Franklyn Francis
Mitglied
Elvira zupfte an meiner Krawatte und wischte eine imaginäre Fluse vom Jackett.
„Ich habe dir Brote mit Schinken und Gürkchen gemacht“, sagte sie, reichte mir die Aktentasche und küsste mich auf die Wange. „Schönen Tag, Schatz.“
„Danke, dir auch“, antwortete ich lächelnd. Elvira hielt mir die Tür auf.
Draußen schaute ich zum Fenster, winkte meiner Frau zu und ging weiter Richtung Bushaltestelle. Als ich außer Sichtweite war, verharrte ich und atmete aus.
Der Kaffee in der SB-Bäckerei war heiß und bitter. Nicht so wohlschmeckend wie im Café, dafür aber günstig. Ich fuhr das Notebook hoch und nippte an der Tasse, während ich die üblichen Internetseiten durchforstete und mir Notizen machte.
Am Kiosk verlangte ich die Börsen-Zeitung, die Frankfurter und das Handelsblatt und steckte sie so in das Seitenfach der Aktentasche, dass die Titel herauslugten. Ich nahm den Bus, verspeiste die Brote und stieg am Hauptbahnhof aus.
Mehrmals schaute ich mich um, bevor ich das Pfandhaus betrat. Eintausendfünfhundert Euro gab mir der Mann hinter der Scheibe. Mehr wäre für die goldene Uhr meines Großvaters nicht drin. Zusammen mit dem Rest, den ich besaß, würde es für die nächsten zwei Raten bei der Bank reichen, und viele Erbstücke hatte ich nicht mehr.
Das südliche Westend erreichte ich zu Fuß. Ich blickte auf die Hochhäuser. Weiter hinten befand sich der Glaskasten. Näher als hierhin hatte ich es seitdem nicht mehr geschafft.
Auf einer freien Bank nahm ich Platz, studierte die Zeitungen und machte mir wieder Notizen. Drei Monate lag die Aktienblase nun zurück, bei der unsere Kunden ihr Geld verloren hatten. Keiner wollte auf mich hören. Ich, der die Zahlen richtig deutet, Anzeichen und Zusammenhänge erkennt, eins uns eins einfach nur zusammenzuzählen braucht.
Mit angefeuchteten Finger blätterte ich weiter durch die Seiten. Irgendwo zwischen den Zeilen würde ich es finden.
Der Eintopf in der Kantine des Bankhauses schmeckte mir nicht. Aber ich schnappte ein paar interessante Gesprächsfetzen an den Nebentischen auf. Unterhaltungen über Geld und ähnliches zu sanfter Musik aus den Lautsprechern und dem Geruch von Gemüse, Fett und verschwitzten Oberhemden.
Den Rest des Tages fuhr ich die Aufzüge rauf und runter, gesellte mich zu den Leuten in den Raucherbereichen vor den Gebäuden, hörte da zu, lauschte dorthin, hielt Augen und Ohren offen, saugte alles in mich auf, verarbeitete es, nahm an den Debatten der Anzugträger teil, indem ich zustimmend nickte oder bloß ein paar gescheite Worte an passenden Stellen beitrug, las die Ticker in den Foyers der Finanzinstitute und auf meinem Handy, führte Smalltalk mit Leuten, die irgendwie dazugehörten.
Es war gegen siebzehn Uhr, als ich heimkam.
„Na, wie war es heute? Harter Tag?“, fragte Elvira.
Ich nickte und wusste nicht, ob sie mich bemitleiden oder ohrfeigen würde.
Sie nahm mir Aktentasche und Jackett ab und ging ins Wohnzimmer vor, wo mich Thomas auf der Chaiselongue sitzend erwartete.
Ich hatte ganz vergessen, dass mein Schwager kommen wollte. Er beabsichtigte, sein gesamtes Gespartes zu investieren, einen mittleren fünfstelligen Betrag. Aktien, Optionen oder Neue Märkte, was jetzt halt so angeboten würde. Eine sichere Nummer. Schneller Gewinn für den Hausbau, für seine Familienplanung.
Er gierte nach den Tipps eines Profis, der seit dreißig tagtäglich weltweit Abermillionen bewegte, Geld vermehrte, Bescheid wusste. Dem er vertrauen konnte, der zur Familie gehörte.
„Hallo, Thomas.“
Er stand auf und reichte mir lächelnd die Hand. „N’Abend, Josef“, sagte er.
„Bleib sitzen“, sagte ich und schüttelte seine Hand. „Nein, bleib ruhig stehen, Tom. Bitte … entschuldige … ich …“
„Alles in Ordnung?“ Zuerst musterte er mich, dann Elvira, die im Türrahmen stehengeblieben war und sich die Hand vor dem Mund hielt.
Ich seufzte, löste meine Krawatte, legte sie ordentlich gefaltet auf den Couchtisch und stützte mich am Sessel ab. Zahlen, Kurven und Kurse schossen durch meinen Kopf. DAX, STOXX, Dow Jones, Nikkei.
