Schrottreif? (Beitrag zum Thema "Freundschaft")

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Ralph Ronneberger

Foren-Redakteur
Teammitglied
(Hallo ihr! Willis "Auto-Geschichte" hat mich animiert, hier einen Text rein zu setzen, der eigentlich nur als Übung gedacht war. Zeilenmäßig streng begrenzt, soltte man sich eine Mini-Geschichte zu einem Foto einfallen lassen, auf dem ein alter Golf zu sehen war, der mit einer geöffneten Tür verlassen am Straßenrand stand.)



Schrottreif?

"Halt, Yvonne! Lauf doch bitte nicht weg! Du kannst mich doch auf dieser gottverlassenen Landstraße nicht so allein zurück lassen!"
Sie hört mich nicht. Wie auch? Autos haben keine Stimme. Das qualvolle Aufheulen geschundener Motoren, das ängstliche Klappern brutal durchgeschüttelter Karosserien, das alamierende Quietschen der Reifen - nur wenige Menschen verstehen unsere Art, sich ihnen mitzuteilen. Du jedoch hast mich immer verstanden und stets gespürt, wenn ich an die Grenzen meiner Belastbarkeit geriet. Oft hatte dein Griff zum Lenkrad etwas von einem sanften Streicheln, das mich die beginnende Altersschwäche glatt vergessen ließ.

Doch eben warst du ganz anders. "Mistkarre!" hast du gerufen und meinem Kotflügel einen heftigen Tritt verpaßt. Oh, das tat weh. Ich habe dich noch nie so wütend gesehen. Lag dir wirklich soviel daran, pünktlich zu deiner Verabredung mit diesem hochnäsigen Jüngelchen zu kommen? Glaub mir, der ist nichts für dich. Wie abfällig der mich neulich angeschaut hat!
"Die olle Kiste ist doch längst schrottreif", hat er behauptet und dich zu einer Spritztour mit seinem nigelnagelneuen Cabrio-Verschnitt eingeladen. Seine Eltern haben ihm dieses teure Auto geschenkt - einfach so. Für dich reichte es damals nur zu einem Gebrauchten.
"Solange Du studierst, muß er aushalten", hat dein Vater gesagt. Und weil du mir sofort sympathisch warst, nahm ich mir fest vor, diese Erwartung auch zu erfüllen. Sag selbst, habe ich dich nicht immer sicher an dein Ziel gebracht?

Und jetzt dieser Tritt! Nur weil mal der Zündverteiler streikt. Eine Kleinigkeit und bestimmt rasch zu beheben. Aber du bist weggerannt. Hast dir wahrscheinlich ein Taxi genommen, nur um den Treff mit diesem feinen Bubi nicht zu verpassen. In deiner Eile hast du dir nicht einmal die Zeit genommen, alle Türen zu schließen. Nun saugt mir die Deckenbeleuchtung die letzte Energie aus der Batterie.

Aber vielleicht ist das ganz gut so. Wenn sie leer ist, spüre ich wenigstens nichts mehr. Ich werde das Bewußtsein bereits verloren haben, wenn ich zwischen den tödlichen Klauen der Schrottpresse mein Autoleben aushauchen muß.
Oh, Yvonne! Wie gern hätte ich dich noch als frisch gebackene Absolventin von der Uni nach Hause gebracht. Das war mein letzter großer Traum. Aber nun bleibt mir nur noch, dir vorzeitig Lebewohl zu sagen. Es war eine schöne Zeit mit dir, und den Tritt habe ich dir längst verziehen.

Doch halt! Was ist das? Da kommt ein gelbes Auto! Und es hält an. Ich werd' verrückt! Yvonne, ist es wahr? Du hast mich nicht vergessen? Da ist ja auch ein Monteur! Komm, Junge! Schau unter meine Motorhaube. Ja, genau dort liegt das Übel. Hast es sofort erkannt!
"Werden Sie ihn wieder hinkriegen?" Das ist Yvonnes Stimme.
"Na klar. Da hat sich nur ein Kabel gelöst. Kein Problem. Das haben wir gleich."
"Ein Glück, den Wagen brauche ich wohl noch sehr lange."
 

ex-mact

Mitglied
Moin,

dieser Text gefällt mir sehr gut - das Klischee, daß Freunde auch nach einem Streit für einen da sind, wird aus einer ungewöhnlichen Sichtweise nachvollziehbar dargestellt. Ganz persönlich stört mich die Personifizierung eines Autos, das ich nicht mit einem "positiven Ding" in Verbindung bringen kann - aber das hat nichts mit Text, Form oder Inhalt zu tun.

