Tütken - Flucht vorm Ministerium (4) - Zombies und Aliens machen die Flatter

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ahorn

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Totgesagt, gleichwohl unter den Lebenden


Zombies und Aliens machen die Flatter

Humus für die Farfalle

Geboren, nein, aufgewachsen bin ich in Gera, genauer gesagt in Kauern, ein Kuhkaff, dieses im wahrsten Sinne des Dorfes. Bis auf den einen oder anderen arbeitete jeder Einwohner in der LPG. Entschuldigen Sie bitte, Milena. Landwirtschaftschliche Produktionsgenossenschaft mit Schwerpunkt Rindviecher.

Mein Vater arbeitete dort genauso wenig wie meine Mutter. Er war der erste Stellvertreter des Vorsitzenden des Rates des Bezirkes Gera und meine Mutter quälte die Schüler der Otto-Grotewohl-Oberschule mit Russisch und Staatsbürgerkunde.
Mein Weg war damit festgelegt und ich beugte mich mit Wohlwollen meinem Schicksal, denn ich wusste, wofür ich kämpfte. Den Imperialismus zu besiegen, sodann den Sozialismus in der Welt zu verbreiten, damit alle Menschen frei und sorgenlos wie in der Deutschen Demokratischen Republik sowie seinen sozialistischen Bruderländern unter der Führung der Sowjetunion leben konnten.
Warum schmunzeln Sie? Dies war kein Spaß. Ich war fest davon überzeugt. War? Bin es heute noch. Ja, ich bin überzeugter Sozialist. In der Sowjetunion gab es nie Sozialismus. Es war ein faschistisches System. Marx und Engels einzig Aushängeschilder, um das Regime zu legitimieren.

Milena, ich sehe an Ihren Augen, dass Politik Sie langweilt. Viel Abwechslung hatte man nicht in der DDR. Außer der FDJ, für Sie Freie Deutsche Jugend, und wer Glück sowie Talent hatte - dieses war Voraussetzung – der durfte Sport treiben. Ansonsten war es trist.
Ich spielte Fußball. In meinen Fall talentlos, dennoch machte es mir Spaß und Politkader in einer Mannschaft war eher rar. Anders mein Kumpel Gunnar, Gunnar Müller.
Milena nehmen Sie eine Serviette, sonst tropft der Wein auf ihr weißes Kleid und Rotweinpflegen sind penetrant.
Also Gunnar, der hatte das gewisse Ballgefühl. Bloß sein Alter war überzeugt, dass Sport seiner Karriere im Wege stünde. Kaum hatte er seine Fußballschuhe an den Nagel gehängt, da zog er in der FDJ, obwohl er jünger war, an mir vorbei. Freunde blieben wir.

Die reizvollste Abwechslung war immer, wenn Jugendliche aus dem kapitalistischen Ausland bei uns aufschlugen. Damit war nicht die BRD gemeint. Gunnar und ich hatten es eher auf die Mädels abgesehen. Ein paar konnten wir flachlegen. Die meisten waren aber eher etepetete.
Die im Westen waren prüde, obwohl vielleicht hatten sie einfach mehr Abwechslung. Bei uns war das anders, soweit man konnte, ging es los. Es gab keine Risiken. Die Mädchen nahmen alle die Pille und wenn dann mal was danebenging, waren die Frauen und Kinder versorgt.
Wir waren halt jung. Vereinzelt blieben wir im Kontakt. Dies nicht allein mit den Mädels. Eine jahrelange Brieffreundschaft pflegte ich mit Joos, Joos van Düwen.
Milena, sollen wir nicht besser an einen Tisch gehen? Dann können sie Ihr Glas abstellen.


Milena pausierte die Aufnahme, zog den Ohrhörer aus der Muschel und versteckte sich hinter der mit künstlichen Pflanzen verzierten Trennwand. Sie war nicht schnell genug, sah, wie Samuel seinen Arm hob und auf sie zukam.
„Melina, derart früh bereits Mittagspause?“ Er drohte ihr, dabei seine Lippen zu einem Schmunzeln verzogen. „Wenn das Ihr Chef sieht.“
Sie winkte ab. „Keine Sorge, der macht sowieso die Flatter“, gab sie ihm, ebenfalls lächelnd, zu verstehen, während er an die Rücklehnen des Stuhls griff, der ihr gegenüber am Kantinentisch stand.
„Darf ich?“
„In einem freien Land darf sich jeder hinsetzen, wo er will.“
„Wenn er den richtigen Pass hat, bestimmt, wenn nicht …“, er zuckte mit den Achseln und setzte sich, „lassen wir dies.“
Er stellte die Aktentasche, die er mitgebracht hatte, auf den Tisch ab, öffnete diese, holte eine Thermoskanne und eine Butterbrotdose heraus, legte diese neben die Tasche, bevor er den Deckel von der Flasche schraubte. „Auch einen Schluck?“
Sie umfasste ihre Tasse. „Danke, ich habe.“
Ohne weiter auf ihre Antwort einzugehen, goss er ein und sie erkannte, dass es kein Kaffee war. Dabei erschien es ihr, als glotzte er auf ihr Smartphone. „Wollen Sie weitererzählen?“
„Glauben Sie, ich trinke zum Mittag Kaffee?“ Nachdem er den Kopf nach rechts, nach links geschwenkt hatte, zwinkerte er ihr zu. „Tarnung. Hier?“ Er sah sich erneut um. „Nein. Zu viele Menschen.“
Die Augen halb geschlossen, dachte sie darüber nach, ob er weiter mit ihr spielte. War dieses seine Masche? Sie strich über seine Hand, lächelte ihn an. „Soll ich uns für heute Nacht ein Hotelzimmer reservieren?“
„Weshalb?“
Sie zwinkerte. „Deshalb.“
„Ich habe eine bessere Idee.“ Er öffnete seine Brotdose und sie erblickte drei Farfalle. Woraufhin sie zur Essensausgabe wies.
„Soll ich ihnen Humus holen?“
Aus den Augenwinkeln heraus erblickte sie, dass Samuel ihrem Blick zu folgen schien.
„Ist der junge, gut aussehende Mann ihr Verlobter?“
Sie zuckte zurück. „Wie Verlobter?“
Ohne sie zu fragen, tippte er auf ihren Ringfinger. „Ihr Ring. Sie tragen ihn seit Längerem, bloß nicht als na ja, Sie wissen. Außerdem hat er Sie angelächelt, bevor Sie gelächelt haben.“
Es war ihr bewusst, dass er bloß im Trüben fischte.
„Ja, gut erkannt.“ Sie zwinkerte erneut. „Wo?“
Er erhob seinen Arm, streckte ihn. „Auf dem Dach.“



Ein Klingone tanzt mit der Lolita

Eine Lösung des Problems hatte Klara nicht gefunden. Die Zeit zu nutzen, die ihr verblieb, Fridolin zu helfen, sich selbst zu erlösen, ihre einzige Idee.
Sie zog sich die rosafarbigen Gummistiefel über, kletterte die Leiter hinab und watete auf ihn zu. „Wie geht es dir?“
Fridolin hob seinen linken Fuß aus dem Wasser. „Sagt man nicht, kalte Fußbäder seien gut für den Kreislauf?“
„Warum?“
Er zuckte mit den Achseln. „Frag den Kneipp.“
Sie verdrehte die Augen. „Wieso hast du dich bei meiner Hochzeit wieder als der schwarze Mann verkleidet?“
„Habe ich nicht. Weshalb sollte ich?“
„Im Bunker warst du es?“
Er leckte über seine Lippen. „Nein. Ich habe dich belogen. Es gab keinen Zettel. Ich bin nicht zum Reiterhof zurück, jedenfalls nicht gleich, erst später.“
„Warum?“
„Scham.“
„Scham? Weil dich Josephine verführt hat.“
„Bitte?“
„Auch ich habe dich belogen. Ich habe dir gesagt, dass sie mir es erzählt hat. Gesehen habe ich etwas Anderes.“
Fridolin stand vom Hocker auf, trat auf sie zu, bis die Fußfessel ihn zurückhielt. „Du warst wach?“
„Eifersüchtig? Sie hat mich nicht geliebt, das sah ich ein.“
„Wie, du warst …“
Klara drehte sich eine Locke. Half die Wahrheit ihm weiter? Die Wahrheit half weiter. Bloß, dass seine Erinnerungen sich nicht mit den ihren vermengen durften. Er musste selbst dahinterkommen. Sie durfte ihm nur preisgeben, was er selbst erfahren, erlebt hatte.
„Ja! Ich war in Josephine ...“, sie schloss die Augen, „sie war meine erste Liebe. Deswegen war ich für das Spiel im Bunker.“
„Du wolltest?“ Fridolin lachte.
„Wo ist der Witz?“
„Nichts. Ich dachte nur.“
„Du denkst verkehrt. Nicht sie wollte ich einsperren, sondern dich.“
„Um mich aus dem Weg zu räumen, freie Bahn zu haben.“
„Um ihr aufzuzeigen, dass sie sich verrannte. Dass du nicht …“
Klara zuckte. Sie ging zu weit.
„Ich nicht, was?“
„Vergiss es!“

Sein Blick verriet ihr seine Begierde, mehr zu erfahren. Lediglich jenes zu sagen, was er wusste, was er ahnte, hatte sie sich vorgenommen.
„Dass du nicht erfährst, dass ich lesbisch bin.“
Er zuckte mit den Achseln. „Wusste ich längst, obwohl du es später verleugnet hast.“
Lichtete sich sein Gedächtnis, half ihm die Qual weiter? Klara nahm sich vor, jedes Wort, das er sprach, zu analysieren, ihm Tipps zu geben, ohne irgendetwas zu verraten.
„Wann?“
Fridolin blickte nach oben. „Keine Ahnung, wann du dich geoutet hast, nur dass du es später geleugnet hast. Tanja, wir sind Freunde. Wir waren auf Partys, Events, wir kamen uns näher.“ Er setzte sich und legte die Hände auf seinen Schoß. „Ich war in dich verknallt, obwohl du mir gesagt hast, dass du verlobt wärst.“ Er schlug an seine Stirn. „Dass es Aishe war, wusste ich. Ich habe euch gesehen. Und! Ich liebe Aishe. Es macht mir nichts aus, wenn sie mit Frauen schläft. Tue ich selbst. Sex ist nicht Liebe. Ja, ich hatte Angst, Aishe an dich zu verlieren. Dann traf ich Klara wieder. Es war um mich geschehen.“ Er drückte die Hände an seine Taille. „Aber du hast gar nichts von dem Spiel gewusst, außerdem war Klara im Bunker und nicht du. Ich verstehe, du beabsichtigst, mich hineinzulegen.“
Sie hatte einen Fehler gemacht. Er glaubte weiterhin, sie, Klara, wäre Tanja. Sie änderte ihre Strategie.
„Ich merke, dich kann man nicht hineinlegen. Sie hat es mir erzählt. Unsere Party!“ Klara drehte sich. „Wir aufgetakelten Madls haben den Männern den Kopf verdreht.“
Dabei dachte sie daran, wie er gemeinsam mit ihr und Stephanie am Tag ihrer standesamtlichen Hochzeit in eine Diskothek gefahren waren. Sie blieb weiter bei dem Namen Stephanie, damit ihr Herz nicht zerriss, die Vergangenheit sie nicht einholte, sie gefangen nahm und ihren Geist trübte. Distanz, gar Vergessen, führte zwar selten ans Ziel, betäubte allerdings wie eine Flasche Rum. Dieses wusste sie und dachte dabei an Fridolin.
Sie hatte Valentin in ihrer Wohnung erwartet. Er hatte ihr am Nachmittag gesagt, sie müssten sich in Ruhe treffen.
Gleich nach dem Wiedersehen mit ihrem Peiniger war sie nach Hause gefahren, um ihren Kopf freizublasen, auszugehen.
Der Flur war erhellt. Sie schritt ins Schlafzimmer. Da lagen sie. Liegen war nicht das rechte Wort. Stephanie hatte ihre Schenkel um Fridolins Körper geschlungen und drückte ihre Füße an sein Gesäß.

„Dieses eine Mal. Fandst du es amüsant? Ich nicht! War Stephanie gegenüber im Erklärungsnotstand. Erst recht, da sie mich ein paar Tage zuvor im Kostüm von Counselor Deanna Troi auf deinem Sofa angetroffen hatte. Warum hast du dich verspätet? Wir hatten uns verabredet – Treckie-Night. Alle Folgen Enterprise hatte ich dabei.“
Klara blies ihre Wangen auf und musste sich das Lachen verkneifen. Was man alles von einem Freund erfährt, wenn dieser buchstäblich kalte Füße bekommt, dachte sie sich und hörte weiter zu.
Fridolin nickte. „Okay, du stehst eher auf Manga. Obwohl als Klingone kamst du echt scharf rüber.“ Er schmunzelte. „Erinnerst du dich noch an das Cosplay-Festival in Hameln? Pittoreske Stadt, müssten wir noch einmal hin. Ja, ich gebe es zu. Du musstest mich überreden. Aber als der Moderator die Zuschauer fragte, wer von den Lolitas keine Echte ist und alle einstimmig die mit der kräftigen Kauleiste wählten, habe ich mich dann doch amüsiert und“, er lachte, zupfte dabei an seinem Rock, „ein wenig Stolz empfunden.“

Seine gewählten Worte ließen Zweifel in ihr aufkeimen. Denn sie konnte sich an keinerlei Aktivitäten mit ihm erinnern. Ihre Tanja schloss sie aus. Denn sie war nicht da gewesen. Blieb einzig eine Möglichkeit übrig, die in ihrem Wahn ihre Seele zerriss. Sie benötigte Zeit, Zeit um in sich zu kehren. Ohne ein Wort des Abschiedes kehrte sie Fridolin den Rücken.


