anbas
Mitglied
Hallo, Ihr Lieben,
den unten stehenden Text möchte ich für eine Veranstaltung einreichen, die bei mir im Stadtteil inzwischen schon fast Kultcharakter hat: Das MaiRauschen ( http://www.mairauschen.de/ ). Hierfür werden zu einem bestimmten Thema Texte eingereicht, die in einer Anthologie zusammengefasst werden. In der Regel acht bis neun der sich beteiliegenden Autoren tragen ihre Werke auch vor.
Das Motto des diesjährigen MaiRauschens lautet "Elfen im Weltall". Ich habe die Veranstalter bereits gefragt, unter welchem Drogeneinfluss sie standen, als sie dieses Thema auswählten. "Wir nehmen keine Drogen", hieß es. Nun ja ...
Ich habe meinen Text auch drogenfrei geschrieben - wobei auch das angezweifelt werden könnte ...
Ich wäre Euch dankbar, wenn Ihr bezüglich
- Rechtschreibung
- Kommata aber auch
- des Gesamteindrucks und stilistischer Feinheiten über den Text geht
- außerdem bin ich mit dem Titel noch nicht so ganz glücklich und daher für Vorschläge offen
Da ich die Geschichte massivst kürzen musste, um die vorgegebene Anzahl der Zeichen nicht zu überschreiten, bin ich mir nun unsicher, ob das dem Text geschadet hat - es fehlt der Abstand. Ihr wißt nicht, wie der Text vorher aussah, und lest ihn daher mit anderen Augen. Wenn er für in seiner Gesamtheit OK ist, kann ich aufatmen. Weiter ausführen kann ich kaum etwas, da ich aktuell gerade mal um etwa 130 Zeichen (inkl. Leerzeichen) unter der Obergrenze liege...
So, und nun zum Text:
--------------------------------------------------
Exodus
Das Weltall. Unendliche Weiten. Wir schreiben das Jahr 2017. Dies ist die Geschichte der Lüjonen, einem Flug-Elfenstamm aus der Nähe von Lüneburg, der auf der Suche nach einer neuen Heimat immer weiter in die Tiefen des Universums vordringt und sicherlich noch viele Abenteuer erleben wird.
Alles begann Mitte der neunzehnhundertachtziger Jahre, als man um Lüneburg herum eine Ortsumgehung baute, die direkt durch das Gebiet der Lüjonen führte. Die Lüjonen sind winzig kleine und sehr anpassungsfähige Elfen. Doch seit es diese Ortsumgehung gab, waren sie nicht mehr zur Ruhe gekommen. Der Autolärm und die große Konzentration an Abgasen ließ immer mehr Mitglieder des Stammes erkranken. Viele litten an Allergien und schlimmsten Migräne-Attacken. Als dann auch noch die Zahl der Fälle von Krasomanie zunahm, einer chronischen Austrocknung der Flügel, die zu einer völligen Flugunfähigkeit führen konnte, musste etwas unternommen werden.
Nach langem Zögern berief Gerlowein, der betagte Häuptling des Stammes, den obersten Elfen-Rat ein. Dies war seit Generationen nicht mehr nötig gewesen, doch Gerlowein sah keine andere Möglichkeit mehr.
Der oberste Elfen-Rat setzte sich aus den wichtigsten elf Elfen des Stammes zusammen. Hier war Gerlowein einer unter gleichen. Er hatte kein besonderes Stimmrecht. Die Geschicke des Stammes lagen nun nicht mehr in seiner Hand, sondern in der des gesamten Rates. Ein Beschluss musste nicht nur einstimmig beschlossen sondern auch einstimmig verkündet werden. Erst wenn dies geschehen war, durfte er umgesetzt werden.
