Wandern

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lapismont

Foren-Redakteur
Teammitglied
Wandern

Ein Stein
springt mir von selbst in meinen Schuh
drückt erst die Seite
dann in weiche Sohle.
Vorsichtig verlag're ich
mein Gewicht
bei jeden Schritt
damit der Stein nach vorne wandert
in die Spitze,
wo der große Zeh ihn an sich presst
bis die Zeit gekommen ist
ihn auszuschütteln
zu den andern.

Ein Stich in meinen Hacken
eine Mücke tänzelt eilig,
gefangen gequetscht
in bloßer Faust.
Ein blutiger Fleck,
umgeben von Insektenbeinen.
Wessen Blut auch immer,
am Strumpfansatz beginnt
der Reiz zum Kratzen,
um mich schlagend wehre ich
die ganze Flotte gieriger Schmarotzer,
bis ein neuer Stich am Ohr
mich wütend macht
und aus den Schatten hetzt.

Ein Tropfen Schweiß
beißt in mein Auge.
Verrat der Brauen und Signal
die Zunge auszutrocknen;
und die Hand wird klebrig
wie die Sonnenstrahlen
auf der ungeschützten Haut.
Der Rest ist vollgesogen
allein das Wissen ohne Trinken
unterwegs zu sein,
erhebt den Durst zur unstillbaren Qual
zurück zum Schatten, zu den Mücken,
in die Netze geiler Spinnen.

Ein Stöckchen bohrt sich
in den andren Schuh
und scheuert auch den Knöchel auf.
Durch angefressnes Laub hindurch
verfolgt die Sonne meine Flucht
umsummt und angebohrt
entfesselt meine Lunge
einen Heidenlärm.
Ich schramme hart die Kiefernstämme,
Harz und Rinde zerren an den Gliedern,
lose Nadeln stoßen ins Genick
und krauchen langsam hin zur Hose,
wo sie dolchend eine Niere perforieren.

Ein Loch im Gras, ein Grab im Moos,
ich knicke um und falle.
Äste bremsen, strecken ihre harten Körper
mir entgegen,
pfählen mich,
schon spritzt die erste Waldameise
ihre Säure und holt Hilfe.
Überall bewegt es sich am Boden,
schieben sich die Panzer
auf mich zu.
Der erste Angriff ist noch wage,
doch die zweite Welle brandet schon wie Feuer,
fesselt meine Hände,
hoffnungslos zur Abwehrschlacht.
Jeder Biss treibt Gift in meine Adern
blaue Straßen durch das Fleisch
in Sommersachen;
müde blinzen meine Augen
einmal noch zum blauen Himmel,
wandern weinend durch den Wald
im Schnabel einer Elster.
 

Franke

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo!

Erst einmal die Aufzählung der Unpässlichkeiten, die jeden Wanderer plagen.
Und gerade an der Stelle, wo man denkt, nun ists aber genug, kommst du mit diesem gnadenlosen Schluss - genau auf den Punkt.
Sehr gerne gelesen!

Liebe Grüße
Manfred
 

lapismont

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Manfred,

danke für Dein Feedback. Ja, das Leid ist sattsam bekannt.
:)

cu
lap
 
B

bluefin

Gast
vage, nicht wage, mein lieber!

ich begreife den umständlich-selbstmitleidigen text als den irrweg eines verweichlichten großstädters in den dschungel eines nahe gelegenen parks, in dem die blutsauger so groß sind, dass man sie mit der faust erschlagen muss und die ästlein gar körper haben (ameisen können zwar auch spritzen, aber brennen tut's nur, wenn sie zubeißen).

etwa so, wie beschrieben, taumeln die berliner des sommers ungelenk durchs tegernseer tal. die aborigines halten die fremden weißen für nachwachsenden rohstoff, und die notdienste der umliegenden kliniken fahren zusatzschichten.

herzlich gelacht über diese realsatire!

...*bubbles*...

bluefin
 

Franke

Foren-Redakteur
Teammitglied
Ich war eine zeitlang auch immer noch vage am Überlegen, ob der Text nicht zu lang ist.
Aber in diesem Fall, ganz gegen meine eigenen Gewohnheiten, wäre eine Verdichtung nicht gut. Dieses Jammern über die Unbill des Weges kommt so besser zur Geltung.