Das indische Tuch

Niemanden sah sie. Dabei saßen alle beim Frühstück, als sie hochging. Die letzten beiden Worte hatten sie dermaßen geschockt, dass sie keinen Bissen herunterbekommen hatte. Einzig ein gemurmeltes „Ich ziehe mich um“ hatte Antonia eher gebetet als gesprochen, um sodann aufzustehen und wie in Trance die Treppe zum Obergeschoss zu nehmen. Wie viel Zeit sie vor Alinas Kleiderschrank verbracht hatte, wie oft sie sich immer dieselbe Frage gestellt hatte, war verblasst. Sie vergaß es, während sie die Haustür öffnete. Die Frage hatte irgendwie keinen Belang, war unnütz. Sie zupfte an ihrem Kleid, spielte keine Rolle.
Bedeutsamer schien ihr, ob an ihrer Theorie, dass Stephanie ihr Vater war, mehr dran war als der Wunsch nach Erkenntnis. Einer Erkenntnis …

„May, da bist jo.“
Sie zuckte zusammen, wandte sich um und starrte Franziska an, als wäre sie leibhaftig Mephisto. Ihre Rechte auf ihre Brust gepresst, rief sie: „Franziska.“
„Wen hast du sonst erwartet?“
„Musst du mich derart erschrecken. Ich dachte, ihr seid schon alle los.“
„War i aa scho.“ Franziska griff in ihren Weidenkorb, holte ihre Geldbörse heraus und hielt sie Antonia vor die Nase. „Da Vale hod doch nie Gejd fia den Klinglbeidl dabei. Schick sieh‘st aus, wia a fesch Madel. Gäd doch.“
Antonia fühlte sich alles andere als fesch, eher lächerlich. Es war eben nicht ihr Stil. Sicher, wie die Klara Sesemann, wie Alina, kam sie sich nicht vor, trug kein Kleid, das hochgeschlossen ihren Hals schnürte, allerdings war ihres nicht minder mit Spitze und Rüschen verziert.
Franziska verstaute ihre Geldbörse im Korb und senkte den Kopf. „Aba die Schua?“
Antonia betrachtete ihre Füße und wusste nicht, was sie auszusetzen hatte, immerhin waren ihre Schuhe neu.
„Turnschua zua so am feschn Kleidl.“ Franziska schwang ihren Kopf und zupfte an den Träger von Antonias weißem Kleid. „A bissal zua feschn Kleidl, jedenfois fia de Kiach.“ Lächelnd zupfte, strich sie über das bunte Tuch, die farbenfrohe Stola, die ihre Schultern bedeckte. „De Schuitern soietn in da Kersch scho bedeckt sei. Sonst glam de Leid, du bisd a Dirn.“
Antonia zupfte an ihrem Ohrläppchen. So recht verstand sie nie - da meinte sie nicht dieses Bayrisch, welches sie zumindest, wenn sie sich Mühe gab, verstand – , weshalb alle derart auf das Äußerliche fixiert waren. Was ging es sie an, was die ‚Leid‘ dachten, wie es Franziska meinte. Nie hatte sie in Bremen gehört, dass irgendwer sich aufregte, wie jemand, soweit dieser nicht nackt war, zur Messe erschien. Dabei war es ihr ohnehin schietegaal, piepenhagen, denn ihr ging es nicht um höhere Werte, um das Seelenheil, wie Onkel Karl und Bärbel es ihr eingetrichtert hatten. Wenn es einen Gott gab, an den sie nicht glaubte, obwohl sie Braut Christi werden wollte, musste dieser sehen, wie es im Innersten eines Menschen aussah. Was war da die Hülle wert?
Franziska schlang den freien Arm um ihre Taille. „'etz aba schnei, sonst keman mia no zua schbad“, sprach sie und zerrte Antonia vom Hausstein. Sie nahm ihre Stola ab und bedeckte Antonias Schultern.
Antonia strich über den Stoff. „Schick“, sie zuckte, „außergewöhnlich.“
„Aus Indien.“
„Indien?“
„Jo may, hob i dia doch eazählt, damois ois du des easte Moi bei uns warst. May Reise.“
Sie erinnerte sich sofort daran, saß am eichenden Tisch in der Küche und lauschte Franziskas Worten, der Geschichte vom Friedenscamp unweit des Hofes.

„Bloß an eins hatte ich nicht gedacht. An die Macht des Weibes, die stärker jeder Ideologie den Mann in seinen Bann schlägt. Getrieben von den Hormonen, hängte sich Anton an Amishas Rockzipfel, buhlte wie ein räudiger Hund um eine Berührung. Er kam zum Erfolg, vereinigte sich mit ihr und beide schwärmten vom Kamasutra, von der freien Liebe in Indien. Ich war sauer auf ihn. Wut, nein, kam nicht in mir auf. Im ganzen Dorf verbreitete ich, dass mir der Valentin die Jungfräulichkeit rauben wollte. Wir verabredeten uns in der Scheune. Ich wartete und Valentin blieb fern. Ich wollte gerade heim, da kam Amishas Begleiter – ihr Freund war es nicht – und na ja, es passierte eben. Ich war leichtsinnig, jung und unerfahren. Die Amisha ist dann mit ihrer Freundin nach Indien und er war verschwunden. Schön war er, stattlich. Ich bin dann abgehauen, denn ich konnte meinen Vater nicht mehr unter die Augen treten. Die Ehre, verstehst? Dass ich schwanger war, ahnte ich zwar nicht, woher auch, war zu jung, aber, vielleicht Vorsehung, Fügung. In Passau an einer Tankstelle sah ich ihn wieder, den Reimar. Bei ihm waren die Amisha und ihre Freundin. Ich bin dann mit ihnen. Das war ein Abenteuer: Türkei, Aserbaidschan und als Höhepunkt Indien.“

Antonia strich erneut über den in allen Farben des Regenbogens schillernden Stoff. „Sieht aber aus wie neu.“ Dabei ging ihr die Stola am Achtern vorbei. Der Satz beruhigte sie, denn nachdem ihr Franziska die Geschichte erzählt hatte, fuhren sie zurück nach Bremen. Karl und Bärbel hatten sich gezankt und sie ergriff die Chance, Bärbel, das liebreizende Mädchen zu spielen. Die meisten älteren Frauen fielen darauf herein, obwohl Antonia zu dieser Zeit eher geübt hatte, als diese Fähigkeit komplett zu beherrschen. Jedenfalls brach auf dieser Fahrt für sie die Welt zusammen. Ihr Vater, der berühmte Arzt, Doc, den alle auf ein Podest gestellt hatten, fiel hinab. Sie erzählte zwar kein Wort von Franziskas Geschichte, dennoch ergaben sich Überschneidungen, wenngleich Bärbel ihrer Art verblieb, wag formulierte und sie die einzelnen Puzzlestücke verknüpfen musste. Doc, Reimar Sengbein, dieses Schwein hatte Franziska, die zu dieser Zeit obendrein minderjährig war, vergewaltigt, geschwängert und dann sich mit Sophia nach Fernost verpieselt.
„Is ebn Qualität“, Franzika kicherte, „außerdem fand i ihn in oana vo Gertis Druhn. Wie es da hinkam? Koa Schimmer. Weißt, der Vale hat sich endlich erbarmt und begonnen, das Gesindehaus zu entrümpeln, da fand er es, besser gesagt, ertappte ich ihn, als er es in einen Lumpensack stopfte. Männer haben eben koa Schimmer. Außa oana Hosn und a Hemad, des meist vadeckt is, wissen sie nix vo Mode. Das fesche Tuch ist do a“, sie pausierte, schloss ein Auge, „heiße Stola.“

Ein mulmiges - wahrhaft mehr war es nicht für sie - Gefühl kam in ihr auf, als sich Antonia daran erinnerte, wie sie das erste und letzte Mal im Gesindehaus war.
Gertrud, die eine zerrissene Hose trug, hielt sie in der Küche davon ab, Alinas Zimmer zu entern.
„Ontonia, tust mia een gfallen. Du bisd doch a liabs Madl“, raunte sie, „Da Friedl hod heid in‘da Stod sei Hosn zerissen. De mog i flickn.“ Daraufhin zeigte sie auf einen Teller, auf dem Kuchen lag. „Kannst du‘am Voda sei Kuacha bringn.“ Sie lächelte sie an, schritt an den Küchenschrank, entnahm ein Flakon, tropfte ein wenig von dessen Inhalt auf den Kuchen. „Des is sei Medizin, aba grod a paar Dropfa sonst bring’s ihn um. Sogt da Doktoa.“
Die Schultern hängend, schaute sie Gerti an, sah, wie sie den Flakon auf dem Küchentisch abstellte, die Küche verließ. Sie musterte den Kuchen, die Medizin, atmete tief ein und trottete zu dem Großvater, der den Enkel mit seinem Wahn verführte.
Es war ein Wahn, den sie nie gehört oder gar gesehen, sondern, über den man ihr berichtet hatte. Dass dieser nicht erlogen war, erfunden, wie das Seemannsgarn, welches ihr der Nahne, ihr, ob leiblich oder nicht, geliebter Großvater gesponnen hatte, bewies ihr die Aussage, die Matthias ihr steckte.
Der Alfons war zu Lebzeiten ein Nazi, ein Faschist, Rassist und Menschenhasser, wenngleich er unablässig behauptete, dass er ein Gutmensch und, darauf war er stolz, freiheitsliebender Reichsbürger wäre, denn dieses, sein Reich bestünde weiter fort. Er beschütze es zumindest auf seiner Scholle. Allerdings nach seinem Schlaganfall bloß im Geiste, denn Franziska und Valentin meuterten.



Das goldene Häubchen

Es war zwar für Antonia das erste Mal, dass sie die Haustür dieses Gesindehaus aufgestemmt hatte, dennoch kam es ihr vor, als hätte sie dieses bereits unzählige Male getan. Diese Art von Déjà-vu war ihr sicher ungeheuer, abschreckend, trotzdem überkamen sie ihr. Manchmal ... in seltenen Fällen gelang es ihr, sie zu steuern.
Die Quelle des Übels kannte sie, hatte sie ausgemacht. Es waren die Bücher, die Literatur der Welt, in die sie, seitdem sie die Zeichen beherrschte, abgetaucht, gar eingedrungen war, bis sie sich mit den Geschichten vereinte, mit ihnen verschmolz. Um, als wäre es eine Trophäe, die Hauptprotagonisten in der für andere Menschen realen Welt zum Leben zu erwecken.
Ohne einen Fuß ins Gesindehaus zu setzen, wusste sie, dass links die Küche war. Eine Küche wie aus dem Roman ‚Der Trotzkopf‘ von Emmy von Rhoden, in der die Hausherrin nie auf die Idee kam zu kochen, dieses ihre Diener übernahmen. Eine Küche mit einem Holzofen, einem klapprigen Tisch, gebrechlichen Stühlen, auf denen die Dienerschaft kauerte und mit Holzlöffeln ihren kärglichen Brei mampfte.
Rechts befand sich eine Kammer. Eine Kammer, in der vier Mädchen sich zwei altersschwache Betten teilten. Die Stiege hinauf wiederum rechts eine Kammer, in der zwei Frauen hausten und links - Schweiß rann ihr über den Rücken, sie benutze eine Umschreibung aus dem Tierreich - der Silberrücken.
Hinter dem Haus, vis-à-vis des Eingangs, lehnte sich ein Schuppen, eher ein Verschlag, an das Haus. Auf der einen Seite das Lager, auf der anderen die Ziegen, deren Gestank keinen tagaus ihrem Sinn schwand, als inhalierte sie selbst nach Jahren weiterhin diese Ausdünstungen. Am schlimmsten war es allerdings nachts. Neben den Ziegen, verbunden mit deren Stall stand das Plumps-Klo, derart günstig, dass der Sammelbereich mit dem des Stalls sich vereinte, sodass man die Ausscheidungen der Tiere mühelos in diesen kehren konnte. Sodann, soweit es vonnöten war, beide einträchtig mit einem Eimer heraufzubefördern und mit diesem naturbelassenen Dünger die Pflanzen zu nähren.
Über allem, als könne es die Bewohner vor den bitteren, frostigen Unbilden des Winters schützen, lagerte das Heu, das Stroh auf dem Boden. Dessen Dach das gesamte Gebäude einschließlich des Schuppens gegen Wind und Regen schützte. Einzig bei den Ziegen tropfte es, drang der Ostwind durch die Fugen, sodass sie die Gegenwart der Tiere genoss und sich einkuschelte.
Genau dieser Verschlag bewies ihr, dass ihr Déjà-vu wahrhaft nichts weiter war als eine Fantasie. Denn anders als das Gesindehaus hatte sie jenen später öfter betreten. Der Ziegenstall entpuppte sich als Werkstatt, wenngleich der Gestank ihre Nase peinigte, und das Lager war wahrlich ein Lager, jedoch nicht von Speisen für den Winter, sondern von Haken und Schaufeln. Einzig der ‚Stille Ort‘ kam der gleichen Aufgabe wie in ihren Erinnerungen nach. Matthias vermochte es nicht auszuschließen, ob der Schuppen vor seiner Zeit eine andere Funktion hatte. Damit war für sie die Sache erledigt. Dieser Einsicht ging sie allerdings erst viel später nach, nachdem sie dem Alten den Kuchen gebracht, ihr Leben sich auf den Kopf gestellt hatte.

Die Dielen knarrten unter ihren Füßen. Als könne sie sofort ihre Eingebung bestätigen, wandte sie sich nach links. Sie drückte gegen den Türflügel, der erst sich wehrte, dann zügig nachgab, bis es sie gelang, ihren Kopf durch den Spalt zu stecken. Der Schrecken, der sie durchzuckte, war der Schrecken der Erkenntnis. Bis auf die Kleinigkeit, dass niemand am Tisch kauerte, sich mechanisch Brei in den Mund schaufelte, entsprach er eindeutig dem, was ihr die Erinnerung vorgaukelte. Waren es wirklich Reminiszenzen, hatte sie den Ort bereits gesehen. Gesehen in einem Leben vor dem ihren? Sie wandte sich ab, beließ den Türflügel in der Position, in der sie ihn gequält hatte, eilte die drei, vier Schritte zur Tür der Kammer.
Erneut, diesmal energisch, stemmte sie sich entgegen und erschrak abermals, jedoch aus Enttäuschung. Kein Bett, kein Lager der Dienerschaft erblickte sie, sondern eine sogenannte ‚Gute Stube‘. Wohnzimmer wäre allein der Größe wegen für sie übertrieben. Immerhin wohnte sie zu dieser Zeit mit Bärbel sowie Tanja in einem Gründerzeithaus in der Nähe des Bremer Stadtparks und wohnen hatte für sie etwas von Weite. Es wirkte auf sie eher wie ein Ausstellungsobjekt eines Heimatmuseums, in dem den neugierigen Besuchern dargestellt wird, wie die Ureinwohner gelebt hatten - zumindest wenn man diese in die Fünfzigerjahre des 21. Jahrhunderts katapultierte.
Damit stand es fifty-fifty. Das Obergeschoss würde es zeigen, inwieweit sie eine gewisse Fähigkeit besaß oder nicht. Ihr Herz klopfe, klopfte dermaßen laut, dass sie Angst hatte, jemand könnte es hören. Sie raffte den Rock ihres Klara-Sesemann-Kleids und setzte beherzt einen Fuß nach dem anderen von Stufe zu Stufe der Stiege, darauf bedacht, dass kein Knacken, kein Knarren sie ankündigte.
Sie erreichte das Geschoss, ohne ein Laut abzugeben. Bereits ein Blick nach rechts zeigte ihr schmerzhaft auf, wieweit es mit ihrer Hellseherei bestellt war. Zwar schaute sie in eine Kammer, allerdings nicht in die zweier Dienstbarkeiten, sondern die einer, gewiss für Antonia alten, dennoch auf ihre Weise, modischen Dame.
Ab diesem Augenblick verließ sie ihr Zeitgefühl. Antonia wusste nicht mehr, was Eingebung war, geschweige, wann sie diese gehabt haben soll. Nachdem sie Alfons den Kuchen gebracht hatte oder davor. Drei Alternativen standen ihr zur Auswahl. Eine verrückter als die andere. Nur eins hatten alle gemeinsam: ein Kopfkissen, ein Kuchen und da war sie sich sicher, Alfons.
Vielleicht lag ein Schock auf ihrem Gedächtnis, hatte sich festgebissen, denn am nächsten Tag erzählte ihr Matthias, dass sein Großvater verstorben sei. Niemand sonst sagte etwas, zeigte eine Regung des Bedauerns. Alle feierten sie Tanjas Hochzeit. Am Folgetag hieß es, der Alte wäre eines natürlichen Todes gestorben. Es war für ihn eben an der Zeit.
Später, wann genau konnte sie nicht mehr zuordnen, jedenfalls ging sie bereits ins Internat und verbrachte ihre freien Tage im Dorf, hörte sie etwas anderes: Er solle mit einem Kissen erstickt, sagten die einen, oder vergiftet wurden sein, was andere bevorzugten. Allerdings waren alle froh, gar amüsiert darüber, dass er letztendlich dahin war.

