Schwarzer Asphalt

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rothsten

Mitglied
Man, war das ein Tag. Eigentlich einer wie sonst auch. Man erzählt irgendwelchen Affen und deren aufgetakelten Bratzen, wieso sie diese völlig überteuerte Scheißimmobilie haben müssten. Das macht man solange, bis diese Idioten denken, sie hätten da was ganz exklusives. Leichtes Spiel für mich, ich kann jedem Luftschlösser verkaufen. Hauptsache, die Kohle stimmt, und sie stimmt, oh ja. Das ganze Geld mit Märchenerzählen verdient. Aber endlich ist Feierabend, ich bin schon in der Stadt, fast zu Hause. Das Smartphone klingelt. So ein Mist, die Spastis von eben. Sicher wollen sie mir sagen, dass sie den Bunker haben wollen. Ich muss rangehen.

Auf dem Bürgersteig steht eine Omi und stützt sich auf ihrem Rollator. Ich beobachte sie schon eine Weile. Eigentlich bin ich rechts rangefahren, um zu telefonieren, aber aus dem Augenwinkel heraus nehme ich ihr Dilemma war, und jetzt schaue ich ihr interessiert zu. Immer wieder schaut sie nach links und rechts. Sie will offenbar die Straße überqueren, traut sich aber nicht. Die nächste Ampel ist schon ein gutes Stück weg, für die sicher ein riesen Umweg. Hier ist zwar grad nicht viel Verkehr, aber die Straße ist breit und ihre Augen sind sicher schlecht, denn sie kneift sie eng zusammen.
Jetzt will ich aber weiter, also stecke ich das Smartphone ins Sakko, schalte das Warnblinklicht meines Mercedes SL aus und rolle an. Zeitgleich wagte die Omi ihren ersten Schritt auf den Asphalt. Na gut, Mütterchen, dann halte ich eben wieder an. Ich habe heute meinen sozialen Tag. Aufgeregt schaut sie zu mir herüber, ich winke ihr. Sie scheint mein Zeichen verstanden zu haben denn sie beginnt, die Straße zu überqueren.
Himmel, denke ich mir, man will nicht alt werden, jedenfalls nicht so. Diese Dame muss weit über achtzig sein, vielleicht schon neunzig, und schon der Tritt vom Bürgersteig mit dem Rollator gleicht dem Abstieg von der Eiger Nordwand. Unglaublich, diese Tippelschritte. Ich hätte einfach vorbeifahren sollen, so wie alle anderen auch. Ich will nach Hause, der Tag war lang und hart, und zu Hause in meinem Loft warten ein Steak, ein Pomerol und die Schenkel meiner schampusversonnenen Frau. Für mehr taugt die eh nicht.
Ungeduldig trommle ich mit den Fingern auf dem Lenkrad, fasse mir ins Gesicht und seufze. Ich schaue in den Rückspiegel, während ich meine gegelten, mittellangen Haare nach hinten streiche. Ich werde langsam grau, stelle ich fest.

Ok, die Alte braucht noch ewig, und wenn schon Pfadfinder, dann richtig, dann helfe ich dieser Scheintoten eben über die Straße. Ich löse den Gurt und drehe mich um, denn er hat sich verheddert. Ich will ihn richten. Dabei muss ich mit der Fußspitze aufs Gaspedal gekommen sein, denn der Motor heult leicht auf. Zum Glück ist kein Gang drin.
Ich schaue zur Omi. Das glaube ich jetzt nicht! Sie zeigt mir den Stinkefinger! Das gibt’s doch nicht! Ich warte hier gefühlte Stunden, will ihr über die Straße helfen, und die zeigt mir ihren Mittelfinger. Ich lasse das Fenster runter und stecke den Kopf raus. Der geig ich jetzt die Meinung, aber richtig, ich habe doch nicht mit Absicht Gas gegeben. Doch bevor ich ansetzen konnte, höre ich die Alte schon krächzen: „Fic-ker! Fic-ker! Fic-ker!“ Immer wieder und wieder. Sie geht nicht weiter. Sie steht vor meinem Wagen, mitten auf der Fahrbahn, wippt leicht auf und ab und geht dabei mit gestrecktem Stinkefinger ein wenig in die Hocke, im Takt des „Fickers“. Ich schaue beschämt nach unten, hoffentlich sieht das keiner, den ich kenne. Als ich wieder einen Blick zu ihr hin wage, traue ich meinen Augen kaum - zwar zeigt sie mir jetzt nicht mehr den Mittelfinger, aber schlimmer noch, sie reibt ihn jetzt auf und ab zwischen ihrem Schritt. „Fic-ker! Fic-ker! Fic-ker!“ Es reicht! Ich lege den Gang ein, drehe dem Lenkrad trotz Servo den Hals um setze an, mit quietschenden Reifen an ihr vorbeizurasen – dann kracht es.

Im Krankenhaus wache ich wieder auf. Ich habe die Stadtbahn nicht gesehen, die von hinten heranrauschte. Sie habe mich mit voller Wucht erwischt und mich von der Fahrertür auf den Beifahrersitz gedrückt. Die Ärzte sagen mir, ich hätte Glück gehabt, eigentlich müsste ich tot sein, vor allem, weil ich nicht angeschnallt war. Da käme noch ne Menge Ärger deswegen auf mich zu und ein hübsches Sümmchen. Dann schildern sie mir meine weiteren Verletzungen, nur die schlimmsten. Am linken Bein habe ich einen offenen Oberschenkelbruch, der linke Hüftknochen ist zertrümmert, ebenso das linke Schulterblatt. Mein rechtes Knie wurde um die eigene Achse nach hinten gedreht, die Wirbelsäule musste mit acht Titanplatten fixiert werden. Die Ärzte sagen, ich werde nie wieder richtig laufen können. Wenn die Brüche geheilt sein werden, könne ich eine Reha beginnen. In frühestens sechs Monaten würde ich mit dem Gehübungen beginnen können. Wenn es gut läuft, würde mir der Rollstuhl erspart bleiben. Einen Rollator würde ich aber in jedem Falle benötigen – ein Leben lang.
 

ThomasQu

Mitglied
Hallo rothsten,

Schöne Story, den Immo-Hai hast du toll gezeichnet.
Ein bisschen Kleinkram habe ich gefunden:

… etwas ganz[red] E[/red]xklusives,

für “Aber endlich ist Feierabend“ neue Zeile

… nehme ich ihr Dilemma wa[red]h[/red]r …

… Jetzt schaue ich ihr interessiert … immer wieder schaut … Wortwiederholung?

“Dabei muss ich mit der Fußspitze aufs Gaspedal gekommen sein, denn der Motor heult leicht auf. Zum Glück ist kein Gang drin.“
Bei der Fußspitze stockt der Erzählfluss, es klingt nicht mehr nach Präsens und das mit dem Gang ist unlogisch.

… Doch bevor ich ansetzen [blue]kann[/blue] …

In der Szene, in der sie über die Straße gehen will, könnte sich dein Prot. zum Beispiel noch denken:
Mann, wenn ich mal so werde, da würde ich mich lieber umbringen! osä.
Dann kommt die Moral von der Geschicht noch etwas deutlicher raus.

Grüße, Thomas
 
G

Gelöschtes Mitglied 16391

Gast
Hallo rothsten,

die Geschichte hat mir leider nicht gefallen, ich will dir sagen wieso: Der Immobilienmakler ist mir zu stereotyp geraten, die glatt gegelten Haare, das abfällige Gerede über seine Kunden, es hat so gar nichts mit den Immobilienmaklern zu tun, die ich kenne. Die Geschichte ist mir zu moralinsauer, dass der Ich-Erzähler am Ende mit der selben Behinderung bestraft wird, über die er sich vorher mokiert ist m.E. ein recht alter und billiger Hut, der gelegentlich noch funktioniert, aber hier einfach zu platt daher kommt.

Sprachlich sehe ich das Problem so: Du schreibst im Präsens, aber es vergeht zu viel Zeit und es geschieht zuviel, dass der Tempus hier Sinn machen könnte, außerdem reagiert der Ich-Erzähler viel zu nüchtern und sachlich.

Die Ärzte sagen, ich werde nie wieder richtig laufen können. Wenn die Brüche geheilt sein werden, könne ich eine Reha beginnen. In frühestens sechs Monaten würde ich mit dem Gehübungen beginnen können. Wenn es gut läuft, würde mir der Rollstuhl erspart bleiben. Einen Rollator würde ich aber in jedem Falle benötigen – ein Leben lang.
Das Problem mit dem Präsens müsste dir an zwei Stellen selbst aufgefallen sein:

Ich löse den Gurt und drehe mich um, denn er hat sich verheddert. Ich will ihn richten. Dabei muss ich mit der Fußspitze aufs Gaspedal gekommen sein, denn der Motor heult leicht auf. Zum Glück ist kein Gang drin.
Warum benutzt du hier die Vergangenheitsform? Wenn du deinem Tempus treu geblieben wärst, hättest du doch auch sagen können: Aus Versehen trete ich dabei aufs Gaspedal, der Motor heult auf.

Derselbe Fehler passiert dir nochmal später:

Doch bevor ich ansetzen konnte, höre ich die Alte schon krächzen: „Fic-ker! Fic-ker! Fic-ker!“
Vielleicht wäre es besser, der Ich-Erzähler wacht im Krankenhaus auf und erinnert sich dann an das Geschehene.

Dennoch möchte ich nicht nur rumkritteln, sondern auch Positives benennen:

Diese Dame muss weit über achtzig sein, vielleicht schon neunzig, und schon der Tritt vom Bürgersteig mit dem Rollator gleicht dem Abstieg von der Eiger Nordwand.
Sehr guter Vergleich, sprachlich originell und sehr bildhaft.

Liebe Grüße,

CPMan
 

rothsten

Mitglied
Mann, war das ein Tag. Eigentlich einer wie sonst auch. Man erzählt irgendwelchen Affen und deren aufgetakelten Bratzen, wieso sie diese völlig überteuerte Scheißimmobilie haben müssten. Das macht man solange, bis diese Idioten denken, sie hätten da was ganz Exklusives. Leichtes Spiel für mich, ich kann jedem Luftschlösser verkaufen. Hauptsache, die Kohle stimmt, und sie stimmt, oh ja. Das ganze Geld mit Märchenerzählen verdient. Aber endlich ist Feierabend, ich bin schon in der Stadt, fast zu Hause. Das Smartphone klingelt. So ein Mist, die Spastis von eben. Sicher wollen sie mir sagen, dass sie den Bunker haben wollen. Ich muss rangehen.

Auf dem Bürgersteig steht eine Omi und stützt sich auf ihrem Rollator. Ich beobachte sie schon eine Weile. Eigentlich bin ich rechts rangefahren, um zu telefonieren, aber aus dem Augenwinkel heraus nehme ich ihr Dilemma wahr, und jetzt schaue ich ihr interessiert zu. Immer wieder schaut sie nach links und rechts. Sie will offenbar die Straße überqueren, traut sich aber nicht. Die nächste Ampel ist schon ein gutes Stück weg, für die sicher ein riesen Umweg. Hier ist zwar grad nicht viel Verkehr, aber die Straße ist breit und ihre Augen sind sicher schlecht, denn sie kneift sie eng zusammen.
Jetzt will ich aber weiter, also stecke ich das Smartphone ins Sakko, schalte das Warnblinklicht meines Mercedes SL aus und rolle an. Zeitgleich wagte die Omi ihren ersten Schritt auf den Asphalt. Na gut, Mütterchen, dann halte ich eben wieder an. Ich habe heute meinen sozialen Tag. Aufgeregt schaut sie zu mir herüber, ich winke ihr. Sie scheint mein Zeichen verstanden zu haben denn sie beginnt, die Straße zu überqueren.
Himmel, denke ich mir, man will nicht alt werden, jedenfalls nicht so. Diese Dame muss weit über achtzig sein, vielleicht schon neunzig, und schon der Tritt vom Bürgersteig mit dem Rollator gleicht dem Abstieg von der Eiger Nordwand. Unglaublich, diese Tippelschritte. Ich hätte einfach vorbeifahren sollen, so wie alle anderen auch. Ich will nach Hause, der Tag war lang und hart, und zu Hause in meinem Loft warten ein Steak, ein Pomerol und die Schenkel meiner schampusversonnenen Frau. Für mehr taugt die eh nicht.
Ungeduldig trommle ich mit den Fingern auf dem Lenkrad, fasse mir ins Gesicht und seufze. Ich schaue in den Rückspiegel, während ich meine gegelten, mittellangen Haare nach hinten streiche. Ich werde langsam grau, stelle ich fest.

Ok, die Alte braucht noch ewig, und wenn schon Pfadfinder, dann richtig, dann helfe ich dieser Scheintoten eben über die Straße. Ich löse den Gurt und drehe mich um, denn er hat sich verheddert. Ich will ihn richten. Dabei muss ich mit der Fußspitze aufs Gaspedal gekommen sein, denn der Motor heult leicht auf. Zum Glück ist kein Gang drin.
Ich schaue zur Omi. Das glaube ich jetzt nicht! Sie zeigt mir den Stinkefinger! Das gibt’s doch nicht! Ich warte hier gefühlte Stunden, will ihr über die Straße helfen, und die zeigt mir ihren Mittelfinger. Ich lasse das Fenster runter und stecke den Kopf raus. Der geig ich jetzt die Meinung, aber richtig, ich habe doch nicht mit Absicht Gas gegeben. Doch bevor ich ansetzen kann, höre ich die Alte schon krächzen: „Fic-ker! Fic-ker! Fic-ker!“ Immer wieder und wieder. Sie geht nicht weiter. Sie steht vor meinem Wagen, mitten auf der Fahrbahn, wippt leicht auf und ab und geht dabei mit gestrecktem Stinkefinger ein wenig in die Hocke, im Takt des „Fickers“. Ich schaue beschämt nach unten, hoffentlich sieht das keiner, den ich kenne. Als ich wieder einen Blick zu ihr hin wage, traue ich meinen Augen kaum - zwar zeigt sie mir jetzt nicht mehr den Mittelfinger, aber schlimmer noch, sie reibt ihn jetzt auf und ab zwischen ihrem Schritt. „Fic-ker! Fic-ker! Fic-ker!“ Es reicht! Ich lege den Gang ein, drehe dem Lenkrad trotz Servo den Hals um setze an, mit quietschenden Reifen an ihr vorbeizurasen – dann kracht es.

Im Krankenhaus wache ich wieder auf. Ich habe die Stadtbahn nicht gesehen, die von hinten heranrauschte. Sie habe mich mit voller Wucht erwischt und mich von der Fahrertür auf den Beifahrersitz gedrückt. Die Ärzte sagen mir, ich hätte Glück gehabt, eigentlich müsste ich tot sein, vor allem, weil ich nicht angeschnallt war. Da käme noch ne Menge Ärger deswegen auf mich zu und ein hübsches Sümmchen. Dann schildern sie mir meine weiteren Verletzungen, nur die schlimmsten. Am linken Bein habe ich einen offenen Oberschenkelbruch, der linke Hüftknochen ist zertrümmert, ebenso das linke Schulterblatt. Mein rechtes Knie wurde um die eigene Achse nach hinten gedreht, die Wirbelsäule musste mit acht Titanplatten fixiert werden. Die Ärzte sagen, ich werde nie wieder richtig laufen können. Wenn die Brüche geheilt sein werden, könne ich eine Reha beginnen. In frühestens sechs Monaten würde ich mit dem Gehübungen beginnen können. Wenn es gut läuft, würde mir der Rollstuhl erspart bleiben. Einen Rollator würde ich aber in jedem Falle benötigen – ein Leben lang.
 

ThomasQu

Mitglied
rothsten, jetzt will ich mich noch mal zu Wort melden, denn diese beiden kurzen Balken hast du nicht verdient. Da werden hier deutlich schlechtere Texte deutlich besser bewertet.

Mag ja sein, dass du deine Geschichte etwas zu hastig eingestellt hast, (siehe Rechtschreibfehler), warum auch immer. So etwas passiert mir aber leider regelmäßig.
Was den Wechsel in den Zeiten betrifft, ich bin mir sicher, dass du dir etwas dabei gedacht hast. Aus Versehen passiert dir so etwas nicht.

Die inhaltliche Kritik meines Vorposters kann ich nicht nachvollziehen.
Das Ende kam für mich überraschend und ich glaube nicht, dass alle Immobilienmakler Engel sind, schon gar nicht, wenn sie alleine im Auto sitzen.

Th.
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo rothsten,

ein Text mit Geschmäckle. Ich markiere blau, was mir aufgefallen ist und weshalb er mir nicht so recht gefällt:


Mann, war das ein Tag. Eigentlich einer wie sonst auch. Man erzählt irgendwelchen Affen und deren aufgetakelten Bratzen, wieso sie diese völlig überteuerte Scheißimmobilie haben müssten. Das macht man solange, bis diese Idioten denken, sie hätten da was ganz Exklusives. Leichtes Spiel für mich, ich kann jedem Luftschlösser verkaufen. Hauptsache, die Kohle stimmt, und sie stimmt, oh ja. Das ganze Geld mit Märchenerzählen verdient. Aber endlich ist Feierabend, ich bin schon in der Stadt, fast zu Hause. Das Smartphone klingelt. So ein Mist, die Spastis [blue]würde ich ersetzen, Verunglimpfung von Menschen mit Behinderungen [/blue]von eben. Sicher wollen sie mir sagen, dass sie den Bunker haben wollen. Ich muss rangehen. [blue]Der Einstieg ist sonst gut. Schöne satirische Zeichnung eines Maklers. [/blue]