Drei Kleinigkeiten sind mir beim ersten Lesen aufgefallen:

> In deiner Eile hast du dir nicht einmal die Zeit genommen,
> um alle Türen zu schließen.

Das "um" würde ich streichen.

> Es war eine schöne Zeit mit dir, und ich verzeihe dir den
> Tritt

Ich schlage vor: "Den Tritt habe ich dir längst verziehen"

> Ein Glück. Ich brauche nämlich den Wagen. Ich brauche ihn
> noch lange

Ich schlage vor: "Ein Glück, den Wagen brauche ich wohl noch sehr lange".

"Ich brauche nämlich den Wagen" legt, finde ich, den Schwerpunkt zu sehr auf "ich", wichtig ist hier der Wagen. Und daß der "Bubi" Yvonne offensichtlich enttäuscht hat, kann man vielleicht mit einem "wohl noch" mit einem virtuellen Seufzer untermalen.
 
L

leonie

Gast
hallo ralpf

Diesmal komme ich zu spät, mact hat schon alles gesagt, und mehr kann ich nicht hinzufügen. eine schöne idee eine freundschaft zu beschreiben. diese schreibübung kenne ich auch. bei mir saß ein junge in dem Wagen, der in seiner fantasy mit dem Auto nach Australien geflogen ist.
ganz liebe grüße leonie
 
R

Rote Socke

Gast
Hi Ralph,

Du hattest die Schreibaufgabe nicht nur gut umgesetzt, nein, Du hattest auch mit diesem Text mein Mechanikerherz höher schlagen lassen.

@mact
sag nie mehr, dass Dich die Personifizierung eines Autos stört. (Waren die Erfahrungen so schlecht?)
Du glaubst gar nicht wie sehr man ein Auto oder einen Motor personifizieren kann. Ich kann das wunderbar und ich leide sehr wenn andere oft ihre "Kiste" höllisch quälen. :(

Gruss
RS
 
Hallo Ralph,
eine rührende kleine Geschichte, fabelhaft erzählt.
Mit wenigen Sätzen weckst du das Interesse an diesem liebenswerten Töff-Töff.
Die Monteurkosten hättest du allerdings sparen können; unser Freund Rote Socke hätte die Reparatur kostenlos ausgeführt.
Einen Fehler hat die Geschichte dennoch: Man kann kaum etwas daran verbessern. Ist einfach zu gut.

Lieb grüßt dich
Willi
 
R

Rote Socke

Gast
Willi,

unsere Antworten hatte sich gerade überschnitten.

Jaaaaaaaaaa, ich hätte alles kostenlos gemacht. :)
 
E

ElsaLaska

Gast
lieber ralph,

dein beitrag hat mich an einen schulaufsatz von mir erinnert, ich hatte den mal in der vierten klasse geschrieben, ein auto, allerdings bereits auf dem schrottplatz, allein und verlassen:) erinnert sich und hat angst:) vor der presse...
damit wollte ich aber nicht ausdrücken, dass dies hier wie ein schulaufsatz klingt, sondern dass mir deine geschichte aus diesem persönlichen grund sehr gefallen hat.

sie ist ein bisschen sentimental, aber das ist das schöne daran.

als ich noch studiert habe, habe ich übrigens einen alten skoda gefahren, nicht irgendeinen, ein COUPE! immer wenn es regnete, ist der blinker ausgefallen:)
und für irgendwelche jüngelchen hätte ich den nie und nimmer stehen lassen! insofern hat mir das ende deiner geschichte richtig spass gemacht....

entschuldige bitte die etwas persönliche "kritik", obwohl wir ja in der schreibwerkstatt sind, aber an sprachlichen ungereimtheiten haben die vorredner bereits gearbeitet:)

entschuldigt sich heute lieb grüssend
elsa
 

Fredy Daxboeck

Mitglied
*grinst . . . nicht gefummelt aber gut erzählt . . . :D

hallo ralph

eine nette kleine story, hmm. den vorschlägen von mact kann ich mich hier nur anschließen.

