Sommerschnee

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Pennywise77

Mitglied
Wenn jemals im Sommer der Schnee auf der Lichtung
den Waldanemonen die Blüten vereist,
die Klauen des Winters in kalter Verpflichtung
den Juni begraben im frostigen Weiß

und unten im Tal auf den Steinen die Glätte
den Bachlauf verlangsamt in hundskalter Stund,
bis schließlich sein Murmeln und Flüstern im Bette
genau wie das Liedchen der Drossel verstummt...

Wenn je im August auf den knarzenden Tannen
die eisige Pracht sie verbiegt und zerbricht,
am tiefgrauen Himmel die Wolken sich spannen
und ewig zu bleiben der Winter verspricht,

wenn nie mehr ein blutjunger Morgen errötet,
weil fortan die Sonne das Leben verneint,
dann hab ich mit Worten die Liebe getötet,
von der ich einst dachte, dass sie uns vereint.
 
Feine Poesie, die um eine Kernaussage kreist, der man gerne zustimmen möchte.

Auch wenn wir meist nur die besten Absichten mit uns führen, töten wir oft die alles einende Liebe und noch viel mehr… und oft mit unseren Worten… bis es vielleicht wirklich keinen „blutjungen Morgen“ mehr gibt, keine Sonne… nur noch die ewige Kälte, Schnee auch im Sommer…
- und nur noch 90 Sekunden auf der Atomkriegsuhr -

So sieht das zumindest:

Erdling, mit LG
 

Pennywise77

Mitglied
Moin Dichter Erdling,

der Atomkrieg Aspekt mit seinem nuklearen Winter ist auch eine Deutung, die mir sehr gefällt. Allerdings nur auf meinen Text bezogen. Ich habe selbst zwei Deutungen, die sich einzig auf die Gefühlsebene beziehen. Die dritte von Dir hat definitiv einen inhaltlichen Reiz. Danke für Deinen Kommentar.

Gruß

Pennywise
 

Scal

Mitglied
Wunderbar, man müsste es vertonen.
Mir begegnet hier - ja, ich assoziiere - die "Gefühlsfarbe" grandioser Songs von King Crimson, etwa 1970: In the court of the crimson king, Epitaph, In the wake of poseidon ...
Jetzt bin ich abgeschweift.

Liebe Grüße
Scal
 
G

Gelöschtes Mitglied 24893

Gast
Schön, dass mein Gedicht ausgegraben wurde

Was es mit diesem Gedicht zu tun hat, will sich mir aber nicht wirklich erschliessen…

ps. Doch, jetzt sehe ich, was du damit sagen willst. Interessante Beobachtung!
sprachliche verwandschaft im wenn, wie und auch ausklang beidseitig
 

Chandrian

Mitglied
Dein Einweihungswunsch wurde bislang nicht beachtet.
Stimmt, ich hatte gehofft, dass Reisende dies ausführen könnte… ich komme auch nur bedingt mit. Grundsätzlich hat @Reisende ja darauf hingewiesen, dass eine „Verwandtschaft menschlicher Gedanken“ vorliege (die zwei Gedichte betreffend). Diese Beobachtung kann ich teilweise nachvollziehen, Telefonnummern tauschen hingegen… ;)
 

Pennywise77

Mitglied
Vielen Dank für die Resonanz.
Was die Verwandtschaft zu "Warnung" betrifft, muss ich sagen, dass ich das nicht wirklich erkennen kann. Aber der Text gefällt mir definitiv auch.
 

sufnus

Mitglied
Hi Pennywise,

mir sind, als ich stiller Mitleser bei poetry war, schon viele Deiner Texte sehr positiv aufgefallen - also: Bin schon länger im Fanclub und habs hier trotzdem noch nicht geschafft, eins Deiner Gedichte zu kommentieren...
Du hattest ja z. B. vor einiger Zeit diesen echt geilen Text, mit dem Schicksal, welches dem lyrischen Autopiloten den Gurt löst - das wollt ich immer rühmen und habs dann einfach verpasst... zu wenig Zeit... zu viele Gedichte...

