Stufen II

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Liebe Haremsdame,

so wie du schreibst ist dein text und dein stil für mich im großen ganzen ok. ich bemerkte allerdings beim lesen nur ein paar kleine schwachstellen. und ich finde auch das es freude macht ein stück weit deinen lebensweg als leserin begleiten zu dürfen.
ich würde deine erzählungen als eine form von eigenstandigem Tagebuch niederschreiben.
natürlich muß ich akzeptierendas du deine schreiben hier weiterschreibst. ich aber bedaure das wirlich zutiefst. es ist für mich nichts halbes und nichts ganzes. dir wünsche ichaber viel, viel kraft und gut chancen für euren neuanfang.
heike
 

maerchenhexe

Mitglied
hallo Haremsdame,

ich erinnere mich, dass es noch gar nicht so lange her ist, dass ich hier im Tagebuch den ersten Text von dir las. Heute hatte ich Muße, deine Stufen zu verfolgen und sehe ein Leben im Umbruch, fast könnte man sagen,auf zu neuen Ufern. Bei aller Unbill habe ich schon das Gefühl, dass deine Texte hoffnungsfroher werden, und das ist gut so!

meint mit
liebem Gruß
maerchenhexe
 

Haremsdame

Mitglied
Melancholie

Aufbruch, Fortschritt, ganz ohne Trauer, ganz ohne Abschiedsschmerz? An manchen Tage ist das nicht möglich.

Heute beherrschen mich Erinnerungen an ein Leben, das früher einmal stattgefunden hat. Beim Packen sind Fotos aus längst vergangenen Zeiten aufgetaucht. Lachende Kindergesichter, Basteleien zu Festtagen, hübsch verzierte Gedichte... Es war einmal... Und es war schön... Die Augen tränen, während der Mund lächelt. Das Herz ist schwer, obwohl es den inzwischen erwachsenen Kindern gut geht. Sie sind weit fort, verfolgen ihre eigenen Ziele. Und das ist gut so...

Glück im Unglück ist die Fähigkeit, sich zu erinnern. Alte Begebenheiten für kurze Zeit wieder zum Leben erwecken zu können, vergangen geglaubte Gefühle noch einmal zu spüren. Nicht jedem ist das gegeben...

Nur wenige Tage vor dem mit Vorfreude erwarteten Umzug – heißt es aussortieren. Von manchen Gegenständen trenne ich mich problemlos, sie haben ihre Bedeutung verloren. Anderes wird nie an Wert verlieren... Egal ob sichtbar oder unsichtbar...

Wir gehen in die Zukunft. Dort werden uns sicher auch Stunden erwarten, an die wir uns nach Jahren sehnsüchtig erinnern werden...
 

maerchenhexe

Mitglied
liebe Haremsdame,

hatte schon geahnt, da anderorts gelesen, dass das Leben sein Spiel gespielt hat. Tod und Leben, Leben und Tod durch die Brücke der Erinnerung und der alles tragenden Liebe verbunden. Was könnte ich dir sonst mit auf den Weg geben? Ich wünsche Dir ganz viel Kraft.

ein lieber an dich denkender Gruß
maerchenhexe
 

Nici

Mitglied
Hallo Haremsdame!

Ich kann nur sagen, ich liebe diesen Text von Hesse. Vor kurzem ist er wieder bei mir aufgetaucht. Es steckt soviel Wahres drin, in dem auch ich mich (immer) wieder finde. Leider drängt uns unser Habitus dann meistens doch eher dazu, zu verharren, wenn schon längst Veränderung angesagt wäre. Ich finde es schön, dass du hier deinen persönlichen zugang wiedergibst.
Das einzige, was mir an seinem Text nicht besonders gefällt - ist seine "Aufforderung" ohne Trauer weiterzugehen, das erscheint mir wie ein Widerspruch, denn ohne Trauer auch kein Abschied und so kein Neubeginn, das ist unmöglich, eine Illusion (der Männer :) ?)

