Schaustück

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Die Feigen in Altenteil

Gemischte Wohnstätte: Altenteil,
Bad Unterweib bei Über-Herrenhausen,
"Die Vi-ejade" genannt;

Leiter:
Herr Bernweich Richtgraf,
Hobbyist der freien Künste und Strictor Fabulae et Curricula Vitorum;

Liiertes Bestattungshaus:
Pietät Lorbeerzweig,
Hans Breuer GbR,
Mitglied im Bund deutscher Leitkultur-Bestatter für ausländerfreie Friedhöfe e.V.

Angestellte:

Pater Dietrich Mollbesser vom nahen Claustrum der wohlmeinenden Brüder;

Pfarrer Heinrich Kummerleid, evangelischer Seelsorger der Authoditisten-Gemeinde Niebaldwegen;

Ein Gerontokrater:
Dr.(nicht abgeschrieben) Alfared Mugulla;

Tabletten und Beschafferin:
Anne Mehrist-Besser;

Olfaktorio-taktilo-Therapeutin:
Dr.(Titel unter Verdacht) Marai Knussel-Ramsch (Universität Perugia);

Snoozelatur:
Dr. Dr.(h.c.) Armin Bären,
Dipl.Kaufmann für exotische Essenzen;

Logopädin:
Verona Klawitter ("Mandragora" genannt, stottert im acht-siebtel Takt);

Basalstimulator und Beschäler der Beschafferin:
B.A. Artin Schusteé, im Heim "Totes Pferd" genannt;

Eine diplomierte Altenschwesterin:
Johannina Moustache (TV, rasiert);

Zwei polnische Aushilfen;
Drei ukrainische Zugehfrauen;
Eine norwegische Teilzeit-Weggehfrau;

Diätätin:
Veroníque Malherbes (59, Spätanorexie, während einer Wallfahrt erlitten);

Die humpelnde Köchin Alberta;

Der Beikoch für mittwochs nach Neumond:
Hans Kommer (Taxifahrer für Krankenfahrten);

Ein Hausmeister aus Bad Orb;

Ein Alter auf Abruf;

Eine Alte auf Abruf;

Zwei Alte im Keller, bereits abgerufen;

Im Tagesraum:
Eine gemischte Gruppe HippHopps aus Kingston/ Jamaica;

Eine Falsettistin der Staatsoper von Quebéc;

Der Rezitator und Hobbypianist:
Herr Mahnfred Mahnfried,
rezitiert am rosa Plastikpult;

Mahalia Jackson;
Jakob Knoblauch;
Frau Zeitler;
drei völlig verwachsene alte mainzer Mauern, zwei davon eingenässt;
eine hundertvier-Jährige, die stoßweise Milchsuppe mit unverdauten Rosinen auf den Linoleumbelag des Fußbodens erbricht;
rechts in der Ecke neben der geöffneten Holztüre zur Gebetsnische der Gottesmutter von Oberwang steht ein tragbares Emailleklosett mit offenem Deckel, 18.Jh., aus Unterwang,
ein schwarzgeperlter Rosenkranz hängt über die rechte Lehne bis auf den Boden;
dahinter Reste einer eingekoteten Pamperswindel sichtbar

Es riecht nach Sauermilchsuppe, Vanille, Ammoniak, 4711, Hartmann Verbandsmaterial,
dazu leichter Kotgeruch ahnbar,
ein Hauch Meeresbrise aus dem Nostalgieklo

Herr Mahnfred Mahnfried gibt am Klavier das Prelude zu:

