Vogelflug

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Franke

Foren-Redakteur
Teammitglied
An einem Dienstag im September blieb er einfach liegen, ging nicht mehr ans Telefon oder zur Haustür. Zwei Tage und Nächte schlief er durch.

Am dritten Morgen betrat er den Balkon im 18. Stock. Hier herrschte immer seltsame Stille und die Geräusche der Stadt kamen nur als vage Ahnung vom Leben oben an. In der Wohnung nebenan lief ein Radio und in der Ferne färbten sich die Wälder bunt.

Sein Blick schweifte in den Park. Die letzten Stare sammelten sich in den Bäumen. Mit ihnen flog er los.
 
Zuletzt bearbeitet:

Franke

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Lé,

der Sturz kann durchaus als Flug gewertet werden. Das überlasse ich dem Leser und der Protagonist dachte in dem Moment wohl auch, dass er fliegen kann.

Liebe Grüße
Manfred
 

L'étranger

Mitglied
Dann verstehe ich es richtig, mag dieses WortSpiel in diesem Fall allerdings nicht.

Doch so eine Reaktion hast du sicher einkalkuliert.

Gruß Lé.
 

Franke

Foren-Redakteur
Teammitglied
Ja, aber das sind sicher Momente voller Leichtfertigkeit.
Der Protagonist springt hier nicht aus Verzweiflung, sondern befand sich in einer tiefen Depression.
 

L'étranger

Mitglied
Sorry,

ich fürchte du bist einer Depression bisher nur sehr theoretisch begegnet. In einer Depression gibt es gar nichts leichtes, auch nichts leichtsfertiges.
 

Franke

Foren-Redakteur
Teammitglied
Ih meinte nicht das lyrische, sondern die Leichtfertigkeit, in der hier von einer Selbsttötung gesprochen wird.
Ich verstehe deinen Einwand nicht so richtig.
Ich denke, dass ich die Traurigkeit und Trostlosigkeit des Protagonisten in meinem Text dargestellt habe.
Eine Leichtfertigkeit kann ich hier nicht erkennen.
 

L'étranger

Mitglied
Lieber Manfred,

Ich kann nur sagen, wie der Text bei mir ankommt. Ich bin in Bezug auf Depression Angehöriger, und daher quasi angehalten, mich mehr als oberflachlich mit dieser Krankheit zu befassen.

Es funktioniert einfach aus dieser Sicht nicht, die Erkrankung so kurz und banal anzusprechen. Und die Selbsttötung, in der sie viel zu oft endet, hat eben so rein gar nichts mit der Sehnsucht nach dem Vogelflug zu tun.

Es wird der Sache aus meiner Sicht nicht gerecht.

Ich beabsichtige aber nicht, darüber weiter zu streiten; ich wollte es nur gesagt haben ;-).

Gruß Lé.
 
G

Gelöschtes Mitglied 13736

Gast
Hallo Manfred,

du hast ein nachdenklich machendes Gedicht geschrieben. Welches mir gefällt. Es wird unterschiedlich interpretiert.
Ich hatte einmal ein Werk verfasst über einen kleinen Kiosk im Ruhrgebiet. Ein kleiner Junge kaufte ein weißschaumiges, kugelähnliches,
auf einer runden Waffel sitzendes, mit dünnem Schokoüberzug gestaltetes Naschobjekt. Ich hatte es als N****kuss bezeichnet.
Meine Güte, ich schäme mich heute noch dafür!. Da war ich natürlich als Rassist unten durch!
Wie dem auch sei, dein Werk gefällt mir.

Lieben Gruß
Oscarchen
 

Kaetzchen

Mitglied
Hallo Manfred
Mir gefällt es auch sehr, wenn die Kurzprosa lyrische Momente hat und nicht wie eine Geschichte geschrieben ist, sondern nur eine winzige Zeitspanne umfasst. Ich würde den Schluss noch offener lassen. Vielleicht:

Die letzten Stare sammelten sich in den Bäumen, für den Abflug bereit.

Was du erzählen willst, kommt schon am Anfang des Textes zum Ausdruck, man bekommt dieses mulmige Gefühl und das wird im weiteren Text bestätigt.

