Susifahni
Mitglied
Vor einigen Jahren nahm ich an einem Humorseminar teil. Ein Satz der mir davon besonders in Erinnerung blieb ist: „ Blamiere dich täglich!“ Und die erste Assoziation dazu ist meine Mutter. Sie ist, glaube ich, die Weltmeisterin in der Disziplin „peinliche Geschichten“.
Letzte Woche saß ich am Esstisch in ihrer Küche, wie immer wenn ich sie besuche. Sie war gerade damit beschäftigt Wasser in die Filterkaffeemaschine zu gießen, als sie ganz nebenbei erwähnte:
„ Ich glaube, ich muss mir einen neuen Zahnarzt suchen“.
Ich war ziemlich erstaunt. Schließlich ist meine Mutter nicht der Typ der Veränderungen schätzt. Besonders was Ärzte betrifft, habe ich noch nie erlebt, dass sie von sich aus einen Wechsel angestrebt hatte. Ein Arztwechsel wurde nur vorgenommen, wenn der jeweilige Arzt wegzog, in Pension ging oder gar verstorben war.
Gespannt fragte ich sie, was denn Schreckliches passiert sei, dass sie den Zahnarzt wechseln wollte. Denn es musste schon etwas Bedeutsames sein.
„ Das kann ich dir unmöglich erzählen“, zierte sich meine Mutter.
„Na komm schon, jetzt hast du mich neugierig gemacht“, versuchte ich sie zu überreden.
Nach einigem Hin und Her konnte ich ihr die Geschichte entlocken.
Seit einigen Tagen plagten sie leichte Zahnschmerzen. Sie hasste Zahnarztbesuche und zögerte eine Behandlung immer so lange wie möglich hinaus. Aber schließlich überwog das Pochen in ihrem Mund ihre Abneigung und widerwillig machte sie sich auf den Weg. Die Ordination lag nur 10 Minuten zu Fuß entfernt.
Eigentlich wollte sie vorerst nur einen Termin ausmachen, aber Schmerzpatienten haben Vorrang und sie wurde sofort aufgefordert Platz zu nehmen. Die 5 Minuten Wartezeit erschienen ihr wie eine Ewigkeit.
Schon allein der Geruch des Desinfektionsmittels, der alle anderen Gerüche dominierte verursachte meiner Mutter Übelkeit. Aber dann drang auch noch dieser hohe singende Ton eines in Aktion befindlichen Bohrers in ihr Ohr. Sie sprang auf in der Absicht, diese Stätte zu verlassen, als die Assistentin erschien.
„Folgen sie mir“, sagte sie in bestimmtem Ton.
Die Sorge davor, eventuell unhöflich wirken zu können war stärker als ihr Fluchttrieb, also folgte sie der jungen Frau nach Nebenan. Der Raum wurde dominiert von dem riesigen Behandlungsstuhl. Eine Geste bedeutete ihr, sich auf das Monstrum zu setzen. Meine Mutter ist nicht allzu groß und sie hatte einige Schwierigkeiten hinaufzukommen.
Gerade als sie eine halbwegs angenehme Position eingenommen hatte erschien der Arzt in der Tür. Zur Begrüßung nickte er nur kurz mit dem Kopf und setzte sich auf seinen Rollhocker. Wie immer umgab ihn eine Wolke Nikotin. Er zog sich seinen Mund-Nasenschutz hinauf. Ein weiteres Nicken wurde richtig erkannt und meine Mutter öffnete den Mund.
„Schmerzen?“
„Ja“
„ Hier?“
„ Ja“.
Beide waren keine Freunde großer Worte und so genügte dieser kurze Austausch für den Arzt um mit seiner Arbeit zu beginnen.
Routiniert griff er nach dem Bohrer, während die Assistentin von der anderen Seite den Speichelsauger in ihren Mundwinkel schob. Sofort erklang das unheilvolle Singen des gefürchteten Instruments und meiner Mutter standen die Haare zu Berge. Jeder Muskel in ihrem Körper war bis aufs äußerste gespannt und Schweiß drang aus allen Poren. Das plötzliche Vibrieren, als der Bohrer den Zahn berührte ließ meine Mutter verzweifelt nach Halt suchen. Aber trotz der riesigen Dimension des Stuhles suchte sie vergebens nach Armlehnen.
Schließlich bekam sie mit ihrer linken Hand den Kittel der jungen Frau zu fassen. Währenddessen ruderte die rechte Hand weiter unkontrolliert durch die Luft. Endlich traf sie auf Widerstand und krallte augenblicklich ihre Finger darum.
Dann passierten viele Dinge fast zeitgleich. Der Zahnarzt gab ein schmerzerfülltes Schnauben von sich und riss im selben Moment den Bohrer aus dem Mund meiner Mutter. Der Assistentin entfuhr ein Glucksen und danach war sie krampfhaft bemüht weitere Lautäußerungen zu unterdrücken. In den Augen meiner Mutter spiegelte sich Unverständnis ob der unerwarteten Unterbrechung. Bis der Zahnarzt nach einem tiefen Atemzug mit trockener Stimme sagte:
“ Sie können jetzt loslassen“.
Röte schoss meiner Mutter ins Gesicht. Hastig zog sie ihre Hand vom Schritt des Arztes.
Sie hätte sofort die Flucht ergriffen wäre nicht der Speichelsauger gewesen, der fröhlich weiter dieses ekelerregende schlürfende Geräusch verursachte. Nach einigen weiteren tiefen Atemzügen vollendete der Zahnarzt schweigend sein Werk.
Und in dem Moment, als er zum Zeichen, dass er fertig war die Latexhandschuhe von den Händen zog sprang meine Mutter leichtfüßig wie eine Gazelle vom Stuhl und verließ fluchtartig, ohne nach rechts oder links zu blicken den Ort ihrer Pein.
