Schiffbruch

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Pennywise77

Mitglied
Dein Blut mir aus dem Herz zu wringen,
mit leerem Blick und festem Griff
und dabei unser Lied zu singen,
ein letztes Mal auf unsrem Schiff,
ist zwischen Frust und stillem Weinen,
mein letzter Dienst und Schlussakkord,
dann leckt das Meer an meinen Beinen,
es entert uns und stürmt an Bord...

Umringt von Planken, Mast und Latten
wirft mich ein letzter Wellenschlag
ans Ufer, rein in unsre Schatten,
in denen fortan liegt mein Tag.
 

sufnus

Mitglied
Hey Penny!
Ich mag Deine rhythmisch ausgefeilten Gesänge eigentlich sehr - aber dieses Gedicht hat sprachlich irgendwie selbst ein bisschen Schiffbruch erlitten.
"Blut aus dem Herz wringen" ist schon ein Bild, das arg "drüber" ist.
Und den will ich sehen, der sich selbst das Herz auswringt und dabei einen leeren Blick hat und gleichzeit noch ein Lied singt und (immer noch gleichzeitig) still (!) weint.
Also wringen, singen und still sein und weinen - alles zusammen - das geht zu weit!
LG!
S.
 

James Blond

Mitglied
Ich meine nicht, dass dieser Schiffsbruch sprachlich zu weit ginge. Solch eine saftige, übertriebene Sprache hat ihre Reize und passt auch gut ins Genre der Seefahrt, wo die Dramatik traditionell gern zuhause ist. :) Sicherlich lösen solche Sprachwogen kaum Bestürzung aus, aber ein verschmitztes Lächeln ist ja auch nicht verkehrt. Mich stört vielmehr der Schluss:

wirft mich ein letzter Wellenschlag
ans Ufer, rein in unsre Schatten,


Hmm — Er wirft mich in unsere Schatten "rein"? Das tut mir weh und zwar sprachlich.

Grüße
JB
 

sufnus

Mitglied
Hey James,

Ich meine nicht, dass dieser Schiffsbruch sprachlich zu weit ginge. Solch eine saftige, übertriebene Sprache hat ihre Reize und passt auch gut ins Genre der Seefahrt, wo die Dramatik traditionell gern zuhause ist. :) Sicherlich lösen solche Sprachwogen kaum Bestürzung aus, aber ein verschmitztes Lächeln ist ja auch nicht verkehrt.
Wenn ich zu dem Ergebnis gekommen wäre, dass dieses Gedicht eine Verhohnepiepelung von dramatischen Seestücken sein soll, dann hätt ich die Sprache nicht so harsch kritisiert, sondern sogar eher angeregt, noch ein bisschen mehr auf die Drama-Tube zu drücken. Aber gerade der melancholische Schluss ist - unabhängig von der Formulierungsschwäche, auf die Du völlig zurecht hinweist, eigentlich unpassend für ein Klamaukgedicht.

Insofern hab ich den Text jetzt aufgrund der Schlusshaltung doch eher als etwas "ernster" zu nehmende, dramatische Szene gelesen. Wenn ich da falsch gelegen habe sollte, nehm ich die Kritik der exaltierten Sprache zurück und schieße mich auf den Schluss ein, der eben zu einem "lustischen" Gedicht wiederum nicht passt. ;)

… und hey Hansz ;)

nein, Sufnus, es ist nicht das eigene Blut des Lyris, sondern das Blut der geliebten Person, das der Schiffbrüchige (?) aus seinem Herzen rausquetschen will
Das der/die/das Lyrich nicht sein eigenes Blut aus dem Herz presst, sondern nur das der geliebten Person, hab ich schon kapiert und so sehr ich verstehe, dass das ein metaphorisches Schreiben ist, weckt dieses ziemlich ambitionierte Bild doch einen kleinen Spottteufel in mir - mithin: Da eine selektive Auspressung von Fremdblutbeimengungen aus dem Kreislauf schwer vorstellbar ist, dürfte es sich bei dem Schiffbruchanwärter um eine eher eigenblutleere Person handeln; zu vermuten wäre daher, dass es sich hier um einen versinkenden Vampir handelt.

LG!

S.
 

James Blond

Mitglied
Insofern hab ich den Text jetzt aufgrund der Schlusshaltung doch eher als etwas "ernster" zu nehmende, dramatische Szene gelesen. Wenn ich da falsch gelegen habe sollte, nehm ich die Kritik der exaltierten Sprache zurück und schieße mich auf den Schluss ein, der eben zu einem "lustischen" Gedicht wiederum nicht passt.
So erging es mir. Ich kenne den Autor als Liebhaber dunkler Texte, die häufig dem Horror- und Vampirmilieu entsprungen sind. Der Schiffbruch als dramatisches Bild einer schmerzhaften Trennung von einem herzblutspendenden Opfers passt dazu und auch die Vampirexistenz wird am Ende angedeutet:

Umringt von Planken, Mast und Latten
wirft mich ein letzter Wellenschlag
ans Ufer, rein in unsre Schatten,
in denen fortan liegt mein Tag.

Spätestens da horchen die Van Helsings auf: Eine Schattenexistenz nach akutem Herzblutverzicht, deutlicher geht's wohl nicht.
Vielleicht ließe sich der Schluss noch retten, etwa:

Umringt von Planken, Mast und Tauen
wirft mich ein letzter Wellenschlag
ans Ufer, in das alte Grauen,
anämisch bleibt fortan mein Tag.


