von natur zu schicksal

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als ich ein luchskind war
teil des dämmerwaldes
an der grenze zur nacht
hatte ich keinen begriff
von freiheit
auch keinen von stolz

meine selbstverständlichkeit
mein töten und lieben
war verbunden mit
dem wachsen der buchen
mitleid keine kategorie

auch schönheit
gab es mir nicht

ich aber konnte nicht
luchskind bleiben

kostete fremde früchte
als wollte die evolution
sich in mir erkennen

lebe nun in den begriffen
von freiheit und stolz
und ohne jede
selbstverständlichkeit

ich begründe alles
begreife wenig
fremd sind mir
wald und wachsen

doch trage ich nun die
idee der schönheit
in mir
 
Zuletzt bearbeitet:

Ubertas

Mitglied
Liebe Charlotte,
dem Luchskind ein Herz und einen Mantel aus Fell!
<3 wunderschön
Lieben Gruß ubertas
 

sufnus

Mitglied
Hey Charlotte,
das ist ein wirklich sehr ideenraumgreifender Angang einer Theorie des Schönen aus dem Geist der Unnatur.
Ich muss an Enkidu denken, das Naturwesen (?) aus dem Gilgamesch-Epos, das über die Vorstellung von Glück (Liebe) als Nullsummenspiel sterblich und literarisch wurde.
Für alle Naturalisten ist solch eine Ästhetiktheorie natürlich ein Schlag ins Gesicht.
Jetzt denke ich über Luchskinder, Luxkinder und Luxuskinder nach.
Sind Naturalisten eigentlich automatisch kinderlieb? Na... das geht vielleicht etwas zu weit. :)
LG!
S.
 
lieber Sufnus,
jetzt lächle ich ein bisschen. also ich würde nicht von unnatur sprechen. nur eben nicht mehr selbstverständlich. ich hab gerade das manuskript weggeschickt. und da sind viele zitate von ludwig drin, den ich ja irgendwie schon auch liebe (obwohl ein mann und irgendwie auch reaktionär und so ;) ).
und da ist auch das dabei: »Wenn Menschen eine Blume oder ein Tier häßlich finden, so stehen sie immer unter dem Eindruck, es seien Kunstprodukte. »Es schaut so aus, wie ...«, heißt es dann. Das wirft ein Licht auf die Bedeutung der Worte »häßlich« und »schön«.«
Irgendwie geht es auch darum.
liebe grüße
charlotte
 

sufnus

Mitglied
Hey charlotte!
Hah! Da hab ich offenkundig zu eindimensional gedacht. Ein wirklich schönes Zitat von Witti, das ich nicht kannte. Lieben Dank dafür!
… und natürlich fest gedrückte Manuskriptdaumen!
Damit bleibt mir nur noch, über das doppelharte Schicksal zu sinnieren, männlich und reaktionär zu sein.
In meinem nächsten Leben werde ich Schnabeltier. Dann kann eigentlich nichts mehr schief gehen. :)
LG!
S.

lieber Sufnus,
jetzt lächle ich ein bisschen. also ich würde nicht von unnatur sprechen. nur eben nicht mehr selbstverständlich. ich hab gerade das manuskript weggeschickt. und da sind viele zitate von ludwig drin, den ich ja irgendwie schon auch liebe (obwohl ein mann und irgendwie auch reaktionär und so ;) ).
und da ist auch das dabei: »Wenn Menschen eine Blume oder ein Tier häßlich finden, so stehen sie immer unter dem Eindruck, es seien Kunstprodukte. »Es schaut so aus, wie ...«, heißt es dann. Das wirft ein Licht auf die Bedeutung der Worte »häßlich« und »schön«.«
Irgendwie geht es auch darum.
liebe grüße
charlotte
 
wie queer ist das denn bitte. sehr cool. melde dich dann bitte unbedingt!
und soll ich ehrlich sein? ich hoffe, mit den zitaten ein paar überraschungen auszulösen.
das buch kommt vielleicht im oktober. und über den titel freue ich mich jetzt schon.
aber mit dem habe ich nur bedingt etwas zu tun. ;)
 

trivial

Mitglied
Meine liebe Charlotte,

Verzeih die Gitterstäbe meiner wirren Gedanken, die dein Luchskind einzufangen versuchen – aber da sie nun einmal gedacht sind, hoffe ich, dein Luchskind tollt ein wenig mit ihnen herum, bevor es sie frisst oder ohne sie weiterzieht.

Erst die Trennung vom Schönen erzeugt die Idee des Schönen.
Mit der Idee beginnt auch der Verlust.

Die Idee ist die komplementäre Eigenschaft der Erfahrung.
Bewusstsein ist das negative Potenzial in den Möglichkeitsräumen.

Es zeichnet sich nicht durch komplex erzeugte Emergenz aus,
sondern durch das Erkennen von Emergenz durch Emergenz –
und das Begreifen von Möglichkeitsräumen.

Denn es ist selbst der Ort, die Lichtung, an dem Inhalte möglich werden –
die Spannung zwischen Idee und Erfahrung.

Wer das Schöne vollkommen externalisiert hat, trägt es nicht mehr in sich – und wird es nie finden.
Wer das Schöne vollkommen internalisiert hat, kennt es nicht.

