Liebe Moderatoren,
ich hoffe, dass das als Horror durchgeht. Weiß nicht wohin sonst damit. Wenn ihr ein geeigneteres Forum wisst - immer rüberschieben.
»Nnnnnhhhh«, die Anspannung und Frustration eines ganzen missratenen Tages verließen Claudia in einem einzigen wohligen Seufzer, als sie sich bis zum Kinn ins angenehm heiße Wasser gleiten ließ. Der duftige Schaum kitzelte und knisterte in ihren Ohren. Sie ließ es mit einem wohligen Nasenkräuseln geschehen und lehnte sich entspannt zurück.
So bleib ich jetzt liegen, dachte sie, einfach liegen, bis das Wasser kalt ist....
Ihr Blick wanderte träge über das rötelfarbene Wolkenmuster der Kacheln – ein unaufgeregtes, beruhigendes Muster, ohne aufdringliche Kontraste oder kitschige Dekorbilder. Nur unterbrochen durch die hellen Pfade der Fugen.
Sie stutzte. Da war etwas, das die weiße Harmonie der Linien unterbrach - direkt über ihrem Unterarm, der auf dem Rand der Wanne ruhte. Neugierig beugte sie sich vor. Es war ein bräunlich-grauer Fleck, der sich in die Fuge schmiegte - kaum länger als ein Streichholz. Nicht nur eine Verfärbung, sondern unverkennbar ein Belag, der auf dem unschuldigen Weiß haftete. Sollte das etwa Dreck sein?
Verdrossen runzelte sie die Brauen. Sie konnte sich nicht vorstellen, eine solche Schmutzkruste übersehen zu haben. Sie putzte ihr Bad dreimal die Woche gründlich und bis in die letzte Ecke - aber das hier sah aus, als habe es sich über Wochen - wenn nicht Monate - angesammelt ... festgesetzt ... eingefressen...
Claudia war kurzsichtig. So kurzsichtig, dass sie nie sicher war, welche Schuhe sie gerade trug. Darum konnte sie mit den Augen ganz nahe herangehen und mit fast mikroskopischer Schärfe auch die kleinsten Einzelheiten erkennen. Es sah aus wie eingetrockneter, vergrauter Seifenschaumschorf, durchsetzt mit abgebrochenen Haarspitzen, zusammengebackenen Hautschuppen und seltsam schmierigen Filamenten, deren Natur sie nicht näher bestimmen konnte. Möglicherweise waren es alte, verklebte Spinnweben.
Seltsam, dachte sie, es sieht aus wie eine kleine Landschaft. Mit Bergen, Höhlen und Tälern. Fast wie ein mikroskopisch kleines Indianer-Pueblo. Sie schauderte bei der Vorstellung, diese kleine Welt sei bewohnt von kleinen roten Mikroben mit Federhauben und Speeren. Mikroben, die an den filigranen Spinnwebsäulen hinauf zu ihren Höhlen krabbelten, darin verschwanden und dort ihren sinistren Bazillengeschäften nachgingen.
Claudia schnaubte unwillig. Das durfte sie nicht so bleiben lassen. Mit einem solchen Dreckflecken neben sich konnte sie ihr Bad nicht genießen. Auf keinen Fall.
Hektisch kletterte sie aus der Wanne, trocknete sich flüchtig ab, kramte ein neues Scheuerschwämmchen aus dem Unterschrank und tränkte es mit Fugenreiniger.
Der durchdringende Geruch allein und die cremige Konsistenz beruhigten sie schon ein wenig. Sie versprachen Reinheit und Makellosigkeit. Claudia presste den Schwamm auf die Fuge und rieb ihn kräftig hin und her. Puh, der Flecken war widerspenstig – so, als habe er Wurzeln in der Fugenmasse. Nur ganz allmählich wurde er blasser und sie musste mehrere Male die Hand wechseln, bis er so weit verschwunden war, dass sie auch bei schärfstem Hinsehen keine Verfärbung mehr wahrnehmen konnte.
Zufrieden stieg sie wieder in die Wanne und spürte, wie die Entspannung zurück kehrte. Jetzt war alles richtig. Das war ihr Bad, wie es sein sollte und nun konnte sie sich auch fühlen, wie sie sich fühlen wollte.
Als sie eine Stunde später zu Bett ging, hatte sie die Sache schon fast wieder vergessen und schlief auf der Stelle ein.
»Claudia!«
Die Stimme war leise, sonor und angenehm, doch so einsam und erratisch in der Stille ihres Schlafs, dass sie erschrocken die Augen aufriss.
»Ja«, … wollte sie sagen, aber ihre Stimme gehorchte ihr nicht. Ihr ganzer Körper war wie gelähmt. Es war die klassische Alptraumsituation – man träumt, dass man wach ist und sich nicht rühren kann – und obwohl man weiß, dass man träumt, kann man nicht erwachen.
Claudia kannte das. Sie hatte es schon zwei, drei Male erlebt. Aber noch nie hatte sie Stimmen dabei gehört.
»Claudia!«
»Ja?«, dachte sie.
»Du musst nicht erschrecken. Es tut mir leid, wenn ich dich beunruhige, aber es bleibt mir keine andere Wahl. Ich muss unbedingt mit dir sprechen.«
Sie dachte ein zögerndes Nicken.
