tritonussen

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James Blond

Mitglied
Gewiss doch, lieber Mondnein: Keiner lotet die Postmoderne so klangvoll aus, wie der Feire-Fiz!

Und nicht ohne Grund habe ich mir hier ein recht gut benotetes Exemplar von dir vorgeknöpft, also bitte darob keine Larmoyanz wegen ignoranter Punktierung aufkommen lassen ... ;) Wir hatten diese Diskussion ja schon ein paar Mal. Die Avantgarde sollte sich nicht immer über schlechte Wege beklagen! :)

Nur: Ob das lyrische Klangerlebnis bereits ein hinreichendes ist? Ich möchte das bezweifeln, es erinnert mich zwar an beeindruckende, teilweise recht bombastische Musik, jedoch ganz ohne Melodie und Thema, musikalisch als "ambient" längst ein populärer Stil der cinematografischen Postmoderne. Hier treffen in der Tat Wagnerfreunde und - gegner aufeinander. Und da ich mich zu letzteren zähle, reicht mir bildungsschwangeres Getöse nicht; das phonetisch fortgesetzte Assemblieren von Topoi des althumanistischen Bildungsfundus erinnert mich eher an einen Studienrat auf LSD als an die Synthese divergenter Weltsichten.

Wer Beziehungsknoten meint, kommt letztlich um die Vermittlung von Sinn, um Aussage nicht herum. Die Sprache bietet dafür ja ausreichend Möglichkeiten, dies ist ihre ureigenste Aufgabe. Doch reicht dazu allein das Zitieren assoziierter Begriffe, das phonetisch geleitete Spiel mit klein gehackten Wortbröckchen nicht. Es will Perlen geistiger Regung vermitteln und landet dann doch beim Geplapper: Zitronen als Tritonen.

Grüße
JB
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Danke, Soljanka, wir sind durchaus d'accord;

ich muß nur ein wenig sortieren: Weil ich den Pythagoras-Kontrapunkt zur Tritonus-Dissonanz - nicht als dichtender Autor, sondern als interpretierender Leser neben anderen interpretierenden Lesern - gleich vorne im ersten Beitrag dargelegt habe, muß ich mich als Esoteriker abqualifizieren lassen, denn so hätten die Schüler der pythagoräischen Schule sich ja selbst bezeichnet. Wie gut, daß ich kein Berufsmathematiker bin, der seinen heutigen Schülern den Beweis des Hypotenusenquadrat-Satzes verklickern muß, denn dann würde ich mich als Sektierer outen müssen.
Daß ich spielerisch mit solchen alten Theoremata umgehe, bedeutet: Ich haue sie nicht in die Tonne, ich verknüpfe sie unorthodox miteinander (wenn auch über Homophonie-Kalauer), und probiere schon mal was aus. Maßgeblich ist für mich dabei der ästhetische Reiz, die Musikalität sowohl des Gedankengangs als auch der Klanggestalt (das nennen manche dann "Onanie", wie Walther, den James Blond trefflich zitiert hat, oder auch "Elfenbeinturm", aber das ist mir egal, ich strebe den multiplen Orgasmus des Lesers an, nicht meinen eigenen). Ach könnte ich doch auch die neidischen Schwestern Psyches zum Lächeln bringen!

Ein besonders beflissener Bildungsbürger bin ich eigentlich nicht. Ich habe mir ein Sprachfach gewählt, in dem es sage und schreibe nur anderthalb Romane gibt. Ich habe mich nicht verschrieben, es sind nur anderthalb Prosa-Romane, und zwar der halbe Roman von Petronius, das ist das "Satyrikon", das von Fellini verfilmt worden ist, und der vollständige Roman, das ist der von Apuleius, Titel "Metamorphosen", dessen Kurzfassung als "Goldener Esel" bekannt geworden ist.
In diesem Roman des Apuleius gibt es das einzige Märchen, erzählt von einer Amme ("Ammenmärchen") in der Mitte des Romans, ich wiederhole: das einzige Märchen, das uns aus der griechisch-römischen Antike bekannt ist, nämlich das von Esoterikern, aber auch von mir, dem Exoteriker, heißgeliebte Märchen von "Amor und Psyche", auf Deutsch: "Begierde und Seele".
Wie gut, daß ich nicht Französisch oder Anglistik studiert habe, dann müßte ich mich auf eine etwas breitere Romanliteraturbasis beziehen. Und wie gut, daß es von den Römern nur ein einziges "richtiges" Märchen gibt, und das kennen ziemlich viele ziemlich gut.

grusz, hansz
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Ich schätze Deine Beiträge, lieber James,

weitaus höher, als meine Widerrede erahnen läßt.