Sie setzte nie wieder einen Fuß in diese Praxis.
Letzte Woche saß ich am Esstisch in ihrer Küche, wie immer wenn ich sie besuche. Sie war gerade damit beschäftigt Wasser in die Filterkaffeemaschine zu gießen, als sie ganz nebenbei erwähnte:
„ Ich glaube, ich muss mir einen neuen Zahnarzt suchen“.
Ich war ziemlich erstaunt. Schließlich ist meine Mutter nicht der Typ der Veränderungen schätzt. Besonders was Ärzte betrifft, habe ich noch nie erlebt, dass sie von sich aus einen Wechsel angestrebt hatte. Ein Arztwechsel wurde nur vorgenommen, wenn der jeweilige Arzt wegzog, in Pension ging oder gar verstorben war.
Gespannt fragte ich sie, was denn Schreckliches passiert sei, dass sie den Zahnarzt wechseln wollte. Denn es musste schon etwas Bedeutsames sein.
„ Das kann ich dir unmöglich erzählen“, zierte sich meine Mutter.
„Na komm schon, jetzt hast du mich neugierig gemacht“, versuchte ich sie zu überreden.
Nach einigem Hin und Her konnte ich ihr die Geschichte entlocken.
Seit einigen Tagen plagten sie leichte Zahnschmerzen. Sie hasste Zahnarztbesuche und zögerte eine Behandlung immer so lange wie möglich hinaus. Aber schließlich überwog das Pochen in ihrem Mund ihre Abneigung und widerwillig machte sie sich auf den Weg. Die Ordination lag nur 10 Minuten zu Fuß entfernt.
Eigentlich wollte sie vorerst nur einen Termin ausmachen, aber Schmerzpatienten haben Vorrang und sie wurde sofort aufgefordert Platz zu nehmen. Die 5 Minuten Wartezeit erschienen ihr wie eine Ewigkeit.
Schon allein der Geruch des Desinfektionsmittels, der alle anderen Gerüche dominierte verursachte meiner Mutter Übelkeit. Aber dann drang auch noch dieser hohe singende Ton eines in Aktion befindlichen Bohrers in ihr Ohr. Sie sprang auf in der Absicht, diese Stätte zu verlassen, als die Assistentin erschien.
„Folgen sie mir“, sagte sie in bestimmtem Ton.
Die Sorge davor, eventuell unhöflich wirken zu können war stärker als ihr Fluchttrieb, also folgte sie der jungen Frau nach Nebenan. Der Raum wurde dominiert von dem riesigen Behandlungsstuhl. Eine Geste bedeutete ihr, sich auf das Monstrum zu setzen. Meine Mutter ist nicht allzu groß und sie hatte einige Schwierigkeiten hinaufzukommen.
Gerade als sie eine halbwegs angenehme Position eingenommen hatte erschien der Arzt in der Tür. Zur Begrüßung nickte er nur kurz mit dem Kopf und setzte sich auf seinen Rollhocker. Wie immer umgab ihn eine Wolke Nikotin. Er zog sich seinen Mund-Nasenschutz hinauf. Ein weiteres Nicken wurde richtig erkannt und meine Mutter öffnete den Mund.
„Schmerzen?“
„Ja“
„ Hier?“
„ Ja“.
Beide waren keine Freunde großer Worte und so genügte dieser kurze Austausch für den Arzt um mit seiner Arbeit zu beginnen.
Routiniert griff er nach dem Bohrer, während die Assistentin von der anderen Seite den Speichelsauger in ihren Mundwinkel schob. Sofort erklang das unheilvolle Singen des gefürchteten Instruments und meiner Mutter standen die Haare zu Berge. Jeder Muskel in ihrem Körper war bis aufs äußerste gespannt und Schweiß drang aus allen Poren. Das plötzliche Vibrieren, als der Bohrer den Zahn berührte ließ meine Mutter verzweifelt nach Halt suchen. Aber trotz der riesigen Dimension des Stuhles suchte sie vergebens nach Armlehnen.
Schließlich bekam sie mit ihrer linken Hand den Kittel der jungen Frau zu fassen. Währenddessen ruderte die rechte Hand weiter unkontrolliert durch die Luft. Endlich traf sie auf Widerstand und krallte augenblicklich ihre Finger darum.
Dann passierten viele Dinge fast zeitgleich. Der Zahnarzt gab ein schmerzerfülltes Schnauben von sich und riss im selben Moment den Bohrer aus dem Mund meiner Mutter. Der Assistentin entfuhr ein Glucksen und danach war sie krampfhaft bemüht weitere Lautäußerungen zu unterdrücken. In den Augen meiner Mutter spiegelte sich Unverständnis ob der unerwarteten Unterbrechung. Bis der Zahnarzt nach einem tiefen Atemzug mit trockener Stimme sagte:
“ Sie können jetzt loslassen“.
Röte schoss meiner Mutter ins Gesicht. Hastig zog sie ihre Hand vom Schritt des Arztes.
Sie hätte sofort die Flucht ergriffen wäre nicht der Speichelsauger gewesen, der fröhlich weiter dieses ekelerregende schlürfende Geräusch verursachte. Nach einigen weiteren tiefen Atemzügen vollendete der Zahnarzt schweigend sein Werk.
Und in dem Moment, als er zum Zeichen, dass er fertig war die Latexhandschuhe von den Händen zog sprang meine Mutter leichtfüßig wie eine Gazelle vom Stuhl und verließ fluchtartig, ohne nach rechts oder links zu blicken den Ort ihrer Pein.
Sie setzte nie wieder einen Fuß in diese Praxis.
Zuletzt bearbeitet: