standplätze

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Perry

Mitglied
Hallo Karl,

dazu fällt mir der Spruch:

"Älter werden ist nicht schwer, alt zu sein dagegen sehr" ein.

Konstruktiv bin ich bei dem

"unausweichlich träge
fließt er talwärts
der alte nebenfluss"

hängen geblieben. Nicht nur weil Flüsse grundsätzlich tal- bzw. abwärts fließen, sondern auch weil das "neben" hier zwar die Assoziation "neben der Spur antippt, letztlich er aber trotz aller Stolperstellen/Stromschnellen in den Hauptfluss mündet.

Vielleicht kannst du was damit anfangen. Ich jedenfalls bleib dem Fortschritt weiter unermüdlich auf der Spur. :)

LG
Manfred
 
Lieber Manfred,
danke für Deinen einfühlsamen Kommentar. Natürlich lasse ich mich trotz meines Alters (74) noch immer gern auf Fortschritte ein. Nur manchmal überkommt mich Resignatives...
Herzliche Grüße
Karl
 
F

Frodomir

Gast
Hallo Karl Feldkamp,

wenn ich mir eine Meinung zu deinem Gedicht erlauben darf: Ich finde, es hat hervorragende Ansätze und spielt diese nicht noch besser aus, als es eh schon der Fall ist, weil es in meinen Augen noch zuviel erklärt. Aber der Reihe nach.

Der Titel standplätze erscheint mir erstmal relativ nichtssagend, Standplätze gibt es für Taxis, Wohnmobile und nach wiktionary interessanterweise auch für "Huren" (oO). Bei genauerer Betrachtung des Titels wird mir aber klarer, dass er für das Fortschrittsthema gut geeignet ist, weil ein Standplatz ja in der Regel (außer bei Dauercampern) nicht für die Ewigkeit gedacht ist, sondern eher als temporäre Lokalität fungiert.

Womit wir beim eigentlichen Punkt wären: Der Fortschritt. Für mich ist dieser der Aufhänger für dein Gedicht und Bezugspunkt für die Position des Lyrischen Ichs. Ich fasse das Fortschrittsthema gesellschaftskritisch auf, sodass die Einstellung des Lyrischen Ichs dazu durchaus Sprengkraft besitzt. Nichtsdestotrotz bin ich der Ansicht, dass dem Lyrischen Ich im Gedicht zuviel Larmoyanz eingeräumt wird, weil die gesellschaftskritische Komponente so in den Hintergrund tritt und ihre Kraft verliert. Besonders auffällig finde ich das in Strophe 1 Vers 6:

fortschritt bringt
vor allem neue wochen
mit unbekannten stolperfallen
Meiner Meinung nach erklären die unbekannten Stolperfallen zuviel und rauben somit der richtig starken Sentenz fortschritt bringt vor allem neue wochen die Energie. Dieser Satz aber ist so stark, dass ich mich genötigt fühle, auf dich einzureden, diesen nicht durch den sechsten Vers zu schwächen! ;-)

Genau so stark finde ich das Ende deines Gedichtes:

und bleibe ich stehen
verharre nur ich
unaufhörlich
Der Hinweis darauf, dass durch einen Ausstieg aus den gesellschaftlichen Umständen, sofern das überhaupt möglich ist, die anderen Menschen trotzdem immer weiter fortschreiten, ist in meinen Augen lyrisch sehr gut umgesetzt worden, aber geradezu brillant empfinde ich das unaufhörliche Verharren, welches durch die semantische Opposition beider Wörter eine starke Spannung enthält, sodass das Gedicht hier seinen Höhepunkt erlebt, der nachhallt.

Wenn ich nun ehrlich sein darf, würde ich dein Gedicht besser finden, wenn du dich ganz auf das Fortschrittsthema beschränken würdest. Ohne einen Affront gegen dich provozieren zu wollen, wäre mir diese Besinnung auf das Wesentliche eine noch größere Lesefreude gewesen, als es das Gedicht in seiner jetzigen Form ist:

fortschritt bringt
vor allem neue wochen
und bleibe ich stehen
verharre nur ich
unaufhörlich
Zwischen Vers 2 und 3 müsste nur noch ein kleiner Übergang geschaffen werden, dann wäre es in meinen Augen perfekt. Denn die Rede vom Fluss, der Nachtigall und vom Irrweg erzeugen mir zuviele Assoziationsräume und lassen kein stringentes Bild entstehen, zumal die vielen Adjektive das Gedicht noch weiter verwässern.

Nun, steinige mich bitte nicht, aber ich finde Teile deines Gedichtes extrem gut, andere Teile dagegen fallen meiner Meinung nach zu sehr ab. Sollte ich mit meiner Deutung, die auf eine gesellschaftskritische Komponente zielt, fehlgegangen sein, bitte ich um Aufklärung.

Viele Grüße
Frodomir

PS: Ich habe durch die monatelange Beschäftigung mit meiner Masterarbeit wirklich das Schreiben verlernt, ich hoffe, du konntest mir trotzdem folgen.^^
 
Lieber Frodomir,
Deiner Kritik kann ich eine Menge abgewinnen. Ich werden mir ein wenig Zeit lassen, um meine möglichen neuen Erkenntnisse in den Text einzubauen.
Vorerst danke ich Dir herzlich.
Viel Glück im neuen Jahr, in dem hoffentlich durch das Schreiben von Sachtexten nicht Deine lyrische Ader versiegt...
Karl
 
unumgänglich scheints
von tag zu tag mach
ich mich lächerlicher
fortschritt bringt
vor allem neue wochen

unausweichlich träge
fließt er talwärts
der alte nebenfluss
selbst wenn nachtigallen
mit betörendem gesang
von seinem irrweg ablenken

und bleibe ich stehen
verharre nur ich
 
F

Frodomir

Gast
Hallo Karl Feldkamp,

wie ich sehe, hast du nochmal an deinem Gedicht gebastelt und von der ersten und letzten Strophe jeweils den letzten Vers entfernt. Wie ich ja bereits erwähnte, finde ich diese Kürzung in der ersten Strophe sehr gut, weil die die zwei Vorverse stärker zur Geltung bringt.

Das Abschlusswort unaufhörlich dagegen vermisse ich sehr, weil ein unaufhörliches verharren die Spannung des Lyrischen Ichs bezüglich des Fortschritts unglaublich gut ausdrückt und meiner Meinung nach nicht fehlen darf. Verharren als etwas Statisches gegen die nach vorn dringende Gewalt des Unaufhörlichen in eine zerreißende Opposition zu setzen, das ist doch klasse! Warum hast du es bloß weg gemacht?

Danke für deinen guten Wunsch und nein, dafür ist mir die Lyrik viel zu wichtig! Ich wünsche dir auch alles Gute für 2018 und viel Schaffenskraft!

Viele Grüße
Frodomir
 
unumgänglich scheints
von tag zu tag mach
ich mich lächerlicher
fortschritt bringt
vor allem neue wochen

unausweichlich träge
fließt er talwärts
der alte nebenfluss
selbst wenn nachtigallen
mit betörendem gesang
von seinem irrweg ablenken

und bleibe ich stehen
verharre nur ich
unaufhörlich
 



 
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