»Gut. Mein Volk ist nämlich in einer schlimmen Situation – und das hat leider mit dir zu tun.«
»Mit mir?«
»Du weißt nichts von uns, deshalb machen wir dir auch keine Vorwürfe. Aber du machst es uns sehr schwer, bei dir zu überleben. Gestern Abend hast du Conajoharodonawaga, eine unserer größten und prächtigsten Städte, vernichtet. Nicht ein Einziger hat überlebt. Es ist eigentlich nicht üblich, dass der Mensch, mit dem wir zusammen leben, von uns weiß. Aber wenn wir nicht untergehen wollen, müssen wir uns mit dir beraten. Ich bin tief in deinen Kopf vorgedrungen – was uns normalerweise verboten ist – so dass ich mit dir sprechen kann.«
»Ich habe keine Stadt zerstört. Das ist ein ziemlich blöder Traum.«
»Erinnerst du dich an den Fleck in deinem Badezimmer? An die Fünfzigtausend meiner Artgenossen lebten in den Höhlenfestungen dort. Frauen und Kinder und erfahrene Jäger – sie werden uns sehr fehlen.«
»Wer seid ihr?«
»Ich bin Shlorm, vom Volk der Smergs. Genauer gesagt: vom Volk der Claudia-Smergs. Jede Menschenwohnung ist auch die Heimat eines Smerg-Volkes. Und der Mensch, der in der Wohnung lebt, ist der Gott dieses Volkes.
Deshalb kommen wir in aller Demut zu dir. Nicht als Rebellen und nicht, um dir Vorhaltungen zu machen – so schwer unsere Verluste auch sind. Aber du wusstest bisher nichts von uns, sonst wärst du sicher vorsichtiger gewesen. Wir wollen dich nur bitten, uns unser Dasein nicht unmöglich zu machen. Lass uns ein paar kleine Winkel in deiner Wohnung, in denen wir unbehelligt leben und dir dienen können.«
»Mir dienen? Seid ihr intelligente Staubmilben oder so etwas … Parasiten?«
»Staubmilben? Hah! Wir jagen sie! Mein Bruder hat einen Umhang, der ganz aus den Fühlerhaaren von Staubmilben gewebt ist.«
»Dann seid ihr am Ende sogar nützlich?«
»Hm, hm, wie man’s nimmt. Die Staubmilben jagen wir für uns, weil wir von ihnen leben. Für dich… tun wir etwas anderes.«
»Etwas anderes? Es hört sich seltsam an, wie du das sagst. Was ist es?«
Die Stimme zögerte wieder mit der Antwort:
»Nun, wir sorgen dafür, dass du dich in deinem Leben und in deiner eigenen kleinen Welt ein bisschen wohler fühlst – vielleicht sogar glücklicher – ohne dass du so recht weißt warum…«
»Aaahaaa«, dachte Claudia gedehnt. »Und wie genau macht ihr das?«
Erneut machte Shlorm eine lange Pause.
»Hast du dich schon einmal gefragt, wie es kommt, dass beim Fensterputzen die Scheiben nie ganz blank werden, oder dass es in deinem Schlafzimmer immer ein ganz kleines bisschen muffig riecht, egal wie lange du lüftest?
Oder weißt du, warum die Gläser im Schrank blind werden, auch wenn du sie nicht benutzt.
Das ist unser Dienst, den wir für dich leisten.
Wir sorgen auch dafür, dass der Stoff um die Knöpfe herum nie ganz glatt wird, wenn du Hemden bügelst, und dass du, auch wenn du gerade erst geduscht hast, schon nach einer halben Stunde unter den Achseln wieder sacht nach Schweiß riechst. All das tun wir für dich, weil du unsere Göttin bist.«
»Seid ihr verrückt? Warum macht ihr so etwas?«
»Wir tun es, damit deine Freunde dich gerne besuchen - und dich auch einladen, weil sie kein schlechtes Gewissen haben müssen, wenn ihre eigenen Wohnungen nicht so sauber sind wie deine und weil…«
»Und das alles soll ich hier in meiner Wohnung dulden?«
Shlorm fuhr unbeirrt in seinen Ausführungen fort:
»Und wir tun es auch, damit es für dich nach 'zu Hause’ riecht, wenn du abends von der Arbeit zurückkommst. Damit deine Katze dich wieder erkennt, wenn du sie nach dem Urlaub aus der Tierpension abholst…
»Ihr seid verrückt, ihr macht aus meiner Wohnung einen Schweinestall, einen… Seuchenherd!«
Trotz ihres Ausbruchs behielt Shlorms Stimme ihren fast hypnotisch sanften Klang:
»Ich weiß, dass diese Enthüllungen dich verwirren und überraschen. Du musst natürlich erst darüber nachdenken und ihre tiefere Bedeutung verstehen.
Damit dir dies leichter fällt und du erkennst, wie sehr wir dich lieben und verehren, vertraue ich dir eine wundervolle Neuigkeit an:
Wenn du dafür sorgst, dass wir nicht ständig um unser Leben fürchten müssen, werden wir dir einen prächtigen Tempel errichten.«
»Einen Tempel? Wo?«
»In deiner Küche. Unter dem Rand des Mülleimerdeckels klebt eine prachtvolle, uralte Dreckkruste. Wie geschaffen für ein Heiligtum. Unsere Arbeiter haben bereits mit den Fundamenten begonnen.«
»Im Mülleimer?«
»Ein Mülleimer ist es für dich. Für uns ist es ein Kontinent. Ein Kontinent, den wir in deinem Namen erobern und dessen Schätze wir ausschließlich zu deiner Verherrlichung verwenden. Wir sind ein sehr empfindsames und kunstbeflissenes Volk und unsere Künstler…«
»Quatsch, ihr seid hundsgewöhnliche, widerliche Bazillen.«
»Das siehst du falsch, wir …«
»Ich werd’ euch ausrotten, mit Stumpf und Stiel! Keine Sekunde länger dulde ich ein solches… Ungeziefer in meiner Wohnung.«
Fast übergangslos, nur mit einem leichten Zucken und Schaudern, fühlte Claudia, dass sie wach war und sich wieder bewegen konnte. Seltsam – für gewöhnlich verblassten ihre Träume, sobald sie die Augen öffnete. Spätestens beim Frühstück konnte sie sich an nichts mehr erinnern. Nur die geträumten Gefühle schwangen noch eine kurze Weile nach. Aber dieses mal konnte sie sich an jedes Wort erinnern – und an die Zimmerdecke, an die sie die ganze Zeit über gestarrt hatte.