Na ja, ich hoffe, dein Luchskind findet die Lichtung im Düsterwald.

Liebe Grüße
Rufus
 
lieber rufus,
das ist mir jetzt zu viel heidegger ;).
naja, vielleicht noch etwas anderes - wir mussten unsere natur verlieren an die kultur. zur sprache kommen und von der sprache zu den begriffen. begriffe sind ja etwas anderes als wörter.
die idee des schönen war schon immer da, weil gott ja nicht nichtda war und ist. (emergenz empfand ich immer als feige ;) ). aber es brauchte das sprach- und sprechfähige Gegenüber, was wir aber teuer bezahlt haben. rotpeter kann ein lied davon singen (oder besser: einen bericht darüber geben.). aber es war dialektisch notwendig (oh gott, schreibe ich das wirklich.).
die frage ist, was wir jetzt miteinander und mit allem anderen machen.
liebe grüße
charlotte
 

N. Valen

Mitglied
Ein stilles, beinahe elegisches Gedicht über Entfremdung und Bewusstsein.
Was als lyrischer Mythos beginnt – das „Luchskind“ im Dämmerwald – wechselt mit fast schmerzloser Klarheit in eine existenzielle Diagnose des Menschseins:
Begriff ersetzt Instinkt, Selbstverständlichkeit wird zum Verlust.
Was mich besonders berührt: Die letzte Wendung.
„doch trage ich nun die / idee der schönheit / in mir“
Das ist keine Versöhnung im klassischen Sinn.
Es ist das stille Eingeständnis:
Bewusstsein entreißt uns der Welt –
aber es bringt eine neue Form von Tiefe mit sich.
Schönheit nicht mehr als Naturkraft,
sondern als inneres Bild.
Vielleicht das Einzige, was bleibt.

Ein starkes, leises Gedicht.
 

trivial

Mitglied
Liebe Charlotte,

eine gewisse Verwandtschaft zu Heidegger will und kann ich nicht leugnen – aber betonen, dass er nicht Vater meiner Gedanken ist. Beim Schreiben schwirrte mir eher Dostojewski durch den Kopf – insbesondere:
„Die Erkenntnis des Lebens steht über dem Leben, die Kenntnis der Gesetze des Glücks über dem Glück selbst.“

Unabhängig davon, inwieweit Heideggers persönliche Verstrickung notwendigerweise Teil seines Werks ist, sind seine phänomenologischen Einsichten – gerade weil das ethische Korrektiv fehlt und seine Philosophie so nicht Objekt ihrer eigenen Betrachtung wird – für mich im Sinne des „Zuhandenen“ als Werkzeug nützlich.

Ich möchte aber weder Verfechter noch Ankläger Heideggers sein. Und auch zu viel Sartre, Husserl, Nietzsche, Kant oder Wittgenstein fände ich in meinen Gedanken fehl am Platz. (Sorry für die Abschweifung – ich hatte einfach das Gefühl, das kurz erläutern zu müssen.)

Was mich eigentlich beschäftigt, ist dein Satz über die „feige Emergenz“. Ich habe länger darüber nachgedacht – und vielleicht habe ich ihn noch immer nicht richtig verstanden.

Wenn ich es richtig deute, findest du Emergenz „feige“, weil sie dir konstruktivistisch erscheint – als würde sie das Transzendente, das Göttliche durch etwas rein Immanentes ersetzen?

Mir liegt ein solcher Gedanke fern. Ich wollte eher zum Ausdruck bringen, dass das Göttliche, das Transzendente sich in der Bewegung selbst ereignet – nicht als statischer Ursprung, sondern als etwas, das nicht linear gedacht werden muss.
Vielleicht ist diese Linearität überhaupt eine allzu menschliche Vorstellung vom Werden. Žižek würde wohl von einer „retroaktiven Konstruktion“ sprechen und sich dabei auf Hegels Dialektik berufen.

Etwas Höheres – nicht über uns oder vor uns, sondern durch diese Bewegung mit uns verwoben. Vielleicht dehne ich den Begriff der Emergenz damit über Gebühr – aber ihn rein technisch zu verwenden, lag mir fern.

Falls ich immernoch mit meiner Deutung daneben liege, werde ich nochmal weiter darüber nachdenken müssen.

Liebe Grüße
Rufus
 
lieber Rufus,
bei heidegger fällt es mir echt schwer, den menschen vom rest zu trennen. ich misstraue ihm auch dort, wo ich ihm zustimme. und werde nie verstehen, warum die französ*innen so auf ih fliegen.
zur emergenz - naja, wissenschaftstheoretisch ist das gott - also das, was sich aus dem faktischen ergibt, aber nicht begründen lässt. diesem begriff misstraue ich im munde seiner verteidiger*innen auch nicht. wobei er natürlich einen gehalt hat. aber ich glaube nicht, dass wir da so weit auseinander sind.
und zu fjordor, den ich natürlich verehre - er hat aus den gedanken epen gemacht. ich schaffe nur ein kleines gedichtlein. aber es ist meins. ich kann nur lyrik.
liebe grüße
charlotte
 



 
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