„Mensch Madl, pass auf!“
Antonia spürte, wie jemand sie zurückzog.
„Geschlerf. Am Sonndog so zua rasn. Den Führerschein miassad ma dia obnehma“, hörte sie Franziska brüllen. Ihre Stimme wurde sanfter. „Ontonia, du musst aufpassn, wenn du üba de Strass ghst.“
Während sie der schwarzen Limousine hinterher starrte, die sie beinahe überrollt hätte, übermannte sie erneut ein Déjà-vu. Im selben Augenblick kehrte sie kurz nach Bremen zurück, sah die grellen Scheinwerfer, spürte den ihre Beine eng umschlingenden Rock, die für sie damals extrem hohen Absätzen ihrer Sandaletten, den Aufprall auf den Asphalt. Sie schüttelte die Bilder ab und warf sie in den Orkus des Vergessens, der Vergangenheit.

Sie hatten gerade die Dorfstraße verlassen, da fasste sich Antonia ans Herz. Sie wollte wissen, ob sie sich nur verhört hatte oder ihre Vermutung, die sie seit Langem mit sich trug, hegte, wahr wäre.
„Das goldene Häubchen gehörte Stephen?“
„Sicha.“
Mit welcher Selbstverständlichkeit Franzi ihr antwortet, verblüffte sie. „Als Junge?“
Franziska blieb stehen. „Warum ned?“
Antonia wandte sich ihr zu, starrte sie an, worauf Franziska grinste, dann weiterging, sie zurückließ.
Mit ein paar Schritten holte sie sie wieder ein und nahm allen Mut zusammen. Sie zog die Stola, das indische Tuch, enger um den Hals, bis ihr beinahe der Atem wegblieb. Mit der letzten Luft, die ihr in der Lunge verblieben war, stellte sie Franziska die Frage, die sie sich zuvor mantrahaft vor Alinas Kleiderschrank gestellt hatte: „Wollte Stephen immer schon ein Mädchen sein?“
Franziska schlang erneut den Arm um ihre Taille. „Wie kommst du auf den Blödsinn?“
Sie sprach Hochdeutsch, dieses zeigte ihr an, dass Franziska ihre Frage zumindest für bedeutsam hielt. Immer, wenn sie, soweit kannte Antonia sie, mit ihr, wie sie es nannte, ein ernstes Wort sprach, wechselte sie ins Hochdeutsch.
„Auch Männer gründen eine Familie, bekommen Kinder, können die Tradition weitergeben. Ich hatte damals nur Stephen. War nicht mehr die Jüngste.“
Ob es eher aus Verlegenheit oder es eine Eingabe war, konnte Antonia im Nachgang nicht ergründen, jedenfalls sprach sie ihren Namen aus.
„Nonnen haben keine Kinder“, hörte sie danach Franziska, in einer Tonlage, als hielte sie ihrer verschwundenen Schwester eine Predigt. Wieder den Gang zur Kirche aufnehmen, erklärte Franziska ihr, wie diese Tradition ablief.

„Madl wird eawachsn, dann möchtest du aa des die Brut ganz om aufschwimmt, zum Oführa wird.“ Franziska wandte sich Antonia zu, winkte ab. „Goggolores. Ma war es, jo may, am oasch sind sie mia gegangen, den Götz hätten sie ma. Uns’r Sippe stand vor’m end. Nicht mit den Genen“, sie lachte, „jo may. Fü‘da Alfons war’s gerichtet, aber de Gerti sah das Ende, spürte die Apokalypse. Seit Angedenken trug uns’r Anführerin die ‚Goldene Haube‘, war uns’r Sippe der Polarstern und nu, vorbei, aus, Schluss. Goggolores. Warum belüg i di, belüg i ma? I war schuidig, hob de Schuid auf mi glon. Recht wollt i es allen machen. De Gerti, de Olden, ma Voda de Alfons. Ihm habe ich geschrieben, ich habe einen Bub geboren und de Gerti, was wohl? Niemand hat sich für uns interessiert, oi die Joar ned. Es war ma Schuid. Na niemand is de Sind. Er ned, sie ned. Ois des Herrn Wille. Es ist nur eine Haube, eine Tracht, ein Tag. Ois ging gut, erst haben mia uns, da Gerti und i gezankt und dann ging ois nach Plan. Sogar de Alfons gab den Segen, wie de Gerti ma es sagt hat, und i konnt ohne Soagn nach oi de Joar gesunden. Das i ma Bub nie wieder sehen sollte, konnte ... Jo may, wie i ma dann freut hab. Ois des Herrn Wille.“
„Woher wusstest du, dass Stephen überhaupt das goldene Häubchen wollte?“
„Wenn es bei dir so weit ist, weißt du es a.“
„Gab es das schon einmal?“
„Was?“
„Dass ein Junge das Goldene bekommen hat.“
„Soweit i weiß ned, aba das Silberne.“
„Das Silberne?“
„May, jede Familie, jede Sippe hat eine Frau mit dem Silbernen, ist das Oberhaupt vo‘de Sippe. Aba das Goldene gibt nur o Mal.“
Antonia dachte erneut an Lisselotte.
„Warum hast du Stephen geopfert? Immerhin stand es in der Pflicht deiner Schwester.“
„Geopfert? Schmarn, Goggolores.“ Franziska blieb vor der Kirche stehen, strich über Antonias Wange. „Sag i. Ois des Herrn Wille.“



Zwischen den Fronten

Es war das erste Mal, seitdem Milena in der Universität arbeitete, dass sie nicht im Bus saß, um zum Dienst zu fahren, sondern wegen eines Rendezvous.
Sie schaute hinaus, labte sich kurzzeitig an vorabendlichen Lichtermeer der roten Sonne. Deren diabolischen Schein, die Häuserfronten reflektierten, den Abend, die Nacht ankündigte. Sie genoss, dass für südländische Städte typische geschäftige Treiben, das Aufbranden, bevor es langsam doch mählich versickerte, bis es dämonischen Regimen die Macht übergab. Sie tippte sich an die Schläfe und murmelte: „Rendezvous? Auf der Arbeit.“
Wenn sie bloß dahinterkäme, worauf Samuel hinauswollte. Schlicht sie vernaschen, sich an ihr befriedigen, seinen Gelüsten nachgehen, wollte er scheinbar nicht. Oder war dieses seine Befriedigung. Ging es ihm darum, sie zu quälen? Sie wandte sich vom Fenster ab. „Quatsch. Mir ist er egal“, flüsterte sie, starrte dabei ihren Sitznachbarn an.
Sie zückte das Smartphone aus ihrer Handtasche, steckte zuerst den Stecker der Ohrhörer in jenes, dann diese in ihre Ohrmuscheln und startete die Aufnahme.

Vor meinen Abiturprüfungen erhielt ich einen Brief. Es war nicht der Brief, den ich erwartete. Die anderen Jungen meines Jahrganges hatten diesen bereits erhalten, welchen ich erwartete. Ich las nicht meine Einberufung zur Volksarmee, sondern eine Einladung zum MfS. Ministerium für Staatssicherheit oder Stasi, wie sie im Volksmund hieß. Einladung war nett umschrieben. Es handelte sich vielmehr um eine Vorladung.
Mit einem mulmigen Gefühl in der Magengegend kam ich der Vorladung nach. Ich muss dazu sagen, dass jeder, sogar überzeugte Parteigänger, zum MfS eher eine gewisse Distanz pflegten. Obwohl ich es kannte. Gunnars Vater war beim MfS.
Sie kamen gleich zur Sache. Ich hätte die Wahl, unterbreiteten sie mir, entweder Volksarmee mit anschließender Lehre zum Maurer oder die Ausmusterung und Studium an der Charité.
Ich muss ihnen erklären, dass es in der DDR üblich war, Kinder von Akademikerfamilien eine handwerkliche Ausbildung nahezulegen.
Meine Mutter wollte immer, dass ich Arzt werde. Sie meinte, egal was passiere, Ärzte benötige man immer, krisensicher und das unterstrich sie, da sie bereits andere Zeiten erlebt hatte, wären Ärzte nicht direkt dem Kugelhagel ausgesetzt. Recht hatte sie damit nicht behalten. Was wusste meine alte Dame von Freiheitskämpfen, Bürgerkriegen oder anderen, wie man heute so schön sagt, asymmetrischen Kriegen? Ich hatte eigentlich angestrebt, Staats- und Rechtswissenschaft zu studieren.
Da hatte ich die Auswahl zwischen Pest und Cholera. Ich nahm das Medizinstudium an und die Verpflichtung beim MfS in Kauf.
Gunnar hatte es besser getroffen. Er durfte in Potsdam studieren, nachdem er ein Jahr nach mir das Abitur abgelegt sowie bei der Volksarmee gedient hatte. Irgendwie komisch war er danach. Dabei durfte er bei der Elite dienen, unsere sozialistische Zukunft, unsere antifaschistische Freiheit am antiimperialistischen Schutzwall verteidigen.

Ich war alles andere als ein Musterstudent, konnte dieses aber mit meiner Parteiarbeit kompensieren. Das Physikum schaffte ich im zweiten Anlauf. Dann brach die Welt über mir zusammen.
Ich kam aus einer Vorlesung, als zwei Herren in Trenchcoat mich zwischen sich nahmen. Das ist echt kein Witz wie in einem drittklassigen Agentenfilm. Sie forderten mich auf, ihnen zu folgen. Eine Wahl hatte ich nicht. Einer der beiden ergriff meinen rechten Arm, drückte diesen an meinen Rücken und schob mich vor sich her.
Ein paar Minuten später saß ich in einem Moskwitsch. Ohne ein Wort von sich zu geben, fuhren sie mich nach Potsdam und warfen mich auf der Glienicker Brücke aus dem Wagen. Vorher hatten sie mich gebeten, ihnen meinen Ausweis zu überreichen. Jenen schnitt der eine die rechte obere Ecke ab und schleuderte diesen mir an den Kopf.

Ich hatte mich nicht einmal aufgerichtet, da schnappten mich die nächsten zwei Typen. Wiederum in Trenchcoat gehüllt, einzig mit dem Unterschied, dass sie Sonnenbrillen trugen. Sie begrüßten mich im freien Deutschland. Ein paar Wimpernschläge vorher war ich im freien Deutschland gewesen.
Sie führten mich von der Brückenmitte auf die andere Seite, begleiteten mich zu einem Mercedes, in welchen sie mich baten, mich zu setzen.

Es war so anders, alles, was ich sah, war so anders. Es war weder so, wie ich es im imperialistischen Fernsehen gesehen, geschweige noch, wie es die Parteifreunde oder meine Eltern es mir berichtet hatten. Keine Obdachlosen lagen zwischen den Trümmerwüsten und bettelten nach Brot. Es war irgendwie normal. Menschen eilten auf den Bürgersteigen an Häuserfronten vorbei, die unseren Plattenbauten ähnelten. Dafür konnte ich keine bunte Lichterwelt erblicken. Es war hell draußen, trotzdem hätte ich etwas sehen müssen. Alles schien mir verdammt normal.
Nach etwa einer halben Stunde hielten wir. Ich kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Vom Weiten hatte ich es bereits erblickt, jedoch derart nah.

Sie fuhren mich vom Flughafen direkt in ein Hotel. Heute würde ich dieses als miese Absteige bezeichnen. Aber damals?
Das Zimmer hatte ein eigenes Bad mit Badewanne, sogar über ein Radio verfügte es. Bei der Suche nach der Stimme der DDR traf ich auf die Nachrichten des Norddeutschen Rundfunks. Von diesem erfuhr ich, dass Gefangene aus den Fängen der DDR befreit und wohlbehalten die innerdeutsche Grenze bei Helmstedt übertreten hätten.
Der Begriff innerdeutsche Grenze trieb Wut durch meine Adern. Es war die westliche Außengrenze der Deutschen Demokratischen Republik und Schutzwall gegen den Imperialismus. Da wurde es mir bewusst, dass ich auf der falschen Seite hockte. Ich war im Land der Verbrecher, der Faschisten, der Mörder. Aber, dass die dämlich waren Taschendiebe und Volksverräter aufzunehmen, ließ mich schmunzeln.
Aus meinem Schmunzeln wurde Lachen. Humor hatten die vom Ministerium. Sie hätten mich einfach ins Ministerium vorladen können, um mir meinen Auftrag mitzuteilen.
Ich war ein Agent des freien Deutschlands, genauso wie die beiden Männer, welche mich in West-Berlin in Empfang genommen hatten. Gunnars Vater hatte es mir einmal erzählt, dass Freiheitskämpfer des MfS in den Reihen der imperialistischen Geheimdienste die Freiheit meines sozialistischen Vaterlandes beschützten.
Geheim war geheim, deshalb harrte ich aus, sehnte mich meinem Auftrag entgegen. Es kam keiner, dafür begleitete mich einer der Männer am nächsten Tag zum Frühstück, drückte mir einen Westpass und Westgeld in die Hände und befahl mir davon Klamotten zu kaufen. Bevor er mich allein ließ, teilte er mir mit, dass ich in Hannover mein Studium beenden könne.