Sie krabbelte aus dem Bett und ging in Richtung Badezimmer, um Morgentoilette zu machen. Aber auf halbem Weg hielt sie inne, grübelte einen Moment, runzelte die Stirn und lief dann rasch die Treppe hinunter und in die Küche.
In der Nische zwischen Wand und Spüle stand der Mülleimer – unschuldig und bedrohlich zugleich. Von außen wirkte er blitzsauber – poliertes Chrom und der samtschwarze Gummi der Dekorprofile. Ihr Spiegelbild auf der sanft gewölbten Oberfläche schenkte ihr ein spöttisch verzerrtes Lächeln.
Du hast sie nicht alle sagte sie zu sich selbst. Aber noch während sie es dachte hatte sie sich bereits vorgebeugt und den Deckel zurückgeklappt.
Sie zuckte zusammen. Da war ein Fleck. Ein kleiner Streifen rotbraune Schmiere, die den Ritz zwischen Gummiprofil und Metall füllte. Wahrscheinlich war es ein Rest eingetrockneter Ketchup.
Claudia schluckte schwer. Der Traum…? Nein nein, das war Unsinn. Sicher hatte sie den Fleck irgendwann gesehen, aber nicht bewusst wahrgenommen. Und ihr Unterbewusstsein hatte den Traum darum herum gewebt. Mit einer alten Zahnbürste und etwas Stahlreiniger schrubbte sie den Fleck aus ihrer Welt.
Aber sie nahm den Vorfall zum Anlass, ihre gesamte Wohnung nach verdächtigen Ecken und Nischen abzusuchen. Alles, was nach Schmutz, Staub, Schmiere oder Fleck aussah, wurde weggewienert, ausgewischt und zerbürstet.
Müde und zerschlagen, mit schmerzenden Knien, aber auch mit dem befriedigenden Gefühl, diesmal nichts übersehen zu haben, sank sie am Abend ins Bett und schlief augenblicklich ein…
»Claudia?«
»Ja?«
»Das war ein schlimmer Tag für unser Volk. Hunderttausende sind durch den Zorn ihrer Göttin gestorben. Dein Tempel und dein Standbild sind zerschmettert durch deine eigene Hand. Wir, dein Volk, wissen nicht, wodurch wir uns diesen Zorn zugezogen haben, aber wir haben verstanden.
Du willst nicht mehr länger unsere Gottheit sein und da keiner unserer Priester mehr am Leben ist, gibt es auch in meinem Volk niemanden mehr, der dich verehren will.
Für uns geht es jetzt um's nackte Überleben. Deshalb haben wir beschlossen, die uns verbliebenen Städte in deiner Wohnung aufzugeben und in einer sichereren Gegend zu siedeln.«
»Wo?«
»Auf deinem Körper. Das ist unsere einzige Chance. Du kannst ihn nicht behandeln wie deinen Fußboden oder die Polstermöbel. Deshalb sind wir nur hier sicher. Ich weiß, es ist ein einmaliges Sakril...«
»Ich erwisch euch überall!!!«
Claudia erkannte verstört, dass sie aufrecht im Bett saß und die Wand angeschrien hatte. Mit einem hervorgewürgten Ächzen sprang sie auf und hastete ins Bad. Unter der heißen Dusche schrubbte sie sich ab, bis ihr ganzer Körper krebsrot war und die Haut glühte wie die einer Fieberkranken.
Anschließend cremte sie sich mit einer desinfizierenden Salbe ein, die eigentlich gegen Pilzinfektionen gedacht war und hoffte, den kleinen Biestern den Rest zu geben.
Aber sicher war sie sich nicht und darum wiederholte sie diese Prozedur von nun an jeden Tag.
Das beständige Waschen und die Desinfektionsmittel bekamen Claudias Haut nicht gut. Zuerst wurde sie rissig und begann in kleinen blassen Schuppen abzuschilfern. Dann verbreiterten sich die Risse, die Ränder entzündeten sich, Pusteln blühten auf und feuchter Schorf breitete sich aus.
Claudia hatte immer Probleme mit ihrer empfindlichen Haut gehabt, sie aber mit hochwertigen Lotionen und Pudern recht gut im Griff behalten. Jetzt halfen die Lotionen nicht mehr. Sie verbanden sich mit dem Schorf zu unansehnlichen gelbbraunen Krusten, die hässliche Flecke in der Wäsche hinterließen. Nur im Gesicht gelang es ihr, mit Hilfe teurer medizinischer Cremes und viel Schminke, die Haut weiterhin makellos und glatt zu erhalten.
