Man, war das ein Tag. Eigentlich einer wie sonst auch. Man erzählt irgendwelchen Affen und deren aufgetakelten Bratzen, wieso sie diese völlig überteuerte Scheißimmobilie haben müssten. Das macht man solange, bis diese Idioten denken, sie hätten da was ganz exklusives. Leichtes Spiel für mich, ich kann jedem Luftschlösser verkaufen. Hauptsache, die Kohle stimmt, und sie stimmt, oh ja. Das ganze Geld mit Märchenerzählen verdient. Aber endlich ist Feierabend, ich bin schon in der Stadt, fast zu Hause. Das Smartphone klingelt. So ein Mist, die Spastis von eben. Sicher wollen sie mir sagen, dass sie den Bunker haben wollen. Ich muss rangehen.
Auf dem Bürgersteig steht eine Omi und stützt sich auf ihrem Rollator. Ich beobachte sie schon eine Weile. Eigentlich bin ich rechts rangefahren, um zu telefonieren, aber aus dem Augenwinkel heraus nehme ich ihr Dilemma war, und jetzt schaue ich ihr interessiert zu. Immer wieder schaut sie nach links und rechts. Sie will offenbar die Straße überqueren, traut sich aber nicht. Die nächste Ampel ist schon ein gutes Stück weg, für die sicher ein riesen Umweg. Hier ist zwar grad nicht viel Verkehr, aber die Straße ist breit und ihre Augen sind sicher schlecht, denn sie kneift sie eng zusammen.
Jetzt will ich aber weiter, also stecke ich das Smartphone ins Sakko, schalte das Warnblinklicht meines Mercedes SL aus und rolle an. Zeitgleich wagte die Omi ihren ersten Schritt auf den Asphalt. Na gut, Mütterchen, dann halte ich eben wieder an. Ich habe heute meinen sozialen Tag. Aufgeregt schaut sie zu mir herüber, ich winke ihr. Sie scheint mein Zeichen verstanden zu haben denn sie beginnt, die Straße zu überqueren.
Himmel, denke ich mir, man will nicht alt werden, jedenfalls nicht so. Diese Dame muss weit über achtzig sein, vielleicht schon neunzig, und schon der Tritt vom Bürgersteig mit dem Rollator gleicht dem Abstieg von der Eiger Nordwand. Unglaublich, diese Tippelschritte. Ich hätte einfach vorbeifahren sollen, so wie alle anderen auch. Ich will nach Hause, der Tag war lang und hart, und zu Hause in meinem Loft warten ein Steak, ein Pomerol und die Schenkel meiner schampusversonnenen Frau. Für mehr taugt die eh nicht.
Ungeduldig trommle ich mit den Fingern auf dem Lenkrad, fasse mir ins Gesicht und seufze. Ich schaue in den Rückspiegel, während ich meine gegelten, mittellangen Haare nach hinten streiche. Ich werde langsam grau, stelle ich fest.
Ok, die Alte braucht noch ewig, und wenn schon Pfadfinder, dann richtig, dann helfe ich dieser Scheintoten eben über die Straße. Ich löse den Gurt und drehe mich um, denn er hat sich verheddert. Ich will ihn richten. Dabei muss ich mit der Fußspitze aufs Gaspedal gekommen sein, denn der Motor heult leicht auf. Zum Glück ist kein Gang drin.
Ich schaue zur Omi. Das glaube ich jetzt nicht! Sie zeigt mir den Stinkefinger! Das gibt’s doch nicht! Ich warte hier gefühlte Stunden, will ihr über die Straße helfen, und die zeigt mir ihren Mittelfinger. Ich lasse das Fenster runter und stecke den Kopf raus. Der geig ich jetzt die Meinung, aber richtig, ich habe doch nicht mit Absicht Gas gegeben. Doch bevor ich ansetzen konnte, höre ich die Alte schon krächzen: „Fic-ker! Fic-ker! Fic-ker!“ Immer wieder und wieder. Sie geht nicht weiter. Sie steht vor meinem Wagen, mitten auf der Fahrbahn, wippt leicht auf und ab und geht dabei mit gestrecktem Stinkefinger ein wenig in die Hocke, im Takt des „Fickers“. Ich schaue beschämt nach unten, hoffentlich sieht das keiner, den ich kenne. Als ich wieder einen Blick zu ihr hin wage, traue ich meinen Augen kaum - zwar zeigt sie mir jetzt nicht mehr den Mittelfinger, aber schlimmer noch, sie reibt ihn jetzt auf und ab zwischen ihrem Schritt. „Fic-ker! Fic-ker! Fic-ker!“ Es reicht! Ich lege den Gang ein, drehe dem Lenkrad trotz Servo den Hals um setze an, mit quietschenden Reifen an ihr vorbeizurasen – dann kracht es.
Im Krankenhaus wache ich wieder auf. Ich habe die Stadtbahn nicht gesehen, die von hinten heranrauschte. Sie habe mich mit voller Wucht erwischt und mich von der Fahrertür auf den Beifahrersitz gedrückt. Die Ärzte sagen mir, ich hätte Glück gehabt, eigentlich müsste ich tot sein, vor allem, weil ich nicht angeschnallt war. Da käme noch ne Menge Ärger deswegen auf mich zu und ein hübsches Sümmchen. Dann schildern sie mir meine weiteren Verletzungen, nur die schlimmsten. Am linken Bein habe ich einen offenen Oberschenkelbruch, der linke Hüftknochen ist zertrümmert, ebenso das linke Schulterblatt. Mein rechtes Knie wurde um die eigene Achse nach hinten gedreht, die Wirbelsäule musste mit acht Titanplatten fixiert werden. Die Ärzte sagen, ich werde nie wieder richtig laufen können. Wenn die Brüche geheilt sein werden, könne ich eine Reha beginnen. In frühestens sechs Monaten würde ich mit dem Gehübungen beginnen können. Wenn es gut läuft, würde mir der Rollstuhl erspart bleiben. Einen Rollator würde ich aber in jedem Falle benötigen – ein Leben lang.