Strangula des Gernot-Kinds im Hühnenhain der Drachenburg, von Wahnfried-Wagner in brutal-Dur,
zweiter Satz:
Das Kind läuft adelsblau an (zip, zweigestrichenes d),
die Augen quellen heraus (presto, furioso, c-a-akkorde), Petechien der Bindehäute treten auf (tremulo furiosissimo, vierte oktave c ),
das Kind erstickt (lento, im Anklang an C.G.Vicell der Ältere: "Die Gambe"),
der Körper entspannt sich,
ebenso Herr Mahnfried,
es gibt Applaudierung der Zweiten Art,
und Herr Dr. Mugulla, der ein faible für die verdiplomierte Altenschwesterin Moustache hat,
erwähnt ihr gegenüber die anhaltende Gärung in den Weinkellern des Gutes Mariebél Claire Mormichón in Burgund

Pause

Dr. Armin Bären snoozelt sein Riechfläschchen mit Lavendelsalz hervor und vertreibt damit eine odorische Wolke fäkalischer Anmutung in ais-dur,
danach: Prohibitive Konzentration

Sprechgesang, gemischte Gruppe, im hipp-hopp Rhythmus vorzutragen:

come with me to the dead mens house
teeth an' skeletons of many a spouse
waiting for death, sleep'n kreep, and die
but not too much long, keep always shy
you cost money every minute, hour and day
it's morally good, if you vanish quickly on tray

Weibliche Falsettstimme singt (in neuer deutscher Rechtschreibung):

In Altenteil, im Altenteil
im alten alten Teil
im Altenteil, da liegt ein Beil
im alten alten Teil

Normal rezitieren:

Mahalia Jackson, weit über 100 Jahre alt,
sitzt im Lehnstuhl und strickt
und strickt und strickt um ihr Leben,
sobald sie aufhört zu stricken,
wird sie mumifizieren,
weil sie ohne Wollknäuel im Schoß
schon seit Jahren nicht mehr trinkt.

Weibliche Falsettstimme singt:

In Altenteil, im Altenteil
im alten alten Teil
im Altenteil, da liegt ein Beil
im alten alten Teil

Normal rezitieren:

Jakob Knoblauch döst seit Jahren neben ihr,
aber er weiß nichts davon,
hat sie noch nie angeschaut.
Er wendet nicht den Kopf, in keine Richtung,
starrt nur geradeaus in den dünnen Lichtvorhang,
der sich bewegt, jeden hellen Tag von links nach rechts
weil die Sonne lautlos wandert.

Weibliche Falsettstimme singt:

In Altenteil, im Altenteil
im alten alten Teil
im Altenteil, da liegt ein Beil
im alten alten Teil

Normal rezitieren:

Frau Zeitler, die vom Nurremberger Honigmarkt,
einer anderen Stadt als der heutigen,
wirft mit Tassen und Tellern
nach Allem, das sich vor ihr bewegt,
nicht um Irgendwen zu treffen,
sie hat nur gelernt, ein jahrelanges Stück Arbeit,
dass es besser ist Alles von sich zu geben
und Nichts bei sich zu behalten, außer dem Nesteln.

Weibliche Falsettstimme singt:

In Altenteil im Altenteil
im alten alten Teil
im Altenteil da liegt ein Beil
und das schon ne ganze Weil

Normal rezitieren:

Nie ..

wird jemand der Gevêchten aufstehen ..

und das Beil ergreifen

Sprechgesang: hipp-hopp, Jamaica-Gruppe:

come with me to the dead mens house
let's count the bones of many a spouse
managing death, is a fabulous thing
earns you money out of a golden spring
but 'cause they cost every hour and day
it'd be economical better, if they bleach away

----

Worterklärung: "feige", Adj. mhd. "veige", ahd. "feigi" = dem Tode verfallen; verw. mhd "gevêch", ahd. "gifêh" = feindselig; erst Luther verbreitet die Bedeutung "verzagt" für feige
 
G

Gelöschtes Mitglied 14278

Gast
Hallo Waldemar,

mein erster Eindruck: grauenvoll – was gibt es da zu lachen?