Milena stoppte die Aufnahme. Einerseits nervte sie der mal stechende, mal schmachtende Blick des Orthodoxen, der ihr vis-a-vis saß, anderseits war ihr schlicht nicht bewusst, was Samuel wollte. Okay, er war in der DDR aufgewachsen und versuchte, ihr weiszumachen, dass irgendwelche Agenten ihn nach Deutschland entführt hätten. „Deutschland“, murmelte sie. Wie nannten die Ostdeutschen sie? Besserwessi. Gehört, gesehen im Fernsehen, gelernt in der Schule hatte sie es, dass hinter einem eisernen Vorhang Deutsche leben sollten. Es sehr nervig wäre, Berlin aufzusuchen. Nervig? Ab in einen Flieger und hin, wie nach London, Paris, Rom oder … Wehmut überkam sie – Johannesburg. Einmal stand sie an dieser bemalten Mauer. Und? Eine Mauer eben. Ob oder wer dahinter lebte, hauste, war ihr schnuppe. Sightseeing, Klamotten kaufen und zurück, das, was eben junge Frauen und Mädchen an Berlin interessierte, wenngleich London, Paris, gar Brüssel mehr Auswahl hatten. Berlin war bloß krass. Jedenfalls nicht derart piefig wie Bremen.
Erneut fing sie den schmachtenden Blick des Orthodoxen ein. Sie hatte nichts gegen die. Allerdings konnte sie Janusköpfige nicht ausstehen. Ihre eigenen Frauen verhüllten sie, während sie ungeniert versuchten, fremden Frauen unter den Rock zu starren. Milena überschlug ihre Beine, zog am Saum ihres Minirocks, als vermochte sie damit, ihre Knie zu bedecken. Anstatt, dass er endlich von ihr ließ, lächelte dieser Typ sie an. Es fehlte ihr nur, dass er aufstand und ihr ein unschickliches Angebot unterbreitete.
Sie kam ihm zuvor, stand auf und suchte nach einem freien Platz. An der Haltestange sich festklammernd schwankte sie zu einer Soldatin, die, während sie Milena das Gesicht zuwandte, ihr Sturmgewehr, ihre M16, von der neben ihr freien Sitzfläche nahm. Sich umschauend, klemmte sie es zwischen sich sowie dem Bus ein und presste ihr Smartphone an die Ohrmuschel. Milena setzte sich, lauschte. Das Hebräische, welches sie bisher gelernt hatte, erlaubte ihr, zu folgen. Die Soldatin schmachtete ihrem Freund, dem Liebsten zu, der wie sie Soldat war. Allerdings hielt er nicht in der Stadt die Stellung, sondern auf einem von diesen von Israel annektierten Hügeln, ihren neuen Siedlungen im Westjordanland. Milena wandte sich, ohne darüber nachzudenken, dem Platz zu, auf dem sie zuvor gesessen hatte und gab Samuel recht. Israel war paranoid, hatte eine multiple Störung. Vielleicht fühlte sie sich deshalb hier wohl.
„Störung“, murmelt sie. „Nah, Berlin, Hannover.“
Sie steckt sich erneut den Hörer ins Ohr, spulte zurück.

Vom Weiten hatte ich es bereits erblickt, jedoch derart nah.

Sie fuhren mich vom Flughafen direkt in ein Hotel.


War es von Samuel beabsichtigt oder bloß Schusseligkeit. Das Klimpern, das Murmeln, im Hintergrund gehörte eindeutig zu Arif, dem Wirt des Lokals, in dem sie gemeinsam mit Samuel die Thüringer vom Imbiss gegessen und den Roten genossen hatte. Genau einen zweiten von diesem vorzüglichen Gaumengenuss – erneut musste sie Samuel zustimmen – hatte Arif in der Pause zwischen den beiden Sätzen gebracht. Der Bruch in Samuels Ausführung war eindeutig. In einem Satz verweilte er in Berlin, im Folgenden in Hannover. Was hatte er gesehen? Hatte er überhaupt etwas gesehen oder sich die Geschichte ausgeliehen und wusste nicht, was dazwischen geschehen war. Sie hätte ihn fragen können, wenn, ja wenn, sie ihm zugehört hätte. Allerdings war sie paralysiert. Der Name van Düwen zuckte in ihrem Schädel, hatte ihre Gedanken gelähmt, bis ihre Lust sie überwältigte und er sie verschmähte. Zufall, alles bloß Zufall. Vergangenheit. Die aus ihrem Gehirn getilgte, gelöschte Vergangenheit.
Milena spulte vor, drückte sodann auf Start.



Franziska klärt auf

Aishe rollte an die Treppe heran und wandte das Gesicht Franziska zu, die, mit zwei Koffern bepackt, herunterstieg.
„Soll ich dich zum Altkleidercontainer fahren?“
„Bist damisch, mei best Kleider, de Froni kommt, bringt sie nach Passau.“ Sie nahm die letzte Stufe, stellte die Koffer ab. „Solang de Mannsbilder im Ochsen san, konn i dia‘s sog‘n. Komm mit in de Küsch, aba schließ de Tür, de Ontonia und de Alina schleich‘n rum.“

Franziska ging zum Fenster. „Aishe, a Tä?“
„Danke, nein.“
„Dann ned“, kommentierte Franziska emotionslos und ergriff eine Schüssel, kehrte um, schritt Aishe entgegen, die an den Eichen-Tisch rollte. Wortlos setzte sie sich hin, stellte die Schüssel ab, nahm den Teller von dieser herab und griff beherzt hinein.
Aishe tat es ihr gleich, formte. „Wie viele Knödel?“
„Fia uns zur Brotzeit, da Rest is fia de Gäst. Du isst doch mit?“
„Nein. Erzähle lieber, was es mit den Koffern auf sich hat.“
„Tanja hat ma g‘beten, dass i ma fia ihr Projekt bei Vale einsetz‘n soll.“
„Und?“
„Tanja is a Frau, Vale a Mann.“
Aishe zuckte zurück, ließ den Kloß, den sie formte, auf den Teller fallen.
„Tue ned so überrascht. I woass‘s, du woass‘s. Mia is‘s egal, dia is‘s egal. Du bist genauso wenig lesbisch wie i. Jetzt bist platt. Komm, koa Paus, vo drei Knödeln wern mia ned satt. Da Friedl is a Gescheiter, a Guter und hod des a oder andere Moi ma sei Sorg g‘klagt. A normal Ehe hobt ihr g‘führt und du ihm fremdgang‘n. Jedoch ned mit oana Frau. Ach, i vergaß, mit de Tanja hast du scho, sogar in ihrer Houchzeidsnochd, hob’s gseng, da möchst i scho a Lesbe sei. I frog ma grod, wer wen hinoalegt. Du de Tanja oder … i bin ja ned neigierig, dennoch dia hiterha, als du ohne Friedl zu Besuch warst. Weist, dass man im ‚Goldenen Hirsch‘ vo da Wäschekammer direkt in oas vo da Zimmer sehen kann. Da Vale hat‘s ma g‘sogt, dass da Xaver Paare, de zum Schnackseln aufschlag‘n, des Zimmer gibt. Spanner. Männer sann … koa Angst, i sog’s niemand, mit wem du es g‘trieb‘n. Jedenfolls hod‘s euer a groß Gaudi bereitet, wenn i es derart umschreib‘n darf. A bissal neidisch war i scho. Beim naxtn moi sogst du ma b‘scheid, dann hom mia boad unsa Gaudi. Ach, wa des schee. Aba koa Wort zu da Tanja. Da bleibt es wie zuvor, bloß, dass du erst oamoi de zweit Geig spölst. Ma Plan is ganz oafach. De Tanja zöht zum Vale und i mach ma east oamoi dünn. Da Vale hod sich bereits damit abg’fund‘n, des Gesindehaus umzubau‘n. Bloß, dass er glaubt, dass du mit ihr oaziangst. De beiden lieben sich zwar ned, is aba unwichtig. Hauptsach de Tanja wird schwanger, damit Vales Vamög‘n nicht den Bach runtergeht. Blut is eben dicker. Und wenn da Friedl erst moi auf de Papier tot is, erbst du sei Kröt‘n. Irgendwie bin i stolz auf di. Dabei san mia ned oamoi vawandt. Leg de Knödel vorsichtig ab. Wenn du sie n‘unterwirfst, dann wern sie wie du, ganz platt.“
Aishe fasste an die Räder und rollte vom Tisch ab. Woraufhin Franziska sich zu ihr vorbeugte und auf ihr rechtes Knie klopfte. „Was? Bist enttäuscht oder bloß vawundert? Doch a Tä?“
Sie stand auf, ging zum Samowar, goss den Tee in zwei Gläser und machte sich auf den Weg zurück. Während sie sich hinsetzte, reichte Aishe ihren Tee.
„Komm, trink, solange er hoß is. Da Stephen, da echt, wurd koa droa Joar alt. Es war Antons Idee, oan Neu aus dem Hoam zu holen. Bitt entschuldig, dass i’s dia ned früher g’sogt hob. Kind, dachst wirklich i schau zu wie du mit dei Bruder ... obwohl wenn’s dia a freit b’reitet, schwanger kannst jo ned wern. Und“, Franziska strich über Aishe Hände, die verkrampft das Glas umklammerten, „es war gut so. Schön war’s, bis …“ Sie ballte eine Faust.
„Bis?“, wiederholte Aishe fragend.
„Bis … bis heit hob i es niemand eazählt. Bis da Anton, song mia oamoi, wenn‘nix dogegn hosd, da Jannette“, sie tätschelte erneut Aishes Hand, „vakaffen wollt. Da Vertrag war scho unterschrieb‘n.“
Aishe tippte an ihre Stirn. „Du spinnst.“
„Die olle van Düwen hod doch nix g‘wusst. Oder?“
„Woher soll ich das wissen? Man kann doch keinen Menschen verkaufen.“
„Wieso ned. Na ja, Bargeld muss scho vor da Adoption fließ‘n.“
„Krank. Jetzt verstehe ich, weshalb …“
„Genau. Hod aa da Vale eing‘fädelt. Aba lieber krank als bläd.“
„Blöd?“
„Gott. Kind. Ihr bringt da Friedl um, bevor da Vale des Zeitlich g‘segnet hod.“
„Wer ihr und warum umbringen? Friedl wurde entführt.“
„Des woasst? Is er ned g‘floh‘n? Nur, weshalb sollt er des tun.“
„Weil er unschuldig einsitzt.“
„Des is ma b‘wusst, jedoch eich war‘s recht, dass er wegg‘schloss‘n war. Nur dei oder im Nachhinein sei Pech, dass er sein Zaster dia ned schenk wollt.“
Aishe zuckte. „Wie?“
„Ned nur du warst bei ihm, aa i. I hob dia doch g‘sagt, er hod ma immer sei Leid g‘klagt. Deshalb hod er aa koa Grund zu flieh‘n. I hob a heiß Spur, de sei Unschuld zeig. De, ich nenne se moi so, Stephanie war’s g’wesen. Sie wollt da Ontonia entführ‘n. Jetzt bist platt, woher i des woass. I bin eben ned bläd. I koa kombinier‘n. Da Ontonia is ihr Tochta. Weshalb ma“, sie stockte, „da Bärbel sie als ihre ausgeb‘n hod, wird scho oan Grund hom.“ Erneut pausierte sie. „Da Grund is ma scho klar. Immerhin trägt sie des ‚Goidene Häubchn‘ und bekommt demnächst de ‚Goidene Haum‘. Jo may, wird des schee, wenn da Hias sie dann heirad und i ma Enkl hoide. Aba dafür müssen mia des Feld no bestell‘n.“
„Matthias?“
Franziska winkte ab. „Ned. Da wees Bescheid. Is doch sei Aufgab. Da Alfons, da Daible, hod ihm alles g‘lehrt. Na. Da Tanja braucht a Kind vo da Vale, bevor er des Zeitlich segnet. Sonst is des Geld futsch. Da Alfons hod domals drauf b‘stand‘n, dass mia a Ehevertrag unterschrib‘n. Er docht, da Vale heirad ma weg‘n des Hofs und wenn, dann da Vale tot is, nachdem da Friedl offiziell tot is, wer bekommt dann sei Geld?“
Aishe runzelte die Stirn. „Matthias. Alina.“
„Weder no. Alina is bloß a Pflegekind. Glaubst du, mia hätten auf de Geld vo de Stiftung vazichtet, hätten sie auf’s Internat … woass, was des kost?“
„Matthias?“
„Jo, da Voda des is da Vale. Mit dem Anton hob i jo nie. I glaub da stand eher auf ... na ja, jo may, war sei Sach. Aba hier gilt fast des gleich wie bei de Alina: Knete, Zaster, Mäuse. Mia hätten doch sei Halbwaisenrent abschreib‘n können, wenn da Vale … gewieft is er jo, da Vale. Wie er es g‘schafft hat, dass mia olle denselben Namen … Lange könnt ihr ihn bestimmt ned mehr liegenlass‘n.“
„Wen?“
„Friedl. Irgendwann stinkt er.“
„Aber...“
„Nix aba. Komm i zurück zu de Stephanie. Da waren da Friedl und da Vale bläd. I hät sie umg‘nietet, ma a schmuck Bub geholt und … zumindest hät i ma Gaudi g‘habt. Da Vale glaubt heut no, dass i glaubt, dass de Stephanie, da Stephen, dabei“, sie strich erneut über Aishes Hand, „woass i vui mehr. Bläd fia sie war’s nur, dass de Krücke Josephine dahinterkomm‘n is und sie aus‘m Vakehr g‘zog‘n hod. Des de Ontonia trotzdem ... jo may. Aba vielleicht steckt da aa ma …“, sie winkte ab, „vergess‘s. Jedenfolls wurd aa de Josephines Tat entdeckt und de Zeug musste … armer Kerl. Mit a Kugelschreiber in de Hals.“
„Das hat dir Friedl gesteckt?“
„Zum Teil, da Rest is Recherch“, sie tippte an ihre Schläfe, „und Intellekt. I bin jo ned bläd.“
„Deswegen glaubst du, dass ich oder Tanja Fridolin umgebracht haben?“
„Du hast des einzig Motiv. Wo arbeitetest du? Wer koa eafahren, wann er valegt wird, welch Streck sie nehm‘n und kommt an a Waff, is im Umgang ausg‘bildet?“
Aishe neigte ihren Kopf. „Nehmen wir einmal an, ich hätte ihn umbracht, dann hätte ich sicher dafür gesorgt, dass er beim Fluchtversuch ...“
„Aishe ma Kind, du bist ned bläd. Vorher musst du erst wissen, wo er sei ganz Zaster …“
„Wir sind verheiratet!“
„I woass aa ned wo da Vale“, sie grinste, „na zum grousn Teil scho. Außerdem bin i dia ned bös, immerhin hosd dafür g‘sorgt, dass de Anton …“
„Bitte?“
„Wer war wann in Südafrika. Vergess’s, i liab di.“ Franziska schaute auf. „Scho so schbad, de Mannsbuida keman gleich. Ma Plan: i lass ma vo de Vale scheid‘n, er heirad de Tanja, macht ihr a Kind, dann hat er a Unfall, wie de Gerti. Da kennst du di aus.“
„Gertrud?“
„I hab‘s g‘sehen. G‘sehen, wie du de Gerti aus‘m Fenster g‘schubst hast, Jannette.“
„Jannette?“
„De Gerti hat ma’s g‘steckt, is doch ned schlimm, hättest ma aa sag’n könna, Bub.“
„Aber.“
„De Alfons hosd du aa. I hab di g‘sehen als du aus‘m Gesindehaus kema bisd. I bin dann zu ihm, da war er scho tot.“
„Aber?“
„Vergess’s. Jedenfolls konnt i ma no mid de Gerti unterhalt. I hob ihr no vasproch‘n, dass i ma um de Ontonia kümmer, dass sie de Hias zum Manne bekimmd und dass es irgendwann so wird wie früher. Ois des Herrn Wille. Aba koa Wort zu niemand. Erst recht ned zu de Ontoina, de is ned bläd, stellt scho Frong. Bärbel is ihr Muada, de Stephanie is wahrlich da Stephen und wollt niemals a Madl sei. Verstehst ma?“ Franziska schlug mit der Faust auf den Tisch. „Sind wir uns da einig und i steck niemand, wer Alfons, Gerti und de Friedl ealedigt hod.“
Aishe schwang ihren Kopf, neigte ihn zur Seite. „Aber?“
Franziska schlug erneut. „Nix aba.“
Aishe zuckte mit den Achseln und ein flüchtiges Lächeln hüpfte über ihre Lippen. „Wenn’s meinst, Muada.“
„Jetzt vapfeif di, ned des du no de Mannsbuida unter de Aug‘n läufst.“
„Deine Koffer?“
Franziska wies zum Küchenfenster, das zum Hof. „Ach de. De hod de Froni scho g‘hollt. De kümmert si um ma.“
„Franzi, wie war sein Name?“
„Vo wem?“
„Goldener Hirsch?“
„Hosd derart viele, dass’tes vagessen hosd?“
Aishe schlug auf den Tisch. „I wui’s vo dia eafahrn, Muada.“
„Versteh, wui’s wissen, ob i lüg. Joos. Joos van Düwen.“


