Tütken - Flucht vorm Ministerium (3) - Totgesagt, gleichwohl unter den Lebenden

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ahorn

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Zurück zu Schlechte Karten für Fridolin



Totgesagt, dennoch unter den Lebenden

Bruder und Schwester

„Die Alte. Himbeerrote Pumps?“, murmelte Fridolin.
Das Einfache war nahe. Franziska war die Spinne im Netz. Das Weib, welches die Fäden spann, die Puppen tanzen ließ. Hatte Vale ihr den Plan verschwiegen oder war sie ihnen auf die Schliche gekommen, spielte sie die Unwissende? Bloß, welche Verknüpfungen bestanden? Der Streit, den er mit seinem Vater im Bunker hatte, mehr als das Gefasel eines Mannes, der sich an einem Joint gelabt hatte? Dass Vale ihn nicht gezeugt, seine Mutter ihn nicht geboren hatte, sie ihn adoptiert hatten, entsprang, da war Fridolin sich sicher, Vales Fantasie. Denn seine Geburtsurkunde deutete nicht darauf hin.

Vales Geschichte, dass Tanja seine Schwester, zumindest Halbschwester war, lag im Rahmen des Möglichen. Die Gefühle, welche er zu ihr hegte, dem einer Schwester näher als einer Geliebten. Außerdem war Vale ein Mann, deshalb lag der Beweis des Verdachtes auf der Seite der Mutter.
„Wer käme als Mutter infrage?“, flüsterte Fridolin.
Vale hatte es ihm gesagt. Er traf sich mit Bärbel, um die Hochzeit zu planen. Es lag für Fridolin auf der Hand, dass sie Tanjas Mutter war, nicht die Tante, die sie allen vorgaukelte. Eine Frage von Antonia bestätigte seine Annahmen. Er erinnerte sich daran, als wäre keine Sekunde seitdem vergangen.

Er war verurteilt, saß in der Justizvollzugsanstalt. Dort besuchte sie ihn in Begleitung von Karl. Sie verzieh ihm seine Tat, gab ihm ihre Absolution. Das Mädchen war ein Engel. In einem Moment, Karl hatte dem Besucherraum den Rücken gekehrt, da fragte sie ihn, ob er Lisselotte kannte. Er sagte ihr, dass er sie nie kennengelernt, da sie vor seiner oder kurz nach seiner Geburt Heim und Hof verlassen hatte. Er erst viele Jahre später auf dem Hof ankam.
Seine Frage, warum sie ihre gestellt hatte, beantwortete sie damit, ein Foto von Bärbel gesehen zu haben, welches auf der Rückseite mit Lisselottes Namen signiert gewesen wäre. Aaron van Düwen hätte es ihr es gegeben und ihr erzählt, dass Lisselotte bei ihm gearbeitet hätte. Sie besaß in Bremen dasselbe Foto ohne Namenszug, welches genauso verschollen war, wie jenes von Aaron. Sie behauptete, Bärbel und Tanja hätten ihr andauernd eingetrichtert, ihre Mutter Sonja sowie ihr Vater wären dort abgelichtet. Sie untermauerte ihre Vermutung damit, dass Bärbel in früheren Leben eine Braut Christi war, dieses nach ihrer Operation erneut sein wollte. Er bezweifelte, dass Lisselotte bei den van Düwen gearbeitet hatte, bezeichnete alles als Mädchenfantasie. Denn sie war niemand anders als Bärbels Tochter, Tanjas Cousine. Er hatte unzählige Male die Akten studiert.
Er dankte ihr. Verabschiedete sich.

In diesen Augenblick, fast ein Jahr später, realisierte sich ihr Verdacht.
Vale hatte ihm gestanden, dass er all die Jahre, in denen Franziska mit Anton verheiratet war, er ein Verhältnis mit ihr hatte. Sie hätten sich im Bunker getroffen, um sich zu vereinigen. Vale war ein Mann, der, wie er selbst behauptete, keiner Frau den Liebesakt verweigerte, süchtig danach, wie nach dem Alkohol, dem er entflohen war.
Die Plausibilität erschlug Fridolin. Vale schwängerte Bärbel. Diese trat, ohne von der Empfängnis zu schwanen, ins Kloster ein, brachte dort ihr Kind zur Welt. Sie entschied sich für den Weg des Glaubens. Das namenlose, elternlose Mädchen kam in Obhut, in ein Heim.
Damit war die Geschichte abgeschlossen, wenn Mutterliebe nicht stärker als der Glaube war.

Den Schlüssel hatte er in der Hand. Stephen, Franziskas leiblicher Sohn, verstarb in jungen Jahren. Dies hatte ihn gleichfalls Vale in derselben Nacht erzählt. Ein Junge war kein Mädchen, ein Madl kein Bub. Innerhalb der Mauern lebte sie als Jannette, obwohl sie in der realen Welt Stephen war. Stephen – Stephanie. Das konnte nicht gut ausgehen. Ein Mensch braucht eine Zukunft. Abitur, Prüfungen. Aus einem Mädchen wird eine Frau. Für sie, ihr vertraute Umgebungen verlassen, ein neues Leben beginnen, die einzige Lösung. Klara?
Ein Mädchen, welches ihr glich. Das eine opfern, um das andere zu retten. Der Gedanke an sich perfide, aber Klara war ein Nichts. Die Entführung, das Schauspiel mit dem schwarzen Mann, von ihnen als Spiel geplant, sollte von Hintermännern ausgeführt als Drama enden. Engel?
Es gab Engel. Einer von diesen hatte Klara errettet. Seine Flügel über sie ausgebreitet, sie beschützte, bis die dunklen Mächte sie erneut einholten.
Anton?
War er gestorben, hatte Klara ihn gerichtet?
Umschlang ihn der Wahn, näherte er sich einem Stadium, welches die meisten Menschen für verrückt hielten.
Fridolin schloss seine Augen, sank zusammen.

Die Nacht hatte sich über das Land gelegt. Die letzten Schatten verschmolzen mit der Finsternis. Angst umgriff Fridolin. Keine Angst, die ihn traf, sondern Angst um Klara.
Ein Lichtkegel durchschnitt das Dunkel. Ein Lichtpunkt blendete ihn, kam auf ihn zu. Das Streulicht, zurückgeworfen von den Fliesen, erhellte das Gesicht. Igor stand vor ihm.
Zu fliehen war am Anfang Fridolins Ziel, zu verschwinden, sein eigenes Leben zu retten. Jetzt, nachdem er verstanden hatte, war dieses Ziel nichts mehr wert.
Fridolin überschlug seine Beine, schob den Saum des Rockes herauf, bis seine weißen Strümpfe, die Spitze im Licht der Taschenlampe glitzerte. Er neigte den Kopf zur Seite, wippten mit dem Becken, leckte über seine Oberlippe und schmachtete Igor ein Lächeln zu.
Igor erwiderte sein Lächeln, streckte ihm seinen Arm entgegen, bis seine Finger Fridolins Mund berührten. Auf seiner flachen Hand lagen zwei Stück Zucker. Fridolin klemmte eine Haarsträhne hinter sein rechtes Ohr, beugte sich vor und leckte das Süße von der Handfläche ab. Dann sah er seine Augen, roch seinen Atem, der nach Minze duftete.



Zwischenlandung auf Franz-Josef-Strauß

„Macht was her.“
„Was?“
„Deine Uniform.“
Igor strich über den Ärmel seiner Uniformjacke. „Zumindest bekommt man kurzfristig einen Flieger.“
Aishe rollte an ihn heran, bis das rechte Rad ihres Rollstuhles an sein Bein stieß. „Solange du nicht das Steuerrad ergreifst.“
„Steuerhorn.“ Er klopfte an den Schirm seiner Mütze. „Beziehungsweise Joystick. Weißt du, die modernen Flieger werden eher wie Computerspiele geflogen.“
„Davon hast du Ahnung. Setzt dich hin, ich will dir in die Augen sehen.“
Er tippte auf seine Brust. „Was glaubst du, ich habe einen Luftfahrerschein.“
Sie neigte ihren Kopf zur Seite und kniff ein Auge zu. „Igor, du fliegst Airbus?“
Seine Sonnenbrille abnehmend, schob er einen Stuhl des Tischs, der neben Aishe stand, ab, setzte sich und schnarrte: „Nee, Golf-, Foxtrott- und Echo-Klasse.“
„Echo was?“
Igor kreiste mit seinem rechten Zeigefinger. „Einmot!“
Ihre Augenbrauen zusammengezogen, streckte sie ihre Zunge heraus und brummte: „Hä!“
„Mann, Aishe, hast du keine Ahnung. Flugzeug mit einem Propeller, meist vorne.“
Aishe kicherte. „Niedlich, du fliegst Spielzeugflugzeuge und machst auf Piloten.“
Igor setzte seine Pilotenmütze ab, legte diese auf den Tisch, wandte sich ihr zu und öffnete den Mund. Allerdings drang kein Wort über seine Lippen, sondern eine Kellnerin mit gezücktem Block stellte sich zwischen ihn und Aishe.
„Na, Kapitan, was soll ich Ihnen bringen?“
Er hob seinen Kopf, wandte sich ihr zu. „Kaffee. Schwarz. Heiß“, presste er hervor.
Sie strich über ihren kurzen, eng anliegenden Rock, über ihre kaffeebraunen Schenkel, leckte über die Oberlippe und knurrte eher, als dass sie es aussprach: „Sehr heiß?“
„Sehr heiß“, wiederholte er.
Die Kellnerin kehrte ihm ihren Rücken zu, senkte den Kopf und schnarrte: „Und Sie?“
„Früchtetee.“
„Hagebutte, Apfel, Himbeere, Waldfrucht, Birne oder eher etwas zur Beruhigung: Malve-Tee?“
„Haben Sie türkischen Apfeltee?“
„Sind wir in Istanbul?“
Sie steckte ihren Block hinter den Bund ihres Rocks, drehte sich auf ihrer Ferse, ging einen Schritt vor, zwinkerte Igor zu und stolzierte, dabei mit ihrem Hintern wackelnd, davon.

„Arrogant“, wetterte Aishe.
Igor wandte sein Gesicht der davon schreitenden Kellnerin zu. „Aber einen geilen Arsch hat sie.“
Aishe klopfte auf den Tisch. „Jetzt wende deine Glupscher von ihr ab. Wir haben uns hier nicht verabredet, damit du Weibern hinterherschaust.“
Er grinste und kniff ein Auge zu. „Weswegen sonst?“
„Ich will von dir die Wahrheit wissen.“
„Welche Wahrheit?“
„Es ist mir wichtig. Hat Joos letztes Jahr Alina misshandelt?“
Igor schluckte. „Du meinst, ob er sie vergewaltigt hat. Woher soll ich das wissen? Du kennst sie besser.“
„Sie spricht nicht.“ Sie senkte ihre Augenlider. „Jedenfalls nicht mit mir.“
„Mit wem sonst?“
„Der Psychologin hat sie das eine oder andere gesteckt, aber nur wirres Zeug.“
„Welch wirres Zeug?“
„Von einem schwarzen Mann, von Dessous, die sie tragen musste, und, das verwundert mich am meisten, von Frauenstimmen, die sie gehört hätte.“
„Frauenstimmen?“
„Eher Schreie. Du hast sie aus der Scheune befreit.“
„Mit Anton aus dem Kellerloch. Und?“
„Die Psychologin ist der Ansicht, dass der erste Eindruck entscheidend ist. Also! Wie hat sie sich verhalten?“
„Da fragst du mich, du warst selbst dabei.“
Sie tippte auf ihre Brust. „Ich? Wie kommst du darauf?“
„Wer hat Anton ins Jenseits befördert?“
„Ist er tot?“
„Was weiß ich? Ich habe ihn seit diesem Tag nicht mehr gesehen. Aber, dass du Joos gleich mit …“
Sie runzelte ihre Stirn. „Stopp! Glaubst du, ich habe …“
„Wer sonst? Ich war es nicht. Immerhin hast du mir gesagt, dass du ihn abmurksen willst.“
„Wie man das so hinsagt. Aber ich war nicht in der Scheune.“ Sie zog ihre Augenbrauen zusammen. „Jedenfalls nicht an diesem Tag.“
„Hör mal, ich bin nicht taub. Anton hat deinen Namen gerufen.“
„Ich weiß nicht, was du gehört hast, aber ich lag zu dieser Zeit mit einer Kugel im Rücken auf dem Boden des Ferienhauses und du weißt genau, wer mir die verpasst hat.“
Er kratzte sich am Nacken. „Hast du mir erzählt.“
„Bist du der Ansicht“, sie stemmte sich ein paar Zentimeter vom Rollstuhl ab und wetterte: „dass ich in der Kiste sitze, weil es geil ist?“
„Okay, okay!“, wiegelte er ab.
„Dann sprich!“

Erst schürzte er die Lippen, dann presste er den Inhalt seiner Lunge heraus. „Also. Anton hatte einen Tipp bekommen, dass Joos sich in dem Keller versteckt halten würde. Er wollte ihn, wie er mir sagte, sich zur Brust nehmen. Wir hin. Als ich die Klappe öffnete, hörte ich ihn bereits.“
„Wen?“
„Joos! Geschnarcht hat er. Bin dann runter. Anton mir hinterher. Da lag sie.“
„Alina?“
„Wer sonst. Sie war hellwach, wehrte sich, wollte gar nicht hinaus. Ich hatte vielmehr den Eindruck, dass sie mehr Angst vor uns, als vor ihm hatte. Kannst du dir das vorstellen? Sie hatte Angst vor mir, dabei kann ich keiner Fliege ein Bein krümmen.“
Aishe nickte. „Igor, du bist auch ein unschuldiges Lamm.“

Ein Tablett auf der Hand balancierend, trat die Kellnerin an den Tisch heran, stieß mit einem Fuß gegen den Rollstuhl, sodass ein Löffel vom Tablett fiel. Sie stellte das Tablett ab, hockte sich nieder, hob den Löffel auf, worauf Aishe ihr ein zänkisches „können Sie nicht aufpassen“ entgegenwarf.
Die Kellnerin platzierte den Tee, den Kaffee, legte den Bon neben diesen, tippte auf denselben, während sie ihr Gesicht Igor zuwandte, lächelte und blinzelte.
Igor hob den Bon an. „Wir wollen meine Fluggäste nicht warten lassen“, murmelte er, zückte seine Brieftasche, zog einen Geldschein heraus, zwinkerte ihr zu und flüsterte: „Stimmt.“
Sie nahm den Schein, steckte diesen unter ihren Büstenhalter und hauchte ihm, gefolgt von einem angedeuteten Luftkuss, ein „gern“ entgegen. Dann stolzierte sie, wiederum mit ihren Hintern wackelnd, von dannen.
Aishe neigte erneut den Kopf zur Seite. „Seit wann bist du derart großzügig?“
Igor schnappte sich den Bon und hielt Aishe die Rückseite hin. „Ich glaube nicht, dass sie die Telefonnummer ihrer Großmutter aufgeschrieben hat. Die steht eben auf Männer in Uniform.“
Sie entriss ihm den Bon. „Du wirst nicht etwa ...?“
Er zuckte mit den Schultern. „Ich habe sowieso keine Zeit, muss mich noch umziehen.“
„Umziehen?“
„Hey, ich fliege nicht immer schwarz.“
„Jetzt lenke nicht ab. Hat er oder hat er nicht?“
„Wer?“
„Joos?“
„Was hast du immer mit diesem van Düven? Er war mit Alina eingesperrt, also Opfer, nicht Täter.“
„Er ist ein Mann.“
„Daher gehst du davon aus, dass er … abwegig. Ich kenne ihn zwar nicht persönlich, aber er ist ein Freund von Ommo.“
„Ommos Freunde sind, wie du, alles Lämmer.“
Sie tippte erneut auf ihre Brust. „Hast du vergessen, was Joos mir angetan hat?“
Er wiegelte ein weiteres Mal ab. „Immer langsam. Wessen Plan war das?“
„Aber er hat nicht eingegriffen.“
Igor tippte sich an die Schläfe. „Eine Frau treibt es auf einer Nachtclubbühne. Wenn du mit Joos ein Hühnchen zu rupfen hast, dann mach es, lass mich jedoch da heraus.“

