Stadtrand-Idylle

Stadtrand-Idylle

Was glotzen Sie? Hier gibt‘s nicht viel zu sehen:
ein Haus mit Kiesweg und ein Rasenstück.
Ich bin wie jeden Nachmittag beim Mähen,
von links nach rechts, nach vorne und zurück.

Das Mähen ist kein schlichtes Mäher-Schieben.
Man plant es wie derzeit den Bau von Rom
als Netz von Flächen, feiner als bei Sieben,
akribisch und mit Rasenmäh-Diplom.

Um abends schneller einzuschlafen, zähle
ich kleine grüne Halme, alle gleich.
Wenn sich im Alptraum einer sträubt, dann quäle
ich ihn mit Glyphosat, als Herr im Reich.

Der Rasen ist ein Spiegelbild des Lebens,
von Ziel und Umkehr bis zur letzten Frist.
So mancher sucht den Sinn darin vergebens.
Allein der Mäher weiß: wer mäht, der ist.

Das Mähen gibt uns Halt. Selbst in der Ehe.
Was hätte schon ein Mensch von seinem Glück,
wenn er‘s nicht täglich Stunden vor sich sähe?:
das Haus, den Kiesweg und ein Rasenstück.

Moin Tula,

ja, da blühen manche Menschen auf, wenn in ihren Garten alles sorgfältig gestutzt,
und die Hecke im rechten Winkel geschnitten ist.
Fein verdichtet!

Grüße in den Sonntag
Trist

Übrigens, die erste Zeile ist genial.

Hallo Tula,
Fünfhebig mit jambischen Auftakt erzählt das Gedicht vom Sinn des Lebens als ein ewiges Hin-und-Her Geschiebe innerhalb einer Vorgartenidylle.
Der Mäher, als ausführendes Organ ist sogar philosophisch im Descart'schen Sinne, wie auch die Helfer, welche die Widrigkeiten der menschlichen Halme mit der Glyphosatgeisel züchtigen.

Diesen Bannkreis im übermenschlichen Selbstzweck auf ein Rasenviereck zu komprimieren und damit den Sinn und Unsinn der Lebensunbequemlichkeit abzuleiten, hat mir außerordentlich gut gefallen.
Schönen Sonntag
Beislgrüße

Hallo Trist
Ein jeder ist seines Glückes Mäher
Ich hätte ja auch gern ein perfekt gepflegtes Grundstück. Doch dann fehlte mir das Geld zum Gärtner, weil ich ja selbst viel zu faul dazu bin ...

LG
Tula

Hallo Hans
Natürlich muss jeder selbst entscheiden, wie er/sie sich glücklich macht. Und für die Älteren: Gartenarbeit hält fit, ohne Zweifel.
Aber dennoch: als ich neulich im Urlaub daheim durchs Viertel schlenderte (früher fast nur Gärten, heute Grundstück an Grundstück mit einem auffälligen Mangel an Blumenbeeten) und all die glücklichen Rasenmäher (nicht wenige noch viel jünger als ich) bewundern durfte, fragte ich mich irgendwann: würdest du so glücklicher sein? - Die Antwort fiel mir leicht ...

LG
Tula

Moin Tula,
bevor ich auf das Gedicht eingehe. Sch... doch auf ein akribisch gepflegtes Grundstück. Die Natur wird es Dir und der Faulheit danken.

Zum Text:
Ich finde ihn klasse. Ich bin ein absoluter Metrik Fanatiker. Und hier ist alles stimmig. Du verwendest hier keine 0815 Reime. Über "sehen" und "mähen" würde manch einer meckern. Mich stört es nicht, denn das geht in flotten Lesefluss leicht unter. Übrigens auch ein kreativ gewähltes Thema.
Hat mir sehr gefallen.

Gruß

Pennywise

Guten Tag, Tula!

Soll man die unterhaltsame Geschichte loben oder Deine schier grenzenlose Phantasie,
aus der Du nach belieben fischen kannst, wie gerade Bedarf ist?
Wer das macht, der muss doch auch das Flair von Leichtigkeit und Flexibilität Deiner Geistesarbeit,
wahrgenommen haben.

Gruß Arianne

Hallo Pennywise
Danke dir für Sternchen und den freundlichen Kommentar. In der Tat versuchte ich, dass monontone -äh/-eh des elektrischen Mähers selbst durch Wiederholung der Reime etwas zu verstärken, natürlich ohne dabei zu übertreiben.

LG
Tula

Hallo Arianne
Das geistige Fischen bzw. Angeln ist tatsächlich ein guter Vergleich, weil es eben nicht immer so gelingt wie man will und Stunden warten muss.
Dann ins Gedicht kommen aber nur die die besonders dicken Fänge

Dankend lieben Gruß
Tula

Die absolute Kontrolle zu haben über die Natur (zumindest von der Haustür bis zum eigenen Gartenzaun)...was kann es Beruhigenderes und Befriedigenderes geben? Und was könnte den eigenen Erfolg im Leben besser abbilden!?
Sehr gelungen auf den Punkt gebracht und mit herrlicher Leichtigkeit. Sehr gerne gelesen, Tula!

Lieber Gruß,
fee

Hallo fee
Das ist in der Tat die Frage, ob der sterile Rasen noch etwas mit Natur zu tun hat. Schöner und wahrhaftig aber jener Garten als Hort der Schmetterlinge ...

Dankend lieben Gruß
Tula