xavia
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1. Schriftstellerin
Toni trifft ihren Traum-Mann
Geschafft: Zufrieden schrieb sie unter den Text: »Ende«. Davon hatte sie schon geträumt, seit sie lesen konnte: Selbst etwas schreiben! – Einen Roman! So viele Menschen denken, das sei eine Kleinigkeit, sich eine Geschichte auszudenken und sie aufzuschreiben. Sie wusste nun, dass das nicht stimmt. Man hat eine Idee, fängt an, eine Weile lang geht es ganz gut, aber dann stockt es plötzlich.
[ 5] Man weiß nicht, wie es dazu gekommen ist, eben waren die Figuren noch munter und lebendig und führten ihr Eigenleben, das man nur niederzuschreiben brauchte und dann auf einmal kommt es einem vor, als hätte man mit dieser Geschichte gar nichts mehr zu tun. Als wäre jedes Wort, das man hinzufügt, ein Fremdkörper. In solchen Situationen hatte sie ihre Geschichte oft traurig beiseite gelegt nicht wieder in die Hand genommen.
[ 5] Aber dieses Mal sollte es anders kommen. Sie hatte ihren Drang, zu schreiben, dazu genutzt, ihren Traum-Mann zu erschaffen. – Wieso war sie nicht schon früher darauf gekommen?
[ 5] Jedes Mal, wenn sie mit einem Mann ausging, steuerten sie auf dieselbe Katastrophe zu. Es funktionierte einfach nicht. Die Männer verhielten sich alle so, wie ihre Mutter es ihr in den finstersten Farben geschildert hatte und dann kam es, wie es kommen musste: Am Anfang schwebte sie auf Wolken, man kam sich näher, man traf sich ein zweites Mal, vielleicht ein drittes Mal, kam sich noch näher und dann … Sobald sie ein Liebespaar waren, merkte sie, dass er kein Interesse an ihr hatte, sondern nur an ihrem Körper. Die Freuden der körperlichen Vereinigung wusste sie wohl auch zu schäten, aber sie war doch noch so viel mehr als nur ein Püppchen, mit dem man ins Bett gehen konnte! Ein billiges Klischee, ein Muster in ihrem Leben.
[ 5] Der Mann in ihrer neuen Geschichte war anders. Er kannte wahre, tiefe Gefühle. Sie sah ihn genau vor sich, seit sie über ihn geschrieben hatte: Groß, sportlich, aber nicht zu muskulös, sensibel, mit schönen, schlanken Händen, die wunderbar Klavier spielen konnten. Aber er spielte nur zum Spaß, hatte diese künstlerische Ader, aber auch Intelligenz, Scharfsinn, Witz.
[ 5] Sein Beruf? Psychologe. Psychotherapeut. Ja, ein Therapeut und natürlich waren alle seine Patientinnen in ihn verliebt. Aber er, der Profi, hielt das aus, wahrte die professionelle Distanz, die nötig ist, um einen Menschen zu begleiten, wenn er zu sich selbst finden will. Die ›Richtige‹ hatte er natürlich noch nicht gefunden und er suchte sie nicht unter seinen Patientinnen. Insgeheim hatte sie sich vorgestellt, dass sie die Eine sein würde. So würde es wohl allen ihren Leserinnen gehen. Gut so! – Sie wollte das Buch ja schließlich auch verkaufen.
[ 5] In ihrer Geschichte ging es aber gar nicht in erster Linie um diesen Mann, sondern um eine seiner Patientinnen, eine traurige, zarte junge Frau mit blassem Gesicht und langen schwarzen Haaren, die Schlimmes durchgemacht hatte und noch durchmachte und die darum kämpfte, nicht im Sumpf ihrer Erinnerungen zu versinken, sondern sich vor diesem Hintergrund dem Leben zuzuwenden.