Aishe nippte an ihren Tee, verzog ihr Gesicht und wandte sich wieder Igor zu.
„Wie ging es weiter?“
„Wo?“
„Ihr habt Alina herausgeholt, dann …?“
„Ich habe sie herausgebracht. Wouters übergeben.“
„Der war da?“
„Habe ich gerade gesagt.“
Aishe zupfte an ihrer Nase. „Was hatte Alina an?“
Er hob seine Schultern. „Was Mädchen in ihrem Alter im Sommer tragen.“
„Genauer?“
„Rock, T-Shirt.“ Er lehnte sich vor. „Jedenfalls keine Dessous mit Strapsen.“
„Von Strapsen habe ich nichts gesagt.“
Igor zuckte zuerst unmerklich, bevor er gelassen und ruhig auf ihren Hinweis antwortete: „Aber gedacht, wie du das Wort Dessous ausgesprochen hast, für mich eindeutig.“
„Alina trug damals aber keine Röcke, jedenfalls nicht freiwillig.“
„Dann hatte sie eben eine Hose an. Was weiß ich?“
Aishe ergriff ihr Glas, zog an den Faden des Teebeutels, verzog ihr Gesicht und zischte: „Beuteltee. Weiter?“
„Ich bin zurück, habe ein zweites Mal die Klappe geöffnet und bin dann weg.“
„Abgehauen?“
„Nein. Ich habe mich in der Scheune versteckt, wollte doch mitbekommen, was Anton und Joos ausfechten.“
Sie nippte am Glas. „Hast was mitbekommen?“
„Nur wirres Zeug, ich konnte mir kein Reim darauf machen. Irgendwas von früher.“ Er ergriff seine Tasse, blickte hinein. „Wurde sie wirklich …“
Aishe schloss ihre Augen. „Nicht, wie du denkst, aber das, was er mit ihr gemacht hat, ist für eine Frau schlimm genug.“
„Er? Oder eine Frau?“
„Jetzt höre auf, keine Frau würde …“
„Wenn du wüsstest. Die Frage ist: Wer hat die beiden eingesperrt?“ Er presste seine Hand gegen den Mund. „Hast du nicht gesagt, dass sie Frauen schreien gehört hat?“
„Ja.“
„Wann haben die Bullen die Mädchen aus dem Bunker befreit?“
„Am Tag zuvor. Ich war dabei.“ Sie schwang den Kopf. „Ich habe mich im Hintergrund gehalten.“
„Joos?“
„Du bist der Ansicht?“
„Genau. Alina war mit im Bunker. Vielleicht? Ich kann mir das nicht vorstellen, war er …“
„Vergiss es. Joos war bei Karl.“
Er machte ein erstauntes Gesicht.
„Hat mir Karl gesteckt, dem kann man glauben, immerhin ist er Bischof“, fuhr sie fort.
„Die Lügen nicht?“
„Natürlich“, sie grinste, „jeden Sonntag auf ihrer Kanzel, aber in diesem Fall hat er keinen Grund, egal ob er sein Bruder ist oder nicht.“

Aishe drückte ihr rechtes Auge zu und murmelte: „Fridolin?“
„Fridolin, die perverse Schwuchtel, was hat er damit zu schaffen. Wie geht es dem überhaupt? Der hat im Knast bestimmt ein angenehmes Leben.“
„Perverse Schwuchtel?“
„Hör mal, ein Kerl, der sich als Frau verkleidet und seinen Liebhaber ersticht, wie soll man den sonst bezeichnen.“
„Glaubst du den Scheiß?“
„Hey, er ist rechtskräftig verurteilt.“
„Alles ein abgekartetes Spiel. Ich kenne Fridolin, der ist total ein Macho, bevor der sich einen Rock überziehen würde, würde er eher …“
„Seinen Schwanz abschneiden?“
„Quatsch!“
„Sich seine Eier herausreißen?“
„Blödsinn!“ Aishe wandte ihr Gesicht dem Cafétresen zu, an dem die Kellnerin vorgebeugt stand und sich mit einer Kollegin unterhielt. „Einen geilen Arsch …“
Igor lachte. „Sich machen lassen.“
„Wer lässt sich was machen?“
„Fridolin sich einen geilen Arsch.“
Sie wandte sich wieder Igor zu. „Den meine ich nicht. Ich gebe dir Recht, die Kleine hat einen knackigen Hintern.“
Er runzelte seine Stirn.
„Chauvi!“, fuhr sie ihn an. „Gibt es ein Gesetz, dass nur ihr Kerle auf pralle Hintern und Titten stehen dürft.“
Er zuckte mit den Achseln. „Was haben die Brüste der Kellnerin mit Fridolins Abartigkeit zu schaffen?“
„Nichts! Fridolin ist total der Rassist, trotzdem würde er es eher mit einer Schwarzen treiben, als sich einen Rock überzuziehen.“
„Menschen mit dunkler Hautfarbe.“
„Bitte?“
„Man sagt nicht Schwarze, das ist beleidigend.“
„Was ist in dich gefahren? Ist doch schnuppe, oder steht die Süße neben uns? Außerdem ist er geflohen.“
„Wer?“
„Über wen sprechen wir?“
Igor verdrehte seine Augen. „Das glaube ich nicht?“
„Wenn ich es dir sage.“ Sie nippte erneut an ihrem Teeglas, während Igor sich den Rest seines Kaffees einverleibte, dann sie fragend ansah.
„Was hat dein Gatte jetzt mit Alinas Entführung zu schaffen?“
„Er war im Bunker.“
„Das hat er dir gesagt?“
„Nee, Vale, der war dort.“
„Dann war er es?“
„Bestimmt nicht. Ersten war Vale eingesperrt und zweitens vollgekifft.“
Igor wandte sich von ihr ab. „Komm zu potte, mein Flieger geht gleich.“
„Keine Hektik, ich habe eine Eingebung.“
„Geistesblitz.“
„Quatsch, nicht daran gedacht.“
„Woran?“
„Stephanie war auch beim Bunker?“
„Stephanie?“
Sie schlug sich an die Stirn. „Mensch! Stephen.“
„Wer nun?“
„Stephen, Franziskas Ältester, der Tanja geheiratet hat. Vom Boy zum Girl, das muss ich dir wirklich nicht verklickern.“
Die Tasse auf den Tisch abstellend, zog er seine Augenbrauen zusammen. „Ich verstehe nur Bahnhof.“
„Für ein Männergehirn, kurz und bündig. Stephen will kein Mann sein, aber seine Familie, erst recht sein Großvater sind alles Faschos, er haut ab, wird zu einer Frau, kommt jedoch zurück, damit seine Mutter den Hof erben kann.“
„Zu kurz und woher weißt du das?“
Sie tippte an ihre Schläfe. „Instinkt. Der Typ kam mir von Anfang an spanisch vor, dann die Mär, dass er bei einem Motorradunfall sein Glied verloren hat. So ein Quatsch. Dann hat er sich verplappert, er sagte mir, dass er in einem Frauengefängnis einsaß.“
„Sehr logisch.“
„Dass ihr Männer nicht um die Ecke denken könnt. Gerade du müsstest es wissen.“
„Was?“
„Stephanie ist anschaffen gegangen. Außerdem hat sie es mir selbst erzählt.“
„Dass sie auf den Strich ging.“
„Das bestimmt nicht. Nach der Entführung hat sie mich angerufen und sich entschuldigt, dass sie mir von vornherein nicht die Wahrheit gesagt hat.“ Aishe hob ihre Handtasche herauf, öffnete diese und steckte den Bon hinein.
„Frauenlogik“, stellte Igor fest und bestätigte dieses mit einem Nicken.
Sie rümpfte ihre Nase. „Wie?“
„Vergiss es. Sage mir lieber, wo ist der Zusammenhang?“

„Tanja.“
„Tanja?“, echote er.
„Sie hat mir erzählt, dass sie eine Freundin hatte, die von einem Typen geschwängert wurde. Durch die Blume hat sie mir verklickert, wer der Typ war.“
„Wer?“
„Stephen!“
„Stephen? Eben hast du mir erzählt, er sei eine Frau.“
„Damals nicht. Der Klopfer ist ein anderer.“ Sie griente. „Tanja hat mir wohl erzählt, dass diese Freundin eine Krankenschwester oder so etwas Ähnliches und diese in Südafrika war.“ Sie erhob ihren rechten Arm. „Aber die beste Freundin von Tanja war, weißt du’s?“
„Sag es, sonst verpasse ich wirklich meinen Flug.“
„Josephine.“
„Josephine! Und?“
„Wer ist ihr Vater, ihr Großvater?“
Er hob seine Schultern. „Was weiß ich?“
„Sie ist eine van Düwen. Joos ist ihr Alter, verstehst du. Wer hat Alina zu den Oberländer vermittelt? Der alte van Düwen. Klickert’s bei dir?“
„Du meinst, der alte Herr hat sein Enkel ...?“
„Warum nicht? Ehre und so ein Scheiß.“
„Sei mal still.“ Igor streckte sich, hob seinen Kopf. „Mein Flieger wird zum Boarding aufgerufen.“
„Erneut Kurzfassung: Stephanie und Josephine erfahren, dass ihre Tochter bei den Oberländer lebt, wollen sie entführen, Fridolin kommt dahinter, rettete sie aus dem Bunker, versteckt sie in der Scheune, gibt Joos den Tipp.“
„Wer hat die beiden dann im Keller eingeschlossen?“
„Das bekomme ich heraus. Die Frage, die ich mir stelle, ist, wer hat die Entführung ausgeführt?“
„Stephanie und Josephine.“
„Geplant sicher, aber nicht ausgeführt. Immerhin wurde ein Mädchen entführt.“
„Wer? Du verwirrst mich. Alina? Oder von wem sprechen wir die ganze Zeit?“
„Svenja.“
„Svenja?“
„Mann, Igor, musst du andauernd alles wiederholen. Tanjas Tochter.“
Igor zuckte. „Wie?“
„Sie wurde, soweit ich es weiß, in einem Tiertransport nach Russland verfrachtet, aber beruhige dich, Joos und Ommo haben sie, das arme Ding, freigekauft.“

Er schluckte, kratzte sich am Genick, schob seinen Stuhl zurück und stand auf. „Ich muss los. Wir telefonieren“, stotterte er, „irgendwann.“ Er wandte sich zum Gehen, verharrte jedoch. „Hattest du mir nicht gesagt, Alina“, er schluckte erneut, „wurde … von wem? Bestimmt nicht von dieser Stephanie oder Josephine.“
„Für mich bleiben nur zwei übrig: Anton, die Sau“, sie lehnte sich vor, „und ...“ Sie griente.
Igor plusterte sich auf. „Du spinnst.“
Sie lehnte sich zurück, faltete ihre Hände. „Du bist ein Mann, oder?“

Igor eilte davon, eilte von ihr weg, einen Gang entlang, der ihn auf die Rückseite des Cafés führte. In einer Ecke blieb er stehen und atmete hektisch.
Die Kellnerin schlenderte auf ihn zu, baute sich vor ihn auf und rief: „Na, wie war ich?“
„Unwichtig.“
Sie strich über ihre Taille, über ihre Hüften, während sie ihr Becken schwang. „Igor, dabei habe ich mich so richtig ins Zeug gelegt.“
Mit der flachen Hand stieß er ihr an die Stirn. „Vanessa, manchmal zweifle ich an deinen Verstand. An sie solltest du dich heranmachen, nicht an mich und weshalb schreibst du mir deine Handynummer auf den Bon? Die habe ich.“
„Aber nicht die neue.“ Sie zog ihren Kopf zurück und kniff ein Auge zu. „Ich soll eine Behinderte anbaggern?“, dabei tippte sie an ihre Schläfe. „Ey, das hättest du mir gleich stecken können. Ich bin weder Mutter Theresia noch lesbisch.“
„Na ja, ist nicht das erste Mal, dass du es mit einer Perle treibst.“
„Da musst du aber etwas drauflegen.“
„Mache dich nicht lächerlich, wenn ich aufrechne ...“
Sie wiegelte ab, zwinkerte ihm sodann zu. „Aber meine Idee mit dem Löffel war genial. Oder?“
„Löffel?“
Sie zwinkerte erneut. „Na, der Sender, die Wanze.“
„Trotzdem solltest du dich an sie heranmachen.“ Er zuckte mit den Schultern. „Brauchst du aber nicht mehr.“
„Wieso?“
„Sie ist scharf auf dich.“ Er ballte eine Faust und schlug mit dieser auf seine andere Hand.
„Bist du eifersüchtig?“
Igor schüttelte mit dem Kopf. „Wie kommst du darauf?“
„Erfreut siehst du nicht aus.“
„Hat nichts mit dir zu schaffen. Ich bringe ihn um.“
„Wen?“
„Das geht dich nichts an.“
Sie erfasste seine Hände, näherte sich ihm, bis beinahe ihre Nasenspitzen verschmolzen und flüsterte: „Du wolltest der Gewalt den Rücken kehren?“
Igor stieß sie ab. „Der Gewalt, der unnützen Gewalt sicher, aber nicht der Gerechtigkeit. Hast du es vergessen? Hast du vergessen, wie Tiere sind sie über die Mädchen hergefallen, brachial, ohne Erbarmen? Sag es, sag es mir ins Gesicht, dass du es vergessen hast. Dir die Mädchen egal waren.“
Vanessa schloss ihre Augen und murmelte: „Nein.“
Er hob seinen Kopf und zischte: „Mein Flieger nach Hamburg.“
Er wandte sich von ihr ab, worauf sie seinen Unterarm ergriff. „Kommst du zurück nach München?“
Igor zuckte mit den Achseln, während sie ihre Arme um seinen Hals schmiegte und ihn küsste.



Mit wehendem Haar

Antonia nippte an ihrer Cola, stellte das Glas auf dem Nachttisch ab und zog Matthias‘ Arm auf ihren Bauch. „Verstehst du mich jetzt?“
Er strich ihr Haar zurück, murmelte „Ja“ und zupfe dann an ihrem bauchfreien Top. „Na ja, wenn man es zu Ende denkt.“
Ihren linken Mundwinkel emporgezogen, kniff sie ein Auge zu. „Wie zu Ende?“
Seine Finger glitten über ihren Bauchnabel. „Na ja! Du weißt schon!“
„Du machst dir über Sachen Gedanken.“
„Aber das ist doch wichtig. Oder?“
„Für wen?“
„War nur so ein Gedanke.“ Er wedelte mit dem Saum ihres Minirockes.
„Denn snack!“
„Ich habe Angst.“
Sie amüsierte sich.
„Du!“
„Nicht um mich, um dich.“
„Um mich brauchst du dir wirklich keine Sorgen zu machen.“
„Wenn du die Maria machst, wirst du eingemauert.“
„Na und? Ein paar Stunden, vielleicht auch über Nacht. Deine Mutter hat mir alles erzählt.“
Wenngleich es ihr schon ein wenig mulmig war, ganz allein eine Nacht im Wald in einer abgelegenen Bordkapelle zu verbringen, wischte sie sofort ihre trübseligen Gedanken beiseite, viel Schlimmeres, Grauenvolleres hatte sie bereits erlebt. Vielleicht war es ihre zweite Prüfung, auf die sie sehnsüchtig wartete.
„Normalerweise sicher, aber wenn du das Mal hast …“ Er griente sie schelmisch an, während er den Saum ihres Rocks lüpfte. „Kann ich es mal sehen?“
Sie schlug auf seine Hand. „Untersteh dich.“
„Dann holt dich keiner heraus“, fuhr er fort.
„Wie?“
„Das ist das Wunder! Nur der Herr … du verstehst.“ Er winkte ab. „Lassen wir das. Meine Mutter weiß bestimmt, was sie macht, außerdem beschütze ich dich.“
Sie zupfte am Ohrläppchen. Dass Männer stets darauf aus waren, Frauen Angst zu machen, um sie dann zu beschützen. Krankhaft.