Auf dem Bürgersteig steht eine Omi und stützt sich auf ihrem Rollator. Ich beobachte sie schon eine Weile. Eigentlich bin ich rechts rangefahren, um zu telefonieren, aber aus dem Augenwinkel heraus nehme ich ihr Dilemma wahr, und jetzt schaue ich ihr interessiert zu. Immer wieder schaut sie nach links und rechts. Sie will offenbar die Straße überqueren, traut sich aber nicht. Die nächste Ampel ist schon ein gutes Stück weg, für die sicher ein riesen Umweg [blue]Riesenumweg[/blue]. Hier ist zwar grad [blue]gerade[/blue] nicht viel Verkehr, aber die Straße ist breit und ihre Augen sind sicher schlecht, denn sie kneift sie eng zusammen.
Jetzt will ich aber weiter, also stecke ich das Smartphone ins Sakko, schalte das Warnblinklicht meines Mercedes SL aus und rolle an. Zeitgleich wagte [blue]wieso Tempuswechsel? [/blue]die Omi ihren ersten Schritt auf den Asphalt. Na gut, Mütterchen, dann halte ich eben wieder an. Ich habe heute meinen sozialen Tag. Aufgeregt schaut sie zu mir herüber, ich winke ihr. Sie scheint mein Zeichen verstanden zu haben denn sie beginnt, die Straße zu überqueren.
Himmel, denke ich mir, man will nicht alt werden, jedenfalls nicht so. Diese Dame muss weit über achtzig sein, vielleicht schon neunzig, und schon der Tritt vom Bürgersteig mit dem Rollator gleicht dem Abstieg von der Eiger Nordwand. Unglaublich, diese Tippelschritte. Ich hätte einfach vorbeifahren sollen, so wie alle anderen auch. Ich will nach Hause, der Tag war lang und hart, und zu Hause in meinem Loft warten ein Steak, ein Pomerol und die Schenkel meiner schampusversonnenen Frau. Für mehr taugt die eh nicht.
Ungeduldig trommle ich mit den Fingern auf dem [blue]das[/blue] Lenkrad, fasse mir ins Gesicht und seufze. Ich schaue in den Rückspiegel, während ich meine gegelten, mittellangen Haare nach hinten streiche. Ich werde langsam grau, stelle ich fest.
[blue]Der Abschnitt ist satirisch gelungen. [/blue]

Ok, die Alte braucht noch ewig, und wenn schon Pfadfinder, dann richtig, dann helfe ich dieser Scheintoten eben über die Straße. Ich löse den Gurt und drehe mich um, denn er hat sich verheddert. Ich will ihn richten. Dabei muss ich mit der Fußspitze aufs Gaspedal gekommen sein, denn der Motor heult leicht auf. Zum Glück ist kein Gang drin.
Ich schaue zur Omi. Das glaube ich jetzt nicht! Sie zeigt mir den Stinkefinger! Das gibt’s doch nicht! Ich warte hier gefühlte Stunden, will ihr über die Straße helfen, und die zeigt mir ihren Mittelfinger. Ich lasse das Fenster runter und stecke den Kopf raus. Der geig ich jetzt die Meinung, aber richtig, ich habe doch nicht mit Absicht Gas gegeben. Doch bevor ich ansetzen kann, höre ich die Alte schon krächzen: „Fic-ker! Fic-ker! Fic-ker!“ [blue]Ab jetzt wird es leider nur noch peinlich. Das ist keine satirische Übertreibung, das ist einfach nur daneben. Satire kratzt an unangenehmer Wahrheit. Aber keine Oma wird sich sie verhalten![/blue] Immer wieder und wieder. Sie geht nicht weiter. Sie steht vor meinem Wagen, mitten auf der Fahrbahn, wippt leicht auf und ab und geht dabei mit gestrecktem Stinkefinger ein wenig in die Hocke, im Takt des „Fickers“. Ich schaue beschämt nach unten, hoffentlich sieht das keiner, den ich kenne. Als ich wieder einen Blick zu ihr hin wage, traue ich meinen Augen kaum - zwar zeigt sie mir jetzt nicht mehr den Mittelfinger, aber schlimmer noch, sie reibt ihn jetzt auf und ab zwischen ihrem Schritt. „Fic-ker! Fic-ker! Fic-ker!“ Es reicht! Ich lege den Gang ein, drehe dem Lenkrad trotz Servo den Hals um setze an, mit quietschenden Reifen an ihr vorbeizurasen – dann kracht es.