[ 5] Über diese Frau hatte sie so leicht schreiben können wie in ihr eigenes Tagebuch. Dabei ähnelte ihr diese Unglückliche überhaupt nicht: Im Gegensatz zu jener hatte sie selbst eine eher robuste und stämmige Natur, sowohl körperlich als auch seelisch, hatte kräftiges, etwas störrisches, hellbraunes Haar und fröhliche braune Augen, ein paar Sommersprossen auf ihrer Stupsnase, eine glückliche und behütete Kindheit hinter sich und hoffentlich eine Karriere als Bestseller-Autorin vor sich.
[ 5] Tonis Gedanken kehrten zu ihrem Traum-Mann zurück. Sie stellte sich vor, dass er im Grunde seines Herzens ein fast schüchterner Mensch war, ganz anders als in seiner Praxis. Er schien sich seiner Schönheit nicht bewusst zu sein, obwohl er doch an jedem Morgen in diese strahlend grünen Augen blicken musste, wenn er in den Spiegel sah, das wellige blonde Haar kämmte, und das ein ganz klein wenig, aber nicht zu sehr, eigenwillige Kinn rasierte. Wenn er die leicht gebräunte Haut mit einem wohlriechenden Aftershave belebte … Ja, sie sah ihn da stehen, noch mit nacktem Oberkörper, wie er seinen Tag begann. Sie konnte ihn sogar riechen! Diese private Seite von ihm blieb ihr Geheimnis. Das teilte sie nicht mit ihren Leserinnen.
[ 5] Die kannten ihn nur als den Mann hinter dem Schreibtisch, den Mann neben der Couch, der zuhören konnte, der Rat wusste, aber sich nicht aufdrängte, den Magier, bei dem Probleme sich auflösen konnten, ohne dass man wusste, wie er das angestellt hatte, der einem das Gefühl geben konnte, das alles ganz allein bewältigt zu haben. Oder der einem das Gefühl gab, einem so lange zur Seite zu stehen, wie man es brauchte, der einen niemals im Stich ließ, immer da sein würde. Immer verständnisvoll, grenzenlos geduldig.
Genug geträumt, Toni! Zurück in die Realität! Sie nahm den Stapel Papier aus dem Drucker und schob ihn in den bereitliegenden Umschlag, der schon lange mit der Adresse eines Verlags und ihrem Absender beschriftet und frankiert auf ihrem Schreibtisch lag. Als Motivation. Und um sie daran zu hindern, im letzten Moment einen Rückzieher zu machen, wenn ihre Geschichte fertig sein würde. Der Umschlag hatte einen Kleber, den man schmecken konnte. Sie hatte lange danach suchen müssen, die meisten waren heutzutage selbstklebend, wie die Briefmarken. Eine Unsitte! Sie fand es wichtig, an dem Kleber zu lecken, damit sie sich immer daran erinnern konnte, an den Geschmack des Erfolgs.
[ 5] Dieser Tag würde ihr im Gedächtnis bleiben als der Anfang eines neuen Lebensabschnitts: Der 19. April 2018, ein Donnerstag. Ein schöner, sonniger Tag, der nicht nur den Frühling sondern sogar schon den Sommer ahnen ließ. So hatten die Meteorologen ihn angekündigt und so sah es aus, wenn sie aus dem Fenster guckte. Der Geburtstag von Toni von Berg, Autorin, alias Antonia Gutenberg, Bibliothekarin. Aufgeregt schlüpfte sie in eine leichte Jacke, zog die Haustür hinter sich zu, sprang die Treppe hinunter und rannte fast die Straße entlang, um den nahen Briefkasten zu erreichen, der hinter der nächsten Kreuzung stand und mittags geleert werden sollte.
[ 5] Als sie um die Ecke bog, lief sie geradewegs einem Mann in die Arme, der ihr entgegenkam. Peinlich. Sie trat zurück, murmelte eine Entschuldigung, mochte gar nicht aufblicken. Da roch sie das Aftershave, sein Aftershave, sah zu ihm hoch und erstarrte.