lass vielleicht noch das "leider" ziemlich am anfang weg. und tune das nagelneue cabrio mit einem "nigelnagelneuen cabrioverschnitt" – oh, noch ein kleiner fehler : "letzter große Traum" – hast ein "r" vergessen . . . ;)

deine story klingt auch für mich wie ein schulaufsatz . . . *zieht wieder den kopf ein . . . aber doch sehr gelungen

viele liebe grüße

fredy
________________
also ich würde für elsa JEDEN wagen stehen lassen . . . und für susan . . . :D
 

ex-mact

Mitglied
Moin, Rote Socke,

da ich auf dem platten Land lebe, bin ich leider darauf angewiesen, genau wie meine Frau ein Auto zu haben. Nichts desto trotz...

> sag nie mehr, dass Dich die Personifizierung eines Autos
> stört.

... werde ich weiterhin wahrheitsgemäß sagen, daß mich die Personifizierung dieses Umweltkillers, Menschentöters, Schlafraubers (in der 70-Zone vor meinem Fenster fahren die Volltrottel bis zu 180km/h) und Energieverschwenders stört.
 
R

Rote Socke

Gast
Ich versteh ich versteh, mact!

Hast halt kein Benzin im Blut wie ich! ;)
 

Ralph Ronneberger

Foren-Redakteur
Teammitglied
Oh Mann hier geht ja die Post ab bzw. gehen die Posts ab! Das muß ne Expreßwerkstatt sein! Erst mal vielen Dank euch allen für das Interesse an diesem Geschicht'chen und vor allem für die zahlreichen Tips.

@ mact: Die drei "Kleinigkeiten" kann, muß, darf ich akzeptieren. Vor allem dein letzter Vorschlag gefällt mir. Mit dem "längst" verziehen habe ich schon eher ein Problem, denn so lange ist es ja noch nicht her, daß das Auto den Tritt bekam. Geändert wird trotzdem.

@ leonie: Danke für deine Anmerkung. Und deine Version dieser Bildbeschreibung würde mich auch mal interessieren. Es ist schon spannend, zu sehen, wie unterschiedlich mehrere Leute das gleiche Thema umsetzen.

@ Rote Socke: Mir liegt natürlich viel an einem hoch schlagenden Mechanikerherzen. Mal sehen, vielleicht veröffentliche ich mal ne besonders spannende Stelle aus dem Trabbi-Reparaturhandbuch von anno 1962. Echt aufregend. Und Du bekommst dann die Aufgabe, einen Kurzkrimi zu schreiben. Vielleicht mit dem Titel: Die Jagt nach der Kraftstoffpumpe" oder so. Natürlich mit personifizierten Autos als Protagonisten. :))

@ Willi: Als ich deine Lobesworte las, begann sich in meinem Arbeitszimmer plötzlich ein tiefrotes Licht auszubreiten. Es hat einen Moment gedauert, bis ich geschnallt hatte, daß es meine eigne Birne war, die da zu glühen begann.

@ Elsa: Ein Skoda C O U P É ! Ich faß es nicht! Wie mondän!!
Ich war damals überglücklich über meinen Kugelporsche (schlappe 14 Jahre alt - also fast neu) Und welch einem Rausch verfiel ich, wenn der Motor im Zweiertakt dröhnte und mich mit der geballten Leistung seiner 19 PS innerhalb von eineinhalb Minuten auf die schwindelerregende Geschwindigkeit von 83km/h katapultierte. Ach Gott, jetzt werde ich nostalgisch sentimental - und Schuld ist deine Schwärmei aus luxeriöser Studienzeit.

@ Fredy: Ein gelungener Schulaufsatz - wenn das mein Deutschlehrer wüßte! :))
Bei uns gab es damals eigentlich nie solche Themen. Ich hab da also nur was nachgeholt. Ich kann mich nur erinnern, daß jedes Jahr das blöde "schönste Ferienerlebnis" dran war. Und ich hatte nie was erlebt. :-(
Übrigens: Das Cabrio wurde umgefummelt äh -getunt. Das fand ich nämlich originell. Ob ich das "leider" wirklich weglassen kann? Oder ist mit Protesten der Roten Socke zu rechnen. Ach was - ich riskiers.


