Sog

Sog

Meinen Schnapsvorrat hat Papá nicht gefunden, sein Geld hingegen habe ich entdeckt. Der Umschlag ist ausgebeult, viel zu groß für das, was noch drinsteckt. Papá muss viele Tausender ausgegeben haben.
Die ganze Nacht habe ich wachgelegen, überlegt. Ich könnte einfach mit den Scheinen abzuhauen. Doch das wäre nicht gerecht. Wenn er heute Abend vom Feld zurückkommt, habe ich etwas Anderes mit ihm vor.

Drei Jahre ist es her, als sie mich in unserer Straße auf einen Pritschenwagen verladen haben. Zu den anderen Freiwilligen. Ich konnte mich nicht verabschieden, musste alles zurücklassen.
In einem Flusstal angekommen, nahmen sie mir die Augenbinde ab, schüchterten mich ein, bedrohten und misshandelten mich. Ich musste hungern, wurde krank. Man gab mir Schnaps und Kathstrauch.
Ich lebte in ständiger Angst, verletzt oder getötet zu werden.
Bis ich selbst Gewalt anwenden musste. Grausamkeiten begangen habe.
Wieder und wieder.
Ich wollte fliehen. Doch die Gefahr, erwischt und kaltgemacht zu werden, war groß.

Bis es vorbei war und ich dachte frei zu sein.
Ich lebte auf der Straße. Vor den Markthallen prügelte ich mich um Fleisch, um süßes und fettiges Brot, um vergorenen Hafer- oder Maissaft, den ich bis zum Umfallen trank. Der mit half, meine Schmerzen zu vergessen. Ich schlief auf kalten Böden in verlassenen Gebäuden. Dachte, die schlimmen Bilder vertreiben zu können, die Alpträume, die Angst.
Bis ich erneut auf einen Pritschenwagen geladen wurde. Sie trugen andere Uniformen, sprachen Englisch.
Sie brachten mich in eine Stadt aus Zelten. Sie gaben mir Fleisch, Gemüse, Obst, klares Wasser in zerkratzen Plastikflaschen. Behandelten meine Wunden.

Als mich Papá holen kam, dachte ich, alles würde wie früher sein. Doch dann senkte er die Stimme und erzählte mit feuchten Augen irgendetwas von Geschwister schützen. Dass ich damals nicht zufällig auf dem Schulweg aufgegriffen wurde, dass meine Eltern dachten, dass mich die Soldaten gut behandeln, und dachten, dass das Geld, für das sie mich verkauft haben, zum Überleben reicht, und hofften, dass ich unversehrt heimkehre.
Mama wurde getötet, meine Geschwister verschleppt.

Die dünne Drahtseilschlinge habe ich von einem LKW geklaut. Ich weiß damit umzugehen.
 



 
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