Er lüpfte erneut den Saum.
„Steht dir!“
Sie verdrehte die Augen und dachte: Männer. Immer, wenn es um wichtige Sachen geht, werden sie oberflächlich.
„Solltest du öfter tragen“, hörte sie ihn, als hätte er ihre Gedanken gelesen.
Sie drehte sich auf den Bauch. „Ist Alinas. Ich habe nichts anders gefunden. Franzi ist wie ein Krake. Kaum stellt man seinen Koffer ab, ist der Inhalt in der Waschmaschine. Manchmal glaube ich, sie hat eine Doppelgängerin. Sie war die ganze Zeit in der Küche.“
„Sie ist eine Mutter.“
Sie spreizte die Schenkel, setzte sie sich auf seinen Schoß und presste seinen Rücken gegen die Matratze. „Sind die alle so?“
„Wie?“
„Mensch, Kerl. Mütter!“
„Weiß nicht. Habe nur eine.“
Den Kopf pendelnd, knöpfte Antonia sein blau-rot kariertes Hemd auf, während er sich abstützte und sie ihm „hast du länger zugesehen“ zuflüsterte.
„Wo?“
„In Alinas Zimmer!“
„Warum?“
„Nichts! Mädchenkram“, säuselte sie, dabei dachte sie an Alina und knöpfte weiter. „Wie du auf ihren Busen gestarrt hast.“
„Sie ist meine Schwester.“
„Aber nicht biologisch.“
Matthias steckte die Zunge heraus. „Dann eben meine …“, er kniff ein Auge zu, „bist du eifersüchtig.“
„Auf wen?“
„Alina!“
Sie stieß ihm ihr Knie in die Rippen. „Quatsch!“
„Dann schließt das nächste Mal die Tür ab, wenn ihr“, er verdrehte die Augen, „euren Mädchenkram erledigt. Hat es Spaß gemacht?“ Er senkte den Kopf. „Was machst du da überhaupt?“
„Dir dein Hemd ausziehen.“
Er lächelte sie an und sie stieß erneut zu. Sie freute sich sogar darüber, wie er jammerte. Nicht, dass sie ihn quälen wollte, Antonia liebte ihn. Aber zu sehen, wie wehrlos er war, machte ihr Spaß. Immerhin war er ein starker Mann und sie eine schwache Frau.
„Dein Hemd stinkt nach Kuhstall.“
„Ich war bei den Schweinen.“
„Dann eben Schweinestall“, bestätigte sie, zog den Kopf zurück, rümpfte die Nase und wedelte sich frische Luft zu.
„Sie hat sich so verändert.“
Sie beugte sich vor, küsste ihn erst kurz, dann innig, bevor Antonia ihm „wer“ zuhauchte.
„Alina!“
„Du musst sie verstehen!“
Er kratze sich die rechte Wange. „Verstehen?“
„Sie wird zu einer Frau.“
„Aha!“ Er nickte. „Wie ist das?“
Sie zuckte mit den Achseln. „Da fragst du die Falsche.“
„Hä!“
„Na ja, vor gut einer Stunde hast du mich noch angemacht, dachtest, ich wäre früher, ich muss kotzen, ein Junge gewesen. Widerlich. Total uncool.“ Sie beugte sich vor. „Wie ist es, wenn man ein Mann wird?“ Sie strich über seine Wange. „Aus deiner Pickelphase bist du zumindest heraus.“
Er verzog das Gesicht. „Es gibt Situationen, wo es peinlich wird.“
Sie grinste, überlegte, ob sie ihn reizen, quälen sollte, schob jedoch ihr Gesäß auf seinen Bauch. „Besser?“

Er nickte, worauf sie mit den Schultern zuckte, von ihm stieg und sich an seine linke Seite schmiegte. Den rechten Ellenbogen auf der Matratze abgestützt, hob sie mit dem Zeigefinger der Linken den Bund von seiner Shorts samt Unterhose. „Wie lange bleibt der so?“
Er wandte sich ihr zu. „Kannst ja testen?“
„Romantiker!“ Sie griff zu. „Hart wie ein Knochen.“
Wenn Antonia sich es vorstellte, so ein Ding würde … überkam ihr Ekel. Körperflüssigkeiten mit ihm auszutauschen, damit hatte sie kein Problem, sie liebte es zu küssen, aber … nein. Sie liebte beide, spielte mit ihrer Hoffnung. Mit sechzehn, sagte sie immer. Dabei hatte Antonia es nur aus einer Mädchenzeitschrift übernommen. Vor der Ehe ging gar nichts und sie hatte ein Gelübde abgelegt.
Er zog seine Knie an den Bauch, sodass ihre Hand aus seiner Büx flutschte. „Hör auf, sonst …“
Nur weil sie ein Gelübde abgelegt hatte, war sie nicht naiv, dennoch konnte sie es sich nicht verkneifen und warf ihm, nachdem sie ihn angegrinst hatte, ein „sonst“ an den Kopf.
„Sonst brauche ich eine frische Unterhose und die Woche ist noch nicht rum. Apropos, bei Romantik habe ich eine Idee.“ Sie zeigte ihm einen Vogel. „Nicht was du denkst“, erwiderte er.
Sie zerrte an seinem Oberhemd. „Nur“, sie hob demonstrativ den Zeigefinger, „wenn du duschst und dir frische Klamotten überziehst.“

Das Gesäß gesenkt, die Knie gebeugt, die Beine gespreizt, hielt Matthias ihr seine ineinander gefalteten Hände hin, befahl ihr: „Los, hoch!“, während Antonia auf Sultans Rücken tippte und „Ohne Sattel“ einwandte.
Sie zog an ihrem Pferdeschwanz, er verdrehte die Augen, grummelte ein „ja“, auf das sie konterte: „Ohne Helm?“
„Toni, stell dich nicht so an!“
Die Lippen gepresst, stieg sie auf seine Handflächen und mit einem Schwung katapultierte er sie auf den Rücken des Pferdes. „Greif locker in seine Mähne.“
Matthias schwang sich wie ein Puszta-Reiter auf Cindy, seiner Apfelschimmelstute, führte sie mit leichtem Druck zum Gattertor.
„Komm!“
Sie sah ihn an. „Wie?“
„Mit den Schenkeln.“
Er öffnete den Riegel des Tores und Cindy legte, bis das Tor aufschwang, den Rückwärtsgang ein.
„Du zuerst.“
Als wäre es eine Einladung, ging, sodann, ohne dass sie darauf einwirkte, Sultan im Schritt auf die Öffnung zu. Kaum hatte er mit ihr das Tor passiert, schaute sie sich um. Obwohl er weiter nur im Schritt ging, kam sie ins Schlingern, als sie Matthias beäugte, der weiterhin auf Cindy saß, hinter sich den Riegel in die Falle warf, zu ihr aufschloss.
„Immer locker bleiben“, motivierte er sie, „bleib immer neben mir.“
Sie zupfte an ihrem Ohrläppchen, wandte sich ihm zu. „Wo willst du hin?“
Jedoch anstatt ihr zu antworten, wies er gen Sonne, die drei Handbreit über dem Horizont stand.
„Ich“, druckste er, „habe dir etwas zu sagen.“
„Was?“
Ein Lächeln formte sich auf seinen Lippen. „Ich habe die Lehrstelle.“
„Im Zoo?“
„Wo sonst? Das ist doch toll, dann kann ich dich öfter besuchen“, gab er euphorisch von sich. „Von Salzburg kann ich mit dem Moped zu dir kommen.“
Es gab Tage, die nicht die ihren waren. Sie ließ sich zurückfallen, dachte an Hindrik. Er hatte kein Problem damit, dass Antonia neben ihm einen anderen Mann liebte, akzeptierte, tolerierte es, nahm es hin. Es gab nur eins, was Hindrik von ihr erbat. Wenn sie zusammen waren, dann sollte sie nicht an Matthias denken. Ganz für ihn da sein, wie er es von ihr verlangte. Sie musste mit Matthias sprechen. Denn, wenn er ohne Voranmeldung im Internat aufschlug, er sie in Hindriks Armen sah, würde ihn das Herz zerbrechen.

Sie drückte die Schenkel zusammen und Sultan fiel in den Trab.
Es hätte kaum schlimmer werden können. Sie wollte doch Schluss machen. Dabei hatte jeder der beiden Jungen – Antonia konnte es nicht in Worte fassen – etwas, was sie anzog. Egal bei wem sie war, mit wem sie ihre Zeit verbrachte, empfand sie Glück, so nannte sie das Gefühl. Wie erbaulich, wäre es beide zu vereinen, einen neuen Menschen zu erschaffen?
Wenn sie Doktor Frankenstein wäre, könnte sie es schaffen? Leider war es, für Antonia unmöglich, denn sie war nur ein kleines, dummes Mädchen.
Matthias schloss auf. „Ich sag doch, du bist ein Naturtalent.“ Er lächelte sie an und trieb Cindy in den Galopp.
Sein aufgeknöpftes weißes Hemd flatterte wie eine Fahne hinter seinem Rücken.
Worauf Antonia über Sultans Hals strich, sich vorbeugte und „komm, dem Angeber zeigen wir es“ ihm zuflüsterte. Es schien ihr, als würde er sie verstehen, denn ohne ein Pressen ihrer Schenkel fiel er in Galopp.
Sie zerrte das Haargummi aus ihrer Mähne, schwang ihre Haare. Vom Wind erfasst, flatterte ihr curryfarbenes Haar. Dann, als sie zu Matthias aufschloss, grinste sie ihn an, preschte am ihm vorbei, dem Sonnenuntergang entgegen.



Biss zum Schluss

„Ich schäme mich.“
„Dass wia oiwei Gaudi hom?“
„Wann?“
„Weil du oan andern hosd?“
„Wie?“
„Is ned schändlich, jedenfois ... komm wieda ins Bett.“
Sie schlug die Bettdecke zur Seite, legte sich auf die Matratze und schmiegte ihren Körper an den seinen.
„Lass dei Haxn weg! Wo warst du? Im Kühlschrank?“
„Auf‘m Pott.“
Er schnüffelte über ihr Gesicht. „A rauchen?“
„Auf dem Balkon.“
„Nackt?“

Tanja richtete den Oberkörper auf, stützte sich auf ihren Unterarm ab und strich eine Strähne über das rechte Ohr. „Es ist zehn vor zwölf. Glaubst du, da glotzt irgendjemand, ob irgendwo einer auf dem Balkon steht? Woher weißt du es?“
„I hob‘s grochn.“
Tanja knuffte ihn in die Seite. „Du verarschst mich und sprich Deutsch mit mir.“
Sich mit der rechten Hand von der Matratze abstützend dreht sich Valentin auf die Seite und rümpfte die Nase. „Du riechst nach Rauch.“
Die Augen verdrehend, ließ Tanja ihre Zunge aus dem Mund hängen.
Die Lippen zu einem Lächeln verzogen, schlug sich Valentin an die Stirn. „Du meinst, woher ich weiß, dass dich ein anderer pudert.“ Er legte sich wieder auf den Rücken. „Habe euch im ‚Bayrischen Hof‘ in München gesehen, abends in der Lobby, morgens beim Frühstück.“
Tanja erfasste Valentins linke Ohrmuschel und zog sie in die Länge. „Spionierst du mir nach?“
Unberührt des Zerrens drehte sich Valentin, bis er zwischen ihren Beinen ruhte. „Nein!“ Er küsste ihre Brüste. „War geschäftlich unterwegs.“

Aishe hatte keine Ahnung, dass sie mit Valentin sporadisch das Bett teilte. Ihr es zu beichten, mehr als grenzwertig, immerhin war er ihrer beider Schwiegervater. Die Beziehung zu Mitja hatte sie ihr gleich gestanden. Nüchtern hatte sie es aufgefasst. Aishe tolerierte, wie sie sagte, ihr temporäres, körperliches Verlangen, sich mit einem Schwanzträger zu vereinigen. Temporär? Sie erinnerte sich nicht daran, je das Bedürfnis gehabt zu haben, mit einer Frau zu schlafen. Diese Vergangenheit schob sie auf Klara ab. Sie empfand nichts. Wenn sie mit Aishe kuschelte, fühlte sie sich geborgen, aber alles, was darüber hinaus ging? Dann schloss sie die Augen und stellte sich vor, ein Mann beglücke sie. Allerdings schämte sie sich später dafür, dass sie ihr nichts zurückgegeben hatte, obwohl Aishes Querschnittslähmung ihre Libido nicht einschränkte. Sie drückte Aishes Hand auf ihre Schamlippen, gab ihr einen Kuss und schaute zu, wie sie masturbierte.

Tanja verschränkte die Arme hinter dem Kopf und betrachtete die Zimmerdecke.
Wenn sie mit Mitja zusammen war, hatte sie dieses Herzklopfen, die Schmetterlinge im Bauch, dabei kannte sie ihn erst fünf Monate. Achtmal hatten sie sich getroffen. Das erste Mal geschah es in München. Aishe war über das Wochenende dort in der Uniklinik. Einen Kaffee wollte sie sich im Hotel holen, aber der Automat weigerte, ihr Geld anzunehmen. In diesem Augenblick der Verzweiflung stand er neben ihr und schwang sein glattes pechschwarzes Haar zurück. Mit einem Handschlag schlug er gegen das Gerät, und ohne eine Münze in dessen mechanischen Leib zu stecken, gurgelte das Getränk einen Becher voll. Er hatte Zauberhände.
Sie verbrachten den Rest des Tages miteinander und ihr gebuchtes Hotelzimmer hatte sie nur betreten, um ihren Koffer abzustellen, dann am nächsten Morgen wieder herauszuholen. Dabei war ihr bewusst, dass sie nie ein Paar würden. Sie bloß ein Zeitvertreib für ihn, lediglich eine Braut unter vielen in den Häfen war. Ihm die Stunden zwischen Flügen zu versüßen, während sie seinen schlanken, dennoch athletischen Körper genoss. Ihn in seiner Kapitänsuniform bewunderte. Seine weit über seine Schulter fallenden rabenschwarzen Haare bürstete, verwöhnte, um ihn anschließend auf dem Bahnsteig vor der Abfahrt des Zuges zu umarmen, einen Kuss auf seine vollen, erotischen Lippen zu pressen, die nach Himbeere schmeckten. Wie gern wäre sie zum Flughafen mitgefahren, hätte sich im Cockpit an seine Seite gesetzt, mit ihm die Welt bereist – ein Traum.
Sie schmunzelte, ohne die Lippen zu verziehen, erinnerte sich an die Szene im Hotelfoyer des ‚Bayrischen Hofs‘, als sie sich das letzte Mal trafen.
Er hatte seine Arme um ihren Hals geschlungen, sie ihre um seine Taille. Seine zu einem Zopf geflochtenen Haare baumelten über seinen Rücken. Sie wandte ihr Gesicht der mit Spiegeln behängten Wand zu, bewunderte sich selbst in ihrem Lieblingskleid, ihn in seiner Uniform, wie sie geschuldet ihrer hohen Absätze ihren Kopf senkte, er seinen hob. In diesem Moment lief ihr ein Schauer über den Rücken, zweifelte, zweifelte daran, ob sie sich ihre Abneigung zum weiblichen Geschlecht bloß einredete.

Die Wirklichkeit war nüchterner und hieß Valentin. Manchmal hatte sie Spaß mit ihm. Wenn er seine proletarische Art ablegte, sie über die Welt philosophierten. Zu jedem Thema hatte er nicht nur eine Meinung, gleichermaßen Wissen. Dabei hatte Vale, wie er mit stolz geschwollener Brust klarstelle, nur die Voiksschui besucht. Meist endeten die Debatten in irgendeinem Bett, sie kam ihrer Verpflichtung nach und arbeitete ihre Apanage ab.

„Kannst du ned moi mitmachn?“
Tanja verdrehte die Augen, schlang ihre Beine um seine Hüften und drückte im Takt seines Beckens ihre Hacken auf Valentins Gesäß.
Gegenüber den kognitiven Fähigkeiten war Valentins Geschick als Liebhaber unterdurchschnittlich. Ein Merkmal, welches Tanja Mitja nicht zusprach. Er verstand es, einer Frau zu zeigen, dass es nichts Erbaulicheres gab, als eine Frau zu sein. Denn er wusste es. In diesen Momenten verschwamm er in ihrer Fantasie mit Aishe.

