Hallo Karl Feldkamp,
wenn ich mir eine Meinung zu deinem Gedicht erlauben darf: Ich finde, es hat hervorragende Ansätze und spielt diese nicht noch besser aus, als es eh schon der Fall ist, weil es in meinen Augen noch zuviel erklärt. Aber der Reihe nach.
Der Titel
standplätze erscheint mir erstmal relativ nichtssagend, Standplätze gibt es für Taxis, Wohnmobile und nach
wiktionary interessanterweise auch für "Huren" (oO). Bei genauerer Betrachtung des Titels wird mir aber klarer, dass er für das Fortschrittsthema gut geeignet ist, weil ein Standplatz ja in der Regel (außer bei Dauercampern) nicht für die Ewigkeit gedacht ist, sondern eher als temporäre Lokalität fungiert.
Womit wir beim eigentlichen Punkt wären: Der Fortschritt. Für mich ist dieser der Aufhänger für dein Gedicht und Bezugspunkt für die Position des Lyrischen Ichs. Ich fasse das Fortschrittsthema gesellschaftskritisch auf, sodass die Einstellung des Lyrischen Ichs dazu durchaus Sprengkraft besitzt. Nichtsdestotrotz bin ich der Ansicht, dass dem Lyrischen Ich im Gedicht zuviel Larmoyanz eingeräumt wird, weil die gesellschaftskritische Komponente so in den Hintergrund tritt und ihre Kraft verliert. Besonders auffällig finde ich das in Strophe 1 Vers 6:
fortschritt bringt
vor allem neue wochen
mit unbekannten stolperfallen
Meiner Meinung nach erklären die
unbekannten Stolperfallen zuviel und rauben somit der richtig starken Sentenz
fortschritt bringt vor allem neue wochen die Energie. Dieser Satz aber ist so stark, dass ich mich genötigt fühle, auf dich einzureden, diesen nicht durch den sechsten Vers zu schwächen! ;-)
Genau so stark finde ich das Ende deines Gedichtes:
und bleibe ich stehen
verharre nur ich
unaufhörlich
Der Hinweis darauf, dass durch einen Ausstieg aus den gesellschaftlichen Umständen, sofern das überhaupt möglich ist, die anderen Menschen trotzdem immer weiter fortschreiten, ist in meinen Augen lyrisch sehr gut umgesetzt worden, aber geradezu brillant empfinde ich das
unaufhörliche Verharren, welches durch die semantische Opposition beider Wörter eine starke Spannung enthält, sodass das Gedicht hier seinen Höhepunkt erlebt, der nachhallt.
Wenn ich nun ehrlich sein darf, würde ich dein Gedicht besser finden, wenn du dich ganz auf das Fortschrittsthema beschränken würdest. Ohne einen Affront gegen dich provozieren zu wollen, wäre mir diese Besinnung auf das Wesentliche eine noch größere Lesefreude gewesen, als es das Gedicht in seiner jetzigen Form ist:
fortschritt bringt
vor allem neue wochen
und bleibe ich stehen
verharre nur ich
unaufhörlich
Zwischen Vers 2 und 3 müsste nur noch ein kleiner Übergang geschaffen werden, dann wäre es in meinen Augen perfekt. Denn die Rede vom
Fluss, der
Nachtigall und vom
Irrweg erzeugen mir zuviele Assoziationsräume und lassen kein stringentes Bild entstehen, zumal die vielen Adjektive das Gedicht noch weiter verwässern.
Nun, steinige mich bitte nicht, aber ich finde Teile deines Gedichtes extrem gut, andere Teile dagegen fallen meiner Meinung nach zu sehr ab. Sollte ich mit meiner Deutung, die auf eine gesellschaftskritische Komponente zielt, fehlgegangen sein, bitte ich um Aufklärung.
Viele Grüße
Frodomir
PS: Ich habe durch die monatelange Beschäftigung mit meiner Masterarbeit wirklich das Schreiben verlernt, ich hoffe, du konntest mir trotzdem folgen.^^