Auf dem Bürgersteig steht eine Omi und stützt sich auf ihrem Rollator. Ich beobachte sie schon eine Weile. Eigentlich bin ich rechts rangefahren, um zu telefonieren, aber aus dem Augenwinkel heraus nehme ich ihr Dilemma war, und jetzt schaue ich ihr interessiert zu. Immer wieder schaut sie nach links und rechts. Sie will offenbar die Straße überqueren, traut sich aber nicht. Die nächste Ampel ist schon ein gutes Stück weg, für die sicher ein riesen Umweg. Hier ist zwar grad nicht viel Verkehr, aber die Straße ist breit und ihre Augen sind sicher schlecht, denn sie kneift sie eng zusammen.
Jetzt will ich aber weiter, also stecke ich das Smartphone ins Sakko, schalte das Warnblinklicht meines Mercedes SL aus und rolle an. Zeitgleich wagte die Omi ihren ersten Schritt auf den Asphalt. Na gut, Mütterchen, dann halte ich eben wieder an. Ich habe heute meinen sozialen Tag. Aufgeregt schaut sie zu mir herüber, ich winke ihr. Sie scheint mein Zeichen verstanden zu haben denn sie beginnt, die Straße zu überqueren.
Himmel, denke ich mir, man will nicht alt werden, jedenfalls nicht so. Diese Dame muss weit über achtzig sein, vielleicht schon neunzig, und schon der Tritt vom Bürgersteig mit dem Rollator gleicht dem Abstieg von der Eiger Nordwand. Unglaublich, diese Tippelschritte. Ich hätte einfach vorbeifahren sollen, so wie alle anderen auch. Ich will nach Hause, der Tag war lang und hart, und zu Hause in meinem Loft warten ein Steak, ein Pomerol und die Schenkel meiner schampusversonnenen Frau. Für mehr taugt die eh nicht.
Ungeduldig trommle ich mit den Fingern auf dem Lenkrad, fasse mir ins Gesicht und seufze. Ich schaue in den Rückspiegel, während ich meine gegelten, mittellangen Haare nach hinten streiche. Ich werde langsam grau, stelle ich fest.
Ok, die Alte braucht noch ewig, und wenn schon Pfadfinder, dann richtig, dann helfe ich dieser Scheintoten eben über die Straße. Ich löse den Gurt und drehe mich um, denn er hat sich verheddert. Ich will ihn richten. Dabei muss ich mit der Fußspitze aufs Gaspedal gekommen sein, denn der Motor heult leicht auf. Zum Glück ist kein Gang drin.
Ich schaue zur Omi. Das glaube ich jetzt nicht! Sie zeigt mir den Stinkefinger! Das gibt’s doch nicht! Ich warte hier gefühlte Stunden, will ihr über die Straße helfen, und die zeigt mir ihren Mittelfinger. Ich lasse das Fenster runter und stecke den Kopf raus. Der geig ich jetzt die Meinung, aber richtig, ich habe doch nicht mit Absicht Gas gegeben. Doch bevor ich ansetzen konnte, höre ich die Alte schon krächzen: „Fic-ker! Fic-ker! Fic-ker!“ Immer wieder und wieder. Sie geht nicht weiter. Sie steht vor meinem Wagen, mitten auf der Fahrbahn, wippt leicht auf und ab und geht dabei mit gestrecktem Stinkefinger ein wenig in die Hocke, im Takt des „Fickers“. Ich schaue beschämt nach unten, hoffentlich sieht das keiner, den ich kenne. Als ich wieder einen Blick zu ihr hin wage, traue ich meinen Augen kaum - zwar zeigt sie mir jetzt nicht mehr den Mittelfinger, aber schlimmer noch, sie reibt ihn jetzt auf und ab zwischen ihrem Schritt. „Fic-ker! Fic-ker! Fic-ker!“ Es reicht! Ich lege den Gang ein, drehe dem Lenkrad trotz Servo den Hals um setze an, mit quietschenden Reifen an ihr vorbeizurasen – dann kracht es.
Im Krankenhaus wache ich wieder auf. Ich habe die Stadtbahn nicht gesehen, die von hinten heranrauschte. Sie habe mich mit voller Wucht erwischt und mich von der Fahrertür auf den Beifahrersitz gedrückt. Die Ärzte sagen mir, ich hätte Glück gehabt, eigentlich müsste ich tot sein, vor allem, weil ich nicht angeschnallt war. Da käme noch ne Menge Ärger deswegen auf mich zu und ein hübsches Sümmchen. Dann schildern sie mir meine weiteren Verletzungen, nur die schlimmsten. Am linken Bein habe ich einen offenen Oberschenkelbruch, der linke Hüftknochen ist zertrümmert, ebenso das linke Schulterblatt. Mein rechtes Knie wurde um die eigene Achse nach hinten gedreht, die Wirbelsäule musste mit acht Titanplatten fixiert werden. Die Ärzte sagen, ich werde nie wieder richtig laufen können. Wenn die Brüche geheilt sein werden, könne ich eine Reha beginnen. In frühestens sechs Monaten würde ich mit dem Gehübungen beginnen können. Wenn es gut läuft, würde mir der Rollstuhl erspart bleiben. Einen Rollator würde ich aber in jedem Falle benötigen – ein Leben lang.