Terzine der glücklichen Fügung

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Tula

Mitglied
Terzine der glücklichen Fügung

Seit Stunden sitzt ein Mann auf einer Bank.
Längst durchgeweicht. Was kümmert ihn der Regen?
Es ist die Einsamkeit. Die macht ihn krank.

So auch die Frau. Sie watet auf den Wegen
des Parks durch jede Pfütze, wie entrückt.
Der Schauer kam im Tief nicht ungelegen.

Was kreucht und fleucht hat sich, wie‘s scheint, verdrückt.
Im Bau die Maus, im Baum versteckt die Tauben.
Die Schnecken aber hat der Tag beglückt

und eine glitscht, um frisches Grün zu rauben,
auf einem Blatt bis an den Punkt wo sie
(kraft der Physik) hinabstürzt. Kaum zu glauben!

Das nennt man Schicksal. Dunkle Ironie,
weil eine Amsel, sich den Schmaus zu packen,
vom Ast wirft und den Fang mit Akribie

zerhackt. Der Regen schluckt ein letztes Knacken.
Indes (sich nähernd beide, Blick gesenkt)
muss jetzt das Tier – Pardon! im Volksmund – kacken,

im Flug direkt aufs Hemd, vom Wind gelenkt.
Ein Fluch. Zwei Augenpaare, die sich finden.
Ein Lacher, der sogleich den nächsten fängt.

Zwei Seelen, die sich unerwartet binden.
 

petrasmiles

Mitglied
... was da so als Alltagslyrik daher kommt, hat doch erstaunlichen Tiefgang, allein das 'binden'
Zwei Seelen, die sich unerwartet binden.
Manchmal sind die Bildschöpfungen ja dem Reim geschuldet (wie Sufnus letztens offenbarte) aber ich nehme das jetzt mal als bewusste Offenlegung eines inneren Prozesses, denn ja, in solchen Momenten schmiegt sich da etwas aneinander und kann sich verfestigen ... muss nicht ... aber der Moment selbst hat Bestand.
Sehr gerne gelesen!

Liebe Grüße
Petra
 
G

Gelöschtes Mitglied 16600

Gast
Wow Tula,
eine der schönsten Geschichten, in Terzinen geschrieben, die ich in letzter Zeit gelesen habe. Lebendig, mit geschickt gefügten Übergängen und einer beneidenswert genauen Naturbeobachtung.
Für mich ist das großes Kino.
Gruß Hans
 

John Goodman

Mitglied
Ich kann mich meinen Vorrednern nur anschließen.
Welch farbenprächtige Bildschöpfung du auf die weiße Leinwand zauberst, entzückt und beglückt mich zugleich.



Gruß

JG
 

Tula

Mitglied
Moin Petra
So ganz Unrecht hat der sufnus da nicht, bei einer Terzine wird das Spiel besonders spannend und erfordert etwas Geduld, damit kein dichterisches Schnellfabrikat entsteht. Freut mich, dass es dir gefällt.
Mit besten Wünschen und Adventsgrüßen
Tula
 

Tula

Mitglied
Moin Manehans
So ein schöner Regen hat ja was, wie wir schon neulich verdichteten. Ob die Schnecke da jetzt noch zustimmen würde, wissen wir ja nicht, zu spät, um das arme Ding zu befragen. So dreht sich das große Rad des Schicksals ... des einen Flutsch, des anderen Knack ;)
Ein erfahrener Vogelkenner klärte mich unterdessen auf, dass Amseln zwar auch Schnecken fressen, aber die Drosseln die eigentlichen Liebhaber sind, die das Gehäuse der letzten mit ihrer Drosselschmiede aufbrechen. Das hätte die Terzine natürlich noch um mindestens drei Strophen verlängert :rolleyes:

LG
Tula
 

Tula

Mitglied
Moin Delfine
Der Begriff Kettengedicht trifft es wohl ganz gut, oder eben Schachtelreime ...

Dankend lieben Gruß
Tula
 

sufnus

Mitglied
Hey Ihr Lieben!

Bevor ich anfange zu rühmen & zu preisen, noch ein rasches Dankeschön für das Aufgreifen und Weiterspinnen eines anderfadigen Gedankens meiner Sufnulität.

... was da so als Alltagslyrik daher kommt, hat doch erstaunlichen Tiefgang, alleinManchmal sind die Bildschöpfungen ja dem Reim geschuldet (wie Sufnus letztens offenbarte) aber ich nehme das jetzt mal als bewusste Offenlegung eines inneren Prozesses
So ganz Unrecht hat der sufnus da nicht
Jedenfalls ist Tulas Hammerterzine (jetzt geht also die Sache mit dem Rühmpreisen los) ein Beleg dafür, wieviel Kreativität und Sprach- und Gedankenfreude aus einer engen formalen Vorgabe abgeleitet werden kann. Wer sprachlich begrenzte Ausdrucksmöglichkeiten hat, wird durch formale Limits noch weiter eingeschränkt, wer aber wie Tula ein umfangreiches Instrumentarium bedienen kann, wird durch ein strenges Regelwerk wie es der Terzine zu eigen ist, eher beflügelt (passend zur Amsel). Ich hab mich vor einiger Zeit, damals schon angeregt durch eine Terzine von Tula, an dieser Form versucht und bin schwer gescheitert, so dass ich das olle Endergebnis aus guten Gründen schnell entsorgt und das Thema Terzine auf Wiedervorlage gesetzt habe... ;)
Also: Großes und sehr empfehlenswertres... (mit erhobener Stimme) sehr empfehlenswertes.... Kino ist das hier... :)
LG!
S.
 

Tula

Mitglied
Hallo sufnus
Dass du immer so viel rühmen musst ... ;) Nein, ganz ehrlich, ist nicht zuletzt eine Frage dichterischer Geduld und auch der selbstkritischen Einsicht, bereits Geschriebenes wieder zu verwerfen, wenn's eben 'nicht gut genug' war. Man muss manchmal schon zwei drei Abende ausharren, bis einem (rein zufällig natürlich!) eine 'herrlich-blöde' Idee kommt. Wie lange ich an diesem schrieb, weiß ich nicht mehr, ist etwa ein halbes Jahr her, aber es dürften wohl so drei 'Spätschichten' gewesen sein :cool:

Um jetzt aber für die ganz besonders Geduldigen den Schwierigkeitsgrad auf höchstes Niveau zu heben, könnten wir anstatt der Terzine eine neue Form für einen Weihnachtsgedichte-Wettbewerb wählen: den Sonettkranz mit jedem Stück als Anagramm und mit Schüttelreimen zugleich!

Dankend lieben Gruß
Tula
 

anbas

Mitglied
Moin Tula,

mit Terzinen habe ich mich bisher wenig befasst. Sie haben mich auch nur sehr selten angesprochen. Hier ist es komplett anders.

Mal sehen, vielleicht wage ich mich auch mal an eine ran. Derzeit dümpel ich aber schon seit Monaten am Rande einer kreativen Flaute. Zum Glück habe ich noch einige alte Entwürfe in der Röhre - um die weiter zu bearbeiten reicht es noch ... :cool:

Liebe Grüße

Andreas
 

Tula

Mitglied
Hallo Andreas
Eine Terzine zu schreiben, wäre doch ein guter dichterischer Vorsatz fürs nächste Jahr ;)
Dankend lieben Gruß und beste Wünsche für 2024
Tula
 



 
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