heißbegehrte Düfte
Hmm ...
Trage heißbegehrte Düfte
Süße Stimmen durch die Lüfte
Sind das (un?)absichtliche Anleihen bei Mörike?
Frühling lässt sein blaues Band
Wieder flattern durch die Lüfte;
Süße, wohlbekannte Düfte
Streifen ahnungsvoll das Land.
(aus Mörike: Er ist's)
Für meinen Geschmack wird hier die Sehnsucht etwas zu sehr ausgemolken: Jede Strophe beginnt mit einem Appell an die Sehnsucht, insgesamt werden sechs Imperative (ziehe, sitz, fliege, trage, sei, fange) an sie herangetragen, das wirkt schon ein wenig manieriert (mariniert?).
Die grammatische Parallelität der Strophen verstärkt noch das Liedhafte, das mag hier durchaus gewollt sein: Keine Ode an die Freude, sondern ein Lied an die Sehnsucht.
Doch es verwundert, denn eigentlich ist es die Sehnsucht selbst, die Appelle und Wünsche ins Land (und übers Meer) sendet; hier wird die Botschafterin selbst zum Adressaten, der Appell an sie wirkt tautologisch: Sie soll das tun, was sie gewöhnlicher Weise stets tut: Wünsche und Verlangen wecken. So kreist hier die Sehnsucht als Appell ans Wünschen zu lange um sich selbst, um erst im letzten Vers zum eigentlichen Anliegen vorzudringen, das dann so lapidar prosaisch zugleich komisch wirkt: "
Lassen mich kurz bei dir sein".
Einige Formulierungen grenzen ans Kitschige, z. B. "
auf den Wellen fliegen", "heißbegehrte Düfte/ Süße Stimmen durch die Lüfte", andere sind etwas verunglückt: "
Sie entfalten ihre Mächte".
Insgesamt überwiegt noch der Eindruck: konventionell, nett, aber auch nichtssagend und unverbindlich.
Was mich für das Gedicht einnimmt, ist der durchgängige Trochäus, der dem Eindringlichen sehr entspricht und die durchgehaltene Form mit dem außergewöhnlichen strophenübergreifenden Reimschema.
Mein Vorschlag wäre, nicht die Sehnsucht anzurufen, sondern sie aus dem LyIch sprechen zu lassen:
Sehnsucht flieht mich flügelbreitend
mit den Wolken übers Meer,
lässt mich in den leeren Tagen,
die gefesselt sind von Fragen
stiller Stunden, erdenschwer.
Flöge ich doch lichtbegleitend
über Wellen trüber Zeit,
riefen heißbegehrte Düfte,
süße Stimmen mich in Lüfte,
wär zum Aufbruch ich bereit.
Fangen endlich traumbereitend
mich geheime Wünsche ein,
spüre ich die dunklen Mächte
sternenloser Sehnsuchtsnächte:
Könnte ich nur bei dir sein.
Viel Erfolg bei der Überarbeitung!
Grüße
JB