Eines der Ratsmitglieder hieß Bosskarak. Er war der älteste Elf im Stamm und wurde wegen seiner großen Weisheit sehr verehrt. Doch auch an Elfen geht der Alterungsprozess nicht spurlos vorüber. So kam es vor, dass er während der Besprechungen einschlief oder mitten im Satz vergaß, was er eigentlich sagen wollte. Immer wieder musste man ihn wecken und über den aktuellen Stand der Diskussion informieren. Das erschwerte die einstimmige Beschlussfassung erheblich. Nachdem man zwei Monate später endlich einen Beschluss gefasst hatte, tauchte das nächste, noch größere Problem auf: Die einstimmige Verkündung des Beschlusses. Immer wieder vergaß Bosskarak den Wortlaut, versprach sich oder redete langsamer als die anderen. Einige Male schlief er sogar während des Redens ein.
Alle Maßnahmen, diesem Problem Herr zu werden, scheiterten. Man bemühte Coachs, Rhythmustrainer und Dirigenten. Selitara, die große Heilerin des Stammes, verabreichte Bosskarak konzentrationsfördernde Mittel. Und der Astrologe Paskinajus ermittelte immer wieder neue Zeitpunkte, an denen die Sternenkonstellation besonders günstig für die Beschlussverkündung war. Doch nichts half. Schließlich einigte man sich darauf, den Wortlaut des Beschlusses auf das absolute Minimum zu verringern. Die weiteren Erläuterungen sollte dann Gerlowein vortragen. Sjöveriet, ein zugereister Juristenelf, der ebenfalls dem obersten Elfen-Rat angehörte, war an dieser spitzfindigen Lösung maßgeblich beteiligt gewesen.
So kam es dann endlich dazu, dass der oberste Elfen-Rat vor den Stamm treten und die Entscheidung verkünden konnte. Diese lautete: Wir wandern aus!
Dann kam Gerloweins große Stunde, der nun den Beschluss weiter ausführen sollte.
"Liebe Elfen", rief er. "Mit Sorge sehen wir die Entwicklung auf diesem Planeten. Überall zerstört der Mensch Regionen, die unsere Heimat sein könnten. Es gibt nicht mehr viele Orte, an denen man uns Naturgeistern mit Respekt begegnet, doch auch diese werden immer weniger. Daher haben wir uns dazu entschlossen, als erster Elfenstamm die Erde zu verlassen und in ein anderes Sonnensystem auszuwandern."
Jene Elfen, die nicht gerade allzu sehr unter ihrer Migräne, einer Allergie oder der Krasomanie litten, bejubelten den Beschluss. Sofort machte man sich daran, Arbeitsgruppen zu bilden. Jede Arbeitsgruppe wurde von einem eigenen Elfen-Rat geleitet. Auch hier mussten die Beschlüsse natürlich – ganz nach altem Brauch – einstimmig erfolgen und verkündet werden. Dieser Umstand verzögerte die weitere Umsetzung des Planes erheblich.
Grundsätzlich spielt bei Elfen die Zeit keine so große Rolle, da sie mehrere hundert Jahre alt werden können. Doch in diesem speziellen Fall wurde der "Faktor Zeit" ein gefährlicher Gegner. Denn je länger sich die Umsetzung des Auswanderungsbeschlusses hinzog, umso größer wurde die Zahl der schwer erkrankten und arbeitsunfähigen Elfen. Man hatte inzwischen sogar eine eigene Arbeitsgruppe gegründet, um einen Weg zu finden, wie man die flugunfähigen Stammesmitglieder in die neue Heimat transportieren könnte. Die Reise an sich war kein Problem, da die Lüjonen zu jenen Elfenvölkern gehörten, die auch ohne Atemluft im Weltall überleben konnten. Man musste lediglich noch Flugtechniken entwickeln, um besser mit der Schwerelosigkeit zurechtzukommen – doch dafür hatte sich schon längst eine Arbeitsgruppe gebildet.