Nici
 

Haremsdame

Mitglied
Liebe Nici,

ich glaube, Hesse meint, wir sollten ohne Trauer weitergehen, weil uns Trauer zu sehr hemmen kann. Andererseits muss ich Dir recht geben: ohne Trauer wäre es nur ein halbes Leben.

Ich glaube nicht, dass ein Weg ohne Trauer männlich ist. In meinen Augen ist es eher ein vom Charakter abhängiger Zugang zum Leben. Von unterschiedlichen Stimmung abhängig. Es gibt Tage, da bin ich obenauf und kann es kaum erwarten, wie die Tage weitergehen - und dann hänge ich wieder wochenlang im Loch und komm nicht raus. Hier würde ich lieber "einen gesunden Mittelweg" gehen. Nur leider ist der manchmal versperrt...

Liebe Grüße
von der Haremsdame
 

Haremsdame

Mitglied
Migration

Vor einem Jahr sind wir aus Tschechien nach Deutschland zurück gezogen. Was ich nach sechs Jahren als Heimkommen ansah, war ein Schritt in die Fremde. Doch das weiß ich erst, seit wir zwei Wochen in der „alten Heimat“ Urlaub machten.
Lange konnte ich mir meine Niedergeschlagenheit nicht erklären. Oft wollte ich über meine Heimatlosigkeit schreiben, kam damit aber nicht weit. Meine Gefühle waren eingesperrt, wie von einem Wehr aufgestaut. Ich fand weder den Schlüssel dazu, noch Hinterein- oder
-ausgänge.
Im vergangenen Herbst starb die Frau, die wegen ihrer Krankheit jahrelang Mittelpunkt unseres Denkens und Handelns war. Der Erleichterung ob ihrer Erlösung folgte bei mir ein Gefühl der Nutzlosigkeit. Zwänge waren fort und wurden abgelöst durch Überlegungen, ob wir am neu gewählten Wohnort bleiben oder uns doch lieber in der Nähe unserer erwachsenen Kinder niederlassen.
Einzig unsere durch viele Höhen und Tiefen gewachsene Beziehung bot Sicherheit. Alles andere war offen, entzog mir den Boden unter den Füßen. Die daraus resultierende Unsicherheit wirkte sich körperlich aus: beim Inlineskaten brach ich mir das Radiusköpfchen am linken Ellbogen. Wenige Monate später übersah ich „einfach so“ eine Bordsteinkante und zerlegte mir beim Sturz die linke Oberarmkugel in mehrere Teile. Die nachfolgende Operation, eine Woche Krankenhausaufenthalt, drei Wochen Nachsorgeheilbehandlung in einer Kurklinik und noch weitere zwei Monate Irena (intensive Nachsorgereha) von zu Hause aus schenkten mir viel Zeit zum Nachdenken. Obwohl die Beweglichkeit noch nicht voll hergestellt ist, stehe ich nun wieder mitten im Leben.
Vor sechs Wochen ist meine Schwiegermutter von uns gegangen. Sie war 83 und schon lange lungenkrank. Manchmal ging es ihr so schlecht, dass wir überlegten, sie in ein Heim in unserer Nähe zu holen. Diese Sorge wurde uns genommen. Weil mein Schatz nach vielen Jahren, in denen wir seine kranke Frau pflegten, eine Anstellung in seinem früheren Beruf gefunden hat, wissen wir auch, wo wir bleiben: in der kürzlich gekauften Eigentumswohnung hier um die Ecke. Seine 13jährige Tochter fühlt sich im Gymnasium wohl, die Umstellung von der tschechischen Dorfschule bereitete ihr weder sprachliche noch freundschaftliche Probleme.
Trotzdem war sie die treibende Kraft für den Urlaub in der „alten Heimat“. Obwohl ich im Hinblick auf den bevorstehenden, hoffentlich letzten, Umzug nicht mitkommen wollte, bin ich nun froh, auch dort gewesen zu sein: die Eindrücke öffneten die verklemmten Gefühlsschleusen; machten mir bewusst, dass der Abschied von Václavovice nie richtig stattgefunden hat.
Die vertraute Landschaft verursachte unerwartet Herzschmerzen. Ich fühlte mich, als sei ich heimgekommen. Die positiven Veränderungen an den Häusern freuten mich. Erstaunt stellte ich fest, wie sehr ich mich an den Anblick der großen, hässlichen Reklametafeln und der verrosteten Strommasten gewöhnt hatte.
Plötzlich schossen mir wieder tschechische Gedanken durch den Kopf. Dabei beherrsche ich die Sprache nur notdürftig. All die Mühe, die ich fürs Lernen aufgewendet habe, soll nicht vergebens sein. Ich kaufte gleich ein paar interessante Bücher – eines ist schon fast gelesen.
Der häufige Regen während unseres Urlaubs nervte – andererseits kam er mir wie viele, aus Vernunftgründen ungeweinte, Tränen vor. Ich habe den Aufenthalt genossen und mich verabschiedet. Das Blut in meinen Adern fließt wieder. Verloren geglaubte Gefühle drängen nach außen.
In Gedanken habe ich wichtige Erinnerungen in einen Koffer gepackt. Den werde ich gut aufheben. Ich glaube nicht, ihn noch mal öffnen zu müssen – aber es ist wichtig, ihn zu besitzen. Er enthält sechs sehr intensive Lebensjahre und damit einen Teil von mir und meiner Geschichte. Ich bin glücklich, ihn auf so unerwartete Weise wiedergefunden zu haben!
 