Aishe verließ die Küche, rollte zu ihrem Wagen und wandte das Gesicht der Hofeinfahrt zu. Froni stand, die Koffer abgestellt auf dem Bürgersteig, und unterhielt sich mit einem Nachbarn.
„De kümmert si um ma“, flüsterte Aishe, „warum habe ich nicht daran gedacht. Die Froni? Wer war sie, woher kam sie? War sie wirklich bloß eine Friseurin, die sich nach einer Wanderschaft vor gut zwei Jahren hier im Dorf niedergelassen hat? Oder?“



Agentin wider Willen

Erst am Nachmittag, es war bereits dunkel, traute ich mich auf die Straße. Zu meinem Glück befand sich dort ein Herrenausstatter. Ich kleidete mich ein, legte mir des Weiteren einen neuen Koffer zu und kehrte in mein Hotel zurück.
Der Mann erwartete mich bereits. Er entschuldigte sich bei mir, dass kurzfristig kein Zimmer in einem Studentenwohnheim zur Verfügung stünde, ich daher zwischenzeitlich woanders unterkommen müsse.
Weshalb er sich bei mir entschuldigt hatte, ging mir ab. Seine sogenannte Zwischenlösung war das Paradies. Als einziger Mann in einem Wohnheim für Schwesternschüler hat seinen Reiz. Ich hatte kein Problem damit, ein Bad mit sieben Mädels zu teilen. Wenngleich es in der DDR eher sexuell locker zuging, wäre es dort nie möglich gewesen, dass ein Mann mit Frauen ein Bad teilte. Die Aufseherin hätte dieses zu unterbinden gewusst. In diesem Heim gab es niemanden, der irgendetwas beaufsichtigte.
In der ersten Nacht fand ich heraus, dass die Damen keine Schwesternschüler waren, sondern Studentinnen. Im Westen herrschte das absolute Chaos.

Nicht allein in meiner Unterkunft herrschte das Chaos, desgleichen empfing mich an der Universität - an der medizinischen Hochschule. Kein Politkader nahm einen in Empfang, sagte einem, wo es lang ging. Alles musste man selbst herausfinden. Wie gut, dass ich meine Mädels aus der Wohngruppe hatte.
Ihnen erklärte ich, dass an meinen vorigen Studienort München es geregelter zuging. Ob diesem so war, hatte ich keine Ahnung, jedenfalls wurde es mir dergleichen eingetrichtert. Ich hätte mich mit meinem Professor angelegt und deshalb den Studienort gewechselt. Meinen leichten Akzent erklärte ich mit meinem Geburtsort Poppenhausen. An welchem Ort, in welcher Region dieser lag, hatte ich zu jener Zeit keine Ahnung, zumindest weit genug von Hannover weg.

Als gelehriger Parteisoldat, als Spitze der sozialistischen Revolution, stürzte ich mich tagsüber ins Studium und nachts mit meinen Kommilitoninnen ins Nachtleben. Was konnte es Schöneres geben?
Dass gelegentlich mein Bett belegt war, ich deshalb meine Nachtruhe in einem der Zweierzimmer suchte, störte mich weniger. Zumindest, wenn sie allein war. Das Gestöhne, welches vom Nachbarbett im anderen Fall ausging, erotisierte mich zwar, ermutigte mich sogar, meine Nachttischlampe anzuschalten, so zu tun, als würde ich lesen, um alles zu verfolgen, zu genießen. Dennoch vermochte ich meinen Trieben, meinen Zwängen, Einhalt zu gebieten. Es sei denn in den Nächten, in dem der Platzmangel zuschlug, an denen die Klänge über dem Bett zu schweben schienen, in dem ich bewegungslos lag, beide roch, einzig meinen Kopf drehen musste, während ...
Einen gewissen Lerneffekt hatte es, wenn ich dann meine Hand ...
Ich ging dann selten ohne Taschentücher ins Bett. Entschuldigen Sie, Milena, streichen Sie das Letzte, ich schweife ab. Jedenfalls legte ich irgendwann meine Zurückhaltung ab.
Milena, schauen Sie nicht so fragend. Die Zeit war derart. Na gut, ich gebe es zu. Unterhalb der Woche ging es meist gesittet zu, aber am Wochenende o-la-la.

Wenigstens half es mir über das Heimweh hinweg. Die Sehnsucht nach meinen Eltern quoll herauf, wenn ich allein war.
Der Spaß war ohnehin nach zwei Semestern vorbei. Das Heim löste man auf, riss es ab, und uns verteilten sie auf drei neue Studentenheime. Was für mich bedeutete, dass ich an meinen Schwur nicht mehr gebunden war und zumindest mit der einen oder anderen ehemaligen Mitbewohnerin ein Verhältnis aufbauen konnte, welches zwischen Mann und Frau normal ist.
Nicht ein einziges Mal meldete sich das Ministerium bei mir. Ich mutierte zum Bundesdeutschen.
Meine Noten waren exzellent, sodass ich mich bereits während des Studiums einem Fachbereich zuwandte. Meine Vorliebe zum weiblichen Geschlecht, sowie die Animation einer Kommilitonin regte mich an, den Weg zur Gynäkologie einzuschlagen.
Milena, ich bitte Sie. Ihr Gesicht sagt alles. Zeigen Sie mir einen Mann, der aus freien Stücken den Weg der Gynäkologie einschlägt und keine Hintergedanken dabei empfindet. Okay, ich war in der Forschung, aber sogar dort benötigt man gewisse praktische Erfahrungen. Verschlucken Sie sich nicht. Glauben Sie nicht alles, was ich von mir gebe, die Hiwi-Stelle wurde schlichtweg exzellent bezahlt.


Milena beendete die Aufnahme, denn außer „Oh Frau Milena, schon so spät, ich werde dann mal aufbrechen“ kam ohnehin nichts Vernünftiges mehr aus seinem Mund.
Samuel war auf irgendeine Art und Weise verrückt, zumindest durchgeknallt. Glaubte er wahrlich, es gäbe einen Verlag, der sich für solch eine Geschichte interessierte? Billige Agentenromane gab es zur Genüge, verstopften die Regale der Buchhandlungen. Oder nahm er, wie sie bereits vermutete, an, eine moderne, klar denkende Frau fuhr darauf ab. Lächerlich. Sie hatte bereits mehr durchgemacht, erlebt als er, dabei war sie jünger. Nein. Es gab für sie einen Grund, ein Motiv, weshalb sie im Bus saß. Der war trivial, animalisch. Ja, sie gestand es sich ein. Ihr Körper verlangte nach einem Mann. Sie konnte sich kaum daran erinnern, wie es war, einen Mann zu spüren. Sie schmunzelte. Zumindest den wichtigsten Teil von einem. Das bisschen kuscheln mit Sheeran war zwar angenehm, allerdings …
Weshalb log sie sich selbst an? Ihr ging es nicht darum, mit ihm in die Kiste zu springen, obwohl sie sich nicht sträuben, zur Wehr setzten würde. Der Grund lag tiefer, viel tiefer und hieß van Düwen.



Selbst gehenkt

„Hallo Püppchen. Ist es nicht unangenehm mit nassen Strümpfen?“
Fridolin wandte sich um und kuckte nach oben. „Kneippen! Stärkt den Kreislauf.“ Er sah, wie Josephine auf dem Bauch lag, die Arme unter dem Kinn verschränkt hatte und ins Schwimmbecken blickte.
„Ich wusste gar nicht, dass du Humor hast.“ Sie blies eine Strähne von der Stirn. „Wird dir bald vergehen. Spätes, wenn dir das Wasser bis zum Hals steht.“
„Was habe ich dir getan?“
Sie deutete auf ihre Nase. „Du mir? Ich hasse Schwuchteln. Ich kann Männer in Frauenkleidern nicht ausstehen. Das ist alles.“
Fridolin zog die Augenbrauen zusammen. „Wer hat mich in die Kleider gesteckt?“
„Als Frau zu sterben, wird dir ein Hochgenuss sein.“
„Du bist krank!“
Sie schob den Kopf vor, bis die Nase über dem Beckenrand ragte. „Angebettelt hast du mich, gewinselt.“
Er schürzte die Lippen. Warum verdrehte sie die Tatsachen? „Ich wollte mit dir schlafen. Hätte alles getan. Wir haben uns geliebt.“
Josephines Lachen hallte an den Wänden wider. „Träume weiter.“
Er täuschte sich nicht. Sie waren ein Liebespaar.

Im Jahr nach seinem Abenteuer mit Jannette war er wieder auf dem Reiterhof.
Es hatte sich eine Menge geändert. Die Räume waren saniert, die Leitung hatte gewechselt, neue Reitlehrer eingestellt. Nur die Pferde und im Besonderen Farah erkannten ihn, zogen seinen Geruch durch ihre Nüstern. Und Josephine? Sie war zur Frau gereift. Zu seiner Verwunderung kam sie ihm nahe, wie gute Freunde, die sich Jahre kannten. Er ritt mit ihr aus.
Gemeinsam pflegten sie die Pferde, tollten im Heu und er berührte sie. Der erste Kuss mit Scham, dann in inniger Umarmung. Ihre Nacktheit, die sie ohne Pein zeigte, die er ihr ohne Erröten zeigte, wie gute Freunde, fast Freundinnen, Busenfreundinnen, die sich Jahre kannten. Jannette hatte er vergessen.
Erst als Klara auf dem Reiterhof erschien, dachte er wieder an sie. War sie mit ihr gekommen? Er wusste es nicht mehr. Sie war da, mehr als Schatten und Klara nannte sich Tanja. Hatten sie sich zerstritten? Oder hatte die Zeit, der Weg vom Mädchen zur Frau sie entzweit. Ihm war es einerlei, er hatte Josephine. Obschon er Klara - er blieb bei dem Namen - schätzte, verbrachte er dennoch jede freie Minute mit Josephine. Mit Ausnahme der Stunden, in denen sich die Mädchen zurückzogen, ihm aus dem Weg gingen. Ob es an dem Buch lag, das er Josephine geschenkt, welches sie dann Klara gegeben hatte, ahnte er bloß.
Mädchenliteratur! Er hatte es verschlungen. Es gab ihm Halt.

War ein merkwürdiges Jahr gewesen. Nachdem ihn Vale vom Reiterhof abgeholt hatte, fuhren sie nicht nach Hause, sondern in eine neue Wohnung, eine neue Stadt, weiterhin in Österreich, allerdings nahe der deutschen Grenze.
Die Besuche auf dem Hof der Loibl schleuderten ihm das Grauen entgegen. Er hatte Angst, ungeheuerliche, übermächtige Angst, aber er wusste nicht, woher sie rührte. Er kannte den Hof, die Menschen, wenn er sie als solches bezeichnete. Woher? Angst, ungeheuerliche, übermächtige Angst. Der Alte war verknöchert, Gertrud verrückt, wie eingesperrt fühlte er sich an den Wochenenden.
Der Alte nahm ihn zur Seite, brachte ihm bei, wie ein Mann zu denken hätte. Es war widerwärtig, menschenverachtend.
In der Schule lief es nicht besser. Die Mitschüler grenzten ihn aus. Allein die Pferde auf dem Hof, auf dem sein Vater arbeitete, sowie seine Bücher gaben ihm Halt. Bücher der Mathematik, der Physik sowie Roman mit Pferden.
Mädchenliteratur! Er verschlang sie und sehnte sich danach, die Rolle der Protagonistin einzunehmen. Weshalb? Sein Verstand gab ihm eine zwar mögliche, jedoch nicht ganz schlüssige Antwort: Er liebte den Reitsport und kannte kaum ein Buch, in dem ein Junge der Protagonist, der unumstößliche Held, Pferdenarr, war. Jedenfalls keins, was ihm gefiel. Vale hatte ihn angehalten, etwas anderes zu lesen, aber diese Welt der Farben, der Freude zog ihn in ihren Bann.