[ 5] »Hoppla, junge Frau, nicht so hastig!« sagte er lachend, nachdem er den Zusammenprall locker abgefedert hatte. Mit strahlend grünen Augen blickte er sie prüfend an, trat zur Seite und spähte in die Straße, aus der sie gekommen war, wohl um zu sehen, ob sie verfolgt wurde. Immer noch lächelnd und mit den Worten »Kein Feind in Sicht, Sie können getrost langsamer gehen« setzte er seinen Weg fort, ohne sich noch einmal nach ihr umzusehen.
[ 5] Sie stand da wie vom Donner gerührt, war unfähig, etwas zu sagen und hielt ihren dicken Umschlag vor der Brust an sich gepresst: Das war er!
Mit weichen Knien wankte sie zum Briefkasten, warf ihr Manuskript ein – sie hatte es sich fest vorgenommen, es gab keinen Weg daran vorbei, nicht einmal das Erscheinen ihres Traum-Mannes – und setzte sich auf die Schwelle eines Hauseingangs, um nachzudenken.
[ 5] Die Kälte, die durch ihre Jeans kroch, erinnerte sie daran, dass ihr Vater es ganz und gar nicht mochte, wenn sie sich auf kalten Stein setzte, nicht mal für einen kurzen Moment. ›Nur einen Augenblick, bis ich einen Plan habe‹, besänftigte sie in Gedanken ihre väterliche innere Stimme und blieb sitzen.
[ 5] Sie musste ihn kennenlernen, musste ihn erobern. Unbedingt. Aber wie? Wäre sie doch nur hinter ihm hergelaufen, hätte beobachtet, wohin er gegangen ist! Nun konnte sie nur hoffen, dass er nicht zufällig oder gar einmalig hier herumgelaufen war. Andererseits wäre er ihr doch sicherlich früher schon aufgefallen, wenn er in der Gegend wohnte. Vielleicht sollte sie ihm einfach am nächsten Tag um dieselbe Zeit auflauern. Sie hatte den Rest der Woche Urlaub, vorsichtshalber, um ihren Roman zu beenden. Nun wurde der entstandene Freiraum genutzt, die Detektivin in ihr erwachte: Das Leben konnte so aufregend sein!
[ 5] Sie brauchte unbedingt jemanden, um diese brisanten Neuigkeiten zu berichten. Blöd nur, dass ihre beste Freundin Sarah heute bis 19 Uhr in der Bibliothek arbeiten musste. Das war wirklich kein geeigneter Ort, um Neuigkeiten zu berichten, die Regale hatten Ohren. Eine SMS an Sarah würde sicherstellen, dass sie wenigstens nach Feierabend verfügbar wäre:
treffen 19:05h bei pete: sensation!!!
Das reichte, Sarah war neugierig. So weit, so gut. Und nun? Was tun mit der freien Zeit? Sie stand auf, lief ziellos auf und ab, blieb stehen, sah sich um. Er würde wohl kaum den Weg zurückkommen, den er gerade erst gegangen war? Oder doch? Man konnte ja nicht wissen. Aber er durfte sie nicht wieder so auf der Straße treffen, er musste ihr ganz zufällig an einem Ort begegnen, der ihm Gemeinsamkeit signalisierte und ihr mehr Würde verlieh als beim achtlosen Auf-der-Straße-Herumrennen. Wie findet man einen Menschen, von dem man nur weiß, wie er aussieht? In eine Suchmaschine kann man einen Namen eingeben und bekommt ein Bild. Meistens. Aber umgekehrt? – Ja, wenn sie über die Such-Funktionen der Polizei verfügen könnte … Rasterfahndung … Bilderkennung … Andererseits: Vielleicht sah er ja nicht nur so aus wie ihr Roman-Traum-Mann, vielleicht hatte er ja auch denselben Beruf?