Liebe Grüße
Manfred
 

Thylda

Mitglied
Lieber Lapismont

Normalerweise liebe ich es ja kurz und knackig, wie Du weißt, aber in diesem Fall muß ich Franke beipflichten, daß dieses Leiden in seiner Ausführlichkeit gewürdigt werden muß. Ich kann das sehr gut nachvollziehen, wenn man im Juli – August von den Midges bei lebendigem Leib gefressen wird. Aber auch da gibt es eine Lösung. Man muß eben Zeit und Ort seines Aufenthalts aus der Schußlinie halten, sich nichts draus machen oder geeignete andere Schutzmaßnahmen ergreifen. Oftmals hilft es aber auch, einen zuverlässigen, einheimischen Führer zu haben, der einem hilft. Sehr schön, Dein Gedicht.

Liebe Grüße
Thylda
 

lapismont

Foren-Redakteur
Teammitglied
Wandern

Ein Stein
springt mir von selbst in meinen Schuh
drückt erst die Seite
dann in weiche Sohle.
Vorsichtig verlag're ich
mein Gewicht
bei jeden Schritt
damit der Stein nach vorne wandert
in die Spitze,
wo der große Zeh ihn an sich presst
bis die Zeit gekommen ist
ihn auszuschütteln
zu den andern.

Ein Stich in meinen Hacken
eine Mücke tänzelt eilig,
gefangen gequetscht
in bloßer Faust.
Ein blutiger Fleck,
umgeben von Insektenbeinen.
Wessen Blut auch immer,
am Strumpfansatz beginnt
der Reiz zum Kratzen,
um mich schlagend wehre ich
die ganze Flotte gieriger Schmarotzer,
bis ein neuer Stich am Ohr
mich wütend macht
und aus den Schatten hetzt.

Ein Tropfen Schweiß
beißt in mein Auge.
Verrat der Brauen und Signal
die Zunge auszutrocknen;
und die Hand wird klebrig
wie die Sonnenstrahlen
auf der ungeschützten Haut.
Der Rest ist vollgesogen
allein das Wissen ohne Trinken
unterwegs zu sein,
erhebt den Durst zur unstillbaren Qual
zurück zum Schatten, zu den Mücken,
in die Netze geiler Spinnen.

Ein Stöckchen bohrt sich
in den andren Schuh
und scheuert auch den Knöchel auf.
Durch angefressnes Laub hindurch
verfolgt die Sonne meine Flucht
umsummt und angebohrt
entfesselt meine Lunge
einen Heidenlärm.
Ich schramme hart die Kiefernstämme,
Harz und Rinde zerren an den Gliedern,
lose Nadeln stoßen ins Genick
und krauchen langsam hin zur Hose,
wo sie dolchend eine Niere perforieren.

Ein Loch im Gras, ein Grab im Moos,
ich knicke um und falle.
Äste bremsen, strecken ihre harten Körper
mir entgegen,
pfählen mich,
schon spritzt die erste Waldameise
ihre Säure und holt Hilfe.
Überall bewegt es sich am Boden,
schieben sich die Panzer
auf mich zu.
Der erste Angriff ist noch vage,
doch die zweite Welle brandet schon wie Feuer,
fesselt meine Hände,
hoffnungslos zur Abwehrschlacht.
Jeder Biss treibt Gift in meine Adern
blaue Straßen durch das Fleisch
in Sommersachen;
müde blinzen meine Augen
einmal noch zum blauen Himmel,
wandern weinend durch den Wald
im Schnabel einer Elster.
 
B

Beba

Gast
Ein ärgerliches Schicksal, das nicht nur dem Wanderer, sondern auch dem Langstreckenläufer widerfährt. Besonders dieses widerliche Steinchen, das man mit dem Fuß und den Zehen jongliert, kommt mir sehr bekannt vor. ;) Aber bloß jetzt keine Pause, sonst ...

Sehr lebendig geschrieben und lässt einige erwanderte km erahnen.

Ciao,
Bernd
 
I

Ivor Joseph

Gast
Erinnert mich an eine Geschichte von Horacio Quionga: Wilder Honig
Die geht etwa so:

Benincasa, der gerade seine Lehre als Buchhalter abgeschlosse hatte, verspürte das brennende Verlangen, das Leben im Urwald kennenzulernen.
... ein Mensch von blühender Gesundheit ...
... etwa eine Meile tief in den Busch hinein ...
... ging er ins Gebirge, diesmal mit einer Machete ...
... war auf dem Rückweg, als er ein dumpfes Summen ...
... stellte er fest, dass diese Bienen keinen Stachel hatten ...
... das müssen Wachskügelchen sein, voll von Honig ...
... eine nach der anderen entleerte er die fünf Waben in seinen Mund ...
... was für ein merkwürdiges Schwindelgefühl ...
... Paralyse ... eine unwiderstehliche Schläfrigkeit ...
... er glaubte zu bemerken, dass der wogende Erdboden schwarz wurde ...
... die Erinnerung an die *Corrección drang in sein Gedächtnis ...
... ein reißender Strom schwarzer Ameisen ...
... spürte unter der Unterhose ...
Sein Onkel fand schließlich zwei Tage später das mit Benincasas Kleidung bedeckte Skelett - ohne die geringste Spur von Fleisch daran. Gemeinhin hat der wilde Honig nicht diesen narkotisierenden Eigenschaften aber ...
... stammt von Blumen nämlich, welche eben diese Wirkung zeitigten ..., dann ...