„Tom, mein Lieber.“ Ich öffnete die beiden oberen Knöpfe meines Hemdes und presste für einen Moment die Lippen zusammen. “Tom, es ist besser, wenn du ... wenn du wieder gehst.“
„Ich habe dir Brote mit Schinken und Gürkchen gemacht“, sagte sie, reichte mir die Aktentasche und küsste mich auf die Wange. „Schönen Tag, Schatz.“
„Danke, dir auch“, antwortete ich lächelnd. Elvira hielt mir die Tür auf.
Draußen schaute ich zum Fenster, winkte meiner Frau zu und ging weiter Richtung Bushaltestelle. Als ich außer Sichtweite war, verharrte ich und atmete aus.
Der Kaffee in der SB-Bäckerei war heiß und bitter. Nicht so wohlschmeckend wie im Café, dafür aber günstig. Ich fuhr das Notebook hoch und nippte an der Tasse, während ich die üblichen Internetseiten durchforstete und mir Notizen machte.
Am Kiosk verlangte ich die Börsen-Zeitung, die Frankfurter und das Handelsblatt und steckte sie so in das Seitenfach der Aktentasche, dass die Titel herauslugten. Ich nahm den Bus, verspeiste die Brote und stieg am Hauptbahnhof aus.
Mehrmals schaute ich mich um, bevor ich das Pfandhaus betrat. Eintausendfünfhundert Euro gab mir der Mann hinter der Scheibe. Mehr wäre für die goldene Uhr meines Großvaters nicht drin. Zusammen mit dem Rest, den ich besaß, würde es für die nächsten zwei Raten bei der Bank reichen, und viele Erbstücke hatte ich nicht mehr.
Das südliche Westend erreichte ich zu Fuß. Ich blickte auf die Hochhäuser. Weiter hinten befand sich der Glaskasten. Näher als hierhin hatte ich es seitdem nicht mehr geschafft.
Auf einer freien Bank nahm ich Platz, studierte die Zeitungen und machte mir wieder Notizen. Drei Monate lag die Aktienblase nun zurück, bei der unsere Kunden ihr Geld verloren hatten. Keiner wollte auf mich hören. Ich, der die Zahlen richtig deutet, Anzeichen und Zusammenhänge erkennt, eins uns eins einfach nur zusammenzuzählen braucht.
Mit angefeuchteten Finger blätterte ich weiter durch die Seiten. Irgendwo zwischen den Zeilen würde ich es finden.
Der Eintopf in der Kantine des Bankhauses schmeckte mir nicht. Aber ich schnappte ein paar interessante Gesprächsfetzen an den Nebentischen auf. Unterhaltungen über Geld und ähnliches zu sanfter Musik aus den Lautsprechern und dem Geruch von Gemüse, Fett und verschwitzten Oberhemden.
Den Rest des Tages fuhr ich die Aufzüge rauf und runter, gesellte mich zu den Leuten in den Raucherbereichen vor den Gebäuden, hörte da zu, lauschte dorthin, hielt Augen und Ohren offen, saugte alles in mich auf, verarbeitete es, nahm an den Debatten der Anzugträger teil, indem ich zustimmend nickte oder bloß ein paar gescheite Worte an passenden Stellen beitrug, las die Ticker in den Foyers der Finanzinstitute und auf meinem Handy, führte Smalltalk mit Leuten, die irgendwie dazugehörten.
Es war gegen siebzehn Uhr, als ich heimkam.
„Na, wie war es heute? Harter Tag?“, fragte Elvira.
Ich nickte und wusste nicht, ob sie mich bemitleiden oder ohrfeigen würde.
Sie nahm mir Aktentasche und Jackett ab und ging ins Wohnzimmer vor, wo mich Thomas auf der Chaiselongue sitzend erwartete.
Ich hatte ganz vergessen, dass mein Schwager kommen wollte. Er beabsichtigte, sein gesamtes Gespartes zu investieren, einen mittleren fünfstelligen Betrag. Aktien, Optionen oder Neue Märkte, was jetzt halt so angeboten würde. Eine sichere Nummer. Schneller Gewinn für den Hausbau, für seine Familienplanung.
Er gierte nach den Tipps eines Profis, der seit dreißig tagtäglich weltweit Abermillionen bewegte, Geld vermehrte, Bescheid wusste. Dem er vertrauen konnte, der zur Familie gehörte.
„Hallo, Thomas.“
Er stand auf und reichte mir lächelnd die Hand. „N’Abend, Josef“, sagte er.
„Bleib sitzen“, sagte ich und schüttelte seine Hand. „Nein, bleib ruhig stehen, Tom. Bitte … entschuldige … ich …“
„Alles in Ordnung?“ Zuerst musterte er mich, dann Elvira, die im Türrahmen stehengeblieben war und sich die Hand vor dem Mund hielt.
Ich seufzte, löste meine Krawatte, legte sie ordentlich gefaltet auf den Couchtisch und stützte mich am Sessel ab. Zahlen, Kurven und Kurse schossen durch meinen Kopf. DAX, STOXX, Dow Jones, Nikkei.
„Tom, mein Lieber.“ Ich öffnete die beiden oberen Knöpfe meines Hemdes und presste für einen Moment die Lippen zusammen. “Tom, es ist besser, wenn du ... wenn du wieder gehst.“
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