So, nun steht die Mini-Schulaufsatz-Geschichte in veränderter Form da. Geschafft! Ihr braucht es nicht zu lesen. Ihr wißt ja eh, was verändert wurde. Schmeißen wir uns lieber auf andere Geschichten. Mal sehen, was es da eventuell zu reparieren gibt. Also ehrlich. Die Werkstatt gefällt mir. So nette Monteure und Monteusen! Bescheidene Frage: Habt ihr vielleicht noch ne Lehrstelle für mich frei?

Gruß Ralph
 
E

ElsaLaska

Gast
ralph, ich lege aber noch wert darauf,

dass ich explizit geschrieben hatte, er erinnerte mich an einen eigenen schulaufsatz. nicht dass der text wirken würde, als sei er einer! das ist ein unterschied....
liebe grüsse
elsa
 

Fredy Daxboeck

Mitglied
*ist jetzt ziemlich zerknirscht . . . ich wollte dich nicht zitieren und dir nichts unterstellen . . . *

hallo liebe elsa

ich hab´ das mit dem aufsatz eher an gladiators meinung zu einem thread von rs angelehnt . . . tiefe verbeugung und bitte um verzeihung wenn ich deinen kommentar in ein falsches licht gerückt habe . . . :( . . . war nicht beabsichtigt und wohl fehl am platz

hallo mein freund ralph

lehrstelle . . . ich dachte du wärst einer der meister hier?
das mit dem schulaufsatz war nicht abwertend gemeint . . . ich hab´ früher im reitstall so ganz nebenbei für die kids schulaufsätze durchgesehen (sie kamen oft nach der schule um zu reiten und helfen und haben dann ihre aufgaben hier gemacht) und so manche dinge gelesen die besser waren als vieles das ich heute lese. es ist bloß: ich denke du wirst in der schule in so ein verd. . . . korsett gezwängt, das du erst mal abschütteln musst.
hast du dies geschafft und deinen eigenen stil entwickelt . . . kannst du auch schreiben . . . und zwar alles . . . ;)

viele grüße euch beiden

fredy
_____________________
es freut mich wenn ich manchmal ernst genommen werde . . .
aber viel zu oft sehe ich die dinge auch aus der falschen perspektive . . .
und stehe dahinter . . .
bis mir jemand die brille reicht . . . :cool:
 

Danni

Mitglied
Hallo Ralph...

Vielleicht komme ich ja ein bißchen Spät mit meiner Anmerkung, aber ich muss dir unbedingt noch ein dickes Lob aussprechen! Ich fand deine Geschichte einfach klasse. Vor allem die Perspektive (aus der Sicht des Autos) hat mir unheimlich gut gefallen. Da kann ich nur noch sagen:" Kompliment, einfach gut. Weiter so!"

liebe grüße,
Danni
 

gladiator

Mitglied
Bis vor einem Jahr...

...fuhr ich einen Peugeot 205 XRD. Mit dem Auto war ich in der Toskana, in der Provence, an der Nordsee, auf diversen Festivals. Keine einzige Panne. Zehn Jahre lang. Dann wurde er altersschwach, und ich habe ihn entsorgt.

Jetzt fahre ich einen drei Jahre alten Peugeot 306. Zwei Wochen nach dem Kauf war der Schalter für den Kühlerventilator kaputt, geplatzter Kühlerschlauch, Abschleppen auf der Autobahn. Sechs Wochen nach Kauf übersah ein anderer rechts vor links. Neue Motorhaube, neuer Kühler, neuer Lack. Vor ein paar Tagen fährt mir auf dem Parkplatz ein Belgier den linken Blinker kaputt und eine Beule in den Kotflügel.

Ich glaube inzwischen an folgende Dinge:

1. Autos haben eine Seele.

2. Sie spüren jeden Tritt und hören jedes Schimpfwort.

3. Sie können andere Autos mit einem Fluch belegen.

Daraus folgt: SEID NETT ZU EUREN AUTOS! :D

Zur Geschichte: Originell geschrieben, nur das Ende hat mir nicht gefallen. Ich fand es ein bißchen platt. Vielleicht hättest Du noch ein bißchen ausführen können, daß die Frau eigentlich auch an ihrer Karre hängt. Oder ist es eine unerwiderte Liebe seitens des Autos? Dann finde ich das Ende umso unpassender.

Gruß
Gladiator
 



 
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