ENachtigall

Mitglied
Liebe Haremsdame,

ich freue mich sehr, wieder von Dir zu lesen. An den Innenansichten eines so liebenswert eigensinnigen Menschen auf ungwöhnlich verschlungenen Lebenswegen teilhaben zu können, finde ich fantastisch.

Dein Text ist packend geschrieben!

Liebe Grüße von Elke
 

Haremsdame

Mitglied
Dresden

Mitten auf dem Postplatz steht ein junges Paar. Ungeniert umarmt und küsst es sich. Sie hält eine rote Rose in der Hand. Im Vorübergehen kann ich lächeln. Ich bin dankbar, dass ich nicht neidisch sein muss.
Von den Elbwiesen steigen bunte Heißluftballons in den klaren Abendhimmel. Nachmittags hatte es noch geregnet, aber nun bescheint eine tiefstehende Sonne die alten Gemäuer. Über die Augustusbrücke fahren weder Straßenbahnen, noch Busse; heute gehört sie ausschließlich Radfahrern und Fußgängern. Die strömen Richtung Theaterplatz, wo für Milva und zwei weitere Diven eine Bühne aufgebaut wurde. Die Schlange aus Menschen, die sich das Konzert im abgetrennten Bereich anhören wollen, reicht bis zu den Treppen auf das Terrassenufer. Dort haben sich schon Unmengen von Leuten niedergelassen, ab und zu braust Beifall auf. Die Steinbänke in den Brückenausbuchtungen wurden von Genießern in Besitz genommen. Sie nippen Sekt aus Plastikgläsern. Einige sehen zur Elbe hinunter, auf den Theaterkahn, an dem soeben ein Motorboot vorbeiflitzt.
Aus der Neustadt ertönt ein Glockenspiel. Es ist zwanzig Uhr. Vor der Hofkirche haben es sich Musikfans auf Campinghockern gemütlich gemacht. Von dort können sie ohne Eintrittskarte die Leinwand mit dem Geschehen auf der Bühne überblicken. Einige verkürzen sich die Wartezeit mit Eis aus der Tüte. Als kaum noch ein freier Platz zu finden ist, ertönt aus dem Lautsprecher die Stimme des Moderators: „In wenigen Minuten beginnt das Konzert“. Noch nicht mit Milva, sondern mit Montserrat Caballé.
Wir kannten diese ältere Dame, die schon auf 52 Jahre Bühnenerfahrung zurückblickt, noch nicht. Sie hat eine schöne Stimme – aber wir waren auf Milva eingestellt. Die Klänge des Deutschen Filmorchester Babelsberg sprechen mich stärker an als ihr hohes Lachen. Statt uns die Beine in den Bauch zu stehen, machen wir uns auf den Weg zur Frauenkirche. Vorbei an teuren Exklusivgeschäften, in denen es wunderschöne, handgearbeitete Kinderschuhe gibt. Vorbei am Hilton-Hotel, dessen Toiletten wir diesmal links liegen lassen. Wir hatten schon die des Kempinski-Hotels mit Zufriedenheit begutachtet. In der Frauenkirche brennt Licht, das dem Ganzen eine märchenhafte Atmosphäre verleiht.
Wir sehen uns an und sind glücklich, hier unsere Zelte aufgeschlagen zu haben. Das Herz quillt über und es wird uns bewusst, wie sehr wir uns lieben. Wie ein junges Paar fallen wir uns in die Arme und küssen uns. Die Welt bleibt stehen und dreht sich doch weiter.
Zurück vor der Semperoper erleben wir nur die Pause. Ab zweiundzwanzig Uhr soll Angelika Milster singen. Bis Milva an der Reihe ist, wird es sicherlich noch eineinhalb Stunden dauern. So lange wollen wir nicht warten.
Egal, der Ausflug nach Dresden hat sich jedenfalls gelohnt. Wir sind auf dem Weg, hier gerne heimisch zu werden.
© gst 03.08.2008
 