Das mit dem "Studienrat auf LSD" gefällt mir ganz ausgezeichnet. Das ist zwar altbacken, aber es paßt zu meiner sprachlichen John-Lennon-Orientierung. So in der Zielscheibenmitte von "Walrus" und "Come together".

Und James Joyce "Finnegans Wake" wäre mein Heiliger Text, wenn ich English-Muttersprachler wäre.

Meine musikalische Mitte liegt in "Revolution Number Nine".
Soweit zur Verortung meiner alten Herkünfte.

grusz, hansz
 

James Blond

Mitglied
Vielen Dank, lieber hansz,

für deine informativen Ausführungen. Schön auch, dass du auf meine Einwendungen mit viel Verständnis reagierst. Nun trifft dich der Vorwurf (- wenn es denn einer sein sollte - ) der Onanie gewiss nicht allein, sondern fast ausnahmslos auf alle Teilnehmer zu, mal abgesehen von einzelnen, die hier mit ihren Versen die Welt verbessern wollen, aber das sind gottlob nur sehr wenige ... ;)

Schön auch, dass du hier deinen überschaubaren Bildungskanon unterbreitest, (der Pythagorasbeweis ist übrigens recht einfach), allein die behauptete Musikalität der Gedankengänge ist es, die mir Kopfzerbrechen bereitet. Denn was soll das hier sein? Ich höre hier nur Sound.

Ich erkenne aus deinen Texten, seien es nun Gedichte oder Antworten, dass du treibst und dich zwischen deinen (Wahrheits-)Körnchen so weit verlierst, bis du selbst nicht mehr sichtbar bist; Klangcollagen, denen das intendierende, auswählende, auswertende, strukturierende, konzipierende Ich abhanden gekommen ist, weil es von der assoziativen Macht der Dinge überwältigt wird: Das war mit meiner Charakterisierung eines "Altphilologen auf LSD" gemeint.
Nun halte ich dieses kreative Vorgehen für durchaus legitim, sogar angeraten - als ersten Schritt. Was mir fehlt, ist die Auswertung, die Verarbeitung zu einem Ganzen, in dem sinnhafte Bezüge erkennbar werden, die über eine Ansammlung hinaus reichen.

Ich habe dir einst den Vorwurf gemacht, alles "zu einem Brei" zu verrühren. Einzelne Zutaten sind noch erkennbar, doch sie tauchen im Text ungeordnet, eher zufällig auf. Du hast erwidert, die Dinge kunstvoll mit einander zu verflechten. Dem kann ich leider nicht folgen, denn dazu mangelt es ihnen an erkennbarer Struktur, die über das metrische Maß hinausreicht, denn auch wenn sauber gewürfelte Zutaten verrührt werden, ergibt das allein noch keine Struktur.

Worin um alles in der Welt besteht also die Musikalität deiner Gedankengänge?

Grüße
JB
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Nur, dass die Spur, die du damit legst, den Weg nicht einfach festlegt, sondern eher Wege eröffnet. Und dass mich das an die Philosophie der Postmoderne erinnert.

In der Tat, Soljanka, ist das ein treffliches Kompliment.
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Die Gesamtanalyse, James,

"Klangcollagen, denen das intendierende, auswählende, auswertende, strukturierende, konzipierende Ich abhanden gekommen ist, weil es von der assoziativen Macht der Dinge überwältigt wird"
ist ausgezeichnet, trefflich.
Doch doch, ein wenig zu kurz greifst Du schon: Zwar baue ich keine Theorie in die logische Struktur der Gedichtgedanken ein, und so soll es ja auch fließen, singen, kaleidoskopisch springen, aber es gibt bei den meisten der Gedichte durchaus eine Idee, einen Gedanken, der in ihnen die Gesamtgestalt ausmacht, das Inhaltliche in seiner Eigenform.
Nur erlaube ich mir keine Missionierung, die wäre arrogant und unästhetisch, sondern eher rauschende Scherze, Merkwürdigkeiten, vielleicht den "ästhethischen Reiz", der die bislang unerhörte Empfindungsmitteilung trägt.