Die Besetzungsliste: eine Ansammlung von Klischees, bedingt witzig
Der Text: ein Schlag in den Magen für jeden, der längere Zeit Angehörige in einem Pflegeheim besucht hat oder gar dort arbeitet. Er weiß, dass Beschreibungen wie diese
dahinter Reste einer eingekoteten Pamperswindel sichtbar
dazu leichter Kotgeruch ahnbar
überhaupt nicht witzig sind. Sie sind die brutale Realität, die vielleicht jeden Einzelnen von uns irgendwann einmal einholt. Man kann darüber Satiren schreiben - dieser Text kommt für mich jedoch nicht als solche rüber. Ich finde ihn schlichtweg geschmacklos.

Gruß Ciconia
 
Die Feigen in Altenteil

Gemischte Wohnstätte: Altenteil,
Bad Unterweib bei Über-Herrenhausen,
"Die Vi-ejade" genannt;

Leiter:
Herr Bernweich Richtgraf,
Hobbyist der freien Künste und Strictor Fabulae et Curricula Vitorum;

Liiertes Bestattungshaus:
Pietät Lorbeerzweig,
Hans Breuer GbR,
Mitglied im Bund deutscher Leitkultur-Bestatter für ausländerfreie Friedhöfe e.V.

Angestellte:

Pater Dietrich Mollbesser vom nahen Claustrum der wohlmeinenden Brüder;

Pfarrer Heinrich Kummerleid, evangelischer Seelsorger der Authoditisten-Gemeinde Niebaldwegen;

Ein Gerontokrater:
Dr.(nicht abgeschrieben) Alfared Mugulla;

Tabletten und Beschafferin:
Anne Mehrist-Besser;

Olfaktorio-taktilo-Therapeutin:
Dr.(Titel unter Verdacht) Marai Knussel-Ramsch (Universität Perugia);

Snoozelatur:
Dr. Dr.(h.c.) Armin Bären,
Dipl.Kaufmann für exotische Essenzen;

Logopädin:
Verona Klawitter ("Mandragora" genannt, stottert im acht-siebtel Takt);

Basalstimulator und Beschäler der Beschafferin:
B.A. Artin Schusteé, im Heim "Totes Pferd" genannt;

Eine diplomierte Altenschwesterin:
Johannina Moustache (TV, rasiert);

Zwei polnische Aushilfen;
Drei ukrainische Zugehfrauen;
Eine norwegische Teilzeit-Weggehfrau;

Diätätin:
Veroníque Malherbes (59, Spätanorexie, während einer Wallfahrt erlitten);

Die humpelnde Köchin Alberta;

Der Beikoch für mittwochs nach Neumond:
Hans Kommer (Taxifahrer für Krankenfahrten);

Ein Hausmeister aus Bad Orb;

Ein Alter auf Abruf;

Eine Alte auf Abruf;

Zwei Alte im Keller, bereits abgerufen;

Im Tagesraum:
Eine gemischte Gruppe HippHopps aus Kingston/ Jamaica;

Eine Falsettistin der Staatsoper von Quebéc;

Der Rezitator und Hobbypianist:
Herr Mahnfred Mahnfried,
rezitiert am rosa Plastikpult;

Mahalia Jackson;
Jakob Knoblauch;
Frau Zeitler;
drei völlig verwachsene alte mainzer Bauern, zwei davon eingenässt;
eine hundertvier-Jährige, die stoßweise Milchsuppe mit unverdauten Rosinen auf den Linoleumbelag des Fußbodens erbricht;
rechts in der Ecke neben der geöffneten Holztüre zur Gebetsnische der Gottesmutter von Oberwang steht ein tragbares Emailleklosett mit offenem Deckel, 18.Jh., aus Unterwang,
ein schwarzgeperlter Rosenkranz hängt über die rechte Lehne bis auf den Boden;
dahinter Reste einer eingekoteten Pamperswindel sichtbar

Es riecht nach Sauermilchsuppe, Vanille, Ammoniak, 4711, Hartmann Verbandsmaterial,
dazu leichter Kotgeruch ahnbar,
ein Hauch Meeresbrise aus dem Nostalgieklo

