Hallo Karl, über Deinen Besuch freue ich mich sehr. Das Thema scheint hier so einige anzufassen. Das merke ich immer wieder, wenn ich über diese Thematik ein Gedicht schreibe. Es ist ja nicht mein erstes. Ich schreibe gar nicht bewusst über das Thema; es kommt einfach so heraus. Natürlich wäre schön gewesen, wenn Dein Vater im Widerstand gewesen wäre. Aber dann hätte er vermutlich den Krieg nicht überlebt und wäre in irgend einem Konzentrationslager umgebracht worden. Mein Vater war zu jung, um Nazi zu sein. Er machte mit 17 das Notabitur und muss dann sofort in den Krieg und kam als 21-jähriger schwer verwundet und heimatlos (er ist in Schlesien geboren; Jahrgang 1926 und ist vor fast 8 Jahren verstorben) nach Gefangenschaft aus dem Krieg. Ich frage mich manchmal, wie ich mich zu dieser Zeit verhalten hätte. Hätte ich Widerstand geleistet? Oder hätte ich einfach nur den Kopf eingezogen? Ich weiß es nicht. Das hinge natürlich auch von der jeweiligen Lebenssituation ab. Dein Vater hat ganz offensichtlich den üblichen positiven Mist über Hitler erzählt. Aber das war ja auch eine Generation, die mehr oder minder umerzogen wurde. Meine 93-jährige Mutter kann heute noch all diese blöden Jubellieder auf Hitler auswendig singen. Ihr wurde das als Kind eingebläut; sie kannte gar nichts anderes. Sie war aber nicht im BDM, weil meine strenggläubigen Großeltern dies verhindert haben. Sie erzählt heute aber noch sehr anschaulich über die Reichspogromnacht in ihrer Heimatstadt. Allerdings war das nur gewissermaßen die Spitze des Eisberges. Sie erzählte mir, dass die Juden in ihrer Heimat schon lange davor wie Freiwild behandelt wurden. Ja, an dieser Scheiß-Zeit musste die nachfolgende Generation leiden, weil insbesondere unsere Väter schwer traumatisiert waren und es keinerlei Hilfe gab. In den Nachkriegsjahren hatten meine Eltern auch einfach keinen Bock, über die Nazizeit nachzudenken. Sie wollten einfach nur leben und waren glücklich, als die Theater wieder eröffneten. Wie ich bereits schrieb, habe ich nach Recherchen im Internet erfahren, dass viele aus meiner Generation die Problematik der schweigenden Väter erst jetzt aufarbeiten; zumeist nach deren Ableben. Ich wusste bis vor kurzem nicht, wie aktuell dieses Thema in unserer Generation immer noch ist und wahrscheinlich auch noch bleiben wird. Nur haben wir die Chance, die zumindest sekundären Erfahrungen des Krieges aufzuarbeiten. Allerdings war mein Vater nicht so ein ausgiebiger Schweiger. Er hat mich aus seiner Zeit in Ludwigsburg Akten lesen lassen. Ich war damals 17 und konnte mir diese Gräueltaten nicht einmal im Ansatz vorstellen. Dafür bin ich meinem Vater allerdings heute sehr dankbar. Zum Schluss seines Lebens hat er sich noch ein wenig geöffnet und mir einige Kriegserlebnisse erzählt. Da wurde mir zum 1. Mal bewusst, dass der Spruch von Helmut Kohl bezüglich der Gnade der späten Geburt mehr als zutreffend ist. Wie Du siehst, bewegt mich dieses Thema immer noch sehr. Ich habe aber all diese negativen Erfahrungen gut verarbeitet. Das geht aber bei Leibe nicht allen so. Herzliche Grüße von Oliver