Im Krankenhaus wache ich wieder auf. Ich habe die Stadtbahn nicht gesehen, die von hinten heranrauschte. Sie habe mich mit voller Wucht erwischt und mich von der Fahrertür auf den Beifahrersitz gedrückt. Die Ärzte sagen mir, ich hätte Glück gehabt, eigentlich müsste ich tot sein, vor allem, weil ich nicht angeschnallt war. Da käme noch ne Menge Ärger deswegen auf mich zu und ein hübsches Sümmchen. Dann schildern sie mir meine weiteren Verletzungen, nur die schlimmsten. Am linken Bein habe ich einen offenen Oberschenkelbruch, der linke Hüftknochen ist zertrümmert, ebenso das linke Schulterblatt. Mein rechtes Knie wurde um die eigene Achse nach hinten gedreht, die Wirbelsäule musste mit acht Titanplatten fixiert werden. Die Ärzte sagen, ich werde nie wieder richtig laufen können. Wenn die Brüche geheilt sein werden, könne ich eine Reha beginnen. In frühestens sechs Monaten würde ich mit dem Gehübungen beginnen können. Wenn es gut läuft, würde mir der Rollstuhl erspart bleiben. Einen Rollator würde ich aber in jedem Falle benötigen – ein Leben lang.

[blue]Unglaubwürdiger Schwenk zum eigenen Rollator. Das ist einfach zu weit hergeholt, um in der Realität satirisch zu bestehen. Schade, der Anfang des Textes war gut.
[/blue]

LG DS
 

rothsten

Mitglied
Hallo und ein herzliches Dankeschön in die Runde. Ihr habt meinen kleinen Text ja ganz schön auseinander genommen. So solls sein! Ich habe ihn erstmal "in Bearbeitung" gesetzt, löschen will ich ihn nicht. Wir sind hier ja in einem Forum, in dem es vornehmlich um Textarbeit gehen sollte, gelle.

@ThomasQ

Die kleinen Fehler habe ich bereits korrigiert. Es passiert mir häufig, dass ich in meinen eigenen Texten simpelste Fehler überlese. Bei Texten Anderer hingegen fallen sie mir meist sofort auf. Das muss eine Seuche sein.

Interessant, dass Du die Figur des Immos für gut gezeichnet hälst.

Ob die Balken nun gerechtfertigt sind oder nicht, was spielt das für eine Rolle? Allein die schriftliche Kritik ist mir wichtig, denn nur anhand von Zahlen kann ich nichts verbessern. Ich sehe das mit den Wertungen entspannt.

@CPMan

Sicher ist der Immo ein Stereotyp, das wollte ich so. Ich wollte ihn erwartbar halten als Kontrast zur Oma. Allerdings hat er wohl doch eine soziale Ader ("hätte vorbeifahren sollen, wie alle anderen auch"). Vielleicht ist er dann doch nicht so stereotyp für einen solchen Schmierlappen?

Du redest von Strafe. Diese Strafe sei Dir zu platt, zu moralinsauer. Gegenfrage: Wofür müsste der Immo denn Deiner Meinung nach bestraft werden? Worin liegt sein Fehlverhalten? Das interessiert mich wirklich!

Das mit der Sprache (Präsens) ist ein berechtigter Einwand, Du hast mich erwischt. Mir war das selbst ein Dorn im Auge, und ich hatte auch schon überlegt, eine Rückblende einzubauen, aber das gefiel mir nicht, da es Tempo rausgenommen hätte.

-> Das ist der Punkt, mit dem ich selbst am meisten hadere. Wie gesagt: ist "in Bearbeitung" ...

@Doc

Zumindest die erste Texthälfte überlebte einigermaßen den Blick der Medusa ... :D

"Spastis" ist natürlich höchst verunglimpfend, keine Frage, aber hier spricht nicht rothsten, hier spricht eine seiner fiktiven Figuren. Persönlich finde ich schon den Jargon "ey Alder, bisse behindert?" unsäglich. Das ist Abwertung pur. Aber leider reden manche Menschen so, und daher müssen selbige auch in Geschichten so reden. Man darf auch keine Verbrechen begehen. Sollen wir nun alle Krimis verbieten?

Doc, Du bist der Ansicht, dass das Verhalten der Oma unmöglich sei. Das sehe ich anders. Mir sind -gerade in Großstädten- schon öfter Menschen begegnet, die nicht nur sehr verhaltensauffällig, nein, sogar krass beleidigend waren. Das waren offenkundig psychisch kranke Menschen, die außer ihren Ticks wohl keine Gefährdung darstellten und deswegen frei rumlaufen durften.
Dir mag die Szene nicht gefallen, Du magst sie satirisch für misslungen halten - alles kein Problem, damit kann ich leben, und daran können wir gerne arbeiten. Aber dass Du sowas für unmöglich hälst, das geht mir einfach zu weit.