Herr Mahnfred Mahnfried gibt am Klavier das Prelude zu:

Strangula des Gernot-Kinds im Hühnenhain der Drachenburg, von Wahnfried-Wagner in brutal-Dur,
zweiter Satz:
Das Kind läuft adelsblau an (zip, zweigestrichenes d),
die Augen quellen heraus (presto, furioso, c-a-akkorde), Petechien der Bindehäute treten auf (tremulo furiosissimo, vierte oktave c ),
das Kind erstickt (lento, im Anklang an C.G.Vicell der Ältere: "Die Gambe"),
der Körper entspannt sich,
ebenso Herr Mahnfried,
es gibt Applaudierung der Zweiten Art,
und Herr Dr. Mugulla, der ein faible für die verdiplomierte Altenschwesterin Moustache hat,
erwähnt ihr gegenüber die anhaltende Gärung in den Weinkellern des Gutes Mariebél Claire Mormichón in Burgund

Pause

Dr. Armin Bären snoozelt sein Riechfläschchen mit Lavendelsalz hervor und vertreibt damit eine odorische Wolke fäkalischer Anmutung in ais-dur,
danach: Prohibitive Konzentration

Sprechgesang, gemischte Gruppe, im hipp-hopp Rhythmus vorzutragen:

come with me to the dead mens house
teeth an' skeletons of many a spouse
waiting for death, sleep'n kreep, and die
but not too much long, keep always shy
you cost money every minute, hour and day
it's morally good, if you vanish quickly on tray

Weibliche Falsettstimme singt (in neuer deutscher Rechtschreibung):

In Altenteil, im Altenteil
im alten alten Teil
im Altenteil, da liegt ein Beil
im alten alten Teil

Normal rezitieren:

Mahalia Jackson, weit über 100 Jahre alt,
sitzt im Lehnstuhl und strickt
und strickt und strickt um ihr Leben,
sobald sie aufhört zu stricken,
wird sie mumifizieren,
weil sie ohne Wollknäuel im Schoß
schon seit Jahren nicht mehr trinkt.

Weibliche Falsettstimme singt:

In Altenteil, im Altenteil
im alten alten Teil
im Altenteil, da liegt ein Beil
im alten alten Teil

Normal rezitieren:

Jakob Knoblauch döst seit Jahren neben ihr,
aber er weiß nichts davon,
hat sie noch nie angeschaut.
Er wendet nicht den Kopf, in keine Richtung,
starrt nur geradeaus in den dünnen Lichtvorhang,
der sich bewegt, jeden hellen Tag von links nach rechts
weil die Sonne lautlos wandert.

Weibliche Falsettstimme singt:

In Altenteil, im Altenteil
im alten alten Teil
im Altenteil, da liegt ein Beil
im alten alten Teil

Normal rezitieren:

Frau Zeitler, die vom Nurremberger Honigmarkt,
einer anderen Stadt als der heutigen,
wirft mit Tassen und Tellern
nach Allem, das sich vor ihr bewegt,
nicht um Irgendwen zu treffen,
sie hat nur gelernt, ein jahrelanges Stück Arbeit,
dass es besser ist Alles von sich zu geben
und Nichts bei sich zu behalten, außer dem Nesteln.