Liebe Grüße
JB
 

Pennywise77

Mitglied
So, alle miteinander...
Erstmal vielen Dank fürs intensive Befassen mit diesem etwas experimentellen Text. In Teilen, kann ich die Kritik nachvollziehen. Was das Bild des Auswringen des Herzens angeht jedoch nicht. Es geht darum, jemanden mit aller Gewalt da heraus zu bekommen, weil er da drin nur Schaden anrichtet. Zwischen Frust und versteckten Tränen entscheidet sich das Lyrich, die schiffbrüchige Beziehung zu beenden. Die martialische Wortwahl ist absolut bewusst gewählt. Die ambivalenten Gefühle auch, denn zumindest ich kenne Liebeskummer so. Wut, Trauer... Die geben sich die Klinke in die Hand.
Da steckt natürlich ganz viel Metaphorisches drin und vielleicht ist dieses ältere Gedicht etwas zu persönlich, als dass es dafür sorgen kann, dass es jeden abholt.
Das Ende kann man rückwirkend betrachtet schöner machen. Das stimmt.

Jedenfalls danke für die offenen Worte. Da bin ich immer schon ein Freund von gewesen.

PS
Ich glaube, im Vampirmilieu war ich lyrisch noch nie unterwegs. Wäre aber mal ne Idee.
 

Stavanger

Mitglied
Heihei,

Also, ich freue mich immer schon, wenn ich mal etwas mit funktionierendem Versmaß entdecke, und damit stimmt hier alles.
"Martialische Wortwahl" - ja stimmt, aber das stört mich nicht besonders.

Wahrscheinlich lese ich's nicht öfter als drei Mal, aber mir gefällt's.

Schönen Gruß!
Uwe
 

sufnus

Mitglied
Hey!

Danke nochmal Penny für die Erläuterung, die ich so interpretiere, dass das Gedicht nicht "lustig" gemeint ist - eher sogar im Gegenteil eine ernste Verarbeitung einer gescheiterten Liebe darstellt.

Dass das Gedicht als ein Vehikel zur persönlichen Schmerzverarbeitung funktionieren kann, will ich dabei sehr gerne glauben und das ist ja ein wirklich völlig hinreichendes Argument dafür, ein Gedicht zu schreiben - die meisten Gedichte werden aus einer weit weniger "relevanten" Motivation heraus verfasst.

Da es in einem Forum mit Fokus auf Textarbeit aber natürlich um eine (im allerweitesten Sinne) objektivierbare Wirkung eines Textes geht, ist das persönliche Argument nicht so stichhaltig (so alles entscheidend es außerhalb des Foren-Kontextes sein mag).
Und in der "objektiven" Welt (also einer Welt, in der es möglich ist, sich über grundsätzliche Stärken und Schwächen eines Textes im Rahmen der Textarbeit zu verständigen) muss ich sagen, dass dieses Gedicht zwar als "lustiges" Gedicht mit einigen gravierenden Abstrichen "funktionieren" könnte, dass es aber als ernst gemeinte Auseinandersetzung mit dem Thema der unglücklichen Liebe wirklich gar nicht hinhaut (nochmal sei es betont: Das gilt nur außerhalb einer sozusagen solipsistischen Privat-Ebene).

Die Formulierungen sind ja nicht einfach nur martialisch (das ist vor allem das ausgewrungene Herz) sondern in der extremen Ballung von so viel Pathos einfach auf eine sehr schräge Weise "komisch" (im mehrfachen Wortsinn). Damit zerlegt sich das Gedicht selbst durch seine eigene Sprache und das dabei inhaltlich auch noch ein Schiffbruch besungen wird, macht diese sprachliche Selbstzerstörung in einem ernst gemeinten Kontext noch problematischer (während das in einem lustigen Kontext Teil der Pointe des Gedichts wäre).

Nichts für ungut. Ganz oben hab ich damit angefangen, Penny, dass ich Dein Gefühl für Rhythmus und Satzmelodie überaus schätze. Wenn ich jetzt also harsch kritisiere, dann ist das wirklich nur gegen dieses eine Gedicht gerichtet und keineswegs gegen den Autor. Ganz und gar nicht. :)

LG!

S.
 

James Blond

Mitglied
Liebe(r) Pennywise77,
es tut mir leid, dass ich dein Gedicht als absichtsvoll komisch eingeordnet habe, doch ändert dies ja nichts an seiner Wirkung, die sufnus hier bereits hinreichend beschrieben hat. Im Gegenteil: Als unfreiwillige Komik gewinnt es (für mich) sogar noch an Charme - von dem ursächlichen Desaster einer gescheiterten Beziehung einmal abgesehen.

Es kam vor Jahren in der Leselupe die Idee zu einem Friederike-Kempner-Preis (bekannt auch als der "Schlesische Schwan") auf, der den schönsten Gedichten unfreiwilliger Komik verliehen werden sollte. Allerdings ist die Unterscheidung von absichtsvoller und unfreiwilliger Komik (wie auch hier) nicht immer offensichtlich, was die Sache nicht einfacher macht. So hat man posthum auch dem Schlesischen Schwan eine ganze Anzahl von schrägen Werken angedichtet, die er (sie) nie verfasst hat.

Das mag sich jetzt vielleicht spöttisch anhören, aber ich erkenne (nicht nur) in diesem Gedicht dein starkes Talent zu stimmungsgeladenen Bildern.

Ich glaube, im Vampirmilieu war ich lyrisch noch nie unterwegs. Wäre aber mal ne Idee.
Da hat mir die Erinnerung wohl etwas hinzu gedichtet, was auf deiner Palette noch zu fehlen scheint. Ob uns der Fürst der Finsternis auf diesen Seiten einmal aufsuchen wird? Mich würde es freuen.

Grüße
JB
 



 
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