Für Claudia war dies kein Grund, in ihren Bemühungen nachzulassen. Im Gegenteil, mit den tiefen, unzugänglichen Hautrissen gab sie sich besondere Mühe. Sie waren wahrscheinlich ideale Verstecke für die Smergs.
Claudia blieben die schädlichen Nebenwirkungen ihres Tuns nicht verborgen und sie wusste, dass sie nicht ewig so weitermachen konnte. Auch Ihre Bekannten und Arbeitskollegen sprachen sie schließlich auf den besorgniserregenden Zustand ihrer Hände an. Zwar stets mit der gebotenen Zurückhaltung und Feinfühligkeit, aber immer öfter und dringlicher. Deshalb setzte sie sich eine Frist. Wenn die Träume bis dahin nicht wiederkehrten, wollte sie die Sache als erledigt betrachten und ihre normalen Gewohnheiten wieder aufnehmen.
Aber Träume kehren immer wieder!
»Claudia?«
»Seid ihr es wieder? Ich dachte…«
»Nur ich, Shlorm. Aber ich spreche für alle meines Volkes – für die wenigen jedenfalls, die noch am Leben sind.«
»Ich hatte gehofft, euch alle erwischt zu haben. Wo steckt der Rest von euch?«
»Du hast selbst deinen eigenen Körper nicht geschont, um uns zu vernichten. Damit haben wir freilich nicht gerechnet. Deshalb mussten wir noch einen Schritt weitergehen. Jetzt werden wir kämpfen und Rache nehmen!«
»Was könntet ihr mir wohl sonst noch antun?«
»Der Rest unseres Volkes hat in den Falten und Poren deines Gesichts Zuflucht gefunden. Jetzt werden wir dir zeigen, was Grabenkrieg bedeutet!«
»Falten? Grabenkrieg? Was habt ihr vor?«
»Wundere dich nicht, wenn du in nächster Zeit unreine Haut und Pickel bekommst…«
»Ihr erbärmlichen Drecksbiester!!!«
»Jahaaa, wir wissen, wo’s wehtut!«
»Ich auch – darauf könnt ihr wetten!«
Diesmal erwachte sie weinend. Nun auch die Makellosigkeit ihres Gesichts aufgeben zu müssen, raubte ihr fast den Verstand und zerbrach für den Augenblick jeglichen Willen. Aber sie wusste, dass sie keine Wahl hatte, wenn sie je wieder ihre innere Ruhe finden wollte.
Und – so tröstete sie sich – es war der letzte Preis, den sie zahlen musste, um wieder Herrin über sich selbst zu werden. Danach würde alles gut werden – schön, rein und… und… wie es früher war.
Sie ließ sich wegen einer vorgetäuschten Nervenschwäche krank schreiben, besorgte sich starke Desinfektionsmittel in der Apotheke. Den Telefonstecker zog sie aus der Wand und die Wohnungstür schloss sie von innen ab. Wenigstens sollte niemand, auch nicht durch Zufall, mitbekommen, was jetzt mit ihr geschah. Dann machte sich daran, die Smergs in ihrer letzten Zuflucht zu vernichten.
Was schadete es, dass ihre Augen zu schmalen Schlitzen verquollen und ihr Haar strähnenweise ausfiel? Dass sich ihre Mundwinkel entzündeten und die Haut sich in rotes Pergament verwandelte? Wichtig war der Zweck und die Gewissheit, sich ein für alle Mal von diesem Fluch zu befreien. Auch auf den Trümmern einer Ruine konnte man etwas neues, schönes aufbauen.
Aber sie fühlte sich sterbenselend. Die geschundene, entzündete Haut und die Desinfektionsmittel vergifteten ihren Körper. Ihr Kreislauf machte immer öfter schlapp und sie musste sich zwingen, regelmäßig zu essen. Allein der Geruch der Lebensmittel ließ ihr schlecht werden.
»Claudia!«
Ihre Antwort war ein leises, kraftloses Schluchzen. In Shlorms Stimme schwang diesmal eine unerbittliche Härte, die ihr Angst machte.
»Du hast es fast geschafft. Doch nicht ganz. Ich bin der Letzte meines Volkes. Aber ich werde überleben. Ich werde von nun an in deinem Kopf bleiben. Unangreifbar für dich. Ich werde dir erzählen, von meinem Hass und meiner Verzweiflung… und von meiner Trauer. Du wirst meine Gefühle teilen und sie fühlen, wie ich sie fühle. Und ich werde bei dir sein – jede Nacht!«
Hunter, der untersuchende Kommissar, wandte sich kopfschüttelnd an Inspektor Issel, seinen Assistenten.
»Hab ich das richtig verstanden? Sie hat sich einen Stielkamm durchs Ohr bis ins Hirn gebohrt?«
Issel nickte und zuckte mit den Achseln, als müsse er sich für irgend etwas entschuldigen
»So ist es, Chef. Sowas ist mir noch nie untergekommen.«
»Und die ganzen verschütteten Desinfektionsmittel?«
»Wissen wir noch nicht. Unser Psychologe hält es nicht für unmöglich, dass irgendein seltsames Ritual im Spiel war.«
»Und was denken Sie persönlich?«
»Selbstmord vielleicht. Für eine junge Frau muss es sicher eine ungeheure Belastung sein, so… «, er zögerte kurz, »…so auszusehen.«
Hunter stemmte die Hände in die Hüften und schüttelte wieder den Kopf.
»Junge, Junge«, sagte er. Und noch einmal: »Junge, Junge«.