Weibliche Falsettstimme singt:

In Altenteil im Altenteil
im alten alten Teil
im Altenteil da liegt ein Beil
und das schon ne ganze Weil

Normal rezitieren:

Nie ..

wird jemand der Gevêchten aufstehen ..

und das Beil ergreifen

Sprechgesang: hipp-hopp, Jamaica-Gruppe:

come with me to the dead mens house
let's count the bones of many a spouse
managing death, is a fabulous thing
earns you money out of a golden spring
but 'cause they cost every hour and day
it'd be economical better, if they bleach away

----

Worterklärung: "feige", Adj. mhd. "veige", ahd. "feigi" = dem Tode verfallen; verw. mhd "gevêch", ahd. "gifêh" = feindselig; erst Luther verbreitet die Bedeutung "verzagt" für feige
 
"... geschmackloser Text"

Liebe(r) Ciconia, ich weiß genau, was Du meinst - aber Du verwechselst das Objekt Deiner "Anklage", denn nicht der Text ist geschmacklos, sondern entsetzlicher Weise die Realität, auf die sich der Text bezieht und die er beschreibt.
Auch dass solche im Grunde "gespenstischen" Realitäten von allen Beteiligten wie unter Betäubung dumpf mitgetragen werden, ist nicht "von Pappe", denn normalerweise erfordern unhaltbare Zustände aktive Gegenwehr und nicht resignatives Mitmachen.
 

lapismont

Foren-Redakteur
Teammitglied
Ja ist' denn war, der Waldemar ist wieder da!

Gewohnt bitterböse und angriffslustig verqueer.

cu
lap
 

ENachtigall

Mitglied
Freut mich sehr, mal wieder einen echten "Hammel" zu lesen!

Ja, es ist eine - und erst die - Spitze des Eisbergs einer überalternden Gesellschaft, die hier aus diesem schaurig-traurig-schönen Stück lugt.
Und lachen muss ich trotzdem und weil sie mir täglich begegnen; die Karikaturen ihrer selbst, mit Kittel und oder ohne die fürsorgliche Miene, die verwesentlichen Gerüche fleischlichen Verfalls, die inszenierte Heiterkeit.
Es ist ohne diesen bissigen Humor gar nicht denkbar.
 

HajoBe

Mitglied
Die Feigen im Altenteil

Wer seinen Finger in zährende Wunden legt, kann nicht erwarten, dass er sauber bleibt. Aber wer Handschuhe anzieht, um dies zu verhindern, der wird nicht gehört.
Der satirische Text ist nicht geeignet hungrige Lacher auf seine Seite zu ziehen, sondern eher satte Träumer aufzuwecken.
"Hart und durchaus noch fair"....
Habe ihn mehrfach gelesen und werde es nochmals tun...
Frohe Adventszeit
HajoBe
 
Freut mich sehr, mal wieder einen echten "Hammel" zu lesen!

Ja, es ist eine - und erst die - Spitze des Eisbergs einer überalternden Gesellschaft, die hier aus diesem schaurig-traurig-schönen Stück lugt.
Und lachen muss ich trotzdem und weil sie mir täglich begegnen; die Karikaturen ihrer selbst, mit Kittel und oder ohne die fürsorgliche Miene, die verwesentlichen Gerüche fleischlichen Verfalls, die inszenierte Heiterkeit.
Es ist ohne diesen bissigen Humor gar nicht denkbar.
es sind katastrophale zustände in den heimen (natürlich nicht in allen, aber speziell in kleineren und privaten, habe ich nicht "gehört", sondern weiß es aus eigenen bitter-irrsinnigen erfahrungen), und das in einem der reichsten länder der welt, und obwohl die gesellschaft insgesamt immer mehr "überaltert", also die chancen für jeden steigen, in ein "heim" zu geraten ...
ich darf Dich grüßen,
waldemar
 

ENachtigall

Mitglied
Danke für die Grüße, Waldemar. Ein Lebenszeichen! Ich verdanke Dir immerhin den ausführlichsten und LieblingsKommentar ever zu einem Gedicht. Das ist ein Geschenk auf Lebzeit. Sowas vergißt mensch nicht. Ich grüße Dich herzlich zurück. Von daheim.
 
