Sternblüth

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sufnus

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Sternblüth

Sternblüth war zurück metastasiert
im lunatischen Lymphpark
das stille Kind beim Nähen
Zeremoniengewänder flüchtiger Wunder

So mancher bleibt abends ohne Befund
doch Sternblüth umfasste
mutational landscapes
großer onkologischer Schönheit

Darum saß sie da
glaubte an die Stimmen der Eltern
die längst viel freundlicher waren als früher
räumte die Fenster zur Nachbarschaft leer
verschwieg das meiste
belauschte die Amseln
begann sich zu lösen
 
Zuletzt bearbeitet:

Scal

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Lässt sich durch Sprache ein Befund ins Blütenhafte metamorphosieren ?
Dein Gedicht gibt die Antwort.
Der (wunderbare) Titel umhüllts.

LG
 

seefeldmaren

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Eine Durchdringung des Krankseins, die gleichermaßen zart, verstörend und schön ist. „Sternblüth war zurück metastasiert“ ist paradox und ein Oxymoron (Doppeldeutigkeit schafft eine Poetik mit Tiefe), denn: Die Rückkehr geschieht durch Metastasen. Nicht das Heim, sondern die Krankheit ist der Ort der Wiederkunft. Der Name „Sternblüth“ steht für mich in starkem Kontrast zur kalten und klinischen Realität.
Du führst den Ton dann in eine Art schwebende Andacht über: Das „stille Kind beim Nähen“ und die „Zeremoniengewänder flüchtiger Wunder“ wirken fast sakral. Das Wunderhafte ist ephemer, aber es wird noch einmal heraufbeschworen.

Mut zum Polyglottismus: „mutational landscapes / großer onkologischer Schönheit“... das ist eine kühne Formulierung, die das Krankheitsgeschehen, in dem Kasus Krebs, in eine nahezu perforierte Landschaft verwandelt. Es entsteht eine „sublime pathology“, eine Erhabenheit im Zerfall; nicht im Trotz gegen das Grauen, sondern im Eingeständnis seiner Schönheit. Die letzte Strophe hat mich aber nochmal besonders angefasst, weil sie dieser vorangegangenen Abstraktion eine greifbare Figur gibt.

Hier wird es plötzlich konkreter: Der „Glaube an die Stimmen der Eltern“, die sich „viel freundlicher“ zeigen, wirkt wie ein inneres Bild des Trostes, das von erschütternder Zartheit ist, vielleicht aus der Kindheit, oder, vielleicht imaginiert. Das „Fenster zur Nachbarschaft“, das „leergeräumt“ wird, lässt an den Rückzug aus der Welt denken. Und dann diese leisen, letzten Gesten: das Verschweigen, das Belauschen der Amseln, das Sich-Lösen in ein offenes Ende.

Lieber Sufnus,

dein Gedicht hat eine für mich interessante Reife und schleudert mir den pflastersteinkaltengrund der Existenz mit einer solchen Radikalität entgegen, wie ich sie nur selten erlebt habe.
Ich bin unschlüssig, was den Einsatz der Adjektive betrifft: ob sie die Bildwelt vertiefen oder sie stellenweise überladen. Wahrscheinlich beides zugleich. Mein ehrlicher Eindruck ist: Ich kann es nicht abschließend beurteilen. Vielleicht würde ich nach „metastasiert“ einen Punkt setzen, um die Erschütterung dieses ersten Bildes stärker isoliert wirken zu lassen.

Der „lunatische Lymphpark“ ist klanglich schon sehr stark und die Alliteration sitzt. Trotzdem spüre ich eine kleine Kollision beim Zusammenspiel von „lunatisch“ und „Park“. Das eine suggeriert Entrückung oder Wahnsinn, das andere ist ein eher geerdeter, öffentlicher Raum. Vielleicht liegt genau darin auch ein Reiz. Begriffe wie „Park“ tun dem Gedicht weitererseits wieder gut, denn sie nehmen Pathos und Larmoyanz heraus, verlagern den Blick zurück auf Sternblüth und schaffen ein Gegengewicht zur Erhabenheit des Bildvokabulars. "-blüth" ist archaisierend geschrieben, oder? Ein, meiner Meinung nach, nicht unwesentliches Detail, das die Blickrichtung subtil nach hinten richtet, also in die Vergangenheit.