Ich überlege mir aber eine Alternative.

Und warum soll der "Schwenk zum eigenen Rollator" wiederum unglaubwürdig sein? Ist ein Rollator ein Gerät, für das es ein Mindestalter zu erreichen gilt? Ganz ehrlich, diesen Einwand verstehe ich überhaupt nicht. Der Kerl ist stark gehbehindert. Soll ich ihm Krücken verpassen, wäre das dann glaubwürdiger?

Ob das nun wiederum für eine Satire taugt, steht auf einem anderen Blatt.

Apropos Satire: Ich schwankte selbst, ob ich es überhaupt hier einstellen sollte. Darin sind wir wohl nah beinander. Hätte kein Problem, es zu verschieben, am ehesten dann wohl nach Kurzprosa?

Oder: Die Kommentatoren bleiben bei der Stange und helfen, eine echte Satire daraus zu machen? Der Ansatz ist laut Doc ja da ...

Letzteres wäre mir am liebsten.

Lieben Gruß,
rothsten
 

ThomasQu

Mitglied
So rothsten, du wolltest es nicht anders.

Ich habe ein bisschen mit deinem Text gespielt und dabei Docs Kritikpunkte geflissentlich ignoriert.
Das Aufwachen im Krankenhaus müsste man halt noch etwas besser beschreiben.

Bin gespannt, was du davon hältst.

Th.

Mann, war das wieder ein Tag, ständig erzählt man irgendwelchen Affen und deren aufgetakelten Bratzen, wieso sie diese oder jene völlig überteuerte Scheißimmobilie haben müssten. Das macht man dann solange, bis die Idioten denken, sie hätten da was ganz Exklusives.
Leichtes Spiel für mich. Ich konnte jedem Luftschlösser verkaufen. Hauptsache, die Kohle stimmt, und die stimmte, oh ja. Das ganze Geld mit Märchenerzählen verdient.
Endlich war Feierabend, ich war schon in der Stadt, fast zu Hause, als das Smart Phone klingelte.
So ein Mist, diese Spastis von eben. Sicher wollen die mir sagen, dass sie diesen Bunker haben wollen.

Ich fuhr rechts ran, um zu telefonieren. Auf dem Bürgersteig stand eine Omi und stützte sich auf ihren Rollator. Ich beobachtete sie schon eine geraume Weile. Aus den Augenwinkeln heraus nahm ich ihr Dilemma wahr, und schaute ihr interessiert zu. Immer wieder ging ihr Blick nach links und rechts. Sie wollte offenbar über die Straße, traute sich aber nicht.
Die nächste Ampel war ein gutes Stück weg, für die sicher ein Riesenumweg. Hier war zwar grad nicht viel Verkehr, aber die Straße war breit und ihre Augen sicher schlecht, denn sie kniff sie eng zusammen.

Jetzt wollte ich weiter, also steckte ich das Smart Phone ins Sakko, schaltete das Warnblinklicht meines Mercedes SL aus und rollte an. Zeitgleich wagte die Omi ihren ersten Schritt auf den Asphalt.
Na gut, Mütterchen, dann halte ich eben wieder an. Ich habe heute meinen sozialen Tag!
Aufgeregt schaute sie zu mir herüber, ich winkte ihr.
Sie schien mein Zeichen verstanden zu haben und machte Anstalten, die Straße zu überqueren.
Himmel, man will nicht alt werden, jedenfalls nicht so. Diese Dame muss weit über achtzig sein und schon der Schritt herab vom Bürgersteig mit dem Rollator glich einem Abstieg von der Eiger Nordwand. Unglaublich, diese Tippelschritte.
Ich hätte einfach vorbeifahren sollen, so wie alle anderen auch. Ich wollte nach Hause, der Tag war lang und hart, zuhause in meinem Loft warteten Steak, Pomerol und die Schenkel meiner schampusverliebten Frau. Für mehr taugte die eh nicht.
Ungeduldig trommelte ich mit den Fingern aufs Lenkrad, fasste mir ins Gesicht und seufzte. Ich schaute in den Rückspiegel, während ich meine gegelten Haare nach hinten strich.