Sie hatte genug von Valentins Gehämmer. Sie krallte ihre Finger ins Bettlaken, schloss die Augen und stöhnte erst dezent, daraufhin stetig energischer, bis für ihn der Zeitpunkt nahekam. Mit geschlossenen Augen erkannte, spürte sie diesen, hatte jeden seiner Versuche bereits etliche Male miterlebt, aber er lernte nicht dazu.
Was an seinen gequetschten „zeig’s ma“ antörnend war, war ihr nicht schleierhaft. Es amüsierte sie nicht einmal mehr, sondern war schlichtweg langweilig.
Sie öffnete die Augen, sah, wie jedes Mal die Schweißperlen aus seiner Stirn quollen. Dann zählte sie bis drei. Sein Becken nahm Fahrt auf, der Hals schwoll ihm, die Zunge hing ihm aus dem Mund und Speichel tropfte auf ihre Brust. In der Sekunde, in der seine Bewegung erstarrt, erkannte Tanja den Moment, ihren, von ihm erwarteten, Schrei auszuspeien, während er sich erleichterte. Er ihr das gab, was sie nicht verlangte und sie nicht auf Aishe hörte. Sie vertrug die Pille eben nicht.
Valentin brach zusammen, hechelte. Die Sache war für Tanja erledigt und sie hoffte, dass er zügig verschwand, damit sie sich dann ungestört befriedigen konnte. Er erlaubte es ihr nicht, wenn er bei ihr war. Sein Ego ließ es, wie sie vermutete, nicht zu. Dafür kraulte sie sein Haar, lobte ihn, als wäre er ein kleiner Junge, der nach ewig erscheinenden Jammern endlich sein Kinderzimmer aufgeräumt hatte.

Tanja schob Valentin beiseite, rollte zur linken Bettkante, stand auf.
Seine Wange auf dem Kopfkissen, blinzelte er sie an. „Wo wuist du hi?“
„Mich duschen.“
„Wozu? Ich bleib die Nacht.“
Tanja zog ihren Kopf zurück. „Franzi?“
„De is doch bei ihra Vasammlung und voa drei kimmd sie nie heim. I geh gleich fria zua den Kühn. De kriegt nix mid.“
Von dieser, für ihn freudigen Nachricht überrascht, schlich sie zu ihrem Schminktisch, der vis-à-vis des Bettes stand. Sie setzte sich auf den rosafarbigen, mit Kunstleder bespannten Hocker, schnappte sich eine Bürste und striegelte ihr Haar, woraufhin Valentin aufstand und sich hinter ihren Rücken stellte. Er umschlang sie, knetete mit seinen Pranken ihre Brüste, als könne er aus ihnen Milch zapfen, wie aus einer seiner Kühe.

Tanja hielt inne. „Was ist jetzt mit dem Dorfkrug? Stimmt die Kreisverwaltung zu oder nicht?“, harschte sie ihn an.
„May! Dees ist Politik, von dees verstehst du nix.“
Zum Spiegel vorgebeugt, zupfte sie an ihrem Pony. „Bist du der stellvertretende Kreisvorsitzende deiner Partei und Bürgermeister oder nicht?“
„Sag I doch hohe Politik. Sag du mir eher, wie du de Kaschemme bezahlen willst?“
Tanja leckte über ihre Oberlippe und tupfte über das rechte Augenlid. „Ich habe einen Käufer für die Wohnung in Bremen.“
„Madel! Warum hast mir ned gesagt? Hät een guten Preis rausgeschlagen.“
„Ich bin blond, aber nicht blöd. Du könntest dich ruhig beteiligen. Der Umbau verschlingt Unsummen und Franzi hat …“ Sie lachte. „Eine ganze Nacht kostet eben extra.“
„Schlampe! Ich bin Bauer, kein Immobilienmogul. Außerdem kriegst vo ma grod no, wos eich Weiba zuagestäd, a guada vegl des reicht.“
Wie eingebildet er von sich war? Unteres Mittelmaß, mehr war er nicht, dachte sie, während sie sich zu ihm umwandte und zischte: „Du hast gesagt, das Viertel in Passau bringt eine Menge Kies.“
„Was habe ich mit den Häusern in Passau zu schaffen?“
Die Lippen gepresst, schlug Tanja mit der Rückseite der Bürste auf sein Glied. „Lüg mich nicht an!“
Valentin schrie auf, griff mit der rechten Hand an seinen Schritt und zerrte, mit der Linken ihr Haar ergriffen, ihren Kopf zur Seite.
„Miststück!“
Mit einer Drehung befreite sie sich, strich zuerst über seine Hüfte, anschließend, wie eine Milchbäuerin, die ihr Vieh für die Melkmaschine vorbereitete, an das von ihr geschlagene Körperteil.
„Mit welcher kriminellen Energie, welchen Intrigen du die dir Straße unter den Nagel gerissen hast, weiß ich nicht. Nur, egal, wie du die Besitzverhältnisse verschleiert hast, dass sie deine ist.“
„Geschwafel“, brummte er und umfasste ihren Hinterkopf.
„Fakten. Nein! Instinkt oder nenne es Zufall“, gab sie dabei lächelnd zu verstehen, während sie versuchte, seinem Druck auszuweichen, ihren Kopf zum Fenster zu drehen. „Der Fahrstuhl, den du vor Aishes Entlassung an den Balkon montieren ließest, der behindertengerechte Umbau“, sie kniff ein Auge zu, „merkwürdig als Mieter.“
„Was faselst du?“, zürnte Valentin, dabei ihren Kopf näher an sich bindend.
„Dass du nicht auf Franzi Idee eingingst, das Gesindehaus umzubauen, mir klar. Der Geliebten auf dem eigenen Hof eine Bleibe schaffen. Aber, das willst du nicht wissen. Der Ingenieur, ein Süßer, der den Umbau der Wohnung geleitet hat, war sehr freizügig. Was Männer so alles erzählen, wenn ...?“
„Der Josch?“
Sie knete mit der freien Hand sein Gesäß. „Ich bin eine Frau.“
„Wenn es so wäre, warum kommst du jetzt damit heraus?“
„Der Rubel rollt für dich und“, ihre Lippen touchierten ihn, „eine kleine Finanzspritze, als stiller Teilhaber, für mein Wellnesshotel förderlich.“
Valentin lachte. „Willst du mich erpressen?“
„Nein! Unsere Beziehung auf eine andere Ebene heben.“
„Das wird eh nichts mit dem Luxushotel. Hast keine Ahnung von Wirtschaft. Moanst, weil den Gäsdn a Suppe servierst und de Betdn machst, kanntst du oan Lon schmoassn.“
Er irrte sich, denn sie war einer anderen Auffassung, zumindest sagte ihr Innerste etwas anderes.

„Seit dan Überfall bisd hoid bled gewoadn. Kannst jo ned moi mehr schweißen.“ Er sah an seinem Körper herab. „Na jo, ois hosd ned vagessn. Manchmal denk i de Außerirdischn hom di ausgetauscht.“
„Überlege es dir“, sie blinzelte ihm zu, „und ich zeige dir, was ein Alien kann.“
Sie umhüllte mit den Lippen sein Glied, schaute zu ihm herauf und ... und rammte ihre Zähne in seine Haut.
„Schickse, damische“, fluchte Valentin, sprang zurück, hielt sich das gebissene Stück und hüpfte wie ein Känguru.
Amüsiert wischte sie über ihren Mund, klopfte auf ihre Schenkel und lachte, während er, das Gesicht zu einer Fratze verzogen, sich der Zimmertür näherte.
„Willst du jetzt doch heim?“
„Na! Pinkeln.“
Zumindest hatte sie den Rest der Nacht Ruhe von ihm, urteilte sie, während sie sein Blut auf ihrer Hand betrachtete.
„Hast deine Tage? Aber setze dich hin“, wies sie ihn, untermalt mit einem hämischen Lachen, an.
Er zerrte an seinem Glied, zog den Inhalt seiner Nase herauf und murmelte unterlegt mit einem Grunzen, welches einem Eber zugestand: „Hob i a Ritz, na, bin i a Weib.“
Dann sah sie ihm nach, wie er, die Rechte am Schritt, aus ihrem Schlafzimmer watschelte.



Sternenhimmel über Tel Aviv

„Schön haben Sie es hier. Übersichtlich.“
Samuel wandte sich zu ihr um und strich mit dem Zeigefinger über die eine armspannenbreite Küchenzeile.
„Klein würde ich es nennen.“
„Milena, für die Verhältnisse in Tel Aviv normal. Wohnraum ist rar und teuer“, erklärte er ihr, bevor er sich drehte, zwei Schritte zu ihrem Bett vorging.
„Samuel, Kaffee?“
„Danke nein. Ich werde dann mal. Waschen Sie lieber ihr Kleid aus. Rotweinflecken sind penetrant.“
Sie kniff ein Auge zu. Was ging ihm ihre Flecken an oder war es eine Anmache, damit sie sich auszog? Sie verstand ihn nicht. Erst verlangte er, dass sie mit ihm schlief, dann machte er auf Gentlemen. Vielleicht war er schüchtern.
Sie wollte die Story, hinter sein Geheimnis kommen.
Milena hob den Saum ihres Kleides, bis ihr Slip hervorstach. „Wie?“
„Wie, wie? Wasser und Seife.“
Sie zuckte mit den Achseln. „Ich bringe meine Sachen einfach in die Reinigung oder ich wasche im Waschsalon.“
„Sie wundern sich danach, dass die Flecke nicht alle heraus sind, schmeißen das Kleid weg und kaufen sich ein neues.“
„Ja.“
„Nachhaltigkeit kennen Sie nicht. Immer schön die Umwelt belasten.“
Sie blinzelte ihn an. „Sie können den Fleck entfernen?“, dabei beurteilte sie, wie absurd die Situation war. Sie wollte nicht nur die Story, sondern zu allem Überfluss musste sie ihn obendrein verführen.
Samuel zerrte am Stoff seines weißen Hemds. „Sehen Sie einen Fleck?“
„Filterkaffee?“
„Sprechen Sie bitte in ganzen Sätzen.“
„Ich brühe Ihnen einen echten deutschen Filterkaffee und Sie zeigen mir, wie man Rotweinflecke entfernt.“
„Das könnte man als Erpressung auslegen.“
Schmunzelnd wandte sie sich um, ihm den Rücken zu, zog demonstrativ zuerst die eine, schließlich die andere Schulter herauf. „Könnten Sie bitte?“
„Milena!“
„Stellen sie sich nicht an. Immerhin haben Sie mich heute bereits in Unterwäsche gesehen, oder wollen sie mein Kleid säubern, während ich es trage?“
Sie spürte, wie er den Reißverschluss erfasste, ihn öffnete, sacht, ohne Hast, wie ein Genießer, wie er, als er zuerst den Rotwein betrachte, danach an ihm roch und zuletzt seine Lippen ans Glas nahm, nippte. Kurz harrte sie aus, wartete darauf, dass sein Mund sie berührte. Nichts. Sie wandte sich um, wobei ihr das Kleid vom Körper glitt. Sie hätte es auch festhalten, ins Bad gehen, es ausziehen, dann einen Bademantel überziehen können. Gewiss gekonnt hätte sie es. Sie wäre sicher dazu in der Lage gewesen. Allerdings wollte sie es nicht. Ihr verlangte es danach, ihn zu reizen.

Samuel blähte seine Wangen. „Sie sind nackt.“
Sie strich über ihre Taille, ihre Hüfte, bis ihre Finger ihren Schritt berührten.
„Nicht ganz. Einen Slip trage ich.“
„Dieses etwas nennen Sie Slip?“
Das linke Auge zugekniffen, grinste sie. „Wo kommen Sie denn her? Haben Sie die letzten Jahrzehnte im Kloster verbracht?“ Sie schnippte an den Bändern. „Das ist ein Tanga.“
„Könnten Sie sich bitte etwas überziehen?“
Sie hielt es nicht mehr aus. Warum fiel er nicht über sie her, warf sie auf ihr Bett und beendete das Drama?
„Mit Ihrem Ruf ist es wirklich weit. Sind wohl eher ein Spießer.“
Sie wartete, wartete auf seine Reaktion. Umso länger sie ausharrte, desto näher kam ihr der Gedanke, dass dieses seine Masche war. Immerhin verlangte er von ihr Sex als Gegenleistung. Allerdings sofern sie? Nein. Derart schätze sie ihn nicht ein. Er war schüchtern, schlicht schüchtern. Sie atmete tief ein. Wenn sie eins verachtete, dann waren es Männer, die eine große Klappe hatten, dann, wenn es darauf ankam, den Schwanz einzogen.
„Bitte?“
Ihren Kopf auf die Seite lehnend, schnappte sie ein Oberteil vom Bett und verhüllte ihre Brüste. Eine Hülle, welche, dieses vermutet sie, ihre Reize eher unterstrich, als diese zu verdecken.
„Geben Sie mir bitte das Kleid?“
Seine Bewegung hatte sie vorausgesehen. Sie beugte sich vor und zeigte ihm, was sie besaß.
„Milena, wollten Sie nicht Kaffee kochen?“, erinnerte er sie und nahm ihr Kleid an sich.
Sie schritt zur Küchenzeile, schnappte sich einen Wasserkocher, füllte jenen, und stellte diesen an. Worauf er ihr folgte. Zumindest bemerkte sie seinen Blick, wie er ihren Hintern angaffte. Dabei konnte sie wahrlich von sich nicht behaupten, dass ihr Hinterteil ausgesprochen weiblich war. Problemzone.
„Haben Sie einen Schwamm?“
„Klaro!“ Sie griff in die Spüle, wrang einen Haushaltsschwamm aus, überreichte ihm diesen. Anschließend öffnete sie die Tür ihres Hängeschranks, streckte sich, stellte sich auf ihre Zehen, sodass ihr Slip wieder vollends zum Vorschein kam, und erfasste eine Kaffeemühle. Jedenfalls versuchte sie es. Sie hätte sie sicher erreicht. Es war nicht das erste Mal. Aber sie wollte nicht. Dafür zuckte sie mit ihren Pobacken. „Samuel, könnten Sie bitte, nur ein, zwei Zentimeter.“ Ein Wimpernschlag später spürte sie seine Hand an ihrem Hintern. Losgelöst, beinahe schwebend, überlegte sie, ob sie straucheln sollte. Sie verwarf schließlich den Gedanken und schnappte nach der Kaffeemühle.
Samuel ließ Wasser auf den Rotweinfleck rinnen. „Wo haben Sie die ergattert?“
„Flohmarkt!“, gab sie zurück, befüllte die Mühle mit Kaffeebohnen, tänzelte zum Bett, setzte sich, klemmte die Kaffeemühle zwischen ihre Schenkel. Sie drehte an deren Kurbel, versuchte, erotisch mit ihrem Becken zu schwenken.
Mit der Professionalität einer Putzfrau ergriff er den Schwamm, wandte sich ihrem Kleid zu und drückte ihn auf den Fleck. Sie hatte bisher nie einen Mann gesehen, der mit solcher Hingabe reinigte.
„Wichtig ist Tupfen, nicht reiben.“

Sie erhob sich und schritt auf ihn zu. „Ansichtssache“, gab sie ihm zu verstehen, dachte dabei nicht an das, mit dem er sich beschäftigte. Sie füllte den gemahlenen Kaffee in den Filter und goss auf.
„Melina, haben Sie Essig?“
„Nein.“
„Weißwein?“
Sie schob sich an ihm vorbei. Bedacht dabei, ihn sacht zu berühren. Sie öffnete den Kühlschrank und hielt ihm ein Tetra-Pack entgegen.
„Was ist das?“
Das linke Auge zugekniffen, musterte sie die Packung. „Weißwein.“
Samuel beugte sich vor, schnupperte und rümpfte seine Nase. „Das ist Essig. Geben sie her.“
Er träufelte, den Wein auf den Rest des Fleckes und tupfte. Woraufhin sie ihm die Packung entriss, sich ein Glas schnappte, den Wein einschenkte, einen kräftigen Schluck sich gönnte. Angeber, dachte sie sich. Der Wein schmeckte nach Wein. Wenngleich sein Gesichtsausdruck ihr etwas anderes einreden wollte.
„Mit ein paar Löffel Zucker trinkbar. Der Kaffee ist durch. Wollen wir auf den Balkon?“
„Dass Sie erneut frieren?“
„Ich nehme mir eine Decke.“

Eine Porzellantasse gefasst, saß Samuel auf einem ihrer Rattansessel und starrte, wie es ihr schien, über die erleuchteten Häuser von Tel Aviv. Er starrte, als wagte er nicht, seinen Blick zu wenden, er sich nicht erlaubte, sie anzusehen. Am Wein, den sie mit ein paar Löffeln Zucker veredelt hatte, lag es bestimmt nicht. Sie saß im Schneidersitz ihm gegenüber, mit einer Decke über den Schultern auf ihren Sessel. Von ihm einzig getrennt von ihrem wadenhohen Balkontisch und präsentierte nicht nur ihren Tanga, sondern gleichzeitig ein Spiel ihrer Finger unter dessen Stoff.
„Samuel, wollen Sie mir noch ein wenig von sich erzählen?“
„Bitte.“
Ihr Smartphone klackte, als sie dieses auf den Tisch legte, ihn anblinzelte und weiter spielte.

