ende. Vom Kaffee zum Blei, ich bin dabei. ;-)

Der Mittelteil liegt mir quer im Magen. Zwar ist jeder Satz, jedes Bild für sich genommen sprachlich hoch interessant, aber in dieser umfangreichen Abfolge doch ein (für mich) zu hartes Brot. Es ist mühsam, da zu folgen (kann mein Leseproblem sein, aber ein anderes kann ich dir nicht anbieten).

Ich versuche mal zu verdeutlichen, warum:

Die Sonne, ein weißes Ross, das ohne Bitten und Klagen seine Bahn über den Himmel [blue]zog[/blue]. Glutball aus Gedärmen, [blue]gestanzt[/blue] in den Auswurf eines Momentes der Unbedachtheit von Regeln, denen sich lediglich der Tod [blue]entzog[/blue]. Wohin mich auch das Leben [blue]warf[/blue], alles war [blue]gefüllt[/blue] mit Gesetzen. Hämmern auf Blech, Rosinen in weichem Teig, Kalendern, die sich alle vier Jahre einen Tag [blue]erlogen[/blue]. Wie schnell würde alles beiseite [blue]gewischt[/blue], wenn sich die Beine einer Frau auf diesen Nummern und Zahlen [blue]räkelten[/blue]. Ein leichtes Vibrieren von Augenbrauen und Geschlechtsteilen, dann [blue]brachen[/blue] die Gesetze, die Sonnen [blue]brannten [/blue]gleißender, die Sterne im Rausch, die Hast von kurzfristigen Zielen, kein Entkommen mehr möglich im Tanz zwischen den Pappwänden sich auswechselnder Städte voller Gier und Festivitäten. Das Tanzen der Kugeln der Jongleure, das Feuer im Atem der köchelnden Gaumenfreuden, mit der abfälligen Spucke von verschwitzten Köchen darin, dem leisen Hauch der Vergänglichkeit an den Stränden aus Marmor.
Wie du siehst, habe ich die Verben farbig markiert. Der Grund dessen ist der, dass ich dir veranschaulichen möchte, warum ich an dieser Stelle Probleme habe: Denn die Verben sind die Wörter, in denen das Leben spielt. Der Mensch denkt in Bildern, und Worte des Handelns versteht er immernoch am besten. Verben lesen sich am leichtesten, die Verklompizierung beginnt bereits bei der Substantivierung eines Verbs.

Mal ein Gegenbeispiel eines großen Meisters, Kafka:

Der Kampf der Hände

Meine zwei Hände begannen einen Kampf. Das Buch in dem ich gelesen hatte, klappten sie zu und schoben es bei Seite, damit es nicht störe. Mir salutierten sie und ernannten mich zum Schiedsrichter. Und schon hatten sie die Finger ineinander verschränkt und schon jagten sie am Tischrand hin, bald nach rechts bald nach links je nach dem Überdruck der einen oder der andern. Ich liess keinen Blick von ihnen. Sind es meine Hände, muss ich ein gerechter Richter sein, sonst halse ich mir selbst die Leiden eines falschen Schiedsspruchs auf. Aber mein Amt ist nicht leicht, im Dunkel zwischen den Handtellern werden verschiedene Kniffe angewendet, die ich nicht unbeachtet lassen darf, ich drücke deshalb das Kinn an den Tisch und nun entgeht mir nichts. Mein Leben lang habe ich die Rechte, ohne es gegen die Linke böse zu meinen, bevorzugt. Hätte doch die Linke einmal etwas gesagt, ich hätte, nachgiebig und rechtlich wie ich bin, gleich den Missbrauch eingestellt. Aber sie muckste nicht, hing an mir hinunter und während etwa die Rechte auf der Gasse meinen Hut schwang, tastete die Linke ängstlich meinen Schenkel ab. Das war eine schlechte Vorbereitung zum Kampf, der jetzt vor sich geht. Wie willst Du auf die Dauer, linkes Handgelenk, gegen diese gewaltige Rechte Dich stemmen? Wie Deine mädchenhaften Finger in der Klemme der fünf andern behaupten? Das scheint mir kein Kampf mehr, sondern natürliches Ende der Linken. Schon ist sie in die äusserste linke Ecke des Tisches gedrängt, und an ihr regelmässig auf und nieder schwingend wie ein Maschinenkolben die Rechte. Bekäme ich angesichts dieser Not nicht den erlösenden Gedanken, dass es meine eigenen Hände sind, die hier im Kampf stehn und dass ich sie mit einem leichten Ruck von einander wegziehn kann und damit Kampf und Not beenden – bekäme ich diesen Gedanken nicht, die Linke wäre aus dem Gelenk gebrochen vom Tisch geschleudert und dann vielleicht die Rechte in der Zügellosigkeit des Siegers wie der fünfköpfige Höllenhund mir selbst ins aufmerksame Gesicht gefahren. Statt dessen liegen die zwei jetzt übereinander, die Rechte streichelt den Rücken der Linken, und ich unehrlicher Schiedsrichter nicke dazu.
Die Verben bilden hier die grösste Wortgruppe, darum liest es sich in einem Rutsch weg. Bei dir sind die 10 Verben in der Minderheit, darum wird es zäh. Auch die Stellung des Verbes im Satzbau bewirkt schon viel: Bei Kafka weit vorne, bei dir meist am Schluß. Den Satz begreift man erst mit dem Verb, alles dazwischen muss man "sich merken" und strengt an. Zumindest mich in dieser Häufigkeit.