ich bin jetzt nach sehr langer zeit mal wieder auf leselupe.de gestoßen, und überlege gerade, mal wieder aktiv mitzumachen, indes bin ich jetzt 72 und schon halbwegs angefault (nein nein, es geht mit gut, immer noch), aber ich frage mich schon, ob und was einer wie ich, zumal alt, der welt noch großartig mitzuteilen hätte, zumal ich heute, nach meiner elend langen krankenpflegerzeit fast (gottseidank) nur noch wissenschaftlich mit physik und was alles dazugehört beschäftigt bin [ich lüge grade, denn hier sind auch noch 4 deutsche doggen unterwegs, die zum haushalt dazu gehören, uns alle aufmerksamkeit auch sich ziehen], denn ich will ja nicht ganz umsonst physik "studuiert" haben, denn während studium hab ich meist vollzeit auch als krankenpfleger gearbeitet, und das zusammen war ein elender schlauch, ständig über jahre schlafmangel, unregelmäßig essen usw, nochmal würde ich das überhaupt nicht auch nur ansatzweise schaffen, wobei ich noch glück hatte, in einer forensischen psychiatrie vollzeit allermeist nachtdienst zu arbeiten, weil ich tagsüber an der uni war, forensik = glück deshalb, weil man mehr oder weniger "nur" auf die durchaus freilaufenden "eingesperrten" aufpassen muss, sie "bewachen", damit sie keinen allzu großen oder gefährlichen unsinn treiben, und das kann man auch notfalls mit halbem kopf und halbem auge in die reihe kriegen, aber auch diese forensik war ein sehr harter knochen, denn es ist nicht ganz einfach, mit geisteskranken + gleichzeitig schwerverbrechern in einer person umzugehen, und zwei meiner kolleginnen damals wurden so getötet (teils mitschuld gehabt, aber immerhin)
nu ja, ich darf grüßen, wh.
 
Zuletzt bearbeitet:
es gibt nichts "loszulegen", ausser vielleicht als brachiales schweigen über menschenwelt, die nur noch in form gnadenloser dekonstruktionen erträglich ist, wir leben und krepieren heute als mitfahrende auf einem immer schneller drehenden karussell richtung abgrund, und bemerkens in den alltagen nichtmal,
 

petrasmiles

Mitglied
Da hast Du recht, viele merken es nicht.
Wir führen hier seit einiger Zeit einen Faden zur 'Gezielten Diffamierung', in der wir versuchen, uns dagegen zu stemmen, was das Karussell betrifft.
Darum bin ich schon ein wenig optimistischer, weil eine Art Gegenöffentlichkeit zu wachsen scheint, die auf den Abgrund hinweist.
Aber daneben ist man ja auch Alltagsmensch, und man hat nur diese Stunden und diese Zeit; das Leben kann nicht 'geparkt ' werden, bis die Aussichten wieder besser sind, darum schreiben wir.
 
ich bezweifle, dass irgendeine form von "gegenöffentlichkeit" diese dinge noch einmal wird drehen können, dazu gehen die entwicklungen richtung abgrund viel zu rasch.

erster abschnitt andré heller "abendland", schon aus den 70gern:

Späte Zeit, Dämmerung, Stunde, die Hoffnung, Trauer und Asche trägt,
Atemholen, einsam sein, Herbst der Gedanken und letzte Zuflucht für mich,
Abendland, Abendland,

ich achte und verachte dich,
Abendland,

Abendland, nicht meine Müdigkeit,
sondern die Sehnsucht nach Träumen läßt mich Schlaf suchen,
die bestürzende Möglichkeit der Verwandlung
meiner Figur in andere Figuren und Schauplätze,
in den von der Vogelweide, Cervantes, Appollinaire und James Joyce,
Kinderkreuzzüge, Scheiterhaufen, Guillotinen, Kolonien der Ehrlosigkeit,
in Hurenböcke auf Heiligem Stuhl,
Expeditionen an den Saum des Bewußtseins,
Bankerott der guten Vorsätze, Kongresse der zynischen Lachmeister,
Marc Aurels Astronomie der Besinnung, die Sturmtaufen Vasco da Gamas,
Leonardos Spiegelschrift, Gaudis Anarchie der Gebäude,
in Pablo Ruiz Picasso, der die Wünsche beim Schwanz packte,
den Aufstand im Warschauer Ghetto, die großen Pogrome Armeniens und Spaniens,
Parsival, Hamlet, Woyzeck, Raskolnikow, die Blumen des Bösen, de Sade,
Hanswurst, und den Mann ohne Eigenschaften,