Vor meinen Abiturprüfungen erhielt ich einen Brief. Es war nicht der Brief, den ich erwartete. Die anderen Jungen meines Jahrganges hatten diesen bereits erhalten. Ich las nicht meine Einberufung zur Volksarmee, sondern eine Einladung zum MfS. Ministerium für Staatssicherheit oder Stasi wie sie im Volksmund hieß. Einladung war nett umschrieben. Es war eher eine Vorladung.
Mit mulmigen Gefühlen kam ich der Vorladung nach. Ich muss dazu sagen, dass jeder, sogar überzeugte Parteigänger, zum MfS eher eine gewisse Distanz pflegten. Obwohl ich es kannte. Gunnars Vater war beim MfS.
Sie kamen gleich zur Sache. Ich hätte die Wahl, unterbreiteten sie mir, entweder Volksarmee mit anschließender Lehre zum Maurer oder die Ausmusterung und Studium an der Charité.
Ich muss ihnen erklären, dass es in der DDR üblich war, Kinder von Akademikerfamilien eine handwerkliche Ausbildung nahezulegen.
Meine Mutter wollte immer, dass ich Arzt werde. Sie meinte, egal was passiert, Ärzte benötige man immer. Ich hatte eigentlich angestrebt, Staats- und Rechtswissenschaft zu studieren.
Da hatte ich die Auswahl zwischen Pest und Cholera. Ich nahm das Medizinstudium an und die Verpflichtung beim MfS in kauf.
Mein Freund Gunnar hatte es besser getroffen. Er durfte in Potsdam studieren, nachdem er zwei Jahre nach mir das Abitur abgelegt sowie bei der Volksarmee gedient hatte.

Ich war alles andere als ein Musterstudent, konnte dieses aber mit meiner Parteiarbeit kompensieren. Die Prüfungen nach dem ersten Semester schaffte ich teilweise erst nach einem zweiten Anlauf. Dann brach die Welt über mir zusammen.
Ich kam aus einer Vorlesung, als zwei Herren in Trenchcoat mich zwischen sich nahmen. Das ist echt kein Witz, wie in einem schlechten Agentenfilm. Sie forderten mich auf, ihnen zu folgen. Eine Wahl hatte ich nicht. Einer der beiden ergriff meinen rechten Arm, drückte diesen an meinen Rücken und schob mich vor sich her.
Ein paar Minuten später saß ich in einem Moskwitsch. Ohne ein Wort von sich zu geben, fuhren sie mich nach Potsdam und warfen mich auf der Glienicker Brücke aus dem Wagen. Vorher hatten sie mich gebeten, ihnen meinen Ausweis zu überreichen. Dem schnitt der eine der beiden die rechte obere Ecke ab und schleuderte diesen mir an den Kopf.

Ich hatte mich nicht einmal aufgerichtet, da schnappten mich die nächsten zwei Typen. Wiederum in einem Trenchcoat gehüllt, einzig mit dem Unterschied, dass sie Sonnenbrillen trugen. Sie begrüßten mich im freien Deutschland. Ein paar Wimpernschläge vorher war ich im freien Deutschland gewesen.
Sie führten mich von der Brückenmitte auf die andere Seite, begleiteten mich zu einem Mercedes, in den sie mich baten, mich zu setzen.

Es war so anders, alles, was ich sah, war so anders. Es war weder so, wie ich es im imperialistischen Fernsehen gesehen, geschweige noch wie es die Parteifreunde oder meine Eltern es mir berichtet hatten. Keine Obdachlosen lagen zwischen den Trümmerwüsten und bettelten nach Brot. Es war irgendwie normal. Menschen eilten auf den Bürgersteigen an Häuserfronten vorbei, die unseren Plattenbauten ähnelten. Dafür konnte ich keine bunte Lichterwelt erblicken. Es war hell draußen, trotzdem hätte ich etwas sehen müssen. Es war irgendwie normal.
Nach etwa einer halben Stunde hielten wir. Ich kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Vom Weiten hatte ich es bereits erblickt, jedoch derart nah.



Eingesperrt im Paradies

Es war für ihn wie ein Déjà-vu. Nur mit dem Unterschied, dass der Schweiß nicht das Nachthemd an seinen Rücken klebte und nicht die Finsternis ihm Angst bereitete, sondern das Wasser, das ihm in seine Pumps drang. Seit Jahren war der Traum aus Fridolins Schlaf gewichen. In dieser Situation hatte er einen Weg gefunden, wieder seinen Schlaf zu trüben.
Wie es ihm gelungen war, überhaupt in dieser Lage die Augen zu schließen, verwunderte ihn. Die Tatsache, dass es geschehen war, verriet ihm die Sonne. Auf den Beckenwänden, welche vor Sekunden im Dunkel lagen, huschten Schatten.
Er war gealtert, der Traum nicht.

Jannette hatte ihn gewarnt, ermahnt, nicht zu ihren Dienststunden zu erscheinen. Dieser Teil schien ihm die einzig reale Stelle in seinem Traum zu sein. Logik! Sie hatte ihn nicht gewarnt, gebeten. Wenn sie ihren Diensten nachkam, dann wären ihre Gespräche von Arbeit unterlegt. Es sei denn, er stünde auf Abwaschen oder Kloputzer, in diesem Fall könne er sie gern besuchen, hatte sie ihm, dabei lächelnd, erklärt. Damit war für ihn die Sache erledigt. Im Traum war es anders. Es war ein Traum. In vielen Träumen tat man etwas Verbotenes.

Er fand sie nicht, schlich durchs Internat, strich durch die Gärten. Dem Aufgeben nahe, erblickte er sie auf einem Feld. Sie jätete Unkraut. Er schritt auf sie zu.
War in ihrem Blick Trauer oder in seiner Seele Wut? Die Antwort zu geben, war er nicht imstande. Jedenfalls erleichterten ihm ihre Worte, dass er nicht reden solle. Dafür drückte sie ihm eine Hacke in die Hand und sie jäteten gemeinsam das Kraut. Die Sonne brannte. Der Staub des Feldes legte sich auf ihre Kleider, dämpften deren Farben.
Die Stimme einer Frau erklang, kalt, klirrend. „Antreten!“, rief sie. Sie schulterten die Harken, wie Soldaten ihr Gewehr, traten in Dreierreihe an. Im Stechschritt marschierten sie auf einen Platz zu. Nachdem sie diesen erreicht hatten, reihten sie sich ein. Ein Meer von Mädchen, alle in Uniformen, die eher an Trachten von westafrikanischen Marktfrauen erinnerten, als denen von Soldaten, blickte auf eine Tribüne. Die Bühne, überspannt von einem Blechdach, war bis auf ein Rednerpult leer. Ein Mann erschien, als käme er direkt aus dem Untergrund. Er trug ein Kleid, einen Blazer darüber, welcher in der Farbgestaltung dem Kleid, seinem Kleid nahestand. Das Gesicht gen Himmel gewandt, griff er an das Pult. Ohne Hilfe von Technik schmetterte er seine Worte über die Mädchenschar. Er sprach über Wurzel, die niemand vergessen solle, über Früchte, die zu ernten wären, den Kampf, das Blut, welches vergossen würde.
Die Wolken zogen zusammen, färbten sich grau, bis Regen aus ihnen fiel. Am Anfang warm, angenehm, wandelte dieser sich in frostigen Niederschlag, der die Kleider, die Haare der Mädchen sowie seins durchdrang. Der Sturzregen prasselte auf das mit Löchern übersäte Blechdach, plätscherte auf die Bühne. Der Redner, der ohne Pause weiter seine Stimme erhob, traf er nicht. Einzig ein Mädchen, das an dessen Seite stand, tränkte das Wasser. Er erkannte sie, kannte ihr Gesicht. Es war seins. Die Szene zerplatze wie eine Seifenblase, verschwand wie die Tropfen, die in die Pfützen vor seinen Füßen eindrangen.
Erde klebte an seinen Fingern. Die Knie schoben seinen Körper voran. Er wandte sein Gesicht der Stimme zu. Er sah nackte Beine, ein Rocksaum, ein Mädchen, welches mit einer Peitsche fuchtelte, ihn anschrie. Mit aufgesetztem Bajonett marschierten sie in Formation, schossen im Takt ihrer Herzen.
Die Bilder überschlugen sich. Exerzierplatz, Klassenräume, Küche, Garten, die Szene wechselten, bis der Mann mit dem farbenfrohen Blazer, dessen Gesicht im Nebel des Traumes steckte, vor ihm stand. Er hob seinen Arm, ein Messer in seiner Hand, dessen Klinge funkelte.

Dann wachte Fridolin immer auf. Der Traum war eine Collage. Ein Werk aus Hass und Angst gebildet. Sein Hass zum Faschismus gepaart mit der Angst vor einem Krieg, mit der Furcht enttarnt zu werden. Bilder aus Wochenschauen der Nazis verwoben sich mit den Eindrücken, die er beim Bundesheer gesammelte hatte. Einzig, was dieses Internat damit zu schaffen hatte, wusste er nicht. Die Stunden, die er dort mit Jannette verbracht hatte, waren, mit der Ausnahme des letzten Tages, weder mit Hass noch durch Angst gezeichnet.

Am Abend vor dem vorletzten Tag seiner Ferien hatte Jannette ihn gebeten, zum Frühstück zu erscheinen. Er empfand keine Scham, als Mädchen verkleidet das Frühstück einzunehmen. Zu Abend hatten sie oft gemeinsam gegessen. Er fiel nicht auf. Weshalb? Jannette hatte ihm erklärt, dass es Mädchen gäbe, die, wie er, nur ein paar Tage oder Wochen blieben, dann verschwanden.

Er schlich sich, wie an den anderen Tagen zuvor, ins Internat ein, reihte sich in eine Gruppe ein, die eine ältere Schülerin führte, und betrat den Speisesaal. Die Mädchengruppe löste sich auf. Er sah sich um, bis er Jannette erblickte, die ihn heranwinkte. Zwei weitere Mädchen saßen mit ihr an einem Tisch.
Sie stand auf und führte ihn zum Buffet. Nachdem sie ihre Teller beladen hatten, kehrten sie zurück und setzten sich.
Sie stellte ihm die Mädchen vor. Ihre Namen hatte er vergessen. Allein, dass eine Schülerin nur einen Arm besaß, die Haut des anderen schokoladenbraun war, und ihr kurzes, tiefschwarzes Haar sich kringelte, war verwurzelt in seiner Erinnerung.
Als Jannette seinen Namen verriet, stieg Scham in ihm auf. Sie berichtete ihm, als könne sie ihn damit beruhigen, dass die beiden Mädchen ihre einzigen Freundinnen seien, sie die anderen eingeweiht hätten und die drei seine Hilfe benötigten. Ein Botanikreferat stünde auf ihrem Plan und er, wie sie wusste, brillierte in diesem Fach.
Sie machten sich auf den Weg zum Englischen Garten, setzten sich ins Gras und die beiden Mädchen nahmen ihre Blöcke, Stifte bei Hand und überreichten ihm desgleichen.
Was er dann erlebte, presste sich tief in seine Seele ein. Kein Zank, kein derber Spruch durchdrang die Runde. Keine spielte die Anführerin, sie alle drei waren gleichen Rangs. Jede ließ die andere aussprechen. Wenn eine Antwort auf eine Frage abstrus war, lachten die anderen nicht. Das kannte er nicht. Wenn er in seiner Schule in Gruppen arbeitete, war ein Junge der Anführer. Er befahl, wohin die Reise ging.

Sie flanierten gemeinsam zum Mittag, unterhielten sich, verschmolzen förmlich zu einer. Allerdings behielten die beiden die Schrecken, die sie erlebt hatten, für sich, wie er die seinen. Sie lobten das Internat, die Lehrer, die sie hart herannahmen. Die Aussicht darauf, dass sie mit Bildung gestärkt in ihre Heimat zurückkehrten, um ihr Volk auf den rechten Weg zu bringen, verzückte sie, verzückte ihn.
Nach dem Abendessen gingen sie in Jannettes Zimmer. Es war kaum größer als ein Hundezwinger. Ein Bett, ein Schrank, ein Schreibtisch, ein Stuhl mehr befand sich nicht in diesem. Jannette besaß, wie sie ihm erzählte, das einzige Einzelzimmer. Sie waren ungestört.
Die Zeit verging wie im Fluge. Die Sonne versank hinter dem Horizont. Er sprang auf, rannte aus dem Zimmer, eilte die Treppe herab. Er war zu spät, die Eingänge waren verriegelt. Eine Lehrerin harschte ihn an, sie solle ins Bett gehen. Den Kopf gesenkt, schritt er zurück in ihr Zimmer. Er machte sich keine Sorgen darüber, dass jemand ihn auf dem Reiterhof vermisste. Manch eine Nacht schlief er im Stall. Es war die Pein, die ihn quälte. Jannette beruhigte ihn. Gleich am frühen Morgen könne er gehen. Sie übergab ihm eines ihrer Nachthemden, er zog es über und sie legten sich Seite an Seite in ihr Bett.

Ein Schrei holte ihn aus einem unruhigen Schlaf. ‚Aufstehen‘, erklang es erneut. Sie standen auf. Jannette gab ihm einen Rock, eine Bluse, mit der Begründung, sein Kleid hätte ein Fleck. Sie zogen sich an, verharrten an der Zimmertür, bis der Befehl zum Antreten erschallte. An der Jannettes Zimmer gegenüberliegenden Wand stellten sich alle Mädchen auf. Ein Mädchen aus den oberen Klassen schritt entlang, begutachtete jede Schülerin. Bei ihm angekommen, blieb sie stehen, musterte ihn. Sein Herz hörte auf zu schlagen. Sie schrie ihn an, ob sie sich nicht anziehen können, drückte ihren Finger auf den obersten Knopf seiner Bluse. Mit zitternden Fingern quetsche er den Übeltäter in das Loch.
Im Gänsemarsch schritten sie die Treppen herab, verließen das Haus und traten auf einem Platz vor der Villa an. Sie sangen ein Lied und ein Mädchen hisste die Fahne. In Dreierreihen marschierten sie gen Park. Vor einer Biegung an einem Gebüsch drückte ihn ein Mädchen in dasselbe.
Er sah sich ein letztes Mal um, betrachtete die Mädchen, die in geschlossener Formation weiter marschierten, musterte jedes Gesicht. Allerdings Jannette erblickte er nicht, als gehöre sie nicht dazu. Er rannte.