Das Glück fand er erst wieder, als er Josephine in den nächsten Ferien wiedersah. Sie küssten sich ohne Umschweife, waren ein Paar.
Die Ferien nährten sich dem Ende. Er war naiv, von seinen Trieben geführt. Bei einem Ausritt fand er diese Zelle in dem Bunker – ein Liebesnest. Wie sollte er Josephine dorthin locken? Das Buch, die Geschichte der Entführung, ergriff ihn, lenkte ihn auf den Weg. Klara, die sich wider Klara nannt, bloß Josephine sie Tanja, war in Euphorie ausgebrochen. Josephine hielt sich zurück.
Ob er zu früh oder zu spät in der alten Scheune auftauchte, war in seinem Gehirn nicht mehr verankert.
Da ertappte er sie, Klara und Josephine beim Liebesakt. Ob die Eifersucht oder der Voyeurismus ihn mehr plagten, spielte keine Rolle. Er ergötzte sich an ihrem Akt, stellte sich vor, Klara zu sein. Nicht allein im Geiste, sondern ihren Leib zu übernehmen, für immer sie zu werden.
Erst nachdem er seine Hand von seinem Schritt genommen hatte, fiel er in die Realität zurück.
Da sah er sie, Jannette, wie sie die Hand unter ihrem Slip vergrub und ihm zuzwinkerte. Nicht wie ein schüchternes Mädchen, sondern wie eine Frau, die wusste, was sie wollte, verlangte, tat.
Dann ging alles rasant. Josephine entdeckte Jannette. Ein Wortgefecht erklang. Aufruhr. Jannette sprang auf die Treppe. Josephine stand neben ihr. Die Stufe zerbrach und sie strauchelte, hielt ein Kantholz in der Hand, welches Klara am Hinterkopf traf. Beide fiel in die Tiefe und Josephine sah hinab.
Dann war Anton dort, schrie herum, befahl ihm, Josephines Kleider zu holen.
Ihre Sachen ergriffen, kletterte er herab. Anton, Josephine und Klara sah er nicht. Einzig Jannette war zugegen. Sie hatte sich aufgerichtet, fasste sich am Hinterkopf, stöhnte, befahl ihm, sie zu fesseln, dann zu verschwinden.

Klara lag auf der Rückbank, als er Antons Wagen erreichte. Er setzte sich auf den Beifahrersitz und Josephine in ihrer Blöße auf seinen Schoß. Sie fuhren zu dem Bunker. Er machte sich keine Gedanken darüber, warum.
Anton legte Klara auf den Betonboden, befahl ihnen, nach ihrem Erwachen zu verschwinden.
Fridolin setzte sich auf die Pritsche, rückte an Josephine heran. Ihre Lippen berührten die seinen. Sie nahm seine Hand, führte seine Finger erst an ihre Brust, dann zwischen ihre Schenkel. Er spielte mit ihren Schamlippen, drang in sie ein, wie Klara es zuvor getan hatte. Er wollte es nicht, nicht an diesem Ort, nicht zu dieser Zeit, nicht mit Klara an ihrer Seite. Er machte es ihr klar, bis sein Trieb die Übermacht erlangte.
Nachdem es geschehen war, ergriff ihn die Scham. Ihm kam es vor, dass er eine Grenze überschritten hatte. Eine Grenze, die Mann und Frau, Freunde, Freundinnen, Busenfreundinnen, nie überschreiten durften. Er rannte hinaus, nur ab von diesem Ort, dem Ort der Schande.

Diese seine Erinnerung war jedoch alles andere als klar, eher schemenhaft, verworren, teilweise unrealistisch und er wusste weshalb. Dennoch war sie intensiver als jene, die man sein Eigen nannte, wenn ein Film einen packte. Vielmehr wie bei einem Buch, wenn nicht allein das Geschehen sich abbildete, sondern der Geist, die Erfahrung, gleichfalls die Umgebung mit allen Sinnen modulierte, zum Leben erweckte.
„Was willst du von mir?“, hörte er, bemerkte danach, dass es seine Worte waren.
„Fridolin, wie oft habe ich es dir gesagt? Ich will wissen, wo sich Tanja befindet.“
„Vor Kurzem war sie hier. Du hättest sie fragen können, wo sie sich aufhält, wohnt.“ Er musste über seinen eigenen Witz lachen.
„Toller Joke. Außerdem ist sie Klara und nicht Tanja.“
„Dann weiß ich nicht, wen du meinst.“
„Denk nach! Ach, ich vergaß, Männer können nicht denken. Probier es! Vor einem Jahr, Niederlande, Hotel, drei Frauen treffen sich und ein unterbelichteter Mann, Mann ist übertrieben, kannst ja eh nicht, saß herum, lauschte. Sage mir, wer dort war.“
„Du, Tanja und …“ Er wollte gerade Klara sagen, als er sich eines Besseren entsann. „Stephen.“
„Stephen?“
„Mein Halbbruder, wenn man es derart umschreiben kann.“
„Wenn, dann eher Halbschwester“, konterte sie.
Mit der Wahrheit wollte er nicht heraus. Weshalb? Es ging ihr nichts an. „Gut, okay, du hast gewonnen. Es war eine Nute, die Stephens Papiere hatte und Geld daraus schlagen wollte. Vielleicht hatte es ihr auch Freude bereiten als Mann verkleidet eine Frau zu heiraten.“ Er hob den Saum des Rocks. „Verkleiden macht Spaß. Würde ich dir einmal empfehlen. Es entspannt ungemein“, er hob den Fuß, an dem die Fessel hing, „wenn man frei entscheiden kann. Bloß und das geht nicht aus meinem Kopf, weshalb wolltest du sie umbringen? Was hatte sie dir getan?“
„Ich. Nö. Ich wollte mit ihr sprechen. Du wolltest sie um die Ecke bringen. Weshalb du deshalb den Typen erstochen hast, geht mir ab. Blind muss er gewesen sein. Nur, weil du ein Kostüm angehabt, eine Perücke auf deinem Kopf getragen hast, wirst du keine Frau. Na ja, kommt Zeit, kommt Rat. Was noch nicht ist, kann werden. Ach, du bist schlicht und einfach pervers, das ist alles.“
„Jetzt redest du genauso einen Schwachsinn wie dieser Staatsanwalt. Immerhin hast du Schuld. Du hättest die Sache aufklären können.“ Er biss auf seine Unterlippe. „Wäre dämlich. Wer belastet sich selbst ohne Not. Ich war nicht einmal in der Nähe des Bahnhofs - jedenfalls um diese Uhrzeit. Ich habe nicht einmal ein Auge zugemacht. Erst nach Belgien, Alina in Sicherheit bringen. Dann zurück nach Amsterdam, Kla … Stephen, äh Stephanie, befreien. Wieder zurück nach Belgien, um Alina zu holen, was ich nicht konnte, da dort Antonia und ihre Freundin waren. Und wir? Wir hatten uns in der Kapelle verabredet.“
„Gibst du es somit zu, dass du den Deal verschlampt hast?“
„Deal?“
„Alina, du … du.“
„Vergiss es. Ich habe mich bei den Mädchen entschuldigt und sie es angenommen.“
„Mädchen? Wann hast du sie getroffen? Du warst im Knast.“
„Lenke nicht ab, warum wolltest du Stephanie, weshalb hast du diesen Typen gekillt?“
„Gegenseitige Schuldzuweisungen helfen uns nicht weiter, Fridolin. Mir wurden die Aufnahmen zugespielt und ich erkannte eindeutig dich. Ich sah dich, mein schnuckeliges Püppchen, in dem Kostüm.“
„Ha, da haben wir es. Entweder willst du deine Schuld auf mich schieben oder du hast Alzheimer.“ Er kannte gleichfalls die Aufnahme. Eine davon hatte er selbst mit versteckter Kamera aufgenommen, um notfalls etwas gegen sie in der Hand zu haben. Die andere hatte eine Überwachungskamera im Bahnhof aufgezeichnet und zeigte, wie Josephine den Sack, in dem sich Klara – für sie Stephanie – befand, in ein Schließfach hievte. Später den Mann, den sie erstochen hatte, küsste, mit ihm verschwand.
„Alzheimer? Meinst du, ich war umnachtet?“
„Ich hatte doch das Kostüm längst abgestreift, mir deinen grässlichen Jogginganzug übergezogen. Rosa steht mir einfach nicht.“
Josephine schlug sich an die Stirn. „Stimmt, du hast recht. Du sahst genauso scheiße aus wie in dem Kostüm. Wir hätten doch etwas Schlichteres aussuchen sollen, aber es war das Einzige, das sie doppelt hatten. Aber, dass du dir dieses grässlichen himbeerroten Pumps …“
„Wie?“ Auf einmal fiel es ihm wieder ein. Er hatte sie zwar in einen Busch geworfen, jedoch wieder herausgeholt, da er der Ansicht gewesen war, dass mitternachtsblaue Pumps zu sehr gegen einen rosa Jogginganzug ankämpften. „Deine Laufschuhe waren mir zu klein. Ich lebe eben auf größeren Fuß.“
„Das heißt aber nicht, dass du dich nicht später wieder umgezogen hast.“
„Habe ich mich auch. Aber erst in meinem Hotel, bevor ich Stephen – äh, Stephanie befreit habe. Eigentlich wollte ich mich umziehen, bevor ich nach Belgien fuhr, aber meine Henkeltasche war wie das Kostüm in deiner Karre. In ihr steckte mein Zimmerschlüssel und ... du verstehst? Ich konnte ja schlecht an die Rezeption. Zumindest nahm ich das zuerst an, da ich meine Handtasche nicht fand. Sie lag dann im Kofferraum, komisch.“
„Warum sollte dein Kostüm, deine Handtasche in meinem Porsche liegen?“
„Weil die Sachen nicht in meinen Wagen waren, wenngleich ... es war schließlich Stephanies Karre. Egal! Jedoch später, als mich die Bullen kassierte, lag das Kostüm in Joos’ Kofferraum.“
„Weshalb hattest du überhaupt seinen Wagen?“
„Weil Stephanies Karre nicht mehr fuhr und Joos Wagen an der Scheune stand. Außerdem steckte der Schlüssel. Wer hat sich an der Kapelle mit seinem Wagen beschäftigt?“
„Ich gebe es zu. Ich wollte mir Zeit verschaffen und habe die Sachen verstaut. Aber, um wieder auf das Kostüm zu kommen, so war es meins, nicht deins, dass die Bullen fanden.“
„Das weißt du. Wir haben zwar unterschiedliche Schuhgrößen, aber …“
„Weil ich es zuvor anhatte. Mann, bist du dämlich.“
Fridolin kehrte in sich. Konnte es sein, dass ein Dritter sich hinter allem verbarg? Tanja? Warum? Eifersucht? Gegen wen? Weshalb drehte sie dann Josephine einen Strick? Einen Strick, den er aufgenommen und wegen seiner eigenen Blödheit, sich um den Hals gelegt hatte. Und was wollte Josephine von Klara, die für sie Stephanie war?
„Was willst du eigentlich von Stephanie?“
„Nichts. Bloß mit ihr reden, quatschen. So von Frau zu Frau, wenn du das verstehst.“
Er hob erneut sein Bein. „Dafür den Aufwand?“
„Du weißt, wo sie ist.“
„Nein. Ich habe keinen Schimmer.“ Das war zwar nicht gelogen. Obendrein hätte er es ihr gleichfalls nicht gesagt, wenn er es gewusst hätte. „Lass uns lieber überlegen, wer uns hineingelegt hat, wenn ich davon ausgehe, dass du Stephanie nicht weggesperrt und den Typen nicht erstochen hast.“
„Ich schwöre, habe ich nicht. Ich habe ein Alibi.“
Er kicherte. „Du warst in London.“
„Für die Bullen ja, die haben es gefressen. Aber du? Du weißt, dass es nicht so war.“
„Wer ist dein Alibi? Sprich, lass es hinaus.“
„Dein Vater.“
„Mein Alter? Wie?“
„Wie, wie? Hast du keine Ahnung, wie es geht?“
„Sag bloß, du hast mit Vale …“
„So schlecht war er nicht für sein Alter. Er war gut drauf. Erkannt hat er mich bestimmt nicht, war irgendwie breit.“
Okay. Fridolin verschränkte die Arme, bis seine künstliche Brust quoll und ihm ein Dekolleté formte, das jedem Mann den Sabber aus dem Mund rinnen ließ. Da log sie nicht. Als er seinen Alten zuletzt gesehen hatte, war er vollgekifft. „Aber?“
„Gut. Ich habe eine nette Minute, ich erzähl‘ es dir. Okay, dir habe ich gesagt, dass ich sie in irgendeiner Gracht versenken wolle, hatte ich aber nicht vor. Weswegen? Ohne Grund!
Ich bin dann direkt zum Bahnhof, wollte mich bei ihr entschuldigen und ein Kaffee trinken. Es war früh, kaum jemand unterwegs. Ich stand vor meinen 911er, wollte gerade die Haube öffnen, da kam dein Alter, quatschte mich an. Na ja, meine Karre hatte es ihm angetan. Er laberte mich voll, dass er in seiner Jugend … weißt du, wie oft ich diesen Anmachspruch von, ich bin mal nett, reiferen Herren höre. Ich konnte ihn einfach nicht abschütteln, daher lud ich ihn auf einen Kaffee ein. Wir also hinein in den Bahnhof.
Nach einer guten halben Stunde verabschiede er sich. Er sagte mir, er würde abgeholt. Bezahlt hatte er zumindest.
Ich kehrte zurück zu meinem Porsche, um endlich Stephanie zu befreien. Da bekam ich einen Schlag, als ich meine Handtasche öffnete. Mein Autoschlüssel war weg. Da stand ich vor meinem Auto, in dem sich eine Frau befand, die ich, die wir, geknebelt hatten. Zu den Bullen konnte ich ja schlecht. Also zurück in den Bahnhof, ins Café.
Jeden Tisch suchte ich ab, jede Ecke durchforstete ich. Nichts, rein gar nichts. Bereits die Handschellen an meinen Gelenken spürend, schlich ich zurück zu meinen Wagen, schaute hinein und glaubte, etwas auf den Augen zu haben. Mein Wagenschlüssel steckte im Zündschloss. Hatte ich ihn schlicht vergessen? Ich öffnete die vordere Haube und stellte fest, dass Stephanie verschwunden war.
Den Schreck weiter in den Gliedern fuhr ich dann zu Igor, den kennst du ja.“
„Das soll ich dir abnehmen?“
„Glaube, was du willst, es ist die Wahrheit.“
„Das bestärkt mich in der Annahme, dass ein Dritter uns foppt.“
„Geht mir genauso. Ich habe bereits eine Idee.“
„Wer?“ Fridolin sah, dass Josephine aufsprang und aus seinem Blickwinkel verschwand.
„Fridolin sei still, da kommt jemand.“



Hineingelegt

„Na Milena, wie gefällt Ihnen die Aussicht?“
Sie stellte sich ganz dicht an das Ende des Dachs, schaute hinab, sah die Spitze ihrer Sandalette, die darüber hinausragte. „Das tut weh, wenn man hier hinunterfällt.“
Samuel trat auf sie zu, touchierte ihren Rücken mit seinem Oberkörper. „Soweit ich weiß, ist noch niemand heruntergefallen, eher gesprungen. Suizid.“
Suizid? Sie wandte sich ihm zu, sah, wie er die Stirn runzelte und gleichzeitig ein, für sie schelmisches, bübisches Lächeln auflegte.
„Bei Suizid denke ich stets an Dazai Osamu“, flüsterte er nach ihrer Ansicht mit einem schwärmenden Timbre in seiner Stimme.
„Samuel, Dazai wer?“
„Japanischer Schriftsteller. No longer humen. Schauen Sie lieber nach vorn als in den Abgrund. Das Leben spielt sich nicht unter ihren Füßen, sondern vor ihren Augen ab.“
Er hatte recht, ganz Tel-Aviv lag vor ihr: die Lichter, das Meer, der Lärm.
„Samuel, sind Sie öfter hier oben?“
„Hier oben kann man so recht durchatmen“, sie hörte ihn kichern, „allerdings am schönsten ist es bei Feuerwerk.“
„Feuerwerk?“
„Wenn die Kassam-Raketen von der Flugabwehr abschossen werden.“
Milena schluckte. „Bei Luftalarm stehen Sie hier oben?“
„Es gibt Schlimmeres auf der Welt. Eine Kalaschnikow im Nacken zu spüren, ist nicht erquickend.“ Sie spürte seine Finger an ihrer Hand. „Milena, lassen Sie uns setzen und einen guten Tropfen genießen. Ich war zuvor bei Arif.“
Er führte sie zu einer Strandliege, zeigte auf diese. Sie setzte sich, nahm die Füße hinauf und machte es sich bequem, während er sich auf eine zweite niederließ, eine Flasche öffnete, einschenkte. „Bitte Milena.“ Er reichte ihr ein Glas. „Wo war ich letztes Mal stehen geblieben?“
„Gynäkologie“, stammelte sie und dachte dabei an, wie er es bezeichnete: Wohngruppe. Es lag sicher nicht daran, dass sie auf erotische Geschichten stand, aber die Zweideutigkeit, wie er sein Leben dort geschildert hatte, hatte irgendwie einen Reiz auf sie.
„Stimmt, Professor Rasche, liebe Milena.“
„Rasche?“
Nachdem Milena ihr Diktierprogramm ihres Smartphones auf Aufnahme gestellt hatte, nahm er einen Schluck und begann zu erzählen.

