Selbstgespräch für gemischtes Publikum

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G

Gelöschtes Mitglied 24962

Gast
Eigentlich wollte ich für heute das Forumsein mal sein lassen. Hehe, funktioniert ja prächtig. Nun sufnus...

Beim spontanen Fastwegklicken erspähte ich aber den Titel, der mir bereits ein recht komplexes (inhärentes) Paradox um die Ohren haut: "Nein, EV, mach es irgendwann!", "Ich will es aber besenfen, weil es Spaß macht". Nun denn.

Was der Titel "Selbstgespräch für gemischtes Publikum" nicht ist: Ein Kissengeflüster, dafür ist er ein Paradoxon. Wir haben hier Alliteration, Symbolik, wir haben hier Kontrast und Ironie, wir haben Ambiguität, einen Neologismus, Enjambement und Fragetechnik.

Mir erscheint der Titel wie eine Erkundung oder eine Selbstbefragung. Normalerweise ist ein Selbstgespräch ja eine private Angelegenheit, aber hier wird es für ein „gemischtes Publikum“ geführt. Dies könnte bedeuten, dass die Gedanken, obwohl persönlich und innerlich, für eine diverse Zuhörerschaft bestimmt sind. Hier denke ich an Wahrnehmungsebenen, die reflektiert werden, über die Rolle des Individuums innerhalb einer Gemeinschaft und wie diese Gemeinschaft diese Informationen verarbeitet, sie annimmt oder ablehnt und verdaut. Vielleicht ist es ein lyrisches Johari-Fenster.
Vielleicht geht es auch um Sprachmacht und die Fähigkeit zu kommunizieren und zu schweigen. Ein Selbstgespräch führt man ja nicht mit anderen. Vielleicht nur dann, wenn jemand nicht zuhört. Hier aber vermute ich, dass es sich um Lyrik dreht bzw. um die Kommunikation des Autors und seiner Leser. So viel zum Titelumriss.

"Hört jemand da draußen den Leiselaut?" Sofort fällt auf, dass hier kein Fragezeichen folgt (keine Separation). Der Neologismus wirkt intim, aber irgendwie auch distanziert, nicht aufgebend aber zurückhaltend. Das Wort besitzt eine gewisse - unausgesprochene - Spannung und Bedeutung. Wie jemand, der eingesperrt ist, an die Wand klopft und zögerlich fragt, ob jemand das "Leislaute" hört. Interessant ist, dass es dabei nicht um das LI geht. Es ist also kein "Hört-mich-jemand?". Interessant!

"Am Bestimmungsort der Sprache", hier wird es etwas spezifischer, wie mir scheint. Die Sprache als eine Art Gratwanderung, als einen Weg, der in und aus der Sprache führt. Bestimmung ist empfangend bzw. klar definiert, was ein Bestimmungsort ist. Das wird ja deutlich, wenn wir aufs Klo müssen. Dann heißt es Bestimmungsort Lokus. "Bestimmungsort" impliziert außerdem ein gewisses "Müssen". Vielleicht ist der Weg eine Suche, die des Verstehens mächtig wird oder, noch besser, werden will.

"Der Mund der Mündung." Ich frage mich, welche Mündung? Da es um Sprache geht, wird es den Kern des Bildes einer Flussmündung aufgreifen. Vielleicht ist es eine linguistische Fusion aus Sender und Empfänger und beschreibt entweder dessen Zenith oder dessen Auslöschung. Dabei kann es auch in seiner Schärfe eine Mündung einer Waffe sein (Sprache ist eine Waffe). Das Bild ist kniffelig für mich. Andererseits, wenn es eine Entität wäre, und die Mündung einen Mund hätte, wäre es ein empfangender Durchfluss.

"An der wir einander zum Schweigen bringen", hier wurde der Höhepunkt überschritten. Eine interessante Konklusion bzw. Implikation, die eventuell eine Form der Stille oder des Schweigens schafft, in der Klarheit und Missverständnis münden. Aber auch der Zwang des Harrens innerhalb einer Erwartungshaltung. (Man wünscht sich stattfindende Sprache von A nach B).