Toni trifft ihren Traum-Mann
Geschafft: Zufrieden schrieb sie unter den Text: »Ende«. Davon hatte sie schon geträumt, seit sie lesen konnte: Selbst etwas schreiben! – Einen Roman! So viele Menschen denken, das sei eine Kleinigkeit, sich eine Geschichte auszudenken und sie aufzuschreiben. Sie wusste nun, dass das nicht stimmt. Man hat eine Idee, fängt an, eine Weile lang geht es ganz gut, aber dann stockt es plötzlich.
[ 5] Man weiß nicht, wie es dazu gekommen ist, eben waren die Figuren noch munter und lebendig und führten ihr Eigenleben, das man nur niederzuschreiben brauchte und dann auf einmal kommt es einem vor, als hätte man mit dieser Geschichte gar nichts mehr zu tun. Als wäre jedes Wort, das man hinzufügt, ein Fremdkörper. In solchen Situationen hatte sie ihre Geschichte oft traurig beiseite gelegt nicht wieder in die Hand genommen.
[ 5] Aber dieses Mal sollte es anders kommen. Sie hatte ihren Drang, zu schreiben, dazu genutzt, ihren Traum-Mann zu erschaffen. – Wieso war sie nicht schon früher darauf gekommen?
[ 5] Jedes Mal, wenn sie mit einem Mann ausging, steuerten sie auf dieselbe Katastrophe zu. Es funktionierte einfach nicht. Die Männer verhielten sich alle so, wie ihre Mutter es ihr in den finstersten Farben geschildert hatte und dann kam es, wie es kommen musste: Am Anfang schwebte sie auf Wolken, man kam sich näher, man traf sich ein zweites Mal, vielleicht ein drittes Mal, kam sich noch näher und dann … Sobald sie ein Liebespaar waren, merkte sie, dass er kein Interesse an ihr hatte, sondern nur an ihrem Körper. Die Freuden der körperlichen Vereinigung wusste sie wohl auch zu schäten, aber sie war doch noch so viel mehr als nur ein Püppchen, mit dem man ins Bett gehen konnte! Ein billiges Klischee, ein Muster in ihrem Leben.
[ 5] Der Mann in ihrer neuen Geschichte war anders. Er kannte wahre, tiefe Gefühle. Sie sah ihn genau vor sich, seit sie über ihn geschrieben hatte: Groß, sportlich, aber nicht zu muskulös, sensibel, mit schönen, schlanken Händen, die wunderbar Klavier spielen konnten. Aber er spielte nur zum Spaß, hatte diese künstlerische Ader, aber auch Intelligenz, Scharfsinn, Witz.
[ 5] Sein Beruf? Psychologe. Psychotherapeut. Ja, ein Therapeut und natürlich waren alle seine Patientinnen in ihn verliebt. Aber er, der Profi, hielt das aus, wahrte die professionelle Distanz, die nötig ist, um einen Menschen zu begleiten, wenn er zu sich selbst finden will. Die ›Richtige‹ hatte er natürlich noch nicht gefunden und er suchte sie nicht unter seinen Patientinnen. Insgeheim hatte sie sich vorgestellt, dass sie die Eine sein würde. So würde es wohl allen ihren Leserinnen gehen. Gut so! – Sie wollte das Buch ja schließlich auch verkaufen.
[ 5] In ihrer Geschichte ging es aber gar nicht in erster Linie um diesen Mann, sondern um eine seiner Patientinnen, eine traurige, zarte junge Frau mit blassem Gesicht und langen schwarzen Haaren, die Schlimmes durchgemacht hatte und noch durchmachte und die darum kämpfte, nicht im Sumpf ihrer Erinnerungen zu versinken, sondern sich vor diesem Hintergrund dem Leben zuzuwenden.
