Stumme Zeugen

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Kaetzchen

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Hier die Neufassung:

Es war einer von jenen Tagen, an dem der sandverhangene Himmel nur das Dach der Wüste preisgab, den Llullaillaco, um der kurzen Kolonne den Weg zu weisen. Hohe Würdenträger pilgerten den ansteigenden Pfad entlang und führten Kinder mit sich, zwei Mädchen und den siebenjährigen Jungen El Nino.
Ihm war kalt. Trotz seiner Tunika aus Lamawolle, zog er seinen Umhang, den er darüber trug, fester zusammen. El Nino fürchtete sich vor dem Berg. Er hatte gehört, dass dieser sich manchmal in einen feuerspeienden Drachen verwandelte. Jetzt aber wirkte er wie ein riesiges Ungeheuer. Der Junge lief dicht hinter dem Priester, schutzsuchend vor dem Wind und dem Koloss vor ihnen. Er mußte an den Abschied von seinen Eltern denken, als man ihn holte. Mama war stolz auf ihn, denn ein Auserwählter durfte wie ein Heiliger bei den Göttern wohnen. Sie umarmte ihn inniglich, aber dabei wurde sein Gesicht von ihren Tränen feucht.
El Nino wußte nicht mehr, wie lange sie liefen, doch irgendwann hatte man die Kinder in eine Steinkammer gesetzt. Durch Alkohol und Cocablätter sahen ihre Augen glasig aus. Eisige Kälte umhüllte sie, aber innerlich verspürten sie Wärme. Wie der Berg, dachte der Junge, eingefrorene Hitze. Er konnte seine Hände nicht mehr bewegen, sie waren ganz steif und er schaffte es auch nicht mehr, aufzustehen. Langsam schob sich Stück für Stück eine Steinplatte über ihr Grab. Der Lichtschlitz wurde immer schmaler. Alle Augen starrten unverwandt darauf und als jeglIche Helligkeit verschwunden war, schrie El Nino auf und auch das kleinere Mädchen weinte laut. Später schliefen die Kinder ein. Für sie blieb die Zeit stehen, aber draußen ging das Leben weiter. Der Morgen erwachte unter einem gläsernen Himmel und der Sand hatte alle Spuren begraben, nur die Erinnerungen konnte er nicht verwehen. Durch den steinernen Schrein schwebte noch immer ein letztes Wort, welches El Nino sehnsuchtsvoll geflüstert hatte, kurz bevor dieTotenstille über die kleinen Körper kam: „Mama“.

















Es war einer von jenen Tagen, an dem der sandverhangene Himmel nur das Dach der Wüste preisgab, den Llullaillaco, um der kurzen Kolonne den Weg zu weisen. Bunt bekleidet, mit Federn geschmückt und Püppchen im Arm pilgerten sie behütet aufwärts, die Auserwählten mit den glasigen Augen, die neuen Berggeister.
In einer steinernen Kammer ließ man sie allein zurück. Eisige Kälte bedeckte ihren Rausch und die Finsternis wiegte sie in einen tiefen Schlaf. Irgendwann kam Totenstille über die kleinen Körper, ihre Gesichter glichen weißen Tauben.

Der neue Morgen erwachte unter einem gläsernen Himmel, dem der erste Sonnenstrahl ein Funkeln entriss und über die gefrorene Hitze streute. Die glitzernde Krone heiligte den Ort. Der Sand aber hatte alle Spuren begraben, nur die Erinnerungen konnte er nicht verwehen. Der Berg beschützte die Kinder, gab ihnen Geborgenheit und bewahrte den eingefrorenen Augenblick für lange Zeit.
 
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Albert

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Hallo Kaetzchen

Schöner Text, sehr einfühlsam. Auch heute gibt es immer noch Kinderopfer.
Vielleicht solltest du am Schluß einen Bezug zur heutigen Zeit finden.
Viele Grüße
Albert
 

Val Sidal

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Eine interessante Idee.
Es war einer von jenen Tagen, an dem der sandverhangene Himmel nur das Dach der Wüste preisgab, den Llullaillaco,
->nicht jeder kennt den höchsten Vulkan an der Grenze zwischen Chile und Argentinien. Den Aspekt zu markieren ist essentiell, um die Örtlichkeit und damit die kulturelle Position festzulegen.
wahrscheinlich, um der kurzen Kolonne den Weg zu weisen.
->Der auktoriale Erzähler weiß alles – kein wahrscheinlich also.
In einer steinernen Kammer ließ man blieben sie allein zurück. Eisige Kälte bedeckte ihren Rausch und die Finsternis wiegte sie in einen tiefen Schlaf.
->Sie blieben nicht zurück – man ließ sie zurück.
Irgendwann hing kam Totenstille über den die kleinen Körpern.
Der Sensenmann wartete vergebens auf sie, er bekam sie nicht in seine Klauen, denn die Unschuldigen galten als heilig.
->Sensemann passt nicht – ein Begriff aus dem europäischen Kulturkreis
der Berg konservierte die Kinder für lange Zeit,
->"Doch" ist überflüssig, "konservierte" killt die Atmosphäre
[QUOTE]aber Opfer gibt es noch immer.[/QUOTE]
Das ist zu platt – hier kommt der Höhepunkt, der Grund, warum den Text überhaupt.gibt.

Gerne gelesen.
 