„Professor Rasche hatte das Institut zwei Jahre zuvor gegründet, nachdem er aus Cambridge an die medizinische Hochschule gewechselt war. Es war ein neues Forschungsfeld, welches er in Hannover einführte. Die Reproduktionsmedizin, damals hieß es nicht so, spielt aber keine Geige, war nicht einmal im Kindesalter, eher ein Säugling. Unser Team war mickrig: zwei ältere Ärzte mit Fachwissen, ein Jungarzt, eine Hebamme und eine Studentin komplementierten es mit mir. Weshalb die Studentin mit im Boot war, erfuhr ich erst später. Ihr Fachwissen war es nicht. Dass mich Professor Rasche nicht allein wegen meiner Noten auserwählt hatte, erklärte er mir sogleich am Beginn meiner Tätigkeit. Meine Jugend war für ihn gleichsam bedeutend. Reproduktionsmedizin ohne Samen eines Mannes ist eher eine Sache für Theoretiker.
Es hat etwas, wenn man die eigenen Spermien unter dem Mikroskop beim Kampf um eine Eizelle beobachtet. Obwohl die Anzahl der Eizellen, die uns zur Verfügung standen, begrenzt war. Erst ein Vierteljahr später erfuhr ich, woher sie stammten. Rasche lud mich zum Melken ein, wie er es nannte. Olga, so hieß die Studentin, saß auf dem Gynäkologenstuhl. Inwieweit die Hebamme oder andere Studentinnen sich hergaben, blieb mir verschlossen. Ich kümmerte mich ab diesem Zeitpunkt um Olga und dieses nicht allein beruflich.
Sporadisch besuchte uns ein Professor Takahata Yaichiro aus Südafrika. Meinungsaustausch, wie Rasche es nannte. Sie schlossen sich nachts im Labor ein und waren unter sich. Es war mir egal, was sie trieben. Seine Assistentin hatte es mir angetan. Sie war die erste Schwarze, die ich gesehen hatte. Gesehen hatte ich schon welche, aber näher eben. So richtig nahe, wenn Sie mich verstehen. Wir gingen ein paar Mal essen. Der Rest erklärt sich. Zumindest hielt sich Olgas Begeisterung in Grenzen.
Mein Abschluss näherte sich und in mir keimten gewisse Sorgen auf. Ich grübelte darüber, ob alles Zufall oder das Ministerium dahinter verborgen war.
In einer Fachzeitschrift las ich ein Inserat. Eine von einem deutschen Professor geführte Klinik in Malaysia suchte einen jungen Arzt, avisierte dort die Möglichkeit zur Ausbildung zum Kinderfacharzt. Die Nähe von Gynäkologie und Kinderarzt sagte mir zu und da ich ausschloss, dass das Ministerium dahinter steckte, bewarb ich mich. Sie nahmen mich an.
Da mehrere Monate bis zum Antritt meiner Stelle verblieben, kam ich auf die Idee, auf vier Rädern anzureisen. Die Aussicht, Asien zu erkunden, beflügelte mich. Ich erwarb einen Bulli, baute ihn nach meinen Wünschen um und trat meine Reise an. Da ich das sozialistische Ausland umschiffen wollte, war das erste Ziel festgelegt: Italien.
Woher oder besser gesagt, von wem die Hebamme von meinen Reisewünschen wusste, kann ich nicht sagen. Jedenfalls stand sie am Vortag mit einer Freundin an meinen Bulli und fragte mich, ob ich sie bis Passau mitnehmen könne. Es war nicht die Hebamme, die mich begeisterte, sondern ihre Freundin. Bitte nicht grinsen, sonst glaube ich, dass Sie mich, liebe Milena, nicht ernst nehmen. Es war nicht die Frau, die mich nicht begeisterte, schlecht sah sie nicht aus. Eher ihr Beruf schreckte mich ab. Für mich haben Hebammen immer etwas Resolutes.
Ihre Freundin war ein echter Hingucker. Gewelltes schwarzes Haar, das fast ihren Hintern berührte, lange Beine und na ja, sie wissen, Entschuldigung, erahnen, nein. Bitte verzeihen Sie mir. Sie hatte geile Titten.
Amisha, so nannte sie sich, verbrachte gleich die Nacht in meinem Bulli. Und sie war nicht allein. Bitte Milena, nicht wie Sie denken. Ich war, bin Ehrenmann, Kavalier und bitte schieben Sie mich nicht in eine Schublade, in der ich mich nicht wohlfühle. Die Zeiten waren so. Heute würde ich anders entscheiden. Sie kam zu mir, sagte, sie wolle die Reise für sich und ihre Freundin bezahlen und da sie kein Geld habe, mit ihrer Körperkunst ihre Schuld begleichen. Mehr brauche ich wohl nicht zu sagen. Heute schäme ich mich dafür.
Milena, der Wein schmeckt Ihnen, ich habe gerade – und Sie? Aber seien Sie vorsichtig, der hat es in sich, nicht dass Sie“, er streckte sich, „ich weiß nicht, ob ich Sie halten kann.“

Sie hatte gewiss nicht vor, sich in die Tiefe zu stürzen, allerdings betäubte der Alkohol ihre Sinne. Sie strich über ihr Knie, dachte an den auf sie zukommenden Schmerz, der mit Sicherheit ihre Lust deckelte. Sie vertrug ohnehin keinen Alkohol. Jedoch die Aussicht, dass sie Samuels Geschichte auf diesem Dach mit ihrer Körperkunst – sie fand die Umschreibung komisch – begleichen musste - nein, sie war ehrlich zu sich – wollte, zwang sie.
Sex auf den Klappliegen, die selten ein Mensch in einem Zug aufzustellen vermochte, eher akrobatisch. Blieb somit nur die mit Kies bedeckte Dachhaut als Lager übrig. Samuel war es sicher egal. Denn, dass er sich der Hose entledigte, sein Holzbein zur Seite legte, um aufzusitzen, sie zu decken, schloss sie aus. Also hatte sie den aktiven Part und sie spürte bereits den scharfen Kies in ihre Knie stechen.
Samuel griff zur Seite, entkorkte die Flasche und hielt sie ihr entgegen.
„Aber nur ein bisschen. Ich werde immer sehr schnell beschwipst und dann weiß ich nicht, was ich alles anstelle.“
Er schenkte ein, sogar mehr als beim ersten Mal. Da wusste sie, eher, bestätigte sich für sie, was noch auf sie zukam.
„Samuel, rücken Sie doch näher heran, dann brauche ich meinen Arm nicht mehr zu strecken.“ Vielleicht gab es eine andere Lösung: fummeln, küssen und dann ab in sein Büro. Sie konnte es zumindest probieren. Jedenfalls rückte er näher an sie heran.

„Auf dem Weg nach Passau berichteten mir die Mädels, dass sie an einer Friedensdemo teilnehmen wollten. Das Spannungsverhältnis zwischen Ost und West war zu dieser Zeit klar, dennoch beunruhigend. Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, mich aus jeglicher politischen Tätigkeit zurückzuziehen. Aber die Aussicht, mit der Schwarzhaarigen eine weitere Nacht zu verbringen, ließ mich wankelmütig werden.
Eine erneute Fusion fand nicht statt, stattdessen hatte ich eine Ejakulation in einer Dorfschönheit. Sie konnte zwar kein Deutsch, dafür besaß sie andere Qualitäten. Ich weiß heute nicht mehr, ob ich zwei oder drei Tage verweilte. Jedenfalls am Tag meiner Weiterfahrt waren wir wiederum zu dritt. Weswegen die Hebamme auf einmal nach Indien wollte, entsagte mir, weshalb Magdalena - so hieß die Dorfschönheit - von mir nicht lassen konnte, war mir bewusst.
Nicht allein die historischen Stätten in Italien, Griechenland und der Türkei verzückten mich, sondern gleichermaßen Magdalenas Agilität. Sie hatte eine animalische Gewandtheit, welche sogar mich an meine Grenzen trieb, die mich an eine Schlange erinnerte.
Milena, Sie als Frau: Haben Sie schon mal mit einem Mann ... Sie wissen: Frau oben, Mann unten, und gleichzeitig sich selbst, wie soll ich sagen, nicht mit den Fingern, sondern na, ja, mit ihrer Zunge. Entschuldigen Sie bitte die Frage. Milena, liebe Freundin, vergessen Sie es. Es war niveaulos.
Meine Hebamme war anderer Natur. Einmal kam ich ihr näher, worauf ich mir eine Backpfeife einfing. Dabei war sie nicht prüde. Ein Bulli ist nun mal keine Luxusherberge. Daher war es normal, sehr eng miteinander zu leben. Ein Ausweichlager existierte nicht. Darum war sie immer zugegen. Es sei denn, wir trieben es im Freien. Untätig war sie nicht, dieses zu behaupten wäre gelogen. Sie legte selbst Hand an.
In Indien sollten sich unsere Wege trennen, jedenfalls zum Teil. Allerdings zuvor stieß noch eine Freundin von meiner Dorfschönheit zu uns. Sie stand auf einmal am Straßenrand.
Dann geschah es. Vor einem Hindutempel trieb ein Bulle von einem Kerl mir seine Faust ins Gesicht. Nachdem ich nach Stunden wieder zu mir gekommen war, erklärte mir der nette Mensch, dass die Freundin meiner Magdalena minderjährig sei. Beide bezeugten, dass ich mit ihnen … Sie können es sich denken. Dabei hatte ich die andere nie angefasst. Sie war nicht einmal mein Typ. Milena, ich belüge Sie nicht.
Jahre später traf ich den Typen wieder, aber das erzähle ich Ihnen ein anderes Mal. In Indien spielte er für mich keine weitere Rolle.
Jedenfalls wies er sich aus, und zwar nicht allein mit seinem Pass, sondern gleichfalls mit einem Dienstausweis. Er hatte nicht allein die Statue, sah aus wie ein Bulle, er war einer, einer von denen. Gunnars Vater hatte es mir einmal erzählt, dass Freiheitskämpfer des MfS in den Reihen der imperialistischen Geheimdienste die Freiheit meines sozialistischen Vaterlandes beschützten. Ich glaube, das habe ich Ihnen, liebe Milena, bereits erzählt. Erst nachdem er mir ein Geschäft angeboten hatte, war mir bewusst, dass ich in eine Falle getappt war. Das Ministerium hatte mich, wovon ich ausging, wieder in seiner Hand. Entweder eine Anzeige und Approbation, good bye oder meine Hebamme ehelichen. Welcher Sinn dahinterstand, ging mir ab.
Die weitere Fahrt an mein Ziel war mit Enthaltsamkeit geprägt.

Ich trat meinen Dienst in Malaysia an. Die Kollegen waren, die Klinik war einfach umwerfend. Ein Monat später heiratete ich meine Hebamme. Woher sie die Papiere hatte, war mir egal. Es war ihre Aufgabe, alles zu regeln, dafür besorgte ich ihr eine Stelle. Eine Trauung unter Palmen hat etwas. Für die Hochzeitsnacht hatte sie mir eine Einheimische aufs Bett gelegt. Trotzdem kam nicht so richtig Stimmung auf. Weswegen, muss ich Ihnen, Milena, nicht sagen. Jedenfalls blieben Mayang und ich bis zum Ende meiner Ausbildung zusammen. Meine Hebamme verschwand irgendwann bei Nacht und Nebel. Ja, Milena, diese Neugier kann ich Ihnen nehmen. Ich traf sie Jahre später wieder und ja, nein nicht, was sie glauben, wir wurden gute Freunde.
Eigentlich wollte ich wieder nach Deutschland zurück, wegen der Formalien, Anerkennung meines Facharztes, da traf ich Eberhard, Eberhard Pfeiffer mit drei ‚f‘, eins vor dem ‚ei‘, zwei dahinter. Eberhard war irgendetwas zwischen Indianer Jones und Mutter Teresia. Von Indianer Jones hatte er sein Outfit sowie seine Abenteuerlust und von Mutter Teresia seine Güte, gleichfalls seinen Glauben. Zumindest machte es auf mich diesen Anschein.
Er musste damals Ende vierzig, Mitte fünfzig gewesen sein, somit für mich uralt. Jedenfalls fragte er mich, ob ich das wahre Leben kennenlernen wolle. Sein Assistent hätte sich just verpieselt. Was er unter ‚wahren Leben‘ verstand, hatte ich keinen Schimmer. Ich schlug ein. Apropos verpieseln.“ Samuel strich über seinen Unterleib. „Ich müsste kurz ... Sie verstehen. Außerdem habe ich ein wenig Hunger. Sie auch? Zwei Straßen weiter gibt es einen vorzüglichen Imbiss, Falafel, Humus, nicht so ein Touristenzeug, sondern, Sie verstehen, was für Genießer.“



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Hallo Ahorn,

uupps ... Ich blicke gerade nicht durch, wie ich dieses Kapitel einordnen muss.