[ 5] Über diese Frau hatte sie so leicht schreiben können wie in ihr eigenes Tagebuch. Dabei ähnelte ihr diese Unglückliche überhaupt nicht: Im Gegensatz zu jener hatte sie selbst eine eher robuste und stämmige Natur, sowohl körperlich als auch seelisch, hatte kräftiges, etwas störrisches, hellbraunes Haar und fröhliche braune Augen, ein paar Sommersprossen auf ihrer Stupsnase, eine glückliche und behütete Kindheit hinter sich und hoffentlich eine Karriere als Bestseller-Autorin vor sich.
[ 5] Tonis Gedanken kehrten zu ihrem Traum-Mann zurück. Sie stellte sich vor, dass er im Grunde seines Herzens ein fast schüchterner Mensch war, ganz anders als in seiner Praxis. Er schien sich seiner Schönheit nicht bewusst zu sein, obwohl er doch an jedem Morgen in diese strahlend grünen Augen blicken musste, wenn er in den Spiegel sah, das wellige blonde Haar kämmte, und das ein ganz klein wenig, aber nicht zu sehr, eigenwillige Kinn rasierte. Wenn er die leicht gebräunte Haut mit einem wohlriechenden Aftershave belebte … Ja, sie sah ihn da stehen, noch mit nacktem Oberkörper, wie er seinen Tag begann. Sie konnte ihn sogar riechen! Diese private Seite von ihm blieb ihr Geheimnis. Das teilte sie nicht mit ihren Leserinnen.
[ 5] Die kannten ihn nur als den Mann hinter dem Schreibtisch, den Mann neben der Couch, der zuhören konnte, der Rat wusste, aber sich nicht aufdrängte, den Magier, bei dem Probleme sich auflösen konnten, ohne dass man wusste, wie er das angestellt hatte, der einem das Gefühl geben konnte, das alles ganz allein bewältigt zu haben. Oder der einem das Gefühl gab, einem so lange zur Seite zu stehen, wie man es brauchte, der einen niemals im Stich ließ, immer da sein würde. Immer verständnisvoll, grenzenlos geduldig.
Genug geträumt, Toni! Zurück in die Realität! Sie nahm den Stapel Papier aus dem Drucker und schob ihn in den bereitliegenden Umschlag, der schon lange mit der Adresse eines Verlags und ihrem Absender beschriftet und frankiert auf ihrem Schreibtisch lag. Als Motivation. Und um sie daran zu hindern, im letzten Moment einen Rückzieher zu machen, wenn ihre Geschichte fertig sein würde. Der Umschlag hatte einen Kleber, den man schmecken konnte. Sie hatte lange danach suchen müssen, die meisten waren heutzutage selbstklebend, wie die Briefmarken. Eine Unsitte! Sie fand es wichtig, an dem Kleber zu lecken, damit sie sich immer daran erinnern konnte, an den Geschmack des Erfolgs.
[ 5] Dieser Tag würde ihr im Gedächtnis bleiben als der Anfang eines neuen Lebensabschnitts: Der 19. April 2018, ein Donnerstag. Ein schöner, sonniger Tag, der nicht nur den Frühling sondern sogar schon den Sommer ahnen ließ. So hatten die Meteorologen ihn angekündigt und so sah es aus, wenn sie aus dem Fenster guckte. Der Geburtstag von Toni von Berg, Autorin, alias Antonia Gutenberg, Bibliothekarin. Aufgeregt schlüpfte sie in eine leichte Jacke, zog die Haustür hinter sich zu, sprang die Treppe hinunter und rannte fast die Straße entlang, um den nahen Briefkasten zu erreichen, der hinter der nächsten Kreuzung stand und mittags geleert werden sollte.
[ 5] Als sie um die Ecke bog, lief sie geradewegs einem Mann in die Arme, der ihr entgegenkam. Peinlich. Sie trat zurück, murmelte eine Entschuldigung, mochte gar nicht aufblicken. Da roch sie das Aftershave, sein Aftershave, sah zu ihm hoch und erstarrte.