Der Unmut über den langsamen Verlauf der ganzen Angelegenheit nahm aber immer weiter zu, so dass man sich dafür entschied, einen externen Projekt-Leiter hinzuzuziehen. Die Wahl fiel auf den großen Schrumb. Er gehörte einer relativ neuen und noch nicht überall anerkannten Gattung von Naturwesen an – den Gartenzwergen. Schrumb übernahm den Auftrag gerne. Allerdings verlangte er, dass die Elfen ihm gestatteten, sie in ihre neue Heimat begleiten zu dürfen. Er selber war es nämlich leid, sein Dasein als Gartendekoration zu fristen, fühlte er sich doch zu weit Höherem berufen. Nachdem der oberste Elfen-Rat lange getagt hatte, akzeptierte man seine Bedingung, und rief umgehend eine neue Arbeitsgruppe ins Leben, die den Transport von Schrumb organisieren sollte.
Sogleich machte sich dieser mit großem Eifer ans Werk. Zunächst verschaffte er sich einen Überblick, in dem er alle Arbeitsgruppen besuchte, die sich bis dahin gebildet hatten – es waren insgesamt 93. Einige von ihnen konnte er sofort auflösen, wie zum Beispiel die "Arbeitsgruppe zur Koordination der Arbeitsgruppen". Diese Aufgabe übernahm er ab sofort selber. Die Arbeitsgruppen "Spiel und Gesang während der Reise", "Literatur und Theater unterwegs" sowie "Künstlerische Umsetzung der Reiseimpressionen" fasste er zu einer "Arbeitsgruppe Kultur" zusammen. Erstaunlicherweise war es auch möglich, die Arbeitsgruppe "Verpflegung" aufzulösen, da es den Elfen-Wissenschaftlern zwischenzeitlich gelungen war, eine Methode zu entwickeln, wie selbst das geringste Licht der entferntesten Sonnen und Sterne in reichhaltige Elfennahrung umgewandelt werden konnte. Bei anderen Arbeitsgruppen erwies es sich als notwendig, sie wieder auf das eigentliche Ziel einzunorden. So hatte man in der Arbeitsgruppe "Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit" den leitenden Elfen-Rat nahezu entmachtet und die letzten sechs Monate mit ausufernden Debatten darüber verbracht, ob man sich um einen gewissen privaten Fernsehsender, der für seine Dokumentationen über Auswanderer bekannt war, als Kooperationspartner bemühen sollte.
Die Verringerung der Arbeitsgruppen machte sich schnell bemerkbar, da nun wesentlich mehr Elfen für die eigentliche Arbeit zur Verfügung standen. Nach einigen Wochen beschloss Schrumb, dass es nun an der Zeit wäre, die größte und wichtigste Veränderung auf den Weg zu bringen. Hierzu rief er alle noch bestehenden Elfen-Räte zusammen – es waren inzwischen nur noch elf.
"Hochverehrte Elfen-Räte", setzte er mit feierlicher Stimme an, "in den letzten Wochen konnten wir schon große Fortschritte erzielen. Doch immer noch dauert es viel zu lange, bis die Entschlüsse der einzelnen Räte in die Tat umgesetzt werden können.
Wie ihr alle wisst, achte ich Eure Traditionen. Und ich bin voller Bewunderung für den Einsatz, den ihr bei der Umsetzung dieses großen Planes an den Tag legt. In Anbetracht dessen, dass ihr in eine neue Welt aufbrechen wollt, in der euch viel Neues erwartet, empfehle ich, einige eurer Gebräuche kritisch zu hinterfragen, um flexibler auf diese Anforderungen reagieren zu können. Diese Entwicklung braucht Zeit, und Vieles von dem kann während unserer langen Reise weiter bedacht und umgesetzt werden. Doch ich empfehle dringend, schon jetzt im Sinne des Projektes mit einer Veränderung zu beginnen.
Aufgrund meiner Beobachtungen aus den letzten Wochen schlage ich vor, die einstimmige Beschlussverkündung abzuschaffen und stattdessen Sprecher einzusetzen, welche die gefassten Beschlüsse in Zukunft verkünden sollen.
Überlegt meine Worte gut, besprecht Euch ausführlich – aber bitte gründet keine neue Arbeitsgruppe zu dieser Frage."