Sternblüth war zurück metastasiert.
im lunatischen Lymphpark
das stille Kind beim Nähen
Zeremoniengewänder flüchtiger Wunder
Um es für mich besser zu verstehen, breche ich es herunter auf:

im Lymphpark ist
ein Kind beim Nähen
an Gewändern für ein späteres Fest

Ist nur Gedankenspielerei. Der Tod ist Reduktion, manchmal in der Manier eines Kindes, das in Stille (für mich mittlerweile ein schwieriges Wort)
tut, was es tut. Ich finde tatsächlich, dass die Weglassung von "stille" dem Gedicht gut tun würde. Zeig die Stille im und um den Kind lieber

Maren
 

Scal

Mitglied
In meinem Empfinden bewirkt die schlichte Zeile "das stille Kind beim Nähen" ein augenblickhaftes Bild, in dem das gesamte Geschehen oder Thema wie komprimiert zu sein scheint, um das herum es sich gewissermaßen entfaltet. Von diesem Blickwinkel aus betrachtet, würde ich auf die Zeile nicht verzichten wollen. Wie öfter bei fragilen Angelegenheiten, gibt es halt unterschiedliche Empfindungssichtweisen.

LG
 

sufnus

Mitglied
Hey!

Vielen Dank für die vielen Anmerkungen und den Sternenhimmel! :)

Hier ist mal wieder ein Gedicht relativ "am Stück" aus meinem Vorbewusstsein kopfgeboren worden und die handwerkliche Nachbefeilung beschränkte sich nur auf einzelne Formulierungen und nicht auf die Grundstruktur.

Wenn ich also als Interpret fungieren soll ( @klausKuckuck , Du hast die Frage nach dem "Sinn" (?) von dem Ganzen ja durchaus mit Berechtigung gestellt), ist mein Wissensvorsprung gegenüber jedem anderen Lesegehirn nicht besonders groß. Immerhin einen Insider-Punkt kann ich doch machen: Der innerliche Anstifter zu diesen Zeilen war der Herr Benn mit seinen Morgue-Gedichten, die ich gerade (mal wieder) gelesen habe. Insofern zielen die Begrifflichkeiten aus dem Feld der Krebsmedizin tatsächlich primär in die Thematik von Krankheit und Tod.
Trotzdem sind die Zeilen - anders als bei den meisten Morgue-Gedichten von Benn - nicht wirklich narrativ gestaltet: Der Anfang ist sowie ziemlich wenig "griffig" gehalten und die letzte Strophe (@seefeldmaren hat den Perspektivwechsel der letzten Strophe hervorragend beschrieben - danke dafür!) lässt zwar eine betroffene Person erahnen, aber eben auch nur dies: erahnen.

Ich glaube, ein wesentliches Element ist eine Art "Anti"-Position zu den Benn'schen Morgue-Gedichten. Beim Benn-Zyklus steht das Entsetzen der ärztlichen Erzählstimme im Vordergrund, die ihre Erschütterung über das menschliche Leid hinter einer inszenierten Abgebrühtheit versteckt und dabei in (scheinbar) zynischer Manier die Sterbenden und Verstorbenen weitgehend entmenschlicht. Bei "Sternblüth" gibt es zwar ein gewisses Zynismus-Element, wenn von "onkologischer Schönheit" gesprochen wird, das soll natürlich schockieren, wachrütteln wenn man so will, aber wichtig ist dann eben der Stimmwechsel in der letzten Strophe, in der (so war zumindest der Plan) eine gewisse "Würde" durchklingt.
Zuletzt ist das "begann sich zu lösen" dann mehrdeutig zu lesen: Ein Ablösungs- oder Abnabelungs-Prozess, ein Auflösungsprozess ins Verschwinden und das Finden einer Lösung, als habe man es mit einer Knobel-Übung zu tun. Letztlich deutet sich damit auch der Begriff der "Erlösung" an, aber ich hoffe, dass der nicht zu stark ins Bild drängt, weil mit einem wohlfeilen "am Schluss war es eine Erlösung" womöglich zu oft ein etwas zu "einfaches" Narrativ gewählt wird, mit dem ein Punkt gesetzt wird, wo ein Doppelpunkt doch angemessener wäre. Aber das ist hier nicht das Thema und ein eigenes Gedicht wert. ;)