Zuletzt bearbeitet:

Kaetzchen

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Hallo Mimi
ich danke dir für deine Bewertung und für die Gedanken, die du dir dazu gemacht hast. Ich stimme eigentlich Val Sidal zu, dass es wesentlich ist, die Örtlichkeit und die kulturelle Position festzulegen. Aber den Schluss werde ich noch ändern, da hast du recht, er braucht keine Belehrung.
Viele Grüße
Kaetzchen
 

Kaetzchen

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Hallo Val Sidal
vielen Dank für deine Textbearbeitung und die Hinweise auf meine Schwachstellen in dieser Kurzprosa. Deine Anmerkungen überzeugen mich und ich werde die Geschichte überarbeiten.
Mit freundlichen Grüßen
Kaetzchen
 

Kaetzchen

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Hallo Manfred
Ich finde, der Leser sollte nicht erst googeln müssen, sondern der Text sollte sich aus sich selbst heraus erklären, zumal der Llullaillaco nicht der einzige Ort war, wo die Capacocha geopfert wurden. Wahrscheinlich könnte man es aber weglassen, denn die Worte, das Dach der Wüste, sagen eigentlich schon aus, dass es um diesen Vulkan geht. Für mich ist aber dieses Wort „Llullaillako“ so schön klingend, dass ich finde, es paßt gut zur Stimmung des Textes.
Liebe Grüße
Kaetzchen
 

Val Sidal

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Es geht dabei freilich nicht um Geographie — am Ort des Geschehens findet (aus Lesers Perspektive) ein Drama statt: Kinder werden getötet!
Im glaubenssystem der indigenen Bevölkerung handelt es sich aber hier nicht um Mord, sondern um etwas Notwendiges, Gutes — Heiliges!
Alle nehmen die Mühen des Aufstiegs freiwillig auf sich - soweit man den Zwang des Glaubens mit der Freiheit des Willens gleich setzen kann. Ein Spannungsfeld, das im günstigen Fall durch ein geeignetes Bild transportiert, die
Atmosphäre der Szene auflädt.

Der Himmel: der HÖCHSTE Berg — Die Hölle: der aktive Vulkan, Feuer, Flamme, das TIEFSTE Loch ...

In knappen Sprachbildern kunstvoll verarbeitet ist die Gelegenheit da, etwas besonderes zu schaffen.
 
Wie ungewöhnlich ohne Einfühlsamigkeit, wie abgedroschen in der Kläglichkeit unvorstellbarer Bildgewaltigkeit, redundant und ohne Interesse ein bisschen Herz in gewagte Szenerie zu werfen. Was ist mit dir? Oberflächlichkeit, die nicht und ohne zu überzeugen versucht ein Mehr zu geben, ohne die Tiefe der Ergreifung in sich selbst und für andere zu entfalten? Schade, aber was weiß ich schon ..., ich einfallsloser Mensch ...
 

Val Sidal

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Noch ein paar Hinweise zur aktuellen Version des Textes.
Eine Szene, in Kurzform erzählt, verlangt vom Autor höchste Präzision, denn:

Der Autor lebt im europäischen „Hier und Jetzt“ und erzählt von einem Ort, der Tausende von Kilometern weit entfernt liegt und einer Zeit, die mindestens 600 Jahre zurückliegt.
Die Position und Perspektive des Erzählers, der nicht notwendigerweise mit dem Autor identisch ist, ist entscheidend bei der Wahl der Bilder. Es ist naheliegend, dass ein Archäologe am Fundort anders über die Knochenfunde erzählen wird als ein Redakteur einer Wissenssendung, oder die Oma dem Enkelkind nach der Rückkehr von ihrem Esoterik-Trip aus Peru.
Die aktuelle Version klingt als würde ein Reiseführer eine dramatische Szene, mit der er nichts zu tun hat, in grellen Farben als Appetizer für eine Busreise, zum Fundort andienen.

ohne die Tiefe der Ergreifung in sich selbst und für andere zu entfalten
- hier ist der zentrale Punkt: Wenn die imaginierte Szene die AutorIn emotional nicht erfüllt, dann wird auch handwerkliche Perfektion nicht zu einem literarischen Text führen.

PS
Wie der "Sensemann" ist das Sinnbild von "Weißen Tauben" wohl nicht dem Kulturkreis zuzuordnen, wo Kinder geopfert werden.
 

Kaetzchen

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Hallo Gernot Jennerwein
Danke für deinen Kommentar. Ich habe noch einmal an dem Text gearbeitet.
Nun schreibe ich seit zwei Jahren und mir ist klar, dass ich noch viel dazu lernen muß. Deshalb nehme ich auch Hinweise gern an, wenn sie auch manchmal wie eine Peitsche wirken.

Gruß Kaetzchen
 

Kaetzchen

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Hallo Val Sidal
Danke für die weiteren Erklärungen. Ich habe den Text noch mal überarbeitet und hoffe, dass er sich nun deinen Hinweisen nähert.
Gruß Kaetzchen
 

hein

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Hallo Kaetzchen,

die erste Version sehe ich als die Vorstellung eines Menschen (Forschers), der nach Hunderten von Jahren die Höhle findet und die damaligen Umstände - soweit bekannt - vor Augen hat.

Die zweite Version ist dem heutigen rührseligen Zeitgeist (arme Kinder, wie konnte man ihnen das nur antun!) geschuldet.

Ich finde die erste Version besser.

LG
hein
 

Kaetzchen

Mitglied
Hallo Hein
Die erste Version schrieb ich, weil ich im Fernsehen einen Bericht darüber sah und er mich nicht mehr los ließ. Ich habe dann versucht, es mit meinen eigenen Worten und Gedanken aufzuschreiben.
Es freut mich, dass dir dieser Versuch gefällt.
Danke fürs Lesen
LG Kaetzchen
 



 
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