Verflüchtigt

Das Bettlaken neben mir ist kühl. Ich greife nach dem Kissen, rieche daran. Ihr Duft hat sich verflüchtigt. Ich fahre mit den Fingern durchs Haar, streife Boxershorts über und taumle an Wäschebergen und leeren Flaschen vorbei in die Küche.

Tageslicht zwängt sich durch die Ritzen der Jalousie, blendet mich. Ich hole ein Pils aus dem Kühlschrank und öffne es am Wandflaschenöffner, den sie mir von einer Geschäftsreise mitgebracht hat. Der kleine Auffangbehälter quillt über, der Kronenkorken fällt herunter und kullert über das Linoleum. Ich kicke ihn zur Seite, nehme einen großen Schluck und setze mich an den Tisch.
Auf der Plastikdecke, neben den Tassen, aus denen wir Lambrusco trinken, liegen Fotos. So, wie Marianne sie ausgebreitet hat.
Wir stehen an der Reling und lächeln in die Kamera. Weiträumige Außenkabine, weiche Kingsize-Betten. Der Steward hat uns Champagner und Lachs in Weinsauce gebracht.
Auf den nächsten Fotos: Landgänge. Piccadilly Circus, ein Doppeldeckerbus, Champs-Élysées, wir beide vor dem Eiffelturm. Das letzte Foto zeigt uns Arm in Arm auf der obersten Besucherebene. Es ist scharf genug, ich sehe die feinen Fältchen um Augen und Mund.
Ich drehe das Bild um, trinke den Rest Bier und streiche über meinen Stoppelbart. Tatsächlich habe ich gedacht, das da oben sei der richtige Ort.

Die Tage danach verbrachten wir bei mir, standen nur auf, wenn wir ins Bad mussten oder der Lieferdienst schellte. Als sie weg war, mit Handtasche und Aktenkoffer, nahm ich den Bus in die Stadt und buchte eine Kurzreise nach Paris, Eintrittskarten für den Eiffelturm inklusive. Über das Wochenende, an dem sie Geburtstag hat. Nächstes Wochenende. Unterwegs lieh ich mir Geld bei Freunden und ging zum Juwelier. Während ich hin und weg war, kehrte sie zurück, reihte Bild an Bild und ließ den Zweitschlüssel meiner Wohnung ebenfalls da.

Ich öffne eine weitere Flasche, ziehe die Jalousie höher und blinzle durch die Lamellen. Dort, auf dem Bürgersteig, parkt sie ihren Mercedes, wenn sie mich zwischen ihren Terminen oder abends überrascht. Ich überlege, ob ich versuchen soll, sie anzurufen oder ihr eine weitere Nachricht schicke.
Nächstes Wochenende ist noch weit entfernt.
Mir bleibt nur Bier. Die Tickets und die kleine Schachtel mit dem Ring, die ich schon in meine Reisetasche gepackt habe.
 
G

Gelöschtes Mitglied 23262

Gast
Sorry, Franklin, ich blick`s einfach nicht. Hab`s mehrfach gelesen, aber ich steh auf´m Schlauch: Ist sie jetzt weg? Für immer? Oder doch nicht? Gibt es noch eine andere Frau? Was soll der Aktenkoffer? Die Fotos?

Wunderschöne Bilder zeichnest du, aber ich versteh trotzdem den Plot nicht. :(
Viele Grüße
Judith
 
Hallo PUCKPUCK,

ihr Duft hat sich verflüchtigt und sie auch... Den Aktenkoffer braucht man, wenn man auf Geschäftsreise geht.
Die beiden hatten wohl unterschiedliche Vorstellungen von ihrer Zukunft, so verstehe ich die Geschichte.

Hallo Franklyn,

ich finde die Geschichte gut gelungen, sie gibt dem Leser etwas zum Nachdenken. Ich gehe davon aus, dass sie den Ich-Erzähler verlassen hat. Allerdings passt der Satz „Nächstes Wochenende ist noch weit entfernt" dann nicht so ganz... Darüber grübele ich noch. Andererseits, die Überschrift nimmt es ja vorweg - dass sie weg ist.

LG SilberneDelfine
 
Guten Morgen, PUCKPUCK

danke für deinen Besuch.

Wunderschöne Bilder zeichnest du
Das freut mich sehr.

aber ich versteh trotzdem den Plot nicht. :(
SilberneDelfine hat dir darauf geantwortet. Ich hätte es nicht besser sagen können.
Sind damit deine Fragen beantwortet?


Hallo SilberneDelfine,

du treue Leserin und Kommentatorin ;-)

ich finde die Geschichte gut gelungen, sie gibt dem Leser etwas zum Nachdenken.
Vielen Dank dafür.