[ 5] »Hoppla, junge Frau, nicht so hastig!« sagte er lachend, nachdem er den Zusammenprall locker abgefedert hatte. Mit strahlend grünen Augen blickte er sie prüfend an, trat zur Seite und spähte in die Straße, aus der sie gekommen war, wohl um zu sehen, ob sie verfolgt wurde. Immer noch lächelnd und mit den Worten »Kein Feind in Sicht, Sie können getrost langsamer gehen« setzte er seinen Weg fort, ohne sich noch einmal nach ihr umzusehen.
[ 5] Sie stand da wie vom Donner gerührt, war unfähig, etwas zu sagen und hielt ihren dicken Umschlag vor der Brust an sich gepresst: Das war er!
Mit weichen Knien wankte sie zum Briefkasten, warf ihr Manuskript ein – sie hatte es sich fest vorgenommen, es gab keinen Weg daran vorbei, nicht einmal das Erscheinen ihres Traum-Mannes – und setzte sich auf die Schwelle eines Hauseingangs, um nachzudenken.
[ 5] Die Kälte, die durch ihre Jeans kroch, erinnerte sie daran, dass ihr Vater es ganz und gar nicht mochte, wenn sie sich auf kalten Stein setzte, nicht mal für einen kurzen Moment. ›Nur einen Augenblick, bis ich einen Plan habe‹, besänftigte sie in Gedanken ihre väterliche innere Stimme und blieb sitzen.
[ 5] Sie musste ihn kennenlernen, musste ihn erobern. Unbedingt. Aber wie? Wäre sie doch nur hinter ihm hergelaufen, hätte beobachtet, wohin er gegangen ist! Nun konnte sie nur hoffen, dass er nicht zufällig oder gar einmalig hier herumgelaufen war. Andererseits wäre er ihr doch sicherlich früher schon aufgefallen, wenn er in der Gegend wohnte. Vielleicht sollte sie ihm einfach am nächsten Tag um dieselbe Zeit auflauern. Sie hatte den Rest der Woche Urlaub, vorsichtshalber, um ihren Roman zu beenden. Nun wurde der entstandene Freiraum genutzt, die Detektivin in ihr erwachte: Das Leben konnte so aufregend sein!
[ 5] Sie brauchte unbedingt jemanden, um diese brisanten Neuigkeiten zu berichten. Blöd nur, dass ihre beste Freundin Sarah heute bis 19 Uhr in der Bibliothek arbeiten musste. Das war wirklich kein geeigneter Ort, um Neuigkeiten zu berichten, die Regale hatten Ohren. Eine SMS an Sarah würde sicherstellen, dass sie wenigstens nach Feierabend verfügbar wäre:
treffen 19:05h bei pete: sensation!!!
Das reichte, Sarah war neugierig. So weit, so gut. Und nun? Was tun mit der freien Zeit? Sie stand auf, lief ziellos auf und ab, blieb stehen, sah sich um. Er würde wohl kaum den Weg zurückkommen, den er gerade erst gegangen war? Oder doch? Man konnte ja nicht wissen. Aber er durfte sie nicht wieder so auf der Straße treffen, er musste ihr ganz zufällig an einem Ort begegnen, der ihm Gemeinsamkeit signalisierte und ihr mehr Würde verlieh als beim achtlosen Auf-der-Straße-Herumrennen. Wie findet man einen Menschen, von dem man nur weiß, wie er aussieht? In eine Suchmaschine kann man einen Namen eingeben und bekommt ein Bild. Meistens. Aber umgekehrt? – Ja, wenn sie über die Such-Funktionen der Polizei verfügen könnte … Rasterfahndung … Bilderkennung … Andererseits: Vielleicht sah er ja nicht nur so aus wie ihr Roman-Traum-Mann, vielleicht hatte er ja auch denselben Beruf?