Lieber anbas,
in seiner konventionellen Form, seinem konventionellen Inhalt, seiner konventionellen Bissfreiheit und seiner konventionellen Aussage unterscheidet sich dieses Sonett wohltuend konventionell von manchen unkonventionell erscheinenden Versuchen, deren Konventionalität vor allem darin zu liegen scheint, unkonventionell sein zu wollen.
Selbst wenn es - was ich bezweifle - eine vierstellige Zahl Sonette ähnlichen Inhalts geben sollte, hindert dies nicht daran, sich an der selbstgesuchten und -auferlegten Bescheidenheit zu delektieren. In einer Zeit, in der sich alles mehr, größer, bombastischer, innovativer, futuristischer und avantgardistischer gebärdet, fallen die stilleren, zurückhaltenden Dinge um so angenehmer auf, sofern man sich einen Blick dafür bewahrt hat.
Es sind dies die großen Dinge, die letzten Fragen, die nach einer schlichten Sprache verlangen, die jenseits aller Metaphernblähungen mit einfachen Worten und Sätzen besser umfasst werden können, als mit aufwendigem Sprachgestelze. Dies ist dir meiner Meinung nach hervorragend gelungen. Dem Text enströmt eine weiche, sanfte, milde Melancholie - eine abgeklärte Ergebenheit, die mich fast schon ein wenig beunruhigt, wenn ich um den Autor fürchten müsste.
Und mir gefällt, dass du an dieser Arbeit weiter gefeilt hast, bis alles am rechten Platz zu sitzen scheint, anstatt ständig andere Versuche ins Netz zu kippen. Die Reime, absolut normal und geläufig, wirken natürlich und nie gesucht.
Damit mein Lob nun nicht überhand nimmt: Ein wichtiger Punkt bleibt unerledigt: Es besteht immer noch ein Überangebot an Personalpronomen der 2. Person, teilweise auch der 3. Person. Dabei könnte das Sonett inhaltlich vollständig darauf verzichten, denn sie sind nicht nur überflüssig, sie verwässern auch die Wirkung der übrigen Worte. Schließlich richtet sich das Sonett an keine bestimmte Person, sondern beschreibt etwas Allgemeingültiges, das LD ist hierfür nur der Platzhalter. Allerdings würde ich deshalb nicht auf die 5-Heber verzichten, bilden sie doch die Finger der Schattenhand, die sich dem LD entgegenstreckt und sorgen für die erforderliche Gedankenschwere.
Grüße
JB