Ok, die Alte braucht noch ewig, und wenn schon Pfadfinder, dann richtig, dann helfe ich dieser Scheintoten eben über die Straße.
Ich löste den Gurt und drehte mich um, der hatte sich verheddert, ich wollte ihn richten. Dabei musste ich mit der Fußspitze aufs Gaspedal gekommen sein, denn der Motor heulte leicht auf.
Ich schaute zu der Omi und … Kaum zu glauben! Sie zeigte mir den Stinkefinger!
Das gibt’s doch nicht! Ich warte hier gefühlte Stunden, will ihr über die Straße helfen, und die zeigt mir ihren Mittelfinger.
Ich ließ das Fenster runter und steckte den Kopf raus.
Der geig’ ich jetzt die Meinung, aber richtig, ich habe doch nicht mit Absicht Gas gegeben.
Doch bevor ich ansetzen konnte, hörte ich die Alte schon krächzen: „Fik-ker! Fik-ker! Fik-ker!“ wieder und wieder. Sie ging nicht weiter, stand vor meinem Wagen, mitten auf der Fahrbahn, wippte leicht auf und ab und ging dabei mit gestrecktem Stinkefinger rhythmisch in die Hocke, im Takt des “Fickers“. Ich schaute beschämt nach unten.
Hoffentlich sieht das keiner, den ich kenne.
Als ich wieder einen Blick zu ihr hin warf, traute ich meinen Augen kaum. Zwar zeigte sie mir jetzt nicht mehr den Mittelfinger, schlimmer noch, sie rieb ihn jetzt auf und ab, zwischen ihrem Schritt. „Fik-ker! Fik-ker! Fik-ker!“

Es reicht!
Ich legte den Gang ein, drehte dem Lenkrad den Hals um und setzte an, mit quietschenden Reifen an ihr vorbeizubrausen.

Dann krachte es!

Im Krankenhaus wachte ich wieder auf.
Ich hatte die Stadtbahn nicht gesehen, die von hinten heranrauschte. Sie hatte mich mit voller Wucht erwischt und mich mitsamt der Fahrertür auf den Beifahrersitz gedrückt. Die Ärzte sagten mir, ich hätte Glück gehabt, eigentlich müsste ich jetzt tot sein.
Dann schilderten sie mir meine Verletzungen, nur die schlimmsten.
Am linken Bein hatte ich einen offenen Oberschenkelbruch, der linke Hüftknochen war zertrümmert, ebenso das linke Schulterblatt. Mein rechtes Knie wurde um die eigene Achse nach hinten gedreht, die Wirbelsäule musste mit acht Titanplatten fixiert werden.
Die Ärzte sagten, ich würde nie wieder richtig laufen können.
Wenn die Brüche geheilt sind, könnte ich mit der Reha beginnen, in frühestens sechs Monaten mit Gehübungen. Wenn’s gut läuft, könnte mir der Rollstuhl erspart bleiben. Einen Rollator würde ich aber in jedem Falle benötigen – ein Leben lang.
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo rothsten,

also gut, "Spasti" kann stehen bleiben.

Die Szene mit der Oma halte ich nach wie vor für unrealistisch. Eine "Oma" - das ist auch schon sehr ungenau, ich nehme an, du meinst eine wirklich betagte Dame - schreit "Ficken" und reibt sich im Schritt??? Nein, da kann ich Dir nicht folgen.


Satirisch gelungener wäre für mich, wenn die Oma dem Makler verbal überlegen wäre. Ihn so richtig mundtot machen würde, ihn, der alles weiß und auf alles eine Antwort hat und sich sowieso für den tollsten Mann unter Gottes Sohne hält. Ihm sein Auto als Penisverlängerung unterstellt oder so. :)


Der Schwenk zum eigenen Rollator wirkt für mich sehr konstruiert. Natürlich hat er so einen schweren Unfall, dass er jetzt selbst einen braucht. Hm, vielleicht wäre es schöner, wenn die Holde zu Hause auf einer Champagnerpfütze ausgerutscht wäre und der tolle Hecht als erstes einen Rollator besorgen müsste ... oder so.


Du schaffst das, eine echte Satire daraus zu machen. Nicht verschieben, dafür ist der Anfang viel zu gut.


LG
DS
 

rothsten

Mitglied
Hallo Thomas und Doc,

vielen Dank -erneut- für Eure Mühen.

Nur ganz kurz:
Ich kann mit Euren Vorschlägen sehr viel anfangen. Bei mir geht direkt der Schreibdrang los, und da ich heute Zeit habe, setze ich mich auch direkt dran. Ich schätze, noch heute eine neue Version einstellen zu können. Ideen sind - dank Euch- da. ;)

lg
 
G

Gelöschtes Mitglied 14278

Gast
Und ich meinte neulich mal gelesen zu haben, dass "leere Beiträge" in einem Werkeforum nicht erlaubt seien. Wann geht's denn weiter?

Gruß Ciconia
 



 
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