Da kommt mir der "Rezensent" in den Sinn, in dem er die Literaturkritiker seiner Zeit kritisierte (Schlag ihn tot, den Hund!).
Mittlerweile aber bin ich mit Schlussfolgerungen bei deinen sehr klugen Gedichten vorsichtig geworden. Betrachte dieses Hervortreten als mein "leiselautes". Ich denke, dass deine Gedichte niemanden etwas recht machen wollen. Und das feiere ich!
Mich würden interessieren was Typen wie George Lakoff, Roman Jakobson, Mark Johnson und Noam Chomsky zu dem Werk zu sagen hätten.
Ich denke... Werke wie dieses besitzen die Macht andere kleinzukarieren. In den Zeilen steckt viel Inhalt.
So, ich habe fertig und bin müd.

Lg EV
 

wirena

Mitglied
...eigentlich hatte ich bereits die Bettdecke über den Kopf gezogen, wollte PC PC ruhen, sein lassen, und nun, so kurz vor dem Abtauchen lockte mich irgendwas zum PC. Dem, diesem Gefühl wollte ich nachgehen. Da ich dies ja nicht nur denkend ergründen konnte, blieb mir halt nichts anderes übrig, als aufzustehen.

Ja, und nun esnvhg habe ich «Hausaufgabe», die ich aber erst morgen erledigen werde. 10, sage und schreibe, Zehn Wörter/Begriffe und 4 Namen, vermutlich Autoren, muss ich «googeln». Doch das Eine lasse ich mir schenken.

Interessant ist, dass es dabei nicht um das LI geht
..nicht um LI? was heisst das, wer oder was ist LI?

Danke für kurze Info -

Werde nun aber wieder "abtauchen" und so hoffe ich doch, den PC ruhen lassen können -

LG wirena
 

wirena

Mitglied
... so geschafft und bin geschafft. Hier meine Anmerkung zum Beitrag EV:
"Der Mund der Mündung." Ich frage mich, welche Mündung? Da es um Sprache geht, wird es den Kern des Bildes einer Flussmündung aufgreifen. Vielleicht ist es eine linguistische Fusion aus Sender und Empfänger und beschreibt entweder dessen Zenith....
schönes Bild die Flussmündung – kann auch ein Delta sein. Aber mit dem Wort Zenith hier im deutschen Text, habe ich etwas Mühe: Da mein «googeln» mir folgendes bescherte:

– Zenith deutsch. Bezieht sich auf die Uhrmachermanmufaktur –

- Zentith englisch = deutsch Zenit = Scheitel[punkt]

2.

Gipfel[punkt]

Glanzpunkt

Höhepunkt

Krönung

Kulminationspunkt

Maximum

Optimum

Spitze

Hochzeit

Sternstunde

Vollendung

Finale

Klimax

Gegensätzlich

Wenn ich von Dir hier im deutschen Text Zenit (= engl. Zenith) lesen könnte, hätte ich mehr Klarheit – siehe DoppelSinn wie bei der Flussmündung -

Danke sufnus und EV. Ich habe wieder viel Neues zu Lesen erhalten und hoffentlich auch gelernt. Zu Enjambement kann ich aus Unkenntnis nichts sagen. Was ich dazu seitenlang im Internet gefunden habe, ist sehr interessant, aber für mich viel zu "technisch" - müsste ein Studium machen - will ich aber nicht, will ja auch nicht im Forum Gereimtes schreiben. Freiheit ist für mich am besten erlebbar, wenn ich mir in aller Freiheit Grenzen setze - und das mache ich nun auch und verbleibe mit

LG wirena
 
G

Gelöschtes Mitglied 24962

Gast
Liebe wirena,

ein Enjambement ist nichts anderes als ein Satz, der einen Zeilenumbruch erfährt.