Nachdem Schrumb zu Ende gesprochen hatte, war es zunächst absolut still. Viele der Elfen-Rats-Mitglieder waren geschockt. Auf solch radikale Veränderungsvorschläge waren sie nicht vorbereitet gewesen. Es war Gerlowein, der seine Worte als erster wiederfand.
"Oh, erhabener Schrumb", begann er würdevoll, "deine Worte müssen in der Tat überdacht werden. Der oberste Elfen-Rat wird hierüber beraten. Wir werden uns sofort zurückziehen und dir dann unsere Entscheidung mitteilen."
Nachdem Gerlowein dies gesagt hatte, zog er sich mit dem obersten Elfen-Rat zurück. Und bereits nach zwei Wochen war man zu einem Ergebnis gekommen. Wieder versammelten sich alle Elfen-Räte gemeinsam mit Schrumb, um zu hören, was der Rat beschlossen hatte.
"Habt ihr meinen Vorschlag überdacht und eine Entscheidung getroffen?" fragte Schrumb.
"Ja, das haben wir, erhabener Schrumb!" antwortete der oberste Elfen-Rat einstimmig.
Schrumb atmete tief durch und verdrehte leicht die Augen, fand aber schnell seine Contenance wieder. Dann sah er, wie der alte Bosskarak hervortrat und alleine weitersprach.
"Erhabener Schrumb", begann er bedächtig, stockte und schaute dann auf den Stichwortzettel, den er in der Hand hielt. "Besonders uns Alten fällt es schwer, Traditionen aufzugeben und uns auf Neues einzulassen. Doch deine Worte haben uns überzeugt. Wir stehen vor großen Veränderungen, die auch Veränderungen von uns verlangen. Wir stimmen daher deinem Vorschlag zu, bestehen aber auf eine Arbeitsgruppe, deren Aufgabe es sein wird, diese Entwicklung zu überwachen und zu begleiten."
"Nun, dann soll es so sein", antwortete Schrumb, der gerade noch verhindern konnte, laut aufzustöhnen, als das Wort "Arbeitsgruppe" fiel.
Die Entscheidung des obersten Elfen-Rates traf überwiegend auf ein positives Echo. Doch es gab auch einige besonders konservative Elfen-Räte, die zunächst darauf bestanden, dass sie ihrem Sprecher einstimmig mitteilten, was dieser zu verkünden hätte. Aber Schrumb sorgte sehr schnell dafür, dass die Sprecher als Mitglied ohne Stimmberechtigung in die Elfen-Räte aufgenommen wurden und somit über alle Beschlüsse von Anfang an informiert waren.
So setzte sich letztendlich auch dieser Vorschlag des großen Schrumbs durch. Hinzu kam, dass er mit einer Lösung für den Transport der flugunfähigen Elfen aufwarten konnte: Schrumb besaß eine Schubkarre. Außerdem war er, so wie viele Gartenzwerge, von innen hohl. Er hatte berechnet, dass in seinem Inneren und auf der Schubkarre genügend Platz für alle erkrankten Elfen war. Um ihn selber aus der Atmosphäre hinauszubringen, wurden dann allerdings sämtliche übrigen Mitglieder des Stammes benötigt. Später im Weltall reichte dann eine kleine Gruppe aus, die ihn in Richtung der neuen Heimat zog.
Nun dauerte es nur noch wenige Monate, bis alle Vorbereitungen abgeschlossen waren. Am 01.04.2017 machte sich das Elfenvolk der Lüjonen auf den Weg. Man hatte sich ein Planetensystem am äußersten Rand der Milchstraße ausgesucht (es ist das elfte von links). Erfreulicherweise verlief die Reise bis zum heutigen Tag planmäßig und ohne besondere Zwischenfälle.