Secret Service

Andreas Bouranis Stimme schallte aus einem Radio. Tanja stellte ihren Wasserkocher an, holte eine Tasse aus dem Küchenschrank, erfasste einen Löffel. „Auf den Moment, der immer bleibt“, schrie sie dem Löffel entgegen.
Ein Schlag, ein Knall ließ sie zusammenzucken. Sie wandte sich der Küchentür zu. „Aishe!“

Das Herz blieb ihr beinahe stehen. Vor zehn Minuten lag sie eng umschlungen mit Vale im Bett. Nicht allein dies, er hatte ihr zum Abschied eine weitere Gabe seiner Manneskraft geschenkt, bevor er sich angezogen, die Wohnung verlassen hatte.
Vale war zwar nicht mehr der Jüngste, trotzdem hatte er die Kondition, Tanja dachte an Pepe, eines Zwanzigjährigen. Ihr Körper bebte nach, als verweilte er weiterhin in ihr und stimulierte sie. Es war rar, selten, fast nie, aber manchmal fand sogar er die richtige Stelle.
„Ich dachte, du bist im Krankenhaus.“
„War ich. Ich konnte die ganze Nacht nicht schlafen.“
Aishe rollte zum Küchentisch, tippte gegen zwei Gläser und umfasste eine Sektflasche. „Ich sehe, du ebenso.“
Tanja leckte über ihre Oberlippe. „Ai …“
„Lass es“, harschte sie Aishe an. „Ich habe nichts dagegen, aber bitte nicht in unserer Wohnung. Du hast es mir versprochen“, entrüstete sie sich und betrachtete das Etikett der Flasche. „Oh! Alkoholfrei. Fridolins Sorte.“

Tanja verfluchte Vale, verflucht sich selbst. Vale trank keinen Alkohol. Einzig von einer Kellerei besorgte er sich ein paar Flaschen. Die einzige Plürre, die nach Sekt schmecke, gab er ihr zu verstehen.
„Von der letzten Feier übrig geblieben.“
„Ach so.“
Aishe gesellte die Flasche zu den anderen, die unter dem Küchentisch ruhten. „Du musst das Altglas wegbringen.“
„Tee?“
„Kamille. Und zieh dir etwas über!“
„Wieso?“ Tanja schritt zum Küchenfenster. „Ich glaube nicht, dass jemand vom Hof hier herein glotzt.“
„Ich mag es nicht. Das reicht!“
„Aber du?“
„Wenn es dir nicht entgangen ist, ich sitze meistens und habe obenherum was an.“
„Prüde bist du.“
„Ich bin so erzogen.“
„Sind alle Österreicher prüde?“
„Was weiß ich.“
„Bist du nach Hause gekommen, um mich zu ertappen? Ich beziehe das Bett frisch.“
„Darum geht es mir nicht. Ich mache mir Sorgen.“
„Um mich?“
„Quatsch! Um Antonia.“
Tanja drehte sich eine Locke. „Antonia?“
„Eher um Fridolin.“
Die Lippen gepresst, tippte sich Tanja an ihre Schläfe. „Hast du mir nicht gesagt, er saß unschuldig. Nun hat er seine Freiheit wieder.“
„Unschuldig des Mordes und der Entführung von Stephanie oder wie sie in Wirklichkeit heißt, aber Schuld an der Entführung von Alina und Antonia.“
„Auf einmal! Soweit ich weiß hat Fridolin Alina zu dieser Scheune gebracht, damit sie von Joss abgeholt wird, und war mit Antonia und Tami zur Kapelle gefahren, weil er sich mit Vale treffen wollte.“
„Warum hat er dann nicht Alina mit zur Kapelle genommen?“
Tanja zuckte mit den Achseln. „Woher soll ich das Wissen?“
„Ich sage es dir. Er glaubte oder muss glauben, dass Alina van Düwens Enkelkind ist.“
„Du spinnst.“
„Das spielt keine Rolle. Jedenfalls hat Joos ein Bekennerschreiben bekommen. Alina sollte gegen eine Million in Rohdiamanten ausgetauscht werden. Die Diamanten sind weg. Zumindest konnte er Alina retten.“
Tanja holte eine zweite Tasse aus dem Schrank, hing in diese sowie in ihre einen Teebeutel und goss kochendes Wasser ein. „Was hat Fridolin damit zu schaffen?“
„Was wohl? Er hat das Schreiben aufgesetzt.“
„Dann fährt er gemütlich nach Belgien und bringt die Mädchen zur Kapelle?“
„Nein! Er hatte sie an der Scheune überwältigt. Wir haben es so hingedreht, dass es passt. Antonia erinnert sich an nichts mehr und Tami ist alt genug. Außerdem wurden sie vor Gericht nicht als Zeugen gehört. Wir waren die ganze Zeit dran.“ Aishe schlug auf die Armlehne ihres Rollstuhls. „Erst befreite dieser Wouters und Joos die Mädchen, dann …“
„Wer ist ‚wir‘ und welche Mädchen?“
„Die Mädchen sollten verkauft werden und ‚wir‘ ist das BKA.“
„BKA?“
„Bundeskriminalamt.“
„Ich bin nicht blöd.“
„Setze dich endlich hin!“
Tanja setzte sich auf einen Küchenstuhl und starrte Aishe.
„Du sagtest ‚wir‘.“
„Ich arbeite beim BKA.“
Tanja nickte. „Ja! Ja! James Bond geht mit dir essen. Aishe wache auf. Du bist für die EDV bei der Polizei in Passau zuständig.“
„Ich habe dir schon einmal alles erklärt. Erinnerst du dich nicht. Im Ferienhaus am IJsselmeer?“
„Keinen blassen Schimmer. Bloß, was hat dieses, wenn es von dir kein Hirngespinst ist, mit Antonia zu schaffen.“
„Wir hatten durch einen Informanten herausgefunden, dass ein Mädchen nach England verbracht werden sollte. Preis: eine halbe Million in Rohdiamanten. Kapierst!“
„Das ist ja grauenhaft.“ Tanja grinste. „Ich erkenne dich nicht wieder. Da machst du mit?“, wobei ihre Stimme ein Entsetzen ausdrückte, denn sie glaubte ihr kein Wort. Allerdings faszinierte sie, wie sie diese Mär erzählte. Irgendwie machte es sie an, geilte sie auf. Ein Gefühl, welches ihr sogleich Angst bereitete.
„Beruf ist Beruf!“
„Weswegen?“
„Um einen Mädchenhändlerring auffliegen zu lassen.“

Tanja stellte Aishes Tasse vor ihr auf dem Küchentisch ab und kicherte. „Ja James, dafür schaut ihr zu, wie irgendwelche Ganoven ahnungslose Mädchen verkaufen.“
„Was glaubst du, wer wir sind?“, wetterte Aishe. „Wir hätten sie befreit, bevor sie verteilt würden.“
„Natürlich, klar, logisch. Der Secret Service hätte es gerichtet. Aishe schau nicht immer so viele Krimis.“
„Der Secret Service war soweit ich weiß informiert, aber es wäre meine Aufgabe gewesen.“
Tanja wuschelte durch Aishes Haar. „Als Lara Croft die Mädchen zu befreien.“
„Mache dich nicht lustig. Es ist mein Ernst.“ Aishe erfasste ihre Tasse. „Ich sollte mit eingeschifft werden, dann den Kollegen mitteilen, wo wir versteckt sind. Das war zumindest Plan A.“
„Plan B?“
„Gab es nicht. Ich habe mich freiwillig gemeldet.“ Aishe blies über ihren Tee. „Dann würde ich jetzt mit Sicherheit in London an einem Straßenstrich stehen und mit dem Arsch wackeln.“ Sie grinste. „Zumindest könnte ich laufen.“
„Wenn deine Geschichte stimmt, dann übertreibst du jetzt.“
„Du bist naiv. Wer in der Zwangsprostitution ist, kommt da nie wieder raus. Kollateralschaden halt!“ Aishe gähnte. „Können wir uns im Schlafzimmer weiter unterhalten, wenn du nichts dagegen hast. Ich möchte mich hinlegen.“ Sie stütze sich auf und zog ihr Gesäß herauf. „Ich sitze schon lang genug.“



Wellnessoase

Tanja stürmte in Franziskas Küche und legte eine Papprolle auf den rustikalen, aus knorriger Eiche geschreinerten, Esstisch.
Die Hände an ihrer Schürze abtrocknend, wandte sich Franziska um. „Tä?“
Sie hatte zwar keine Lust auf Tee, aber die Höflichkeit ihr gegenüber zwang sie. Denn Franzi zum Feind zu haben, war für sie alles andere als hilfreich und wer ihren Tee, der grausig schmeckte, ablehnte, war nicht ihr Freund.
„Gerne.“
Franziska ging zum Samowar, füllte zwei Teegläser, ergriff diese und schritt zum Tisch. Sie stellte die Gläser ab, deutete sodann auf die Papprolle. „Was hast du mitgebracht?“
Tanja schnappte sich die Rolle, zog den Deckel ab und pulte den Inhalt heraus. „Die Pläne.“
„Welche Pläne?“
Tanja schob die Gläser zur Seite und breitete das Papier aus. „Vom Umbau des Dorfkrugs.“ Sie tippte auf ein Rechteck. „Aus der alten Schwimmhalle machen wir eine Wellnessoase mit Saunen“, sie fuhr um das Rechteck herum, „und Liegewiesen.“ Ihr Finger glitt herab. „Der alte Anbau bekommt eine Kernsanierung. Zwischen dem und der Halle kommt ein Neubau mit fünfzig Zimmern mit allen Drum und Dran.“
Franziska setzte sich auf die Bank und ergriff Tanjas Hände. „Kind, wer soll das den bezahlen.“
„Aishe!“
„Aishe?“
Tanja setzte sich und blickte Franziska an. „Aishe nicht direkt! Von Fridolin bekommt sie es. Wenn sie geschieden ist, bekommt sie alles. Er braucht sein Geld nicht mehr.“

Sie drehte sich eine Locke. Offen war sie nicht zu Aishe. Sie nutzte sie aus, versprach ihr die Ehe. Die Zeit war gekommen, an sich selbst zu denken. Ein paar Jahre der Lesbe die treue Gattin vorzuspielen, für sie kein Problem. Wenn das Hotel auf vollen Touren lief, Aishe und den Miteigentümerinnen das Geld zurückzuzahlen, danach für sie gewiss ein Klacks. Sie hatte sogar das Gefühl, wenn sie sich von ihren Trieben leiten ließ, es ihr nichts ausmachte mit Aishe ... sie schüttelte sich, grinste. Schnee von gestern, dieser Gedanke war für sie nicht mehr abwegig, absurd, grauenvoll.
Was ein Augenblick, ein Wimpernschlag, alles ändern kann. Das Aishe nicht müde war, hatte sie geahnt. Kaum hatte sie ihr ins Bett geholfen, fing Aishe an, sie zu befummeln, schob sich zwischen ihre Beine, brachte das zu Ende, was Vale begonnen hatte. Mit zitternden Lippen küsste sie Aishe, schmeckte allerdings nicht sie, sondern Vale. Sie ahnte es nicht nur, sondern wusste es, trotzdem hatte es Aishe getan.
Es übermannte sie. Das Verlangen schlug auf sie auf, wie eine Welle, die nach tagelanger, monatelanger Reise übers Meer auf einen unbekannten Strand schmetterte. Sie spreizte Aishes Beine, legte die Lippen an. Sie schmeckte, roch sie, wie … die Erinnerung war blass, blass wie die Erinnerungen an eine durchzechte Nacht. Trotzdem.
Ob es damals in dem Ferienhaus für sie das erste Mal gewesen war, dass sie mit einer Frau intim, oder sie bereits erfahren war, wusste sie nicht. Allerdings den Drang, den sie zwischen Aishes Schenkel verspürte, verspürte sie gleichfalls damals. Es war ein Spiel, in welches sie ihre Lust getrieben hatte.
Josephine hatte sie an einen Stuhl gefesselt. Und sie? Sie wollte, dass Josephine über sie herfiel, ihr die Kleider vom Leib riss, sich an ihr verging.
Sie redeten, redeten wirres, banales Zeug, bis Josephine den Stuhl umstieß, sich den Slip auszog, sich auf ihr Gesicht hockte. Ihre Vulva lockte sie. Sie vermochte sich nicht mehr zu mäßigen. Dabei befahl ihr Gehirn, ihre Vernunft, dass es falsch war, unsittlich, abscheulich, dennoch konnte sie sich nicht mehr bremsen.
Josephine stimulierte sie gleichfalls. Bis? Bis ihr die Sinne schwanden. Sie liebte sie. Sie, Tanja liebte eine Frau, an die sie sich nicht nur verschwommen erinnerte. Gleichzeitig vernahm sie tief in ihrem Innern eine Stimme, dass sie etwas Verbotenes getan hatte. Allerdings hörte sie keine mahnenden Worte, während sie Aishe befriedigte. Ganz im Gegenteil, es erfreute sie, Aishe zu beglücken. Ihr Stöhnen, ihr Jauchzen, trieb sie sogar weiter an, sodass sie bei sich selbst Hand anlegte. Sie vereint auf dem Gipfel der Freude ankamen. Nein! Sie hatte nichts Verbotenes getan, jedenfalls nicht mit Aishe, trotzdem liebte sie Aishe nicht.

Franziska zog die Augenbrauen zusammen, schwang ihren Kopf von rechts nach links und flüsterte, als wäre sie der Pate höchstselbst: „Fridolin ist ausgerissen.“
Tanja winkte ab. „Das ist das kleinste Problem.“
Ihr Teeglas gepackt, lehnte sich Franziska vor. „Ich mache mir Sorgen.“
„Um was?“
„Das ihm auf der Flucht etwas zustößt. Er einen Unfall hat. Vielleicht“, sie bedeckte ihren Mund, „nicht mehr unter uns weilt.“
„Besser!“
„Bitte!“
„Wenn er tot ist, erbt Aishe.“
Die Option war ihr bereits in den Sinn gekommen. Es wäre für alle die beste Lösung.
Franziska schlug auf die Tischplatte. „Solche Gedanken möchte ich in meinem Hause nicht wissen.“
Tanja beugte sich zu ihr. „Wer hat einen Menschen ermordet?“
„Es war ein Indizienprozess.“
„Ohne Deut! Dass er Antonia entführt hat, hat er zugegeben.“
„Sie hat ihm verziehen.“

Ein Riss ging durch Tanjas Seele. Einmal hatte sie mit ihm im Knast gesprochen. Er hatte sie um Vergebung gebeten. Dass er nicht Acht auf Antonia gegeben hätte. Die Kinder nicht vor Josephine beschützt hätte. Er bereute, aber nie in seinem Leben könnte er einen Menschen verletzten. Die Reue eines Mörders, der die Tat verdrängte und anderen die Schuld zuwies, war ihr Urteil. Dennoch je weiter die Zeit ins Land zog, schwankte sie. War er die Bestie oder das Opfer? Die Suche nach der Antwort peinigte sie zwar nicht, trotzdem verlangte irgendwer in ihrem Innern, sie zu ergründen. Wenngleich sie ihn nicht kannte, er ein Fremder war, obwohl er das Gegenteil behauptete.
„Auge um Auge, Zahn um Zahn“, drangen ihr über die Lippen, ohne dieses zu denken.
Franziska wandte sich ab. „Begründe deine Taten nicht mit dem Alten Testament. Barmherzigkeit ist das Einzige, was zählt.“
„Entschuldige. Ich weiß manchmal nicht, was ich sage. Du musst mir helfen.“
„Wieso ich?“
„Sprich mit Vale, damit ich den Zuschlag bekomme. Ich habe bereits eine Menge investiert.“
„Du bittest mich, mit Vale zu sprechen.“ Franziska stand auf, hob ihre Arme an, als wolle sie ihr drohen, jedoch anstatt etwas zu sagen, pausierte sie, nahm ihre Arme wieder hinab und lächelte. „Der macht sowieso, was er will.“
Tanja zog erneut die Augenbrauen zusammen. Waren dieses die Worte einer Eifersüchtigen? Wusste sie von dem Verhältnis? Verhältnis? Das Wort hallte in ihrem Gehirn wider. Es war eine Krux. Opfer zu bringen, hatte sie gelernt. Bis zu welchem Grad Aishe ihr jede Nacht mit einem Mann verzieh, war eins, aber eine Dreiecksbeziehung außerhalb jeder Realität. Beziehung, erneut ein Unwort. Die Ehe mit Aishe einzugehen, aber die Nächte mit Vale zu teilen, konnte sie sich vorstellen. Was würde Aishe dazu sagen? Nein! Vale war für sie nur Mittel zum Zweck. Nein! Nicht mal mehr dieses, denn sie hatte Aishe.