© Achim Hildebrand 2004
ich hoffe, dass das als Horror durchgeht. Weiß nicht wohin sonst damit. Wenn ihr ein geeigneteres Forum wisst - immer rüberschieben.
Smergs
»Nnnnnhhhh«, die Anspannung und Frustration eines ganzen missratenen Tages verließen Claudia in einem einzigen wohligen Seufzer, als sie sich bis zum Kinn ins angenehm heiße Wasser gleiten ließ. Der duftige Schaum kitzelte und knisterte in ihren Ohren. Sie ließ es mit einem wohligen Nasenkräuseln geschehen und lehnte sich entspannt zurück.
So bleib ich jetzt liegen, dachte sie, einfach liegen, bis das Wasser kalt ist....
Ihr Blick wanderte träge über das rötelfarbene Wolkenmuster der Kacheln – ein unaufgeregtes, beruhigendes Muster, ohne aufdringliche Kontraste oder kitschige Dekorbilder. Nur unterbrochen durch die hellen Pfade der Fugen.
Sie stutzte. Da war etwas, das die weiße Harmonie der Linien unterbrach - direkt über ihrem Unterarm, der auf dem Rand der Wanne ruhte. Neugierig beugte sie sich vor. Es war ein bräunlich-grauer Fleck, der sich in die Fuge schmiegte - kaum länger als ein Streichholz. Nicht nur eine Verfärbung, sondern unverkennbar ein Belag, der auf dem unschuldigen Weiß haftete. Sollte das etwa Dreck sein?
Verdrossen runzelte sie die Brauen. Sie konnte sich nicht vorstellen, eine solche Schmutzkruste übersehen zu haben. Sie putzte ihr Bad dreimal die Woche gründlich und bis in die letzte Ecke - aber das hier sah aus, als habe es sich über Wochen - wenn nicht Monate - angesammelt ... festgesetzt ... eingefressen...
Claudia war kurzsichtig. So kurzsichtig, dass sie nie sicher war, welche Schuhe sie gerade trug. Darum konnte sie mit den Augen ganz nahe herangehen und mit fast mikroskopischer Schärfe auch die kleinsten Einzelheiten erkennen. Es sah aus wie eingetrockneter, vergrauter Seifenschaumschorf, durchsetzt mit abgebrochenen Haarspitzen, zusammengebackenen Hautschuppen und seltsam schmierigen Filamenten, deren Natur sie nicht näher bestimmen konnte. Möglicherweise waren es alte, verklebte Spinnweben.
Seltsam, dachte sie, es sieht aus wie eine kleine Landschaft. Mit Bergen, Höhlen und Tälern. Fast wie ein mikroskopisch kleines Indianer-Pueblo. Sie schauderte bei der Vorstellung, diese kleine Welt sei bewohnt von kleinen roten Mikroben mit Federhauben und Speeren. Mikroben, die an den filigranen Spinnwebsäulen hinauf zu ihren Höhlen krabbelten, darin verschwanden und dort ihren sinistren Bazillengeschäften nachgingen.
Claudia schnaubte unwillig. Das durfte sie nicht so bleiben lassen. Mit einem solchen Dreckflecken neben sich konnte sie ihr Bad nicht genießen. Auf keinen Fall.
Hektisch kletterte sie aus der Wanne, trocknete sich flüchtig ab, kramte ein neues Scheuerschwämmchen aus dem Unterschrank und tränkte es mit Fugenreiniger.
Der durchdringende Geruch allein und die cremige Konsistenz beruhigten sie schon ein wenig. Sie versprachen Reinheit und Makellosigkeit. Claudia presste den Schwamm auf die Fuge und rieb ihn kräftig hin und her. Puh, der Flecken war widerspenstig – so, als habe er Wurzeln in der Fugenmasse. Nur ganz allmählich wurde er blasser und sie musste mehrere Male die Hand wechseln, bis er so weit verschwunden war, dass sie auch bei schärfstem Hinsehen keine Verfärbung mehr wahrnehmen konnte.
Zufrieden stieg sie wieder in die Wanne und spürte, wie die Entspannung zurück kehrte. Jetzt war alles richtig. Das war ihr Bad, wie es sein sollte und nun konnte sie sich auch fühlen, wie sie sich fühlen wollte.
Als sie eine Stunde später zu Bett ging, hatte sie die Sache schon fast wieder vergessen und schlief auf der Stelle ein.
»Claudia!«
Die Stimme war leise, sonor und angenehm, doch so einsam und erratisch in der Stille ihres Schlafs, dass sie erschrocken die Augen aufriss.
»Ja«, … wollte sie sagen, aber ihre Stimme gehorchte ihr nicht. Ihr ganzer Körper war wie gelähmt. Es war die klassische Alptraumsituation – man träumt, dass man wach ist und sich nicht rühren kann – und obwohl man weiß, dass man träumt, kann man nicht erwachen.
Claudia kannte das. Sie hatte es schon zwei, drei Male erlebt. Aber noch nie hatte sie Stimmen dabei gehört.
»Claudia!«
»Ja?«, dachte sie.
»Du musst nicht erschrecken. Es tut mir leid, wenn ich dich beunruhige, aber es bleibt mir keine andere Wahl. Ich muss unbedingt mit dir sprechen.«
Sie dachte ein zögerndes Nicken.