Und sollten Sie, liebe Leser, in der nächsten Zeit Berichte hören, wonach man einen Gartenzwerg entdeckt hätte, der durch den Weltraum schwebt, so wissen Sie nun, dass er sich in Begleitung von Elfen auf dem Weg in eine bessere Zukunft befindet.
den unten stehenden Text möchte ich für eine Veranstaltung einreichen, die bei mir im Stadtteil inzwischen schon fast Kultcharakter hat: Das MaiRauschen ( http://www.mairauschen.de/ ). Hierfür werden zu einem bestimmten Thema Texte eingereicht, die in einer Anthologie zusammengefasst werden. In der Regel acht bis neun der sich beteiliegenden Autoren tragen ihre Werke auch vor.
Das Motto des diesjährigen MaiRauschens lautet "Elfen im Weltall". Ich habe die Veranstalter bereits gefragt, unter welchem Drogeneinfluss sie standen, als sie dieses Thema auswählten. "Wir nehmen keine Drogen", hieß es. Nun ja ...
Ich habe meinen Text auch drogenfrei geschrieben - wobei auch das angezweifelt werden könnte ...
Ich wäre Euch dankbar, wenn Ihr bezüglich
- Rechtschreibung
- Kommata aber auch
- des Gesamteindrucks und stilistischer Feinheiten über den Text geht
- außerdem bin ich mit dem Titel noch nicht so ganz glücklich und daher für Vorschläge offen
Da ich die Geschichte massivst kürzen musste, um die vorgegebene Anzahl der Zeichen nicht zu überschreiten, bin ich mir nun unsicher, ob das dem Text geschadet hat - es fehlt der Abstand. Ihr wißt nicht, wie der Text vorher aussah, und lest ihn daher mit anderen Augen. Wenn er für in seiner Gesamtheit OK ist, kann ich aufatmen. Weiter ausführen kann ich kaum etwas, da ich aktuell gerade mal um etwa 130 Zeichen (inkl. Leerzeichen) unter der Obergrenze liege...
So, und nun zum Text:
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Exodus
Das Weltall. Unendliche Weiten. Wir schreiben das Jahr 2017. Dies ist die Geschichte der Lüjonen, einem Flug-Elfenstamm aus der Nähe von Lüneburg, der auf der Suche nach einer neuen Heimat immer weiter in die Tiefen des Universums vordringt und sicherlich noch viele Abenteuer erleben wird.
Alles begann Mitte der neunzehnhundertachtziger Jahre, als man um Lüneburg herum eine Ortsumgehung baute, die direkt durch das Gebiet der Lüjonen führte. Die Lüjonen sind winzig kleine und sehr anpassungsfähige Elfen. Doch seit es diese Ortsumgehung gab, waren sie nicht mehr zur Ruhe gekommen. Der Autolärm und die große Konzentration an Abgasen ließ immer mehr Mitglieder des Stammes erkranken. Viele litten an Allergien und schlimmsten Migräne-Attacken. Als dann auch noch die Zahl der Fälle von Krasomanie zunahm, einer chronischen Austrocknung der Flügel, die zu einer völligen Flugunfähigkeit führen konnte, musste etwas unternommen werden.
Nach langem Zögern berief Gerlowein, der betagte Häuptling des Stammes, den obersten Elfen-Rat ein. Dies war seit Generationen nicht mehr nötig gewesen, doch Gerlowein sah keine andere Möglichkeit mehr.
Der oberste Elfen-Rat setzte sich aus den wichtigsten elf Elfen des Stammes zusammen. Hier war Gerlowein einer unter gleichen. Er hatte kein besonderes Stimmrecht. Die Geschicke des Stammes lagen nun nicht mehr in seiner Hand, sondern in der des gesamten Rates. Ein Beschluss musste nicht nur einstimmig beschlossen sondern auch einstimmig verkündet werden. Erst wenn dies geschehen war, durfte er umgesetzt werden.
