Liebe Pelikan,
vielen Dank für deine ausführlichen Kommentare! Ich fürchte, du hast das ganz falsch verstanden, als ich zu gitano sagte, er sei ein Sonett-Experte
. Ich meinte das lediglich auf die Form des Sonetts bezogen - Hebungen, Reime, Versanzahl pro Strophe usw. - weil ich weiss, dass gitano gerne Sonette mag, und mich freute, dass er mein Gedicht gut fand und als Sonett ansah, obwohl es im Grunde
kein klassisches Sonett ist (weshalb es auch hier steht und nicht bei den Festen Formen).
Was den Inhalt angeht, finde ich, dass es keinen besonderen Expertentum braucht, um dieses Sonett zu verstehen. Denn ich mache ja fast ausschliesslich Bezüge
innerhalb der Sprache, und
nicht nach Aussen. Insofern spielt Hintergrundwissen überhaupt keine Rolle bei der Frage, ob das Gedicht gefällt - es kommt lediglich darauf an, ob man diesen extremverdichteten und assoziativen Stil mag oder nicht.
Beispiel "Töteln". Es gibt im Deutschen eine Reihe von Verben, bei denen eine Ableitung mit "-ln" ein weiteres Verb bildet, e.g.: "tanzen - tänzeln", "spotten - spötteln", "zünden - zündeln" (und auch "streichen - streicheln", obwohl sich hier die Bedeutung des "-ln"-Verbs verselbstständigt hat). Allen diesen "-ln"-Ableitungen ist gemeinsam, dass sie eine kleinere, unbedeutendere, schwächere, weniger vollendete, eher flackerhafte Handlung ausdrücken. Nach demselben Muster funktioniert "töteln" im Gegensatz zu "töten": Der Frost "tötet" ja meist nicht wirklich, nicht sofort - er umwebt leise, friert Stück für Stück ein, verlangsamt... Hätte ich "töten" geschrieben, waere die Formulierung viel zu dramatisch - ich wollte aber Melancholie erzeugen, keine Dramatik, keinen Pathos. Ich sehe ein, dass meine Absicht nicht unbedingt klar erkennbar ist, finde aber auch, dass hier kein Expertentum notwendig ist - ausser ein Expertentum für deutsche Sprache vielleicht, aber darüber verfügt ja jeder Muttersprachler
.
Und du hast Recht: Natürlich gibt es hier ein Bemühen um Neologismen, das kann ich kaum abstreiten
. Aber die Neologismen sind auch genau das, was das Gedicht ausmacht, was der Grund für das Schreiben ist. Sie sind kein (krampfhaftes) Mittel, einen Inhalt zu transportieren, sondern sie
sind das Gedicht. Der Grund, warum du denkst, du stündest "vor dem Inhalt wie ein Depp" ist nicht, dass dir irgendein Wissen fehle, dass es hier einen versteckten Inhalt gäbe, der nur "Experten" zugänglich wäre - sondern einfach, dass es bei diesem Gedicht keinen festen Gesamtinhalt gibt
. Ich stelle nur eine Stimmung und eine Reihe von (meiner Meinung nach) passenden semantischen und phonetischen Bildern zur Verfügung, und du musst dann als Leser schon selbst deinen Inhalt basteln. Oder auch nicht. Mir ist vollkommen klar, dass sowas nicht jedermanns Sache ist, aber das ist einfach der Stil, in dem ich schreiben möchte. Ich erwarte nicht, dass es jedem gefällt. Ich hätte niemals erwartet, mit diesem Teil hier das Beste Lyrikwerk aus 2 Wochen zu landen!
Interessant übrigens, dass - wie ich schon im Lupanum anmerkte - Sprachspiel mit Humor und/oder Experimenten, nicht mit ernsthafter Dichtung assoziiert wird. Warum? Für mich ergibt das keinen Sinn. Wenn man über semantische und grammatische Grenzen der Standardsprache hinausgeht (nicht zu weit allerdings), erhöht sich doch einfach die Ausdrucksstärke der Sprache (im Idealfall) - das hat nichts mit einer bestimmten Stimmung zu tun, finde ich. Für mich gibt es keine "Übersättigung am Wort" - ich kann mich daran nicht sattessen!
Bitte verzeih den langen Kommentar
!
LG,
presque
P.S.: Mich würde übrigens sehr interessieren, wie dich Heidrun genau "über den Inhalt aufgeklärt" hat...