Ich gehe davon aus, dass sie den Ich-Erzähler verlassen hat. Allerdings passt der Satz „Nächstes Wochenende ist noch weit entfernt" dann nicht so ganz...
Ja, sie hat ihn verlassen.

Ich zitiere mal:
Nächstes Wochenende ist noch weit entfernt.
Mir bleibt nur Bier. Die Tickets und die kleine Schachtel mit dem Ring, die ich schon in meine Reisetasche gepackt habe.
Er sitzt quasi auf gepackten Koffern (bzw. auf der Reisetasche), hofft (immer noch), dass sie rechtzeitig vor der Reise wiederkommt.
Man kann davon ausgehen, dass er bis zum Nimmerleinstag warten kann.
"Unterschiedliche Vorstellungen von ihrer Zukunft" trifft es perfekt.

Danke schön für eure Kommentare.

Wünsche euch einen tollen Tag.
LG, Franklyn
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Mir ist das ein bisschen zu wenig an Ausschmückung.

Was ist passiert?

Sie ist einfach weg.

Natürlich kann und soll ein Text zum Nachdenken anregen, aber das ist mir ein bisschen dünn.

Mir fehlt eine echte Geschichte des Paares.

Ich verschiebe den Text daher zur Kurzprosa.

Gruß DS
 
G

Gelöschtes Mitglied 23262

Gast
Lieber Franklyn, dass DocSchneider die Geschichte zur Kurzprosa gepackt hat, paßt meiner Meinung.
Aber die Story hat einiges an Potential, finde ich.

Zur Geschichte des Paare: Wie haben sie sich kennengelernt? Die beiden kommen aus so unterschiedlichen Welten: Er (Wäscheberge, Bier am Morgen, Kronkorken achtlos auf dem Boden, Geld leihen für den Ehering), Sie (Mercedes, Aktenkoffer), Beide (Champagner und Lachs, Lambrusco aus Tassen). Da begegnen sich zwei Welten. Das finde ich spannend. Freu mich, Franklyn, wenn du daran weiterschreibst.
Den Aktenkoffer assoziiere ich übrigens mehr mit einer Geldübergabe, als mit `ner Geschäftsreise ;).
Viele Grüße
Judith
 
Ich finde auch, der Text passt besser zur Kurzprosa, habe nur gezögert, das in meinem letzten Kommentar zu schreiben, weil ich bei deiner letzten Geschichte schon über die Rubrik gemeckert habe ;):)
 

lietzensee

Mitglied
Hallo SilberneDelfine und Puckpuck,
ich spekuliere mal fröhlich mit:

Dort, auf dem Bürgersteig, parkt sie ihren Mercedes, wenn sie mich zwischen ihren Terminen oder abends überrascht.
Die Dame kommt wohl nur vorbei, wenn sie zwischendurch mal Zeit hat. Darum ist das Laken im Augenblick kühl, aber wird sicher demnächst wieder angeheizt werden.

Viele Grüße
lietzensee
 
Liebe PUCKPUCK,

Danke für deine vielen Fragen und Anregungen und dein Interesse an einer Überarbeitung.

Aber die Story hat einiges an Potential, finde ich.
Danke dafür.


Die beiden kommen aus so unterschiedlichen Welten: Er (Wäscheberge, Bier am Morgen, Kronkorken achtlos auf dem Boden, Geld leihen für den Ehering), Sie (Mercedes, Aktenkoffer), Beide (Champagner und Lachs, Lambrusco aus Tassen). Da begegnen sich zwei Welten. Das finde ich spannend.
Freu mich, Franklyn, wenn du daran weiterschreibst.
Genau, unterschiedliche Welten. Ich habe mir ihn als den schludrigen Studenten vorgestellt, sie als die ältere, erfolgreiche Geschäftsfrau. Das, was sie beide zusammen (woanders) machen, passiert natürlich nur mit ihrer Kohle.
Bei ihm zuhause (denn es ist ja seine Behausung) trinken sie natürlich den (billigen) Lambrusco aus Tassen. Hatte für sie sicher auch seinen Reiz. Und über das Sexleben habe ich ja überhaupt nichts geschrieben ...

Die Story ist nun bei Kurzprosa gelandet ("maximal eine halbe Seite" laut Regel), und ich muss sehen, ob ich sie hier überhaupt mit dann ausreichend Background zu einer "richtigen" Kurzgeschichte ausbauen kann. Möchte ja auch kein Hin- und Hergeschiebe initiieren.