»Gut. Mein Volk ist nämlich in einer schlimmen Situation – und das hat leider mit dir zu tun.«
»Mit mir?«
»Du weißt nichts von uns, deshalb machen wir dir auch keine Vorwürfe. Aber du machst es uns sehr schwer, bei dir zu überleben. Gestern Abend hast du Conajoharodonawaga, eine unserer größten und prächtigsten Städte, vernichtet. Nicht ein Einziger hat überlebt. Es ist eigentlich nicht üblich, dass der Mensch, mit dem wir zusammen leben, von uns weiß. Aber wenn wir nicht untergehen wollen, müssen wir uns mit dir beraten. Ich bin tief in deinen Kopf vorgedrungen – was uns normalerweise verboten ist – so dass ich mit dir sprechen kann.«
»Ich habe keine Stadt zerstört. Das ist ein ziemlich blöder Traum.«
»Erinnerst du dich an den Fleck in deinem Badezimmer? An die Fünfzigtausend meiner Artgenossen lebten in den Höhlenfestungen dort. Frauen und Kinder und erfahrene Jäger – sie werden uns sehr fehlen.«
»Wer seid ihr?«
»Ich bin Shlorm, vom Volk der Smergs. Genauer gesagt: vom Volk der Claudia-Smergs. Jede Menschenwohnung ist auch die Heimat eines Smerg-Volkes. Und der Mensch, der in der Wohnung lebt, ist der Gott dieses Volkes.
Deshalb kommen wir in aller Demut zu dir. Nicht als Rebellen und nicht, um dir Vorhaltungen zu machen – so schwer unsere Verluste auch sind. Aber du wusstest bisher nichts von uns, sonst wärst du sicher vorsichtiger gewesen. Wir wollen dich nur bitten, uns unser Dasein nicht unmöglich zu machen. Lass uns ein paar kleine Winkel in deiner Wohnung, in denen wir unbehelligt leben und dir dienen können.«
»Mir dienen? Seid ihr intelligente Staubmilben oder so etwas … Parasiten?«
»Staubmilben? Hah! Wir jagen sie! Mein Bruder hat einen Umhang, der ganz aus den Fühlerhaaren von Staubmilben gewebt ist.«
»Dann seid ihr am Ende sogar nützlich?«
»Hm, hm, wie man’s nimmt. Die Staubmilben jagen wir für uns, weil wir von ihnen leben. Für dich… tun wir etwas anderes.«
»Etwas anderes? Es hört sich seltsam an, wie du das sagst. Was ist es?«
Die Stimme zögerte wieder mit der Antwort:
»Nun, wir sorgen dafür, dass du dich in deinem Leben und in deiner eigenen kleinen Welt ein bisschen wohler fühlst – vielleicht sogar glücklicher – ohne dass du so recht weißt warum…«
»Aaahaaa«, dachte Claudia gedehnt. »Und wie genau macht ihr das?«
Erneut machte Shlorm eine lange Pause.
»Hast du dich schon einmal gefragt, wie es kommt, dass beim Fensterputzen die Scheiben nie ganz blank werden, oder dass es in deinem Schlafzimmer immer ein ganz kleines bisschen muffig riecht, egal wie lange du lüftest?
Oder weißt du, warum die Gläser im Schrank blind werden, auch wenn du sie nicht benutzt.
Das ist unser Dienst, den wir für dich leisten.
Wir sorgen auch dafür, dass der Stoff um die Knöpfe herum nie ganz glatt wird, wenn du Hemden bügelst, und dass du, auch wenn du gerade erst geduscht hast, schon nach einer halben Stunde unter den Achseln wieder sacht nach Schweiß riechst. All das tun wir für dich, weil du unsere Göttin bist.«
»Seid ihr verrückt? Warum macht ihr so etwas?«
»Wir tun es, damit deine Freunde dich gerne besuchen - und dich auch einladen, weil sie kein schlechtes Gewissen haben müssen, wenn ihre eigenen Wohnungen nicht so sauber sind wie deine und weil…«
»Und das alles soll ich hier in meiner Wohnung dulden?«
Shlorm fuhr unbeirrt in seinen Ausführungen fort:
»Und wir tun es auch, damit es für dich nach 'zu Hause’ riecht, wenn du abends von der Arbeit zurückkommst. Damit deine Katze dich wieder erkennt, wenn du sie nach dem Urlaub aus der Tierpension abholst…
»Ihr seid verrückt, ihr macht aus meiner Wohnung einen Schweinestall, einen… Seuchenherd!«
Trotz ihres Ausbruchs behielt Shlorms Stimme ihren fast hypnotisch sanften Klang:
»Ich weiß, dass diese Enthüllungen dich verwirren und überraschen. Du musst natürlich erst darüber nachdenken und ihre tiefere Bedeutung verstehen.
Damit dir dies leichter fällt und du erkennst, wie sehr wir dich lieben und verehren, vertraue ich dir eine wundervolle Neuigkeit an:
Wenn du dafür sorgst, dass wir nicht ständig um unser Leben fürchten müssen, werden wir dir einen prächtigen Tempel errichten.«
»Einen Tempel? Wo?«
»In deiner Küche. Unter dem Rand des Mülleimerdeckels klebt eine prachtvolle, uralte Dreckkruste. Wie geschaffen für ein Heiligtum. Unsere Arbeiter haben bereits mit den Fundamenten begonnen.«
»Im Mülleimer?«
»Ein Mülleimer ist es für dich. Für uns ist es ein Kontinent. Ein Kontinent, den wir in deinem Namen erobern und dessen Schätze wir ausschließlich zu deiner Verherrlichung verwenden. Wir sind ein sehr empfindsames und kunstbeflissenes Volk und unsere Künstler…«
»Quatsch, ihr seid hundsgewöhnliche, widerliche Bazillen.«
»Das siehst du falsch, wir …«
»Ich werd’ euch ausrotten, mit Stumpf und Stiel! Keine Sekunde länger dulde ich ein solches… Ungeziefer in meiner Wohnung.«
Fast übergangslos, nur mit einem leichten Zucken und Schaudern, fühlte Claudia, dass sie wach war und sich wieder bewegen konnte. Seltsam – für gewöhnlich verblassten ihre Träume, sobald sie die Augen öffnete. Spätestens beim Frühstück konnte sie sich an nichts mehr erinnern. Nur die geträumten Gefühle schwangen noch eine kurze Weile nach. Aber dieses mal konnte sie sich an jedes Wort erinnern – und an die Zimmerdecke, an die sie die ganze Zeit über gestarrt hatte.