Haremsdame

Mitglied
Flügel

Früher flog ich mit kräftigen Flügelschlägen über die Welt hinweg und fand so viel Anregendes. Das Leben war Abenteuer, die Welt ein Wunder ...

Nun scheint es so, als hätte ich meine Flügel verloren. Ich finde keinen Absprung mehr, sehe die Welt nur noch aus Menschenperspektive. Das macht mich traurig und raubt mir jeglichen Antrieb.

Ich habe alles, was ich zum Leben brauche: einen liebenden Mann, eine pubertierende Tochter, eine schöne Umgebung und Zeit - vielleicht manchmal zu viel Zeit.

Ich suche die Frau, die diese Stufen gegangen ist und aufgeschrieben hat. Wo werde ich sie wieder finden? Fehlt mir das Leid von außen, das mich gut vom eigenen Unwohlsein abgehalten hat?

Ich stehe still. Sitze fest. Drehe nur noch meinen Kopf nach rechts und links, der Körper kommt nicht mit. Was kann ich tun, um wieder in Schwung zu kommen?

Diese Zeilen sind ein Versuch, Boden unter den Füßen zu spüren. Abheben kann ich nur von festem Boden aus. Ist es die Angst vor den unvermeidlichen Abstürzen, die meine neuerlichen Flugversuche behindern?

Kann es sein, dass ich meine Flügel mit dem Engelsstatus abgeben musste? Bin ich seither nur noch ein ganz gewöhnlicher Mensch, ohne weitere Fähigkeiten?

Fragen über Fragen und Unsicherheiten über Unsicherheiten türmen sich vor mir auf. Ob ich sie schreibend überqueren kann? Ein Versuch ist es allemal wert ...
 

Haremsdame

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Stillstand überwunden

Manchmal lohnt es sich, alte Texte wieder herauszuholen. An Erinnerungen anzuknüpfen. Nur so ist es möglich, Entwicklungen nachzuvollziehen.

Ich bin wieder im Leben angekommen. Auch wenn es lange dauerte, bis mir das bewusst wurde.

Wie ich meine Trägheit überwunden habe? Unter anderem durchs Nordic Walking. Jeden zweiten Tag wanderte ich allein durch unsere schöne Umgebung. Monatelang begleiteten mich Hitze und Regen. Im Herbst schmerzten die Füsse, ich musste aufgeben.

Doch nun ist der Winterschlaf vorbei. Die Winterkälte lässt nach. Die Sonne lockt nach draußen. Und die Gedanken fließen wieder. Endlich!

Es gefällt mir auf dieser neuen Stufe. Der Standpunkt gewährt mir Übersicht. Lebensfreude kriecht zwischen die Rippen.

Erinnerung an schwierige Lebensphasen herauszukramen bedeutet: die guten Zeiten bewusst zu genießen.
 



 
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