Ich will dir -um Gottes Willen- keine Schreibweise diktieren; ich möchte dir nur mitteilen, warum ich beim Lesen hakte. Bewahre dir bitte deine Eigensprachlichkeit, denn die ermöglicht dir den Bau neuer Bilder, auf die nur du kommst.

Ich hoffe, du kannst hiermit was anfangen.

Gruß,
Archi
 

Monochrom

Mitglied
Hi Architheutis, Hi Dominik,

ich verstehe, was Du meinst, Architheutis. Jedoch ist der Beispieltext ein Text, der von der Bewegung lebt. Das SPiel/ der Kampf der Hände muss in jedem Fall mit Verben begangen werden. Denn es ist da die reine Beschreibung von etwas Realem (auch wenn es natürlich surreal ist, wie Kafka es großartigst hinbekommt), dass sich im Fokus einer Bewegung abspielt..
Der Text "Schaltjahre" ist jedoch in der Gedankenwelt angesiedelt. Hier spielen Bilder eine große Rolle, mehr als die Bewegung.
Wenn ich denke : "Ich gehe an den Tisch, und hole die Flasche Bier", dann entsteht ein Bild im Kopf: Ein Aufstehen, das schummerige Licht eines ZImmers, der dunkle Eichenholztisch, dessen Oberfläche das gelbliche Licht der Glühbirne spiegelt, dann die kleinen Kratzer auf dem Tisch, die wie ein Patchwork sind, usw..., Der Verstand (oder zumindest meiner) arbeitet mit Vorstellungen, und weniger mit den verbalen Zustandsänderungen. Der Geist und die Vorstellung sind mit Adjektiven und Adverben verseucht.
Z.B: Das Auto fährt schnell. Sofort springt da der Geist an und erschafft ein Bild, aber er erschafft keine Geschwindigkeit, kein von nach zu, sondern das vielleicht verwischte Bild eines roten Fahrzeugs, dass leicht schräg in eine Kurve schlittert.
So habe ich versucht, einen glaubhaften Sprungzirkus innerhalb der Gedankenwelt des Protas zu erschaffen. Der Prota hingegen macht ja an sich nichts, vielleicht sitzt er bloß am Küchentisch, sieht die pockige Tapete an, sieht, wie die Morgensonne auf ihr ein Schattenmuster erschafft, und beginnt mit einem Tagtraum, der melancholisch ist und davon getrübt wird, dass hier die freie Zeit sich frei gekämpft hat. Die Termine einfach abgesagt, sich abgewandt zu haben, dass wird zum Motiv eines geistigen Rundumblickes, der versucht,
die Maschinerie, die Zahnräder der Alltäglichkeit zu durchschauen, vielleicht sogar, ihnen als Bruch etwas neues abzugewinnen. Es bleibt allerdings nur der "schlechte Geschmack" (deshalb auch der Kaffee) übrig, dieser Gedanke, sich von dem Tagtraum der Gewalten freizumachen, also von der Realität wegzurücken und wirklich zu träumen, denn es ist in diesem Moment die bessere Wirklichkeit.
Ja soweit meine Gedanken dazu.
Ich kann die anderen Leser des Textes verstehen, wenn sie sagen, hmm, nicht mein Fall und das ist ja nur eine Aneinanderreihung von aufgepopelten Bildern. Aber eben das ist der WItz oder eher gesagt die Vorstellung, die diesen Text voran treibt. Eben nur ein fauler Tag, mit einem etwas abstrusen Tagtraum und Betrachtungen der Realität, die aber träumerisch und auch kritisch ausgehebelt werden. Ich finde auch nicht, dass es ein Sprache für Sprache- Text ist. Eher ist doch im Mittelteil viel Welt, in der etwas passiert und durcheinandergeruckelt wird, und es ist auch die Sublimation des Protagonisten, der alles absagt, und dessen Betrachtungen dann im Tagtraum Freilauf haben.

Danke für Eure Mühe und Meinung, ciao, Monochrom
 
A

Architheutis

Gast
Hallo nochmal,

ich verstehe, was Du meinst, Architheutis. Jedoch ist der Beispieltext ein Text, der von der Bewegung lebt. [...]
Der Text "Schaltjahre" ist jedoch in der Gedankenwelt angesiedelt. Hier spielen Bilder eine große Rolle, mehr als die Bewegung.
Da bin ich bei dir. Gemeint war nicht, dass du Bildern für Verben opfern sollst. Ich wollte nur darstellen, warum ich es etwas zäh finde. Das soll aber in keinem Falle den Wert der Bilder schmälern.

Dominiks Einwand,
So aber sind es am Schreibtisch zusammengeklaubte Worthülsen. Wo ich denke, dass statt ihnen auch 300 andere dastehen könnten, nach denen er zufällig gerade nicht gegriffen hat.
halte ich für ein wenig zu streng. Ich sehe hier den Prot nicht in Belanglosigkeiten abdriften, eine Bodenhaftung bleibt erhalten:
Wohin mich auch das Leben warf, alles war gefüllt mit Gesetzen. Hämmern auf Blech, Rosinen in weichem Teig, Kalendern, die sich alle vier Jahre einen Tag erlogen. Wie schnell würde alles beiseite gewischt, wenn sich die Beine einer Frau auf diesen Nummern und Zahlen räkelten. Ein leichtes Vibrieren von Augenbrauen und Geschlechtsteilen, dann brachen die Gesetze
Belanglos? Ich sehe Überdruß ob des Übergestülpten. Ich sehe eine Befreiung, einen Hoffnugsweg, sich dessen zu entledigen.

Hier wird ein Weg gedanklich beschritten, sich der Belanglosigkeiten des Alltags zu entledigen.

Das geht klar. ;-)
 



 
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