spleißen

es gab eine zeit da liebäugelte ich
mit dem selbstgewählten schmerz da
fand ich mich lebendig im veratmen
da war diese lust die in mir schrie
mich mit jeder faser zu fühlen zu
spüren wo grenzen verschiebbar wurden
mein wille sich dem deinen unterwarf
und schmerz zum geschenk wurde

heut kann ich nicht mehr knien vor
dir noch vor sonstjemandem fühle ich
mich bezwungen mit jeder faser wählt
der schmerz mich und nicht umgekehrt
steckt er mir neue grenzen enger als
jedes korsett - wie liebte ich damals
dessen strenge den seidigen glanz

es wird zeit mich zu unterwerfen
hinzunehmen nicht mehr zu kämpfen
meine kräfte zu sparen für das
veratmen für das verschieben der
perspektive die grenzen sind bloß
anders





.jan_2024

Der Spleiß als dauerhafte und bruchfeste Verbindung —
Vollständig. Unzerbrechlich.

Das lyrische Ich liebte "damals" die
"strenge den seidigen glanz" des Korsetts, in der Zeit, die aus dem "selbstgewählten Schmerz" bestand.

Die Suche nach Frieden und Freiheit ist zum Ende des Gedichts die Unterwerfung und somit in meiner Empfindung die Kapitulation davor, immerzu alles kontrollieren zu wollen, und zwar besonders in der Gemeinsamkeit, der Liebe, dem Sex.

Die Unterwerfung ist das Loslassen und demnach tiefe Befreiung.

Hieraus das Ganz-Werden als Spleiß: Die dauerhafte und bruchfeste Verbindung zu sich selbst.

Ein Meisterstück, Claudia. Beautiful.

Max Neumann schrieb:

Die Unterwerfung ist das Loslassen und demnach tiefe Befreiung.

Hieraus das Ganz-Werden als Spleiß: Die dauerhafte und bruchfeste Verbindung zu sich selbst.

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Oh, wow! Ich hatte nicht damit gerechnet auf dieser Ebene so treffsicher gelesen zu werden, lieber Max.

Das freut mich wirklich zutiefst und ich danke dir für die schöne Rezension und Interpretation.
Es geht aber im weiteren Sinn auch um die Kontrollsehnsucht im Körperlichen (den Alterungsprozess und die Selbstliebe).
Danke von tiefstem Herzen fürs Einfühlen und Mitgehen. Und für die gute Bewertung natürlich auch. Schön, dass ich da wohl einen Nerv treffen konnte.

Ich wünsch dir einen angenehmen Abend!!!

Claudia

In den Kräften des Veratmens ... anwesend sein.
Ja, Dein Gedicht macht Dich spürbar.

LG

Scal schrieb:

In den Kräften des Veratmens ... anwesend sein.
Ja, Dein Gedicht macht Dich spürbar.

Zum Vergrößern anklicken....

Danke dafür und für's Hinspüren, Scal.

LG!