Sie krabbelte aus dem Bett und ging in Richtung Badezimmer, um Morgentoilette zu machen. Aber auf halbem Weg hielt sie inne, grübelte einen Moment, runzelte die Stirn und lief dann rasch die Treppe hinunter und in die Küche.
In der Nische zwischen Wand und Spüle stand der Mülleimer – unschuldig und bedrohlich zugleich. Von außen wirkte er blitzsauber – poliertes Chrom und der samtschwarze Gummi der Dekorprofile. Ihr Spiegelbild auf der sanft gewölbten Oberfläche schenkte ihr ein spöttisch verzerrtes Lächeln.
Du hast sie nicht alle sagte sie zu sich selbst. Aber noch während sie es dachte hatte sie sich bereits vorgebeugt und den Deckel zurückgeklappt.
Sie zuckte zusammen. Da war ein Fleck. Ein kleiner Streifen rotbraune Schmiere, die den Ritz zwischen Gummiprofil und Metall füllte. Wahrscheinlich war es ein Rest eingetrockneter Ketchup.
Claudia schluckte schwer. Der Traum…? Nein nein, das war Unsinn. Sicher hatte sie den Fleck irgendwann gesehen, aber nicht bewusst wahrgenommen. Und ihr Unterbewusstsein hatte den Traum darum herum gewebt. Mit einer alten Zahnbürste und etwas Stahlreiniger schrubbte sie den Fleck aus ihrer Welt.
Aber sie nahm den Vorfall zum Anlass, ihre gesamte Wohnung nach verdächtigen Ecken und Nischen abzusuchen. Alles, was nach Schmutz, Staub, Schmiere oder Fleck aussah, wurde weggewienert, ausgewischt und zerbürstet.
Müde und zerschlagen, mit schmerzenden Knien, aber auch mit dem befriedigenden Gefühl, diesmal nichts übersehen zu haben, sank sie am Abend ins Bett und schlief augenblicklich ein…
»Claudia?«
»Ja?«
»Das war ein schlimmer Tag für unser Volk. Hunderttausende sind durch den Zorn ihrer Göttin gestorben. Dein Tempel und dein Standbild sind zerschmettert durch deine eigene Hand. Wir, dein Volk, wissen nicht, wodurch wir uns diesen Zorn zugezogen haben, aber wir haben verstanden.
Du willst nicht mehr länger unsere Gottheit sein und da keiner unserer Priester mehr am Leben ist, gibt es auch in meinem Volk niemanden mehr, der dich verehren will.
Für uns geht es jetzt um's nackte Überleben. Deshalb haben wir beschlossen, die uns verbliebenen Städte in deiner Wohnung aufzugeben und in einer sichereren Gegend zu siedeln.«
»Wo?«
»Auf deinem Körper. Das ist unsere einzige Chance. Du kannst ihn nicht behandeln wie deinen Fußboden oder die Polstermöbel. Deshalb sind wir nur hier sicher. Ich weiß, es ist ein einmaliges Sakril...«
»Ich erwisch euch überall!!!«
Claudia erkannte verstört, dass sie aufrecht im Bett saß und die Wand angeschrien hatte. Mit einem hervorgewürgten Ächzen sprang sie auf und hastete ins Bad. Unter der heißen Dusche schrubbte sie sich ab, bis ihr ganzer Körper krebsrot war und die Haut glühte wie die einer Fieberkranken.
Anschließend cremte sie sich mit einer desinfizierenden Salbe ein, die eigentlich gegen Pilzinfektionen gedacht war und hoffte, den kleinen Biestern den Rest zu geben.
Aber sicher war sie sich nicht und darum wiederholte sie diese Prozedur von nun an jeden Tag.
Das beständige Waschen und die Desinfektionsmittel bekamen Claudias Haut nicht gut. Zuerst wurde sie rissig und begann in kleinen blassen Schuppen abzuschilfern. Dann verbreiterten sich die Risse, die Ränder entzündeten sich, Pusteln blühten auf und feuchter Schorf breitete sich aus.
Claudia hatte immer Probleme mit ihrer empfindlichen Haut gehabt, sie aber mit hochwertigen Lotionen und Pudern recht gut im Griff behalten. Jetzt halfen die Lotionen nicht mehr. Sie verbanden sich mit dem Schorf zu unansehnlichen gelbbraunen Krusten, die hässliche Flecke in der Wäsche hinterließen. Nur im Gesicht gelang es ihr, mit Hilfe teurer medizinischer Cremes und viel Schminke, die Haut weiterhin makellos und glatt zu erhalten.