Franziska schloss die Augen und nickte. „Ich werde tun, was ich kann.“ Sie strich über Tanjas Wange. „Es wird alles gut.“ Dann klatschte sie, ergriff ihren Rock und schwang diesen. „So jetzt ziehe dich um, wir wollen in die Kirch.“
„Wieso?“
„Willst etwa in deinen Hotpants vor den Pfarrer treten?“
Tanja rollte die Unterlagen zusammen und steckte sie in die Papprolle. „In die Kirche komme ich nicht mit. Keine Zeit. Ich muss ins Hotel.“
Franziska schüttelte den Kopf. „Kind, du arbeitest zu viel.“
Tanja blinzelte ihr zu. „Von wem ich das wohl geerbt habe?“



Im siebten Himmel

Es war die schönste Nacht, die sie je erlebt hatte. Alle Konventionen, all ihre Scham hatten sie über Bord geworfen. Antonia strich über ihre Lippen, spürte die seinen, als wäre es vor Sekunden gewesen. Sein Atem strömte erneut über ihr Gesicht. Seine Zunge spielte weiter mit der ihren. Seine feuchten Beine glitten über ihre Schenkel.
Sie zog sich das T-Shirt über den Kopf, schob den Rock von der Taille, bis dieser hinabglitt. Die Augen geschlossen, stützte sie sich auf dem Waschbecken ab, beugte sich vor, bis ihre Nasenspitze den Badezimmerspiegel berührte.
Mit Bedacht öffnete sie ihre Lider und neigte den Kopf derart weit zurück, dass sie ihr Antlitz vollends im Spiegel sah. Es war nicht ihr Gesicht, das sie wahrnahm. Es war das Gesicht der jungen Frau, welche sie bereits im französischen Restaurant erblickt hatte. Damals, als die Welt noch in Ordnung, nicht aus ihren Fugen geraten war, sie mit Bärbel ihren Geburtstag gefeiert hatte. An dem Tag, als Bärbels Chef an sie herantrat, ihr einen Handkuss gab und sie erneut mit Antonia verschmolz.
Sie erinnerte sich an jedes Wort vom Admiral, an jeden Atemzug, jeden Wimpernschlag, jeden Augenblick.
Bärbel hatte ihr unterbreitet, dass sie für einen Tag Antonia Tütken sein sollte. Die Geburtsurkunde hatte sie ihr vorgelegt.
In diesem Moment, als sie das Antlitz der jungen Frau sah, erkannte sie, dass es Bärbel nur um eins ging. Macht und Geld waren ihre Triebfedern. Liebe und Zuneigung einzig vorgespielt.

Der Türflügel der Badezimmertür schlug gegen die Wand, woraufhin Antonia sich ein Handtuch schnappte, dieses sich vor die Brust hielt und sich umwandte. „Kannst nicht anklopfen?“
„Seit wann klopfe ich an?“
Sie legte das Handtuch ab und zischte: „Hätte jemand anders sein können.“
Alina schloss die Tür, trat auf sie zu. „Erwartest du wen?“
„Du scheinbar?“
„Wieso?“
„Du siehst aus wie eine alte Frau, die ihren Liebhaber erwartet hat. Der Admiral trug solche Dinger.“
„Warum nennst du eigentliche deine tote Mutter immer Admiral?“
„Habe ich dir schon hundertmal verklickert.“
„Tanja träg auch welche.“
„Aber nicht derart lang, das geht dir über die Knie.“
Alina strich durch ihr Haar. „Ich bin eben eine sittsame Frau. Wir dürfen die Männer am Anfang nicht zu sehr reizen. Wo warst du eigentlich?“
„Kurz draußen.“
Alina stellte einen Beutel neben der Dusche ab, schlüpfte aus ihrem seidigen Nachthemd und wiederholte mit einem Unterton, den Antonia an ihr hasste: „Kurz draußen.“ Sie erhob ihre Nase. „Ich habe gar nicht gemerkt, dass du ins Bett gekommen bist. Du hättest mein neues Nachthemd gesehen.“
„Ich habe auf der Luftmatratze geratzt, wollte dich nicht stören.“
„Dann hast du gleich nach dem Aufstehen dein Bett gemacht.“ Alina fasste an ihren Slip, beugte sich vor und zischte. „Du?“
„Ich habe draußen geknackt.“
„Allein.“ Sie warf ihren Slip ins Waschbecken und kicherte. „Nein. Bestimmt mit de Erwin?“
„Erwin?“
„De Bua von de aus de Ziegenstaal.“
Antonie lehnte sich vor und zupfte an ihren Augenbrauen, als ginge sie Alinas Gefasel nichts an. „Der heißt Erwin?“
„Hast gestern am Pool mit ihm geflirtet. Na ja, für mich ist er nichts. Viel zu jung und sogar auf dem Rücken hat der Pickel.“
„Ich bin eben nett zu euren Gästen.“
„Ich glaub’s nicht“, zeterte Alina, während sie an Antonias Slip zupfte.
„Dass ich nett bin?“
Alina ballte eine Faust. „Du hast mich hintergangen. Tust immer auf Anstand und dann schnackselst du mit diesem Pickelface Erwin.“
„Wie kommst du auf diesen Bullshit?“
„Dein Slip ist auf links.“
„War pinkeln.“
„Ich ziehe mir meinen Slip nicht aus, wenn ich struller.“
„Ist mir hinuntergerutscht.“
„Wer’s glaubt, ist selig. Gib es zu. Mir ist es wurst, ob du mit einem Jungen ...“
„Ich bin nicht einmal sechzehn.“
„Was hat es damit zu tun? Bloß, dass ich jetzt die letzte Jungfrau bin. Das verzeihe ich dir nicht.“
Antonia ahnte, wohin die Reise ging. Alina fühlte sich manchmal als Außenseiter. Sie sagte es ihr zwar nie, dennoch verstand sie ihre beste Freundin auch ohne Worte.
Alina war die Jüngste in ihrem Jahrgang, die einzige Stipendiatin und zu allem Überfluss die Beste, obwohl sie in der Unterstufe einen Jahrgang übersprungen hatte. Nicht einmal Antonia konnte ihr das Wasser reichen, obwohl sie in ihrer Jahrgangsstufe der Primus war. Sie musste sich zum ersten Mal in ihren Schulleben mit Platz zwei begnügen.
„Letzte?“
„Anstatt immer mit den Typen vom Segeln abzuhängen, solltest du dich lieber informieren, die Lage checken. Mit denen hast du wohl auch schon?“
Antonia zupfte sich an ihrem Ohrläppchen. Wie hasste sie dieses Getratsche der Weiber aus ihrer Schule. Ihre Gespräche kreisten nur um Mode, Kosmetik und Jungen. Dieses pubertäre Gehabe kotzte sie an, obwohl sie ein wenig Neid empfand.
„Du spinnst.“
„Mir egal. Die paar Tage halte ich durch.“
„Tage?“
Alina umschlang Antonias Taille. „Wo bin ich in ein paar Tagen für eine Woche? Wer wohnt in der Nähe und hat Geburtstag? Wer hat mich eingeladen und mir gesagt, ich könne über Nacht bleiben? Jetzt bist platt.“

Antonia wusste sofort, wen sie meinte. Sie erinnerte sich an den Tag an dem sie Hindrik das erste Mal gesehen hatte. Viel Kontakt hatte sie nicht mit den Oberstufenschülern. Dabei war sie selbst in der Oberstufe, soweit sie das österreichische Schulsystem verstand. Aber in ihrem Internat war es irgendwie anders. Der Gedanke daran, dass sie nach den Ferien in die Zehnte kam, grauste ihr. Nicht die Bildung, die ihr dann angedeiht wurde, um in den Snack von der Möllerheim zu bleiben. Sie revidierte sich, als könne die Direktorin ihre Gedanken lesen, Freifrau Gräfin Margarethe von Möllerheim. So viel Zeit muss sein. Dabei gab es in Österreich keine Adelstitel. Die Möllerheim sah dies anders. Keinem Österreicher erlaubte sie, ihr dieses angeborene Recht streitig zu machen.
Antonia lernte gerne. Die Umstände, in die sie sich zwängen musste, verdarben ihr den Spaß. Dass die Jungen sich in Anzüge zwängten, konnte sie verkraften. Allerdings, dass die Mädchen, die jungen Damen, wie die Möllerheim sie titulierte, den Unterricht in Kostüm oder Etuikleid genießen mussten, ging ihr gegen den Strich. Dabei hatte sie sich mit Ach und Krach an ihre Schuluniform gewöhnt. Im Sommer hatte sie kein Problem, damit in Rock herumzulaufen, jedoch im Winter? Den Arsch hatte sie sich abgefroren, da half nicht einmal eine Strumpfhose. Die Möllerheim lebte im falschen Jahrhundert. Ihre Rede, die sie sicherlich jedes Jahr den Schülern angedeihte, dabei war dieses nicht einmal richtiges Deutsch, sprach für Antonia Bände.
Sitte und Anstand sind für Führungskräfte und dies noch mehr für ihre späteren Damen das Aushängeschild für eine Gesellschaft.
Als wären Frauen nur ein Anhängsel.
Bei Bremer Knipp geschah es. Der Internatskoch hatte sie eingeladen. Der war, wie sie, ein waschechter Fischkopf. En bietje Snack bi Grützwurst und Braadkartuffels sollten ihr Heimweh lindern, wie er meinte. Da saß er, schaufelte wie ein alter Fahrensmann seine Bratkartoffeln in seine Schnute und snackte mit dem Koch. Dessen Grützwurst war die Beste, die sie jemals gegessen hatte. Und sie? Sie stocherte im Essen herum und brachte vor lauter Stottern keinen vernünftigen Satz zustande. Ein Vorteil hatte es für sie. Hindrik lud sie zur Nachhilfe in Plattdeutsch ein. Dabei war ihr Platt bei Weitem besser als seins. Sie nahm die Einladung an. Sie trafen sich regelmäßig - heimlich versteht sich.

Bei ihrem dritten Treffen hatte er für sie eine Überraschung parat. Sie dachte an ein Picknick im Grünen, lieh sich von Alina ein Sommerkleid sowie passendes Schuhwerk aus. An ihrem Treffpunkt erzählte er ihr, er hätte einen Freund, der wäre in der Segelgruppe und dieser hätte ihn den Schlüssel zum Bootssteg gegeben. Von Hindrik hatte sie überhaupt erst erfahren, dass es im Internat eine Segelgruppe gab. Sie hatte sich, wie es sich für ein Mädchen gehört, ihrem zweitliebsten Hobby, Ballett, zugewandt.
Wie es sich für ein schüchternes Mädchen ziemte, gestand sie ihm, dass sie nie zuvor in einem Segelboot gesessen hätte. Sie setzte sich an die Backbordseite, soweit ihr dieses bei einem Optimisten gelang. Er war ein lausiger Segler. Mitten auf dem See fragte sie ihn, ob sie auch einmal steuern dürfte. Er spreizte seine Beine, sodass sie sich an ihn schmiegen konnte. Sie ergriff die Pinne und er ihre Hand. Dann spürte sie seine Lippen auf der Schulter, dem Hals, zuerst zart, schüchtern, später heftiger, inniger. Seine Finger glitten über ihr Knie, über ihren Oberschenkel, schoben den Saum ihres Kleides herauf. Wie dumm sie war. Männer dachten immerfort nur an das eine. Anstatt es damals zu erahnen, ihn von sich zu drücken, wandte sie sich ihm zu und küsste ihn. Seitdem waren sie ein Paar.
Natürlich klärte sie ihn darüber auf, dass sie bereits einen Freund hatte. Er hätte kein Problem damit, verlangte jedoch von ihr, gegenüber Matthias mit offenen Karten zu spielen oder sich zu entscheiden. Weder das eine noch das andere vermochte sie. Matthias würde dies nicht verstehen und all jenes, was sie bei ihm erreicht hatte, den Bach herunterfließen.
Sie schob, redete sich aus. Wie gut, dass sie es nicht getan hatte. Matthias wäre verzweifelt. Und sie? Sie hätte sich Hindrik uneingeschränkt ausgeliefert. Männer waren Schweine und logen. Sie hörte seine Worte: „Alina läuft hinter mir her.“
Der will nur eins, dich ins Bett bekommen, um dich dann wie ein vollgekotztes T-Shirt wegzuschmeißen, grübelte sie. Aber diese Suppe würde sie ihm versalzen.

Tami und Alina waren nicht nur ihre besten Freundinnen, gleichfalls ihre einzigen. Zumindest hatte sie damit einhundert Prozent mehr, als in ihrem früheren Leben. Sonja. Es verging kein Tag, an dem sie nicht an Sonja dachte. Sie kannten sich schon immer. Das letzte Jahr, bevor sie sich trennten, gingen sie sogar in eine Klasse, Sonja war mal wieder hängengeblieben und dies war in Bremen eine Glanzleistung. Sie dachte sofort an Swetlana Jurjewna Sacharow, Schwanensee. Sie schmunzelte. Sonjas dämliches Gesicht sowie das zustimmende Nicken von Herrn Neumann, Sonjas Vaters, als sie diesem in ihrem marineblauen Abendkleid entgegenschritt, verzückte sie weiterhin. Natürlich war Sonjas Mutter als ehemalige Primaballerina und Antonias Privatballettlehrerin mit von der Partie gewesen. Wenn Antonia bloß wüsste, wie es ihr ging. Dutzende von Briefen hatte sie ihr geschrieben, die, bis auf die ersten, nach Monaten gleich einem Bumerang mit der Aufschrift „Unbekannt verzogen“ zu ihr zurückkehrten.


„Du bist nicht einmal vierzehn und er ist fast achtzehn.“
„Ist das ein Grund? Nur, weil du schon fast sechzehn bist, tust du so.“ Alina löste die Umklammerung, schlug sich an ihre Stirn. „Jetzt kapiere ich es. Du hast es auf ihn abgesehen.“ Sie drohte. „Aber daraus wird nichts. Der Hindrik gehört mir. Mir!“
Antonia wandte sich ihr zu, berührte ihre Schulter. „Jetzt komm mal runter. Ich habe nichts mit meinen Kumpels“, sie biss auf ihre Unterlippe, „Hindrik noch diesem Erwin.“
„Du lügst, nur weil du keinen abbekommst.“ Sie hob ihre Brüste. „Hast nicht einmal richtige Titten.“
Es gab für Antonia Themen, da verlor sie ihre hanseatische Zurückhaltung.
„Natürlich habe ich einen Freund, nur ich drücke dieses niemanden auf die Augen.“
„Wen? Erzähl. Wen?“
Es kam aus ihr heraus, wie eine Welle, die, man bei einer Halse nicht beachtete, über Deck schlug.
„Matthias.“

Es erschien ihr, als friere Alina ein. Dann riss sie ihre Augen auf, deutete mit ihrem Zeigefinger auf die Badezimmertür, somit auf die Tür von Matthias‘ Reich.
„Dieser Matthias. Dieser ehemalige Nazi, der meist im Schweinestall ist und danach stinkt?“
Antonia zupfte an ihrem Ohrläppchen. Mit dem ehemaligen Nazi hatte sie recht, zumindest hatte er seine extremen Ansichten abgelegt. Dagegen mit dem Stinken übertrieb sie es. Er roch manchmal streng, dem war so. Für sie war es eher Landluft. Diese hatte sie damals auch nicht abgekonnt, jedoch dann … aber, dass er sich meist im Schweinestall aufhielt, war definitiv falsch. Er besuchte jeden Tag, dieses öfters, die Ziegen, Kühe, Schafe, Hühner, Kaninchen und natürlich die Pferde, die ihm am meisten am Herzen lagen.
„Ja.“
„Ich krieg mich nicht ein. Seit wann geht das mit euch schon?“
„Seit Tanjas Hochzeit.“
„Ich puder die Läuse, grad mal gesehen und zack. Echt krass. Dass der Hias mir‘s nicht steckt, klaro, aber du. Ich dachte, du bist mei best Freundin.“
„Aber?“
„Jetzt schnall ich’s, warum er im letzten Jahr andauernd im Internat aufschlug: Deinetwegen. Ich dachte …“
„Nein. Ich schwöre deinetwegen. Nebenbei …“
„Dann in die Kiste.“
„Nein. Wir …“
Alina griente, legte den Arm um sie und flüsterte: „Wie ist er denn im Bett?“
„Weiß ich doch nicht.“
Alina zog ihr rechtes unteres Lid herab. „Pinkeln?“
„Wir waren ausreiten und dann haben wir in der Scheune geschlafen.“
„Sag ich es, ihr habt miteinander geschlafen.“
„Nicht miteinander geschlafen, sondern nur geschlafen.“ Antonia suchte nach dem passenden Wort. „Genächtigt. Ich war wirklich pinkeln. Es war dunkel und ich wollte mir nicht in die Büx pullern.“
Es war zwar nicht gelogen, entsprach dennoch nicht ganz der Wahrheit.
Austreten war sie, jedoch ihren Slip brauchte sie nicht hinunterzuziehen. Sie war nackt. Ihren Slip hatte ihr zuvor Matthias ausgezogen. Es war himmlisch. Nackt im Stroh zu liegen, zu kuscheln, sich zu küssen und die Sterne zu betrachten, dessen Licht durch das kaputte Dach fiel.
Alina stieß sie an. „Ey Alte, da hast einen Typen am Harken und was machst du? Strullern.“
Sie öffnete die Tür der Duschkabine, stellte das Wasser an, während Antonia sich vollständig entkleidete.
„Kannst du an etwas anders denken?“
Alina walkte ihren Mund, derweil sie in die Dusche stieg. „Ja. An das schicke blaue Kleid, dass mit dem weiten Ausschnitt, das wir in Linz bewundert haben.“
„Du! Mal ehrlich. Sex ist kein Kleid. Liebe, Zuneigung zählt. Einem Menschen alles zu schenken, sich ihm hinzugeben. Aber nicht mit dem Körper. Mach mal Platz.“ Sie gesellte sich an Alinas Rücken. „Mit jemandem zu kuscheln, ihn zu küssen ja, aber … gib‘st mir das Shampoo.“
„Flieder, Apfel oder Nachttraum. Ich mag am liebsten Nachttraum.“
„Dann gib mir Nachttraum. Aber, was weitergeht? Ich weiß nicht. Wenn ich mir vorstelle, so ein Typ steckt sein Ding in mich hinein. Boa ey, das stinkt!“
„Du musst jo ned dei Nase dro hoidn.“
„Gib mir Apfel!“
„Dann seif vorher meinen Rücken ein.“
„Wir sind jung, haben das ganze Leben vor uns. Irgendwann, wenn wir wissen, dass es der Richtige ist, dann ... aber vorher.“
„Weiter masturbieren?“
„Das eine hat nichts mit dem andern zu schaffen.“
Alina wandte sich um, streckte ihre Arme nach oben, während Antonia sie weiterhin einseifte.
„Entschuldige.“
„Wofür?“
„Dass ich dir gesagt habe, dass ich einen größeren Busen habe.“
„Hast du.“ Antonia schmunzelte. „Können ja mal tauschen. Nein, ehrlich. Höre nicht darauf, was diese Trinen von unserer Schule schnattern. Alles heiße Luft. Die snacken viel, wenn de Dag lang ist. Höre auf dein Herz.“
Alina umschlang Antonias Hals und küsste sie.