Eines der Ratsmitglieder hieß Bosskarak. Er war der älteste Elf im Stamm und wurde wegen seiner großen Weisheit sehr verehrt. Doch auch an Elfen geht der Alterungsprozess nicht spurlos vorüber. So kam es vor, dass er während der Besprechungen einschlief oder mitten im Satz vergaß, was er eigentlich sagen wollte. Immer wieder musste man ihn wecken und über den aktuellen Stand der Diskussion informieren. Das erschwerte die einstimmige Beschlussfassung erheblich. Nachdem man zwei Monate später endlich einen Beschluss gefasst hatte, tauchte das nächste, noch größere Problem auf: Die einstimmige Verkündung des Beschlusses. Immer wieder vergaß Bosskarak den Wortlaut, versprach sich oder redete langsamer als die anderen. Einige Male schlief er sogar während des Redens ein.
Alle Maßnahmen, diesem Problem Herr zu werden, scheiterten. Man bemühte Coachs, Rhythmustrainer und Dirigenten. Selitara, die große Heilerin des Stammes, verabreichte Bosskarak konzentrationsfördernde Mittel. Und der Astrologe Paskinajus ermittelte immer wieder neue Zeitpunkte, an denen die Sternenkonstellation besonders günstig für die Beschlussverkündung war. Doch nichts half. Schließlich einigte man sich darauf, den Wortlaut des Beschlusses auf das absolute Minimum zu verringern. Die weiteren Erläuterungen sollte dann Gerlowein vortragen. Sjöveriet, ein zugereister Juristenelf, der ebenfalls dem obersten Elfen-Rat angehörte, war an dieser spitzfindigen Lösung maßgeblich beteiligt gewesen.
So kam es dann endlich dazu, dass der oberste Elfen-Rat vor den Stamm treten und die Entscheidung verkünden konnte. Diese lautete: Wir wandern aus!
Dann kam Gerloweins große Stunde, der nun den Beschluss weiter ausführen sollte.
"Liebe Elfen", rief er. "Mit Sorge sehen wir die Entwicklung auf diesem Planeten. Überall zerstört der Mensch Regionen, die unsere Heimat sein könnten. Es gibt nicht mehr viele Orte, an denen man uns Naturgeistern mit Respekt begegnet, doch auch diese werden immer weniger. Daher haben wir uns dazu entschlossen, als erster Elfenstamm die Erde zu verlassen und in ein anderes Sonnensystem auszuwandern."
Jene Elfen, die nicht gerade allzu sehr unter ihrer Migräne, einer Allergie oder der Krasomanie litten, bejubelten den Beschluss. Sofort machte man sich daran, Arbeitsgruppen zu bilden. Jede Arbeitsgruppe wurde von einem eigenen Elfen-Rat geleitet. Auch hier mussten die Beschlüsse natürlich – ganz nach altem Brauch – einstimmig erfolgen und verkündet werden. Dieser Umstand verzögerte die weitere Umsetzung des Planes erheblich.
Grundsätzlich spielt bei Elfen die Zeit keine so große Rolle, da sie mehrere hundert Jahre alt werden können. Doch in diesem speziellen Fall wurde der "Faktor Zeit" ein gefährlicher Gegner. Denn je länger sich die Umsetzung des Auswanderungsbeschlusses hinzog, umso größer wurde die Zahl der schwer erkrankten und arbeitsunfähigen Elfen. Man hatte inzwischen sogar eine eigene Arbeitsgruppe gegründet, um einen Weg zu finden, wie man die flugunfähigen Stammesmitglieder in die neue Heimat transportieren könnte. Die Reise an sich war kein Problem, da die Lüjonen zu jenen Elfenvölkern gehörten, die auch ohne Atemluft im Weltall überleben konnten. Man musste lediglich noch Flugtechniken entwickeln, um besser mit der Schwerelosigkeit zurechtzukommen – doch dafür hatte sich schon längst eine Arbeitsgruppe gebildet.