Für Claudia war dies kein Grund, in ihren Bemühungen nachzulassen. Im Gegenteil, mit den tiefen, unzugänglichen Hautrissen gab sie sich besondere Mühe. Sie waren wahrscheinlich ideale Verstecke für die Smergs.
Claudia blieben die schädlichen Nebenwirkungen ihres Tuns nicht verborgen und sie wusste, dass sie nicht ewig so weitermachen konnte. Auch Ihre Bekannten und Arbeitskollegen sprachen sie schließlich auf den besorgniserregenden Zustand ihrer Hände an. Zwar stets mit der gebotenen Zurückhaltung und Feinfühligkeit, aber immer öfter und dringlicher. Deshalb setzte sie sich eine Frist. Wenn die Träume bis dahin nicht wiederkehrten, wollte sie die Sache als erledigt betrachten und ihre normalen Gewohnheiten wieder aufnehmen.
Aber Träume kehren immer wieder!
»Claudia?«
»Seid ihr es wieder? Ich dachte…«
»Nur ich, Shlorm. Aber ich spreche für alle meines Volkes – für die wenigen jedenfalls, die noch am Leben sind.«
»Ich hatte gehofft, euch alle erwischt zu haben. Wo steckt der Rest von euch?«
»Du hast selbst deinen eigenen Körper nicht geschont, um uns zu vernichten. Damit haben wir freilich nicht gerechnet. Deshalb mussten wir noch einen Schritt weitergehen. Jetzt werden wir kämpfen und Rache nehmen!«
»Was könntet ihr mir wohl sonst noch antun?«
»Der Rest unseres Volkes hat in den Falten und Poren deines Gesichts Zuflucht gefunden. Jetzt werden wir dir zeigen, was Grabenkrieg bedeutet!«
»Falten? Grabenkrieg? Was habt ihr vor?«
»Wundere dich nicht, wenn du in nächster Zeit unreine Haut und Pickel bekommst…«
»Ihr erbärmlichen Drecksbiester!!!«
»Jahaaa, wir wissen, wo’s wehtut!«
»Ich auch – darauf könnt ihr wetten!«
Diesmal erwachte sie weinend. Nun auch die Makellosigkeit ihres Gesichts aufgeben zu müssen, raubte ihr fast den Verstand und zerbrach für den Augenblick jeglichen Willen. Aber sie wusste, dass sie keine Wahl hatte, wenn sie je wieder ihre innere Ruhe finden wollte.
Und – so tröstete sie sich – es war der letzte Preis, den sie zahlen musste, um wieder Herrin über sich selbst zu werden. Danach würde alles gut werden – schön, rein und… und… wie es früher war.
Sie ließ sich wegen einer vorgetäuschten Nervenschwäche krank schreiben, besorgte sich starke Desinfektionsmittel in der Apotheke. Den Telefonstecker zog sie aus der Wand und die Wohnungstür schloss sie von innen ab. Wenigstens sollte niemand, auch nicht durch Zufall, mitbekommen, was jetzt mit ihr geschah. Dann machte sich daran, die Smergs in ihrer letzten Zuflucht zu vernichten.
Was schadete es, dass ihre Augen zu schmalen Schlitzen verquollen und ihr Haar strähnenweise ausfiel? Dass sich ihre Mundwinkel entzündeten und die Haut sich in rotes Pergament verwandelte? Wichtig war der Zweck und die Gewissheit, sich ein für alle Mal von diesem Fluch zu befreien. Auch auf den Trümmern einer Ruine konnte man etwas neues, schönes aufbauen.
Aber sie fühlte sich sterbenselend. Die geschundene, entzündete Haut und die Desinfektionsmittel vergifteten ihren Körper. Ihr Kreislauf machte immer öfter schlapp und sie musste sich zwingen, regelmäßig zu essen. Allein der Geruch der Lebensmittel ließ ihr schlecht werden.
»Claudia!«
Ihre Antwort war ein leises, kraftloses Schluchzen. In Shlorms Stimme schwang diesmal eine unerbittliche Härte, die ihr Angst machte.
»Du hast es fast geschafft. Doch nicht ganz. Ich bin der Letzte meines Volkes. Aber ich werde überleben. Ich werde von nun an in deinem Kopf bleiben. Unangreifbar für dich. Ich werde dir erzählen, von meinem Hass und meiner Verzweiflung… und von meiner Trauer. Du wirst meine Gefühle teilen und sie fühlen, wie ich sie fühle. Und ich werde bei dir sein – jede Nacht!«
***
Hunter, der untersuchende Kommissar, wandte sich kopfschüttelnd an Inspektor Issel, seinen Assistenten.
»Hab ich das richtig verstanden? Sie hat sich einen Stielkamm durchs Ohr bis ins Hirn gebohrt?«
Issel nickte und zuckte mit den Achseln, als müsse er sich für irgend etwas entschuldigen
»So ist es, Chef. Sowas ist mir noch nie untergekommen.«
»Und die ganzen verschütteten Desinfektionsmittel?«
»Wissen wir noch nicht. Unser Psychologe hält es nicht für unmöglich, dass irgendein seltsames Ritual im Spiel war.«
»Und was denken Sie persönlich?«
»Selbstmord vielleicht. Für eine junge Frau muss es sicher eine ungeheure Belastung sein, so… «, er zögerte kurz, »…so auszusehen.«
Hunter stemmte die Hände in die Hüften und schüttelte wieder den Kopf.
»Junge, Junge«, sagte er. Und noch einmal: »Junge, Junge«.
© Achim Hildebrand 2004