Was gibt's sonst zu schreiben? Vielleicht noch zwei Beispiele für etwas, was "im Nachbearbeitungsgang" passiert ist, als der Schreibverstand handwerklich tätig war: Erstens habe ich dabei die zwei ersten Strophen bewusst so gestaltet, dass durch die größere Länge der jeweils ersten und vierten Zeile eine Art "Umarmungseffekt" angedeutet wird und zweitens hab ich relativ lange über den Namen nachgegrübelt. Das Vorbewusstsein hat etwas mit "Stern" vorgegeben, was natürlich zu dem Bild passt, das man im Sterben zu einem "Stern" wird oder aber auch (umgedrehtes Vorzeichen) das Sterben mit dem Erlöschen eines Sternes vergleichbar sei. Das war mir aber alles noch etwas zu "grob". Die Vermischung der (angedeuteten) Sternmetapher mit einer Blumenmetapher (die geknickte Rose als Symbol auf Grabsteinen usw.) schien mir eine ganz gute Idee zu sein, um etwas mehr Offenheit in das Bild zu bekommen. Und dann ist mir aufgefallen, dass durch die altertümliche Schreibweise (Maren hat ja auch hierauf hingewiesen) noch einige weitere rezeptive Türen (potentiell) aufgehen könnten. Zehn Jahre vor Benns Morgue-Gedichten war erst der geläufige Gebrauch des "th" in nicht fremdsprachlichen Wörtern vor oder nach langen Vokalen in der damaligen Rechtschreibreform aufgehoben worden (mit der bekannten Ausnahme "Thron"). Wenn man so will, ist das -blüth auch ein kleiner Verfremdungseffekt.

Was die zahlreichen Adjektive angeht, darunter das nicht gerade originelle "still" beim stillen Kind: Da hast Du auf alle Fälle einen technischen Punkt. Gerade beim dem "stillen Kind" schwinge ich eher auf Scals Empfindungsspur und denke, dass einiges auseinanderfällt, wenn ich da die Wörterschere ansetze. Beim lunatischen Lymphpark war ich mir das lunatisch schon beim Eintippen auch nicht so ganz gehauer - das kam aus einer Tiefenschicht und ich hab es erst mal so gelassen, aber nur auf Bewährung. ;) Die "Zeremoniengewänder flüchtiger Wunder" bedienen einen hohen Ton (natürlich ins pathetische Register reichend), der mir an der Stelle passend erscheint, dagegen wären die "Gewänder für ein späteres Fest" zu nüchtern und mit dem "später" käme zumindest potentiell ein "theologischer Ton" rein, den ich in dem Text gerade nicht mit an Bord haben wollte. ;)

LG!

S.
 

seefeldmaren

Mitglied
Hallo Sufnus,
ein Vorschlag war das ja nicht, eher eine Reduktion für mich, um damit zu spielen.
dagegen wären die "Gewänder für ein späteres Fest" zu nüchtern
Vorhin fiel mir noch ein, dass "Staub" ein schönes Nomen wäre, der sich neben das nähende Kind legt.
Ich wünsche Dir einen schönen Tag!

Maren
 

sufnus

Mitglied
Hey! :)

ein Vorschlag war das ja nicht, eher eine Reduktion für mich, um damit zu spielen.
Ja - ich hab es auch durchaus als sprachlichen Testlauf gelesen und dann mal probehalber mitsimuliert. :) Ich denke aus einer extrem reduzierten Herangehensweise - dann gerne bis ins syntaktisch Überverknappte reichend - ließe sich nochmal ein ganz eigenes Gedicht kreieren. Aber darüber wäre dann mein vorbewusster Ausgangsideeneinflüsterer verstimmt gewesen, der sich dann vermutlich parodiert gefühlt hätte. ;)

LG!

S.

P.S.:
Hab grad mal versucht, eine durchgängige Reduktionsfassung zu erstellen - das Endprodukt klang aber komischerweise eher gespreizt als reduziert. Wird also nicht auf die Nachwelt übergehen. Vielleicht wage ich aber bei Gelegenheit nochmal einen zweiten Versuch. :)
 



 
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