Beispiel ohne Umbruch:

Ein Obdachloser wird vom Müll nicht satt.

Ein Satz auf einer Zeile. Der Punkt schließt den Satz ab. Auch ein Komma würde den Umbruch unterbrechen.

Enjambements sehen so aus:


ein wilder Fluß in dem nervösen /Umbruch
Erklingen eines Lebensklangs.

Oder in einem Werk:

Da zieht sie vor mir, und liegt offen,
ganz seltsam in die Ferne hin
und jedes Haus versinkt betroffen
im Nebel und es sucht darin
nach seiner Größe, die ganz klein
sich selbst im rauen Dämmern misst.

Dann ist die Ruhe schon fast zärtlich
und legt sich namenlos um jeden Baum
und greift nach allem aus dem Raum;
reift tief und weit, erscheint unendlich...
Ist jene Landschaft denn ein Traum? Etc..

Sätze verlaufen über mehrere Zeilen (und ohne Satzzeichen).
Und wegen Zenith. Es ist mein Fehler. Ich spreche im Alltag mehr Englisch als Deutsch. Sowas passiert mir öfter. Ich hoffe, es gibt keine Unklarheiten mehr.

Lg EV
 

wirena

Mitglied
....nein alles klar – ist ja eigentlich auch kein Fehler – heute wird die deutsche Sprache oft «verenglischt» - und zudem Macht die «Uhrmachermanufaktur/Zeit» in diesem Zusammenhang absolut auch Sinn. Mit dem Hinweis deutsch/englisch wäre dies nur offensichtlicher.

Herzlichen Dank für Deine Erklärung bezüglich Enjambements - beim ersten Lesen habe ich nicht so alles verstanden - muss darüber schlafen und morgen nochmals lesen - alles braucht seine Zeit. und ich habe hin und wieder sogar etwas Geduld entwickelt - vielleicht scheue ich mich auch Gereimtes zu schreiben und bin deshalb blockiert - mal sehen...

Gruss wirena
 

sufnus

Mitglied
Hey EV!
Wow... vielen Dank für Deine Naherkundung meines Ad-hocs. :) Beim Titel hast Du dieses Paradoxe super aufgedröselt, dass ein Selbstgespräch ja irgendwie schlecht eine Angelegenheit mit Publikum ist. Eine weitere Bedeutungsebene, die ich mir so zurechtgedacht habe, ist übrigens, dass es in der Musik ja häufig Titel nach dem Muster "ABC für XY" gibt, so was wie "Fantasie für Violine und Harfe" oder "Stabat Mater für Orchester und gemischten Chor", dabei bezeichnet der Ausdruck hinter dem "für" also die Ausführenden. Analog wäre es dann hier das gemischte Publikum selbst, welches ein Selbstgespräch führt (wobei sich dann die Paradoxie ein bisschen auflöst, weil es womöglich kein zweites Publikum für das selbstgesprächvertiefte Publikum gibt (ein Publikumspublikum sozusagen) und die Intimität dann gewissermaßen gewahrt bliebe. Naja... soweit meine privaten Überlegungen hier... nicht zu ernst zu nehmen... :)
Sonst kann ich Deinen Sondierungen kaum etwas hinzufügen. Allensfalls noch dies: Den Bestimmungsort kann man auch ganz wörtlich als den Mund begreifen, also den Ort an dem die Sprache ein Be-Stimmung (= eine Stimme) bekommt und somit zur Lautäußerung wird (vielleicht sogar zu einer Leiselautäußerung?).
Und klasse, dass Du die Doppelläufigkeit (sic) von Mündung im Sinne einer Flussmündung oder der Mündung einer Waffe herausgelesen hat. Und natürlich ist - das sagt ja schon der Name - der Mund irgendwie halt auch eine Mündung. Da wirds dann irgendwie gastroenterologisch... :D
LG & Danke!
S.

P.S.:
Und natürlich auch ganz lieben Dank an wirena fürs Interesse und Nachforschen! :)
 



 
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