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Hallo Ahorn,

der Fridolin geht auf die nächste Etappe.

Vales Geschichte, dass Tanja seine Schwester, zumindest Halbschwester war Komma lag im Rahmen des Möglichen.
In diesem Augenblick, fast ein Jahr später Komma realisierte sich ihr Verdacht.
... von der Empfängnis zu schwanen Passt das in diesen Zusammenhang? Ich würde eher 'ahnen' schreiben ...
... wenn Mutterliebe stärker kein Komma als der Glaube war.
Stephen, Franziskas leiblicher Sohn Komma verstarb in jungen Jahren.
... aber Klara war ein Nichts.
Fridolin schloss seine Augen, sang :DWen hat er denn besungen? sank zusammen.
Zu fliehen
kein Komma war am Anfang Fridolins Ziel ...
... war dieses Ziel nichts mehr
wert.
... bis seine Finger Fridolin
s Mund berührten.

Liebe Grüße,
Rainer Zufall
 

ahorn

Mitglied
Hallo Rainer Zufall,

der Fridolin dankt für den Gesang, obwohl es bereits einem anderen Vogel aufgefallen ist. Nee molly ;) - bitte nicht hauen:rolleyes:.

Passt das in diesen Zusammenhang? Ich würde eher 'ahnen' schreiben ...
Seit etwa zwei Jahren liegt das Kapitel in meiner Schublade und, du glaubst es kaum, erst vor einer Woche habe ich aus 'ahnen' 'schwanen' gemacht.
Warum? Fridolin zuliebe.
Der Typ ist, dieses musste ich irgendwann feststellen, extrem empathisch, empathisch bis zur Selbstaufgabe. Der denkt nicht über eine Nonne, der ist sie. Was tut eine Nonne, wenn sie schwanger ist? Ahnt sie oder schwant ihr nicht etwas?

Liebe Grüße
Ahorn
 
Hallo Ahorn,

gewiss, Dein Fridolin ist ein ulkiges Kerlchen. So gesehen passt eine derart blumige Sprache. Die Nonne indes müsste es ahnen, denn es war gewiss keine unbefleckte Empfängnis, aber ihr schwant dann natürlich nichts Gutes ... o_O

Liebe Grüße,
Rainer Zufall
 
Hallo Ahorn,

Zwischenstopp ...

Mann Komma Aishe. Hast du keine Ahnung?
Na Komma Kapitän.
Aishe klopfte auf den Tischen.
Woher soll ich das wissen?
Wie hat sie sich verhalten?
Wie kommst du darauf?
... dass sie mehr Angst vor uns, als vor ihm hatte.
Ommos Freunde sind Komma wie du Komma alles Lämmer.
Nicht, wie du denkst, aber kein Komma das, was er ...
Wenn du wüsstest?
... wie soll man den kein Komma sonst bezeichnen?
Was ist in dir dich gefahren?
Nee Komma Vale, der war dort.
Gerade du kein Komma müsstest es wissen.
Klickerst Klickert's bei dir?
Du meinst, der alte Herr hat seinen Enkel ...
"Sei mal still Punkt"
Mann Komma Igor, musst du andauernd alles wiederholen?
Sie wurde Komma soweit ich es weiß Komma in einem ...
"Aber nicht die neue." kein Zeilenumbruch Sie zog ihren Kopf zurück und kniff ein Auge zu. "Ich soll ...
... brachial ohne Erbarmen.

Oh, oh, dieser Igor ist ja ein zwielichtiger Typ. Aber Aishe hat es auch faustdicke, ja?

Liebe Grüße,
Rainer Zufall
 

ahorn

Mitglied
Hallo Rainer Zufall,

dank der Worte ;) .

Du meinst, der alte Herr hat sein Enkelkind/sohn;)

Warum zwielichtiger, faustdicke? Meine Protagonisten sind eben alle wie du und ich. :rolleyes:

Liebe Grüße
Ahorn
 
Hallo Ahorn,

okay, mit 'Enkelkind' funktioniert es, aber bei Enkelsohn muss es trotzdem 'seinen' heißen.

Wie Du und ich? Hmm. Okay, in die Köpfe kann man niemandem schauen ...

Liebe Grüße,
Rainer Zufall
 
Hallo Ahorn,

und sie reiten in den Sonnenuntergang ... Was für ein klischeebehaftetes Bild. ;)

... stellte das Glas auf dem Nachtisch ab ... Was gab es denn? Pudding? Ein zweites 't' wäre ratsam ... ;)
Du machst dichir über Sachen Gedanken.
Um mich brauchst du dir kein Komma wirklich keine Sorgen zu machen? Punkt
Sie verdrehte die Augen und dachte Doppelpunkt Männer.
... presste seinen Rücken gegen die Matratze.
Sie stieß ihm ihr Knie in die Rippen.
... euren Mädchenkram erledigt.
... bevor sie ihm „wer“ zuhauchte hauchen.
Sie zuckte mit den Achseln Punkt „Da fragst du die Falsche.“
... vor gut einer Stunde kein Komma hast du mich noch angemacht ...
... der Matratze abgestützt Komma hob sie mit dem Zeigefinger der Linken den Bund von seiner Shorts samt Unterhose.
Wenn sie sich es vorstellte, so ein Ding würde … überkam ihr sie Ekel.
... nachdem sie ihn angegrinst hatte ...
... während sie auf Sultans Rücken tippte ...
... auf Cindy Komma seiner Apfelschimmelstute ...
Es gab Tage, die nicht die ihren kein Komma waren.
Wie erbaulich wäre es Komma beide zu vereinen, einen neuen Menschen zu erschaffen Fragezeichen

Liebe Grüße,
Rainer Zufall
 

ahorn

Mitglied
Danke Rainer Zufall,

Was für ein klischeebehaftetes Bild
Ja, Ja.:)
Es ist mal so, wenn die Geschichte weitergeht, derselbe Hauptprotagonist am Start ist und dieser dieselben Hobbys pflegt wie zuvor.
Aber, dass sie jetzt anstatt Krimis, Piratengeschichten oder von mir aus Kochrezepte, Handarbeitsanleitungen der Tante, zu lesen, auf Liebesromane steht, dafür kann ich nichts.
Wer kann schon in den Kopf eines pubertierenden Mädchens sehen. :rolleyes:

Liebe Grüße
Ahorn
 
Hallo Ahorn,

was ist dieser Valentin doch für ein fieser Kerl ...

Unberührt des Zerrens Komma drehte sich Valentin, bis er ...
Ihr kein Komma es zu beichten Komma mehr als grenzwertig, immerhin ...
Wenn sie mit Aishe kuschelte, fühllte sie sich geborgen ...
... seinen schlanken Komma dennoch athletischen Körper genoss.
... im Hotelfourieryer des ‚bayrischen Hofs‘ ...
Seine zu einem Zopf geflochtenen Haare ...
Sie wandte ihr Gesicht kein Komma der mit Spiegeln behängten Wand zu ...
Sie öffnete die Augen, sah Komma wie jedes Mal die Schweißperlen aus seiner Stirn drangen/quollen.
... die Zunge hing ihm aus dem Mund ...
... ihren, von ihm erwarteten (wenn, dann müsste das 2. Komma hierhin, aber ich könnte in diesem Fall auch ganz ohne die Kommata leben) Schrei, auszuspeien ...
Seine Wange auf dem Kopfkissen Komma blinzelte er sie an.
Wozu Fragezeichen Ich bleib die Nacht.
... auf den rosafarbigen, mit Kunstleder bespannten Hocker ...
„Bist du der stellvertretende Kreisvorsitzende deiner Partei und Bürgermeister oder nicht?
... während sie sich zu ihm umwandte ...
... das Viertel in Passau bringt eine Menge Kies.
... zerrte, mit der Linken ihr Haar ergriffen Komma ihren Kopf kein Komma zur Seite.
... während sie versuchte Komma seinem Druck auszuweichen, ihren Kopf zum Fenster zu drehten.
Der Geliebten auf dem eigenen Hof eine Bleibe schaffen.

Ah, da war noch der Biss aus der Überschrift ... ;)

Liebe Grüße,
Rainer Zufall
 

ahorn

Mitglied
Hallo Rainer Zufall,



wie immer danke für deine Korrekturen. :)

was ist dieser Valentin doch für ein fieser Kerl
Ja, das siehst du so, das sehe ich gleichfalls.
Wir sind zwar im 21. Jahrhundert, trotzdem ist er Durchschnitt, eben ein ganz normaler Macho.
Ich kommentiere wohl ungern meine eigenen Texte, jedoch in diesem Fall werde ich es machen.
Interessanter ist Tanja.
Sie lässt zwar alles über sich ergehen, dennoch hat sie ein Motiv, weshalb sie es erträgt. Sie will etwas von Valentin. Sein Geld. Warum? Sie will raus, kann aber nicht, denn sie fühlt sich verantwortlich für Aishe, fühlt sich verantwortlich für ihre Lähmung. Um dieses zu wissen, muss man sicher den ersten Band gelesen haben, aber keine Angst, die Brücke wird noch geschlagen. ;)
Trotz alledem wehrt sie sich.

Liebe Grüße
Ahorn
 
Hallo Ahorn,

„Wichtig ist Tupfen, nicht reiben.“ Entweder beides Groß oder beides Klein, verdammt, jetzt hast Du mich erwischt ...:oops: Ich würde sagen: Klein.
Bedacht dabei Komma ihn sacht zu berühren.
„Dass Sie erneut frieren?
... über die erleuchteten Häuser von Tel Aviv.
Ihr Smartphones klackte ...

Das war es schon. :)

Liebe Grüße,
Rainer Zufall
 

ahorn

Mitglied
Hallo Rainer Zufall,
Danke. ;)

Ich würde sagen: Klein.
:cool:
Wer oder was ist wichtig? Du kennst die Antwort.

Den Satz habe ich so wiedergegeben, wie es Samuel gesagt hat, wie er ihn betont, wie er die Interpunktion gesprochen hat, daran liegt der Witz.
Verbalkommunikation!
Der Sender meint etwas anders als der Empfänger. Mehrdeutigkeit des gesprochenen Wortes. Wir lieben es, weil wir faul sind, zu verkürzen.
Eindeutiger wäre es gewesen, wenn er „Beim Reinigen von Stoff ist es wichtig, dass man tupft, nicht reibt“ gesagt hätte. Da er aber davon ausging, dass Milena sich genauso interessiert, sie seine Gedanken lesen kann, hat er verkürzt. Für Milena ist aber nicht das Kleid das Objekt, sondern Samuel, daher interpretiert sie den Satz anders, wandelt ihn ab, bloß nicht in der Weise wie Samuel vermutete. Woher auch!
„Wichtig ist: tupfen, nicht reiben.“
„Ansichtssache.“ :p

Liebe Grüße
Ahorn
 
Hallo Ahorn,

Die Stimme einer Frau erklang, kalt, klirrend Punkt "Antreten!", rief sie. Sie schulterten die Harken Komma wie Soldaten ihr Gewehr, traten ...
Zu Abend hatten sie oft gemeinsam gegessen.
Jannette hatte ihm erklärt, dass es Mädchen gäbe, die Komma wie er Komma nur ein paar Tage ...
Er schlich sich, wie an den anderen Tagen zuvor Komma ins Internat ein, reihte sich in eine Gruppe ein, die eine ältere Schülerin führte Komma und betrat den Speisesaal.
... dass die beiden Mädchen ihre einzigen Freundinnen seien, sie die anderen ...
Allerdings behielten die beiden die Schrecken, die sie erlebt hatten Komma für sich, wie er die seinen.
Jannette beruhigte ihn Punkt Gleich am frühen Morgen kein Komma könne er gehen. Sie übergab ihm eines von ihren ihrer Nachthemden ...
Ein Schrei holte ihn aus einem unruhigen Schlaf.
... mit der Begründung Komma sein Kleid hätte einen Fleck.

Der Fridolin ist ja echt 'ne arme Socke. Eine Nacht allein in einem Mädcheninternat ... ;)

Liebe Grüße,
Rainer Zufall
 

ahorn

Mitglied
Hallo Rainer Zufall,

ich danke dir wie immer für deine 'h', Punkte und Komma. :)
Natürlich gleichfalls für den Rest.
Allerdings bereitet mir ein Wort in deinen letzten Satz sorge. Kennst du langsam zu gut meine Art des Schreibens, dass du auf meine kleinen, fiesen, literarischen Tricks nicht mehr hineinfällst.
Jedoch bedenke, im „Flucht über die Nordsee“ steht es:
Fridolin war vor seiner Inhaftierung im Beirat des Internats. Wird in einem späteren Kapitel aufgewärmt. :cool:
Außerdem, wie passt seine Erinnerung zu den Aussagen seiner Frau Aishe?
Leider gibt es dazu in „Flucht über die Nordsee“ nur spärliche Hinweise, jedenfalls in der Fassung, die ich in die Leselupe gestellt habe. Man weiß ja nie und ein Kopist reicht mir. :mad:

Liebe Grüße
Ahorn
 
Hallo Ahorn,

natürlich habe mich so langsam an Deine gelegentlich sehr verschraubte Art des Schreibens gewöhnt, auch, dass man bei Dir häufig zwischen den Zeilen lesen muss. Manchmal ist es allerdings so klein, dass man es nur mit der (Lese)lupe erkennt. Dennoch weiß ich jetzt nicht, welches meiner Worte Dir nun Sorge bereitet.
Zu meiner Schande muss ich ja gestehen, dass ich die "Flucht über die Nordsee" nicht gelesen habe. Dafür fehlt mir als Langsamleser einfach die Zeit.
Das mit dem Kopist ist echt eine Schande. Aber genau aus diesem Grund habe ich meinen Kommissar Zufall in meinem Buch nicht im Präsens übernommen. Außerdem sind da ja Episoden drin, die es hier nicht zu lesen gab.

Liebe Grüße,
Rainer Zufall
 



 
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