Abendland, Abendland,
wir sind aus dir geboren,
wir fahren auf deinem Narrenschiff dem Abschied entgegen ...
 

petrasmiles

Mitglied
Ich glaube, da gehöre ich eher der 'Apfelbäumchen'-Fraktion an, wenn auch nicht auf religiöse Weise.
Sich auf einen Standpunk zurückzuziehen, der in den 70ern besungen wurde, scheint mir doch ein wenig zu kulturverdrossen.
Ich setze mich lieber mit dem Hier und Heute auseinander.
Es mag uns nicht gefallen, wie es weitergeht, aber es wird weitergehen - mit oder ohne uns.
 
@petrasmiles: "apfelbäumchen", gute anmerkung, weil schau dir nur an, was mensch weltweit macht, denn es ist stets dasselbe: er degradiert natur und umwelt, erde, wasser, luft, und sogar unterm erdboden, was großatmig "menschliche kultur aufbauen und aufgebaut" von mensch-selbst so genannt wird, ist nur immer und ewig zerstörung, tötung, auf null bringen, und danach, wenns zu ende gebracht ist an einer stelle, wird weitergezogen, um an anderer stelle mit der degradation der umwelt weiterzumachen. ein apfelbaum + seine umgebung + die wesen, welche mit ihm, an ihm, in ihm, von ihm mitleben, ist ästhetisch gesehen ein irrsinnig komplexes system, der apfelbaum weg und ein haus hingestellt, ist ein komplexitätsverlust auf fast null = degradierung in reinform. ich hab das schon als kind immer bemerkt: im frühling und sommeranfang bauernfelder und feldränder voller leben, und dann "erntet" der bauer, und die ganzen flächen bleiben ausgeräumt, zerstört und tot zurück, und so, als äthetisch verdichtetes beispiel, als bild, machts mensch weltweit, komplexität + mensch = degradation, verwüstung, tod, mensch erträgt komplexität nicht, sieht sie nicht, begreift sie nicht, und räumt sie deshalb weg, um seine "ordnung" usw zu haben, die "friedhof" ist. für alle mitlebewesen heißt "leben" mit und in dieser natürlichen komplexität eingepasst "mitschwimmen", mitleben, für mensch indes: krieg führen gegen die komplexität alles natürlichen, um seine weit-unterkomplexen (armseligen) installationen zu erzeugen. und dass mensch, weltweit, sein erleben grundlegend ändert, denn es ist erleben, das allem denken und machen vorausgeht, ändert, ist nicht zu erwarten, denn auch mensch, wie alles, das lebt, hängt in seiner eigenen selbst-referenz fest - und ja, wir haben als "mensch" ein riesiges fast-rein ästhetisches problem, das uns als art zum wieder-aussterben prädestiniert - anders ausgedrückt: während man vom "apfelbäumchen" fantasiert, gehen ganz real mehrere fußballfelder planetarer wälder mit allem "zubehör" jeden halben tag unter, weil sie von mensch plattgemacht, zu wüsteneien degradiert werden, und merke: all das geht vernichtet ins nichts nicht allein, sondern uns als menschen lediglich ein kleines stück weges voran.
 

petrasmiles

Mitglied
Wer könnte da widersprechen?
Aber es käme mir feige vor, nicht dagegenzuhalten und das Gute und Wahre und Schöne da zu sehen, wo es ist - und selbst dazu beizutragen zu versuchen, dass dies ein besserer Ort ist.
 



 
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