Den Aktenkoffer assoziiere ich übrigens mehr mit einer Geldübergabe, als mit `ner Geschäftsreise ;).
Auch gut :)

Ich sehe und beobachte das "heitere Spekulieren oder Raten" mit großer Freude gerne weiter. Ist doch toll, wie einige Sätze/Aussagen gedeutet werden.

Mal sehen, was ich an der Story noch mache.

Obwohl ... ich habe da eine andere geschrieben, die ähnlich anfängt, in der Mitte länger ist, das Pärchen näher beschreibt und wo am Ende dann ...
Bestimmt poste ich diese hier auch mal.

Übrigens: Da mir der Anfang so gut gefallen hat ( ;) ), gibt es übrigens auch eine dritte Version, die sogar noch kürzer ist. Die habe ich mal für einen Wettbewerb geschrieben, wo max. 1000 Zeichen erlaubt waren.

LG, Franklyn
 
G

Gelöschtes Mitglied 21924

Gast
Hallo @Franklyn Francis: Mir gefällt diese Story sehr gut - vielleicht, weil die Tendenz bei jüngeren, unabhängigen Frauen, sich einen "Big Spender" oder "Shugardaddy" zu suchen, steigt ... ?
 
Hi SilberneDelfine,

Ich finde auch, der Text passt besser zur Kurzprosa, habe nur gezögert, das in meinem letzten Kommentar zu schreiben, weil ich bei deiner letzten Geschichte schon über die Rubrik gemeckert habe ;):)
Hehe.
Ich muss mich erstmal zurechtfinden in der Struktur hier.
Die Aufteilung ist ein wenig gewöhnungsbedürftig. Sind Krimis eigentlich keine Kurzgeschichten, frag ich mich z.B. :)

Ich lese mich überall durch und hoffe, bald dahinterzusteigen.

LG, Franklyn
 
G

Gelöschtes Mitglied 23262

Gast
Immerhin kriegst Du das mit dem Zitieren schon hin, lieber Franklyn. Da häng ich noch immer in der Luft.
Also die Frage, ob Krimis Kurzgeschichten sein können bzw. Kurzgeschichten Krimis, finde ich ebenfalls interessant. Ich vermute mal, es geht um die Länge usw., also die Kennzeichen einer Kurzgeschichte. Die sind ja andere als bei einem Krimi.
Rätselnde Grüße
Judith
 
Hallo lietzensee,

Danke fürs Vorbeischauen.

Dort, auf dem Bürgersteig, parkt sie ihren Mercedes, wenn sie mich zwischen ihren Terminen oder abends überrascht.

Die Dame kommt wohl nur vorbei, wenn sie zwischendurch mal Zeit hat. Darum ist das Laken im Augenblick kühl, aber wird sicher demnächst wieder angeheizt werden.
Haha. Genau.
Wird aber wohl noch ein wenig dauern, bis er sich wieder erholt und eine Neue hat.

Schön, dass einzelne Sätze die Fantasie anregen. So soll es sein.

Schönen Abend noch und
LG, Franklyn
 
Hallo Isbahan,

danke fürs Lesen und Kommentieren.

Hallo @Franklyn Francis: Mir gefällt diese Story sehr gut - vielleicht, weil die Tendenz bei jüngeren, unabhängigen Frauen, sich einen "Big Spender" oder "Shugardaddy" zu suchen, steigt ... ?
Schön, dass sie dir gefällt.
Big Spender und Sugardaddy gefallen mir gut.
Ja, die Tendenz wird in den letzten Jahren sicherlich gestiegen sein. Zumindest hätte die Geschichte nicht in den 60ern oder 70ern spielen können. ;-)

Schönen Abend und
LG, Franklyn
 
Hallo Judith,

Immerhin kriegst Du das mit dem Zitieren schon hin, lieber Franklyn. Da häng ich noch immer in der Luft.
Du doch auch.
Ich glaube, du drückst halt nur zu schnell auf "antworten", ohne vorher deinen Kommentar hinzugefügt zu haben.

Also die Frage, ob Krimis Kurzgeschichten sein können bzw. Kurzgeschichten Krimis, finde ich ebenfalls interessant. Ich vermute mal, es geht um die Länge usw., also die Kennzeichen einer Kurzgeschichte. Die sind ja andere als bei einem Krimi.
Wie es aussieht, haben einige Kurzgeschichten-Genres hier eine eigene Rubrik erhalten (Krimis, Horror, SF, ...) und alle anderen eher nicht exakt zuzuordnenden landen in die Sammel-Rubrik Kurzgeschichten. Das hat nichts mit der Länge zu tun, einfach nur mit dem Genre.

Wünsche dir einen tollen Start ins Wochenende.
LG, Franklyn
 



 
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