Warum schmunzeln Sie ...
Milena, ich sehe an Ihren Augen, dass Politik Sie langweilt. Viel Abwechslung hatte man nicht in der DDR. Außer der FDJ, für Sie Freie Deutsche Jugend, und wenn man wer Glück sowie Talent hatte, dieses war Voraussetzung, durften Sport treiben.
Milena nehmen Sie eine Serviette, sonst ...
Die Mädchen nahmen alle die Pille und wenn dann imal mal was danebenging ...
Milena
Komma sollen wir nicht besser an einen Tisch gehen Fragezeichen Dann können Sie ihr Glas abstellen.
„Melina Komma derart früh bereits Mittagspause Fragezeichen
... Butterbrotdose zum Vorschein ...
Sie umfasste ihre Tasse Punkt „Danke, ich habe.“

Liebe Grüße,
Rainer Zufall
 

ahorn

Mitglied
Hallo Ahorn,

Buch Milena, Tel Aviv, Samuel. Ahh, ja ... Scheint mir wohl ein bisschen viel kreuz und quer zu gehen. Vergib mir ... :eek:

... wer Glück sowie Talent hatte - dieses war Voraussetzung – der durfte Sport treiben. Oh, ja, mit den Gedankenstrichen sieht es sogar noch eleganter aus. Es sollten dann aber schon dieselben "Modelle" sein ... Geht mir auch oft so, dass der erste kurz ist und der zweite länger - oder auch umgekehrt. Keine Ahnung, warum. Ja, die lieben Sonderzeichen ... o_O

Liebe Grüße,
Rainer Zufall
 
Hallo Ahorn,

Klingonen können tanzen? ;):Do_O

Gesehen habe ich etwas Anderes.
Wir waren auf Partys, Events, wir kamen uns näher“. Setz bitte den Punkt an die richtige Stelle.
Es war um mir mich geschehen.
Distanz, gar Vergessen, führte zwar ...
Warum hast du dich verspätet Fragezeichen
Treckyie-Night. Alle Folgen Enterprise hatte ich dabei. Alle Folgen, aber welche Serie? TOS, TNG oder Enterprise? Bin selber Trekkie ...:cool:
... und alle einstimmig kein Komma die mit der kräftigen Kauleiste wählten ...

Liebe Grüße,
Rainer Zufall
 

ahorn

Mitglied
Hallo Ahorn,

da hast Du mich aber echt auf's Glatteis geführt. Okay, aber mit 96 Episoden wird Binch-Watching ziemlich hart ... :cool:
By the way: für 'Maniola' steht das 5. Kapitel in den Startlöchern ... :)

Liebe Grüße,
Rainer Zufall
 
Hallo Ahorn,

... dass sie keinen Bissen herunterbekommen hatte.
War an ihrer Theorie, dass Stephanie ihr Vater ...
... trug kein Kleid, dass hochgeschlossen ihren Hals schnürte, allerdings war ihres kein Komma nicht minder mit Spitze und Rüschen verziert.
... zupfte an den Träger von Antonias weißem Kleids.
Was ging es ihr sie an, was die ‚Leid‘ dachten, wie es Franziska meinte Fragezeichen
Im ganzen Dorf verbreitete ich ...
... und na ja, es passierte eben.
... ich konnte meinem Vater nicht mehr unter die Augen treten. Die Ehre Komma verstehst Fragezeichen
... als diese Fähigkeit komplett zu beherrschteen.
... wenngleich Bärbel ihrer Art verbliebt, wag formulierte und sie die einzelnen ...
... sie pausierte, schloss ein Auge ...

Liebe Grüße,
Rainer Zufall
 
Hallo Ahorn,

zunächst etwa die erste Hälfte.

Was mir besonders auffällt:
Komma, Fragezeichen, Höflichkeitsform.
Im Einzelnen:

Bis auf den einen oder anderen arbeitete jeder Einwohner in der LPG. Entschuldigen Sie bitte, Milena. Landwirtschaftschliche Produktionsgenossenschaft mit Schwerpunkt Rindviecher.
—> Wird da eine Milena persönlich angesprochen? Oder ist Milena ein Synonym für LPG? So wie man Mitropa kennt …
Wer spricht da und wem wird es erzählt, frage ich mich als erstes.

Den Imperialismus zu besiegen, sodann den Sozialismus in der Welt zu verbreiten, damit alle Menschen frei und sorgenlos wie in der Deutschen Demokratischen Republik, (KEIN KOMMA) sowie seinen sozialistischen Bruderländern unter der Führung der Sowjetunion leben konnten.

Warum schmunzeln Sie, dies war kein Spaß?
—> Kein Fragezeichen.
Vorschlag: Warum schmunzeln Sie? Das war kein Spaß.

Milena (KOMMA) nehmen Sie eine Serviette, sonst tropft der Wein auf ihr (Ihr) weißes Kleid und Rotweinpflegen sind penetrant.

wenn Jugendliche aus dem kapitalistischen Ausland bei uns aufschlugen. Damit war nicht die BRD gemeint. Gunnar und ich hatten es eher auf die Mädels abgesehen.
—> Wenn nicht BRD, wer/was sonst?

Dann können sie ihr Glas abstellen.
—> Ihr Glas

Milena pausierte die Aufnahme, zog den Ohrhörer aus der Muschel
—> Ah, jetzt wird es endlich endgültig klar, was da läuft :)

„Melina, derart früh bereits Mittagspause?“, er drohte ihr, dabei seine Lippen zu einem Schmunzeln verzogen. „Wenn das Ihr Chef zieht.“
—> Mittagspause?“ Er drohte
oder: Mittagspause?“, drohte er
zieht = sieht

Er stellte die Aktentasche, die er mitgebracht hatte, auf dem Tisch ab, öffnete diese, holte eine Thermoskanne, eine Butterbrotdose zum Vorschein,
—> eine Thermoskanne und eine Butterbrotdose
Sonst klingt das so, als wäre Butterbrotdose die Korrektur bzw. ein anderes Wort für Thermoskanne.

„Wollen sie weitererzählen?“
—> Sie

„Glauben Sie, ich trinke zum Mittag Kaffee.“ Nachdem er den Kopf
—> Das ist doch eine Frage

Aus den Augenwinkeln heraus erblickte sie, dass Simon ihrem Blick zu folgen schien.
„Ist der junge, gut aussehende Mann ihr Verlobter?“
—> Wer ist Simon? Kommt so plötzlich ohne Einführung.

„Wie geht es dir.“
—> Das ist eine Frage

Fridolin hob seinen linken Fuß aus dem Wasser. „Sagt man nicht, kalte Fußbäder seien gut für den Kreislauf.“
—> dto.

Er zuckte mit den Achseln. „Frag den Kneipp?“
—> Das ist eine Aufforderung und keine Frage.

Gesehen habe ich etwas anders.“
—> anderes

„Wie (KOMMA) du warst …“
--> Wenn eine Frage stellen will, wovon ich ausgehe.
Wenn er einen Vergleich bringen will, ohne Komma.

Liebe Grüße, Franklyn
 

ahorn

Mitglied
Hallo Rainer Zufall,

danke für deine Korrektur. Ich habe alles bereinigt ;) .

Liebe Grüße
Ahorn


Moin Franklyn Francis,

gleichfalls dir mein Dank.

Was mir besonders auffällt:
Komma, Fragezeichen, Höflichkeitsform.
So hat jeder sein Päckchen zu tragen. :rolleyes:

Ah, jetzt wird es endlich endgültig klar, was da läuft
Super :).
Mehr als den Text kursiv zu stellen, kann ich leider nicht. :cool:

Wenn nicht BRD, wer/was sonst?
Frankreich, Niederlande, Belgien ...
Jetzt wirst du fragen: War die BRD nicht auch Ausland?
Sicher. Jedenfalls, soweit ich weiß, für einen Teil der Bürger der DDR. Zumindest sieht es Samuel nach all den Jahren jetzt anders.

Wer ist Simon? Kommt so plötzlich ohne Einführung
Das frage ich mich auch. :oops:


Liebe Grüße
Ahorn
 
Hallo Ahorn,

ich musste es zweimal lesen, um überhaupt erst einmal zu verstehen, worum es überhaupt geht ... :rolleyes:

Diese Art von Déjà-vu war ihr sicher ungeheuer, abschreckend, trotzdem überkamen sie ihr diese. Manchmal, in seltenen Fällen ist doch doppelt gemoppelt, da reicht eines von beiden gelang es ihr, diese zu steuern.
Um, als wäre es eine Trophäe, die Hauptprotagonisten kein Komma in der für andere Menschen realen Welt kein Komma zum Leben zu erwecken.
Ohne einen Fuß ins Gesindehaus zu setzten, wusste sie ...
Auf der einen Seite das Lager, auf der anderen die Ziegen, deren Gestank keinen Tag, am schlimmsten war es allerdings nachts, aus ihrem Sinn schwand, als inhalierte sie selbst nach Jahren weiterhin diese Ausdünstungen. Am schlimmsten war es allerdings nachts. Du immer mit Deinen Schachtelsätzen. Ich fände den Einschub am Ende geschickter.
Neben den Ziegen, verbunden mit deren Stall Komma stand das Plumps-Klo kein Komma derart günstig, dass ...
Sodann, soweit es vonnöten war, beide einträchtig kein Komma mit einem Eimer heraufzubefördern ...

Liebe Grüße,
Rainer Zufall
 

ahorn

Mitglied
Hallo Rainer Zufall,

ich danke dir für deine offenen Worte, deine Ehrlichkeit, die du immerfort ans Tageslicht bringst.

ich musste es zweimal lesen, um überhaupt erst einmal zu verstehen, worum es überhaupt geht ..
Das kann ich nachfühlen ;) . Ja, man mag es kaum glauben, sogar ich lese meine Texte, tue mich schwer. Leider sind ein Großteil meiner Protagonisten Psychopathen und die halten sich einfach nicht an die Regeln der normalen Konversation, springen wild in ihren Gedanken hin und her. Allerdings, das hoffe ich, erkennt der Leser die Brüche dadurch, dass ich zwar knappe, dennoch Hinweise gebe, sollte der Charakter mal wieder in Zeit und / oder Raum teleportiert. Sollte es zu knapp sein, zu uneindeutig, bitte ich, dieses mir mitzuteilen.:cool:
Das oben mitgeteilte gilt gleichermaßen für die Schachtelsätze. Diese unsäglichen Satzmonster, die ich ablehne. Allerdings würden immerfort Halbsätze niemanden helfen. Ich bin bereits bemüht, möglichst viel zu filtern.
Am schlimmsten war es allerdings nachts.
Wird von mir selbstredend hintenan gestellt.

Manchmal, in seltenen Fällen ist doch doppelt gemoppelt, da reicht eines von beiden gelang es ihr, diese zu steuern.
In diesem Fall möchte ich dir gern widersprechen. Streiche den Ballast 'in' 'Fällen' und du wirst bemerken ...
Jo :). 'Selten' ist etwas anderes als 'manchmal'.
Den Rest übernehme ich gern unbesehen.

Liebe Grüße
Ahorn
 
Hallo Ahorn,

Weiter gehts bis incl. Das indische Tuch

„Du wolltest?“, Fridolin lachte.
—> „Du wolltest?“ Fridolin lachte.
Weil es kein Redegleitsatz ist.

beabsichtigst, mich hineinzulegen.“

Sie hatte einen Fehler gemacht.
—> Hier ist kein Absatz nötig. Es gibt keinen Perspektiv-, Zeit-Wechsel o.ä.

Klara drehte sich, „Wir aufgetakelten Madls, haben den Männern den Kopf verdreht.“
—> Klara drehte sich. „Wir aufgetakelten Madls haben den Männern den Kopf verdreht.“


Distanz, gar Vergessen, führte zwar, dieses wusste sie, dachte dabei an Fridolin, selten ans Ziel, betäubte allerdings wie eine Flasche Rum.
—> Satz mit 6 Kommata. Wie/wo soll ich da sinnvolle Sprech- oder Gedankenpausen einlegen?
Würde versuchen, die Kommata zu minimieren. Auf das nötigste.

„Erinnerst du dich noch an das Cosplay-Festival in Hameln.
—> Frage

Wie lange sie vor Alinas Kleiderschrank, wie oft sie sich immer dieselbe Frage gestellt hatte, war verblasst, während sie die Haustür öffnete.
—> Verstehe den Satz nicht.
Was hat sie vor dem Schrank gemacht? Da fehlt doch ein Wort. Und:
Wer oder was war verblasst?

War an ihrer Theorie, dass Stephanie ihr Vater war, mehr dran als der Wunsch nach Erkenntnis.
—> Frage

„Wen hast du sonst erwartet.“
—> Frage

„Schick“, sie zuckte, „Außergewöhnlich.“
—> „Schick“, sie zuckte, „außergewöhnlich.“

Karl und Bärbel hatten sich gezankt und sie ergriff die Chance, Bärbel das liebreizende Mädchen zu spielen.
—> Bärbel, das
Wer hätte gedacht, dass da tatsächlich mal ein Komma zu wenig ist? ;-)

Die meisten älteren Frauen fielen darauf hinein,
—> reinfallen, nicht hineinfallen

Dass dieser nicht erlogen war, erfunden, wie das Seemannsgarn, welches ihr der Nahne, ihr, ob leiblich oder nicht, geliebter Großvater gesponnen hatte, bewies ihr die Aussage, die Matthias ihr steckte.
—> 8 Kommata. Also ich würde das nicht unfallfrei vorlesen können.

Schönen Start ins Wochenende.
Liebe Grüße, Franklyn
 

ahorn

Mitglied
Hallo Franklyn Francis,

ich danke dir.

Satz mit 6 Kommata. Wie/wo soll ich da sinnvolle Sprech- oder Gedankenpausen einlegen?
Würde versuchen, die Kommata zu minimieren. Auf das nötigste.
6 Kommata? So wenig. ;)
Nein, ich gebe dir recht, diese Schachtel kann man aufbrechen.
Distanz, gar Vergessen, führte zwar selten ans Ziel, betäubte allerdings wie eine Flasche Rum. Dieses wusste sie und dachte dabei an Fridolin.

Die meisten älteren Frauen fielen darauf hinein,
Hubs! Immer diese Umgangssprachfallen :).
Ich habe das Seil geholt, die Winde aufgestellt, sie herausgezogen.

8 Kommata. Also ich würde das nicht unfallfrei vorlesen können.
Doch das kannst du;). Gegenüber dem 6 Kommata-Satz ist diese Schachtel nicht nur erwünscht, sondern gerade von mir derart konzipiert, damit ihr Zwiespalt, ihre Konfusion zum Ausdruck kommt.

Den Rest übernehme ich, ohne darüber nachzudenken. Weil du recht hast.

Liebe Grüße
Ahorn
 
Hey Ahorn,

Du hast mir ja diesmal gar keine Fehler eingebaut, die ich bemängeln könnte ... Jetzt bin ich aber enttäuscht. ;)
Oder habe ich sie nicht gefunden?;):D

Liebe Grüße,
Rainer Zufall
 



 
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