grusz, hansz
 

James Blond

Mitglied
Lieber Hansz,

trotz deiner Antworten ist es mir nicht gelungen, in die "Musikalität" deiner Gedankengänge tiefer einzudringen. sie erscheinen mir mehr denn je als Wirrwarr, nachdem ich den "Verbindungen'" zu Raffael und Apuleios nachgegangen bin. Dabei ist für mich die Herkunft der Motivwahl für das Galateagemälde nachrangig; der Muscheltut eines Tritonen macht noch keine Musik; es wäre wohl eher ein Respekt erheischendes Signal. Auch bleibt mir der musikalische Bezug zu Venus, Amor und Psyche weiterhin verborgen. Zwar hattest du eingangs eine Verbindung zu schlagen versucht:

[...]
Wenn Musik die gemeinsame Achse der Intervallkunde der Pythagoräer, der mathematischen Musik des Ganzen einerseits und andrerseits der horntutenden Tritonen in Raffaels Galatea-Bild ist
(wo aber im Zusammenhang mit der großen Deckenmalerei über dem Bild, die das Märchen von Amor und Psyche szenisch erzählt, die dargestellte Göttin die heranrauschende Venus maritima ist, die Mutter des in Psyche verliebten Amor) -
wenn also die Musik des Ganzen die gemeinsame Achse zwischen dem Nordpol der Bruchrechnung und dem Südpol der Amor-und-Psyche-Paarung ist,
dann ist das in sich stimmig:

das Ganze als Musik ist das Sphärenglasharmonium.
Allerdings scheint deine Gleichung von den Quinten Pythagoras zur Amor-Psychose nicht aufzugehen, auch nicht unter Zuhilfenahme von Mutter Venus und tutenden Tritonenputten, denn mit Musik hat das alles nur wenig zu tun. Ich fragte bereits nach der angeblichen Musikalität deiner Gedankengänge, habe davon aber bis jetzt nicht viel gehört. Der Tritonus mag als schräges Intervall ein Hinweis darauf sein, dass pantheistische Systeme in sich nicht widerspruchsfrei bleiben, die Amor-Psyche Begegnung hingegen, dass es gefährlich sein kann, das Objekt der Liebe bei Licht (d.h. mit dem analytischen Verstand) betrachten zu wollen. Aber Musik? Ich höre da keinen Ton.

Nein, ich möchte und erwarte keine Missionierung; dieser Eindruck drängt sich mir angesichts der esoterischen Zusammenhänge viel eher auf. Lieber tät ich lesend singen und springen - oder den Blick in ein Kaleidoskop werfen, das ja viel mehr ist, als nur ein Haufen bunter Scherben - es ist die strenge Symmetrie aus Achsen, die sich im Mittelpunkt schneiden und so eine höhere Ordnung zumindest bildlich veranschaulichen.

Ein guter Test auf den inneren Zusammenhang eines Gedichts, auf seine Geschlossenheit, ist der Sprung vom Ende zurück an den Anfang. Wo sind wir am Schluss gelandet? Und wo hatten wir begonnen?

Bei dem sich der Auflösung widersetzenden Tritonus ging es los, mit der [widerspenstigen] kleinen Sekunde ging es über ins Muscheltuten. Wieso das? Wenn überhaupt wäre beim Tut die Prim wohl treffender, Selbstauflösung inbegriffen. Von hier ging es über den Bewusstseinsfragewind zu Pythagoras Bohnen - demnach ein Darmwind? Danach der Übergang zu Venus samt ins Harmlose geschrumpften Puttenamoretto.

Und du meinst im Ernst, das wäre nun exoterisch? Das heißt, für jeden nachvollziehenden Verstand aufbereitet? Es mag für einige aufgrund der wechselnden Bezüge zur griechischen Mythologie und Philosophie vielleicht exotisch anmuten, seinem Charakter nach ist es sehr esoterisch, "far out" , wie die Sannyasins jemanden nennen, der in seiner spirituellen Reifung so weit fortgeschritten und für andere nicht mehr erreichbar ist. Aber Musikalität geht anders.

Grüße
JB
 



 
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