* fleichfressende Ameisen

Tja, das passiert, wenn Großstädter in die Natur hinausgehen.
LG, Ivor
 
B

bluefin

Gast
Tja bluefin,

lebe lieber.
seltsame replik auf mein posting, lapismont.

ich entnehme deiner zuschrift, dass du dein textlein nicht lustig und selbstironisch, sondern in der tat bitter ernst meintest: ein stadtindianer auf halbschuhen im literarischen unterholz, mit der sonne hadernd, die ihm den skalp verbrennt.

vor kurzem erst ertrank ein tourist im knietiefen wasser der egerner bucht, in das er, aus dem bräustüberl kommend, mit dem gesicht voraus stolperte. auch er trug nur halbschuhe.

tipp: im unwegsamen gelände stets festes schuhwerk tragen!

amüsierte grüße aus münchen

bluefin
 

lapismont

Foren-Redakteur
Teammitglied
Es ist mir egal, was du denkst, bluefin, Deine Kommentare sind in der Regel einfach nur anmaßend und unnötig.

cu
lap
 

Walther

Mitglied
Also, werter Wahahahal,

ich weiß nicht, wem's hier an Ironie gebricht. Schlage Hochwalgeboren vor, zwischen den eigenen Öhrchen zu suchen.

Ergebendst

W.
 
H

Heidrun D.

Gast
Es geht ja wohl nur vordergründig um einen Ausflug, nicht wahr?

Mich dünkt, ich wittere - nicht etwas shakespearische Morgenluft - sondern ein mühsames Lebensgeschick ... beispielsweise eine redaktionelle Tätigkeit *grins. Allerdings würde LyrI ja dann wohl nicht im Schnabel einer Elster enden ... oder doch?

Fragende Grüße
Heidrun

Natürlich könnten die Rollen auch umgekehrt verteilt sein.
 
H

Heidrun D.

Gast
Um deine Wanderlust noch weiter anzustacheln, empfehle ich dir folgendes Reiseziel:

Nach dem Lande Palästinien
Zieht es mich nun mächtig hinigen,
Wo der ew`ge Ölkrug rauscht,
Wo die Büßer sich bestrafen,
Weil der Herr am Kreuz entschlafen,
Und der Hirt den Cedern lauscht …
Dahin, Alter, lass mich ziehn!

Autor: Ludwig Eichrodt (1848) - Musenklänge aus Deutschlands Leierkasten
:D
Heidrun
 

lapismont

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Heidrun,

das Wandern ist sicherlich auch etwas anderes, als das Betreten der Natur.
;)

Die lyrische Beschäftigung mit etwas Profanem führt irgendwie zwangsweise zur Bedeutungsüberlagerung. Es fließen unbewusste und auch absichtliche Doppeldeutigkeiten herein. Ein wenig Autor, ein wenig Stellvertreter und etwas Kopie. Musisches Mischmasch.

Es ist als Autor schon interessant zu sehen, inwieweit man mit dem Protagonisten des Textes, gerade bei Ich-Perspektive, identifiziert wird und wie die Socialnetworkidentität wahrgenommen wird. Welche Aspekte der Persönlichkeit induziert sind, was vorausgesetzt wird und welche Schlüsse nicht gezogen werden.

cu
lap
 
H

Heidrun D.

Gast
Schon wahr,

doch auch LyrI ist und bleibt ein Konstrukt ...

;)
 
S

suzah

Gast
hallo lapismont,

teils zum lachen, teils zu lang.

der wander- und lebensunfähige lyri sollte wohl am besten zu hause in seinem bett bleiben und dort in der stickigen luft seines zimmers ersticken, denn durch geöffnete fenster kämen ja auch wieder mücken herein...

(das gilt natürlich auch im übertragenen sinne)

liebe grüße von suzah
 
B

bluefin

Gast
hallo @suzah - sei so gut und wirf einen blick in deine mailbox.

liebe grüße aus münchen

bluefin
 

HerbertH

Mitglied
eher Kurzprosa, bis eventuell die beiden letzten Zeilen.

PS: Es sind doch wohl die Augen des LyrI im Schnabel der Elster, nicht der komplette Wanderer.... ?
 



 
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