Der Unmut über den langsamen Verlauf der ganzen Angelegenheit nahm aber immer weiter zu, so dass man sich dafür entschied, einen externen Projekt-Leiter hinzuzuziehen. Die Wahl fiel auf den großen Schrumb. Er gehörte einer relativ neuen und noch nicht überall anerkannten Gattung von Naturwesen an – den Gartenzwergen. Schrumb übernahm den Auftrag gerne. Allerdings verlangte er, dass die Elfen ihm gestatteten, sie in ihre neue Heimat begleiten zu dürfen. Er selber war es nämlich leid, sein Dasein als Gartendekoration zu fristen, fühlte er sich doch zu weit Höherem berufen. Nachdem der oberste Elfen-Rat lange getagt hatte, akzeptierte man seine Bedingung, und rief umgehend eine neue Arbeitsgruppe ins Leben, die den Transport von Schrumb organisieren sollte.
Sogleich machte sich dieser mit großem Eifer ans Werk. Zunächst verschaffte er sich einen Überblick, in dem er alle Arbeitsgruppen besuchte, die sich bis dahin gebildet hatten – es waren insgesamt 93. Einige von ihnen konnte er sofort auflösen, wie zum Beispiel die "Arbeitsgruppe zur Koordination der Arbeitsgruppen". Diese Aufgabe übernahm er ab sofort selber. Die Arbeitsgruppen "Spiel und Gesang während der Reise", "Literatur und Theater unterwegs" sowie "Künstlerische Umsetzung der Reiseimpressionen" fasste er zu einer "Arbeitsgruppe Kultur" zusammen. Erstaunlicherweise war es auch möglich, die Arbeitsgruppe "Verpflegung" aufzulösen, da es den Elfen-Wissenschaftlern zwischenzeitlich gelungen war, eine Methode zu entwickeln, wie selbst das geringste Licht der entferntesten Sonnen und Sterne in reichhaltige Elfennahrung umgewandelt werden konnte. Bei anderen Arbeitsgruppen erwies es sich als notwendig, sie wieder auf das eigentliche Ziel einzunorden. So hatte man in der Arbeitsgruppe "Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit" den leitenden Elfen-Rat nahezu entmachtet und die letzten sechs Monate mit ausufernden Debatten darüber verbracht, ob man sich um einen gewissen privaten Fernsehsender, der für seine Dokumentationen über Auswanderer bekannt war, als Kooperationspartner bemühen sollte.
Die Verringerung der Arbeitsgruppen machte sich schnell bemerkbar, da nun wesentlich mehr Elfen für die eigentliche Arbeit zur Verfügung standen. Nach einigen Wochen beschloss Schrumb, dass es nun an der Zeit wäre, die größte und wichtigste Veränderung auf den Weg zu bringen. Hierzu rief er alle noch bestehenden Elfen-Räte zusammen – es waren inzwischen nur noch elf.
"Hochverehrte Elfen-Räte", setzte er mit feierlicher Stimme an, "in den letzten Wochen konnten wir schon große Fortschritte erzielen. Doch immer noch dauert es viel zu lange, bis die Entschlüsse der einzelnen Räte in die Tat umgesetzt werden können.
Wie ihr alle wisst, achte ich Eure Traditionen. Und ich bin voller Bewunderung für den Einsatz, den ihr bei der Umsetzung dieses großen Planes an den Tag legt. In Anbetracht dessen, dass ihr in eine neue Welt aufbrechen wollt, in der euch viel Neues erwartet, empfehle ich, einige eurer Gebräuche kritisch zu hinterfragen, um flexibler auf diese Anforderungen reagieren zu können. Diese Entwicklung braucht Zeit, und Vieles von dem kann während unserer langen Reise weiter bedacht und umgesetzt werden. Doch ich empfehle dringend, schon jetzt im Sinne des Projektes mit einer Veränderung zu beginnen.
Aufgrund meiner Beobachtungen aus den letzten Wochen schlage ich vor, die einstimmige Beschlussverkündung abzuschaffen und stattdessen Sprecher einzusetzen, welche die gefassten Beschlüsse in Zukunft verkünden sollen.
Überlegt meine Worte gut, besprecht Euch ausführlich – aber bitte gründet keine neue Arbeitsgruppe zu dieser Frage."