Gern gelesen
liebe Grüße
Kaetzchen
 
G

Gelöschtes Mitglied 14278

Gast
Hallo Franke,

zieht Schall nicht immer nach oben? Mich überzeugt es nicht, dass im 18. Stock Stille herrschen soll.

Ich finde den Text inhaltlich oberflächlich (siehe auch die Einlassungen von L’étranger). Er könnte allenfalls als Skizze für eine ausgearbeitete Prosa hergenommen werden. Außerdem gibt es wieder einige unschöne Wortwiederholungen:

in der Wohnung / in der Ferne / in den Park / in den Bäumen

Färbten sich die Wälder bunt
Stare sammelten sich

Der Text ist für derartige Wiederholungen einfach zu kurz, sie fallen hier sofort auf.

Gruß, Ciconia
 
G

Gelöschtes Mitglied 21114

Gast
Hi Franke,
der Text ist ein Wunder an Verdichtung. Und mit Depression hat die Geschichte, wie ich sie verstehe. überhaupt nichts zu tun. Depression ist ans Irdische gebunden – wenn aber ein Mensch über das Irdische hinaus ist (aus welchen Gründen auch immer – Tucholsky ist ein Beispiel dafür), dann fliegt er mit den Staren los.
Gruß Joe
 

L'étranger

Mitglied
Joe Fliederstein schrieb:
Hi Franke,
Und mit Depression hat die Geschichte, wie ich sie verstehe. überhaupt nichts zu tun. Depression ist ans Irdische gebunden – wenn aber ein Mensch über das Irdische hinaus ist (aus welchen Gründen auch immer – Tucholsky ist ein Beispiel dafür), dann fliegt er mit den Staren los.
Gruß Joe
Ich wünschte, da hättest du recht - aber auf Nachfrage erfahren, dass doch ...

Gruß Lé.
 

Ji Rina

Mitglied
Hallo Manfred,

Ich habe den Text so verstanden: Er ist depressiv, wahrscheinlich seit langer Zeit, an einem Dienstag bleibt er einfach liegen, geht nicht mehr ans Telefon; zwei Tage schläft er durch (Tabletten? Antidepressiva?); er geht in den 18 Stock (ein ausprobieren? ein und was wenn...?)
sein (letzter) Blick schweift in den Park und er springt...

Für mich vollkommen nachvollziehbar. Ich kannte sehr viele Menschen, die Selbstmord begangen haben (zum Beispiel, eine meiner Schwestern) und niemand konnte es später nachvollziehen, sich erklären, nochzumal man ihnen dies nie zugetraut hätte. Und was wirklich hinter allen Fassaden im Kopf eines Menschen vorgeht - ist sehr schwer zu wissen: "Komisch....der war doch immer so lieb und freundlich"..." Sie machte so einen glücklichen Eindruck"...etc...etc...

Müsste ich irgendetwas nennen, was ich in diesem Text anders hätte lesen wollen, dann die letzte Zeile. Aber das ist reinste Geschmacksache.

Mit dem erzählten bis in den 18 Stock war es für mich Spannung. Ich wusste, wo es hinführt, aber nicht wie. Die letzten Stare die sich dann in den Bäumen sammeln, war für mich eine Art Abbremsung. Es kommt ein Punkt. Und dann: Mit ihnen flog er los. Wirkte auf mich leicht abgehackt.
Ich hätte es "poetischer" gefunden, wenn du ihn gleich mit den Staren hättest fliegen lassen. Also anstatt den Staren, die sich in den Bäumen sammeln, einen anderen Satz. Auch die Formulierung "Mit ihnen" könnte dann umschrieben werden.

Aber wie gesagt, jeder würde es wohl anders schreiben.
Ich habs gern gelesen,

Mit Gruss, Ji

 

Franke

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Ji,

Die letzten Stare die sich dann in den Bäumen sammeln, war für mich eine Art Abbremsung. Es kommt ein Punkt. Und dann: Mit ihnen flog er los. Wirkte auf mich leicht abgehackt.
Das war genau beabsichtigt, denn die Stare waren letztendlich der Auslöser. Deshalb der Punkt als Pause vor dem Fliegen.

Danke für deinen Kommentar, auch den anderen Kommentatoren und Wertern.

Liebe Grüße
Manfred
 



 
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