Insofern ist ein kleines bisschen unglücklich, dass ich jetzt grad mit einem Gedicht einsteige, dass ich mit leicht gemischten Gefühlen lese... wobei die positiven aber trotzdem deutlich überwiegen - das sei gleich mal betont!
Der amphibrachyale Walzerrhythmus ist ja wirklich ohne Fehl und Tadel extrem schnittig durchkomponiert und die Bilder sind eindringlich und zart zugleich. Also eigentlich alles (sehr sehr) gut! Happy Sufnus. :)

Mein einzigstes Häkchen wäre, dass es durch die Formstrenge und die etwas altmodische Sprache ein bisschen unmodern klingt. Deine Zeilen erinnern mich an ein Gedicht von Christina Rosetti: A Dirge.
Ich glaube J. K. Rowling hat in einem ihrer pseudonym veröffentlichten Krimis ein Zitat daraus für den Titel benutzt, A cuckoo's calling.

Na jedenfalls, worauf ich hinaus will: Das Rosetti-Gedicht ist wirklich wunderschön, aber halt im 19. Jh. geschrieben und für mich lesen sich Deine Zeilen auch ein bisschen viktorianisch.
Hoffentlich klingt das jetzt nicht nach zu harscher Kritik, denn grundsätzlich ist ja nix verkehrt daran, auch im 21. Jh. mal eine Kostümparty zu veranstalten. Gedichte-technisch sitz ich da durchaus auch im Glashaus und verfasse Etliches "im alten Stil". :) Es war mir nur bei den Zeilen hier grad besonders aufgefallen.
Wichtiger als dieser Einwand ist aber das Grundsätzliche: Cooler Rhythmus, starke Bilder, schöne Sprache. Like! :)

LG!
S.
 

Pennywise77

Mitglied
Moin Sufnus,

zunächst mal danke für die Blumen.
Was die alt wirkende Sprache von diesem Text hier betrifft, kann ich sagen, dass es mich freut, dass Du eben genau darauf hinweist.
Das Wort "Sommerschnee" ist aus Game of thrones. Da wurde ein Ort mit beschrieben. Es klingt für mich sehr romantisch. Ich wollte dieses Wort nutzen und bin auf diese Idee gekommen. Und ich wollte dieses alte Flair der Serie mit reinbringen. Ich würde aber sagen, dass ich es nicht sonderlich übertrieben habe. Ist wahrscheinlich Geschmackssache.
Es freut mich sehr, dass Dir "Der Beifahrer" gefallen hat und Du auch hiermit ein bißchen Freude hattest.

Gruß

Pennywise
 

sufnus

Mitglied
Ah! Ja, jetzt versteh ich das Konzept hinter den Zeilen besser! Ich hab tatsächlich weder mit den Büchern von Martin noch mit der Serie wirklich Erfahrungen gesammelt, insofern hab ich beim Titel auch nicht schalten können! Danke für die Aufklärung! :)
LG!
S.
 

Pennywise77

Mitglied
Ich schaue die Serie auch erst jetzt und habe mich lange gegen gewehrt. Allerdings hat mein Gedicht nichts mit der Serie oder dem Ort dort zu tun. Lediglich das Wort hat mich inspiriert und ich habe etwas von der Sprachfarbe einfließen lassen.
Danke Dir jedenfalls für den ausführlichen Kommentar.

Gruß

Pennywise
 

Wolke9

Mitglied
Hallo Pennywise77,

Jetzt steuere ich auch noch meine Leseart bei.

Inhaltlich lese ich dieses Gedicht als Naturgedicht.
Ich finde es für sehr ansprechend, wie Du die Zeit-Dimension: Zukunft lyrisch umgesetzt hast, ohne dabei die Gegenwart aus dem Auge zu verlieren. Sehr gut gemacht, dieses „zwischen-den-Zeiten“.

Viele Grüße Wolke9
 



 
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