Nachdem Schrumb zu Ende gesprochen hatte, war es zunächst absolut still. Viele der Elfen-Rats-Mitglieder waren geschockt. Auf solch radikale Veränderungsvorschläge waren sie nicht vorbereitet gewesen. Es war Gerlowein, der seine Worte als erster wiederfand.
"Oh, erhabener Schrumb", begann er würdevoll, "deine Worte müssen in der Tat überdacht werden. Der oberste Elfen-Rat wird hierüber beraten. Wir werden uns sofort zurückziehen und dir dann unsere Entscheidung mitteilen."
Nachdem Gerlowein dies gesagt hatte, zog er sich mit dem obersten Elfen-Rat zurück. Und bereits nach zwei Wochen war man zu einem Ergebnis gekommen. Wieder versammelten sich alle Elfen-Räte gemeinsam mit Schrumb, um zu hören, was der Rat beschlossen hatte.
"Habt ihr meinen Vorschlag überdacht und eine Entscheidung getroffen?" fragte Schrumb.
"Ja, das haben wir, erhabener Schrumb!" antwortete der oberste Elfen-Rat einstimmig.
Schrumb atmete tief durch und verdrehte leicht die Augen, fand aber schnell seine Contenance wieder. Dann sah er, wie der alte Bosskarak hervortrat und alleine weitersprach.
"Erhabener Schrumb", begann er bedächtig, stockte und schaute dann auf den Stichwortzettel, den er in der Hand hielt. "Besonders uns Alten fällt es schwer, Traditionen aufzugeben und uns auf Neues einzulassen. Doch deine Worte haben uns überzeugt. Wir stehen vor großen Veränderungen, die auch Veränderungen von uns verlangen. Wir stimmen daher deinem Vorschlag zu, bestehen aber auf eine Arbeitsgruppe, deren Aufgabe es sein wird, diese Entwicklung zu überwachen und zu begleiten."
"Nun, dann soll es so sein", antwortete Schrumb, der gerade noch verhindern konnte, laut aufzustöhnen, als das Wort "Arbeitsgruppe" fiel.
Die Entscheidung des obersten Elfen-Rates traf überwiegend auf ein positives Echo. Doch es gab auch einige besonders konservative Elfen-Räte, die zunächst darauf bestanden, dass sie ihrem Sprecher einstimmig mitteilten, was dieser zu verkünden hätte. Aber Schrumb sorgte sehr schnell dafür, dass die Sprecher als Mitglied ohne Stimmberechtigung in die Elfen-Räte aufgenommen wurden und somit über alle Beschlüsse von Anfang an informiert waren.
So setzte sich letztendlich auch dieser Vorschlag des großen Schrumbs durch. Hinzu kam, dass er mit einer Lösung für den Transport der flugunfähigen Elfen aufwarten konnte: Schrumb besaß eine Schubkarre. Außerdem war er, so wie viele Gartenzwerge, von innen hohl. Er hatte berechnet, dass in seinem Inneren und auf der Schubkarre genügend Platz für alle erkrankten Elfen war. Um ihn selber aus der Atmosphäre hinauszubringen, wurden dann allerdings sämtliche übrigen Mitglieder des Stammes benötigt. Später im Weltall reichte dann eine kleine Gruppe aus, die ihn in Richtung der neuen Heimat zog.
Nun dauerte es nur noch wenige Monate, bis alle Vorbereitungen abgeschlossen waren. Am 01.04.2017 machte sich das Elfenvolk der Lüjonen auf den Weg. Man hatte sich ein Planetensystem am äußersten Rand der Milchstraße ausgesucht (es ist das elfte von links). Erfreulicherweise verlief die Reise bis zum heutigen Tag planmäßig und ohne besondere Zwischenfälle.
Und sollten Sie, liebe Leser, in der nächsten Zeit Berichte hören, wonach man einen Gartenzwerg entdeckt hätte, der durch den Weltraum schwebt, so wissen Sie nun, dass er sich in Begleitung von Elfen auf dem Weg in eine bessere Zukunft befindet.