herziblatti
Mitglied
Wasserfrau
Es könnte Anfang der Achtzigerjahre gewesen sein.
Der Wind oder das Leben hatte sie dorthin geweht, wo sie wie eine verwunschene Wasserfrau hinter dem kleinen Verkaufsstand in Münchens Fußgängerzone stand und anschraubbare Düsen für Wasserhähne verkaufte.
Ein paar Leute waren stehengeblieben, wie immer in einem kleinen Halbkreis, schauten, hörten ihr zu, und teilten sich plötzlich.
Sie hatten Platz gemacht für einen Herren, nicht allzu groß oder gar furchteinflößend, gekleidet in einen schlichten, dunkelblauen Mantel aus feinem Tuch. Sein behandschuhter Zeigefinger deutete flüchtig auf den Wasserstrahl, er sagte etwas auf französisch zu seiner Begleiterin.
Die Wasserfrau stockte in ihrem Vortrag, der die Zweckmäßigkeit und Sparsamkeit dieser leicht anzubringenden, verstellbaren Düse anpries, und sie sah auf, in ein blasses, feingeschnittenes Patriziergesicht, geschützt vor zu viel Nähe durch eine große Sonnenbrille, die dunklen Haare, so gar nicht in diese Zeit passend, zu einem Mozartzopf zusammengefasst.
Seine Begleiterin, offenbar eine Dolmetscherin, wandte sich mit der Frage an sie, ob denn die Wasserhähne in Europa alle genormt seien.
Darauf hatte die Wasserfrau keine Antwort, weil sie das nicht wusste, und das brachte sie in Bedrängnis.
Sie wollte nicht, dass er ginge, ohne etwas von ihr mitzunehmen.
Sie wollte aber auch nicht, dass er etwas mitnahm, und irgendwo zu Hause in einem fernen oder nahen Europa feststellte, dass sie gelogen hatte.
Sie zögerte zu antworten.
Er sah ihr zu, wie sie ihre Hand unter den sanften Wasserstrahl hielt, wie sich Luftperlen an den feinen Härchen ihres Handrückens fingen und weitergeschwemmt wurden, sah zu, wie sie mit einer kleinen Bewegung die Düse umstellte, und das feine Sprühen des Wassers in der Märzsonne glitzerte.
Sie schlug die Augen nieder.
Er spürte ihre Verlegenheit und lächelte. Sprach ein paar Worte zu seiner Begleiterin, die übersetzte: "Monsieur wünscht zwei Stück dieser Sprühdüsen mitzunehmen."
Später wusste sie nicht so recht, was in diesen Augenblicken geschehen war. Ein Verkaufsgespräch mit positivem Ausgang? Eine Begegnung? Und das winzige Ziehen im Herznest, das sie verspürt hatte, was war das gewesen?
Ein Jahr später etwa - die Wasserfrau hatte inzwischen geheiratet und saß abends gerne, eng an die noch nicht zur Gewohnheit gewordene Schulter geschmiegt, vor dem Fernseher - sah sie in einem Frauenmagazin die neuesten Trends aus Paris. Haute Couture, wunderschöne, untragbare und unerschwingliche Kunstwerke. Zuletzt, nicht wie sonst üblich das Brautkleid, sondern diesmal als ganz persönliches Highlight des Modeschöpfers, eine schwarze Abendrobe mit Mantel, dessen bestickte Rückenpartie im Scheinwerferlicht funkelte und aufblitzte, als liefen Tausende Wasserperlen in feinen Bahnen über den Stoff hinunter zum Mantelsaum, wo sie ein glitzerndes Band bildeten.
Und dann kam er selbst auf die Bühne, gab Interviews in allen Sprachen.
Sie erkannte ihn sofort, das Gesicht, die dunkle Brille, der Zopf.
Die Frage der 3sat-Moderatorin, woher er seine Ideen, seine Einfälle beziehe, beantwortete er auf Deutsch: „Ach, wissen Sie, ich habe so viele Eindrücke, so viel ‚inspiration‘, zuhause im Badezimmer oder in München beim Flanieren …“
Sie lächelte. Rückte einen unmerklichen Millimeter weg von der Wärme des vertrauten Männerkörpers neben sich, sagte kein Wort, und den Flügelschlag eines Schmetterlings, den sie verspürte, barg sie in einem geheimen Schrein.
© Heidi Merkel
Es könnte Anfang der Achtzigerjahre gewesen sein.
Der Wind oder das Leben hatte sie dorthin geweht, wo sie wie eine verwunschene Wasserfrau hinter dem kleinen Verkaufsstand in Münchens Fußgängerzone stand und anschraubbare Düsen für Wasserhähne verkaufte.
Ein paar Leute waren stehengeblieben, wie immer in einem kleinen Halbkreis, schauten, hörten ihr zu, und teilten sich plötzlich.
Sie hatten Platz gemacht für einen Herren, nicht allzu groß oder gar furchteinflößend, gekleidet in einen schlichten, dunkelblauen Mantel aus feinem Tuch. Sein behandschuhter Zeigefinger deutete flüchtig auf den Wasserstrahl, er sagte etwas auf französisch zu seiner Begleiterin.
Die Wasserfrau stockte in ihrem Vortrag, der die Zweckmäßigkeit und Sparsamkeit dieser leicht anzubringenden, verstellbaren Düse anpries, und sie sah auf, in ein blasses, feingeschnittenes Patriziergesicht, geschützt vor zu viel Nähe durch eine große Sonnenbrille, die dunklen Haare, so gar nicht in diese Zeit passend, zu einem Mozartzopf zusammengefasst.
Seine Begleiterin, offenbar eine Dolmetscherin, wandte sich mit der Frage an sie, ob denn die Wasserhähne in Europa alle genormt seien.
Darauf hatte die Wasserfrau keine Antwort, weil sie das nicht wusste, und das brachte sie in Bedrängnis.
Sie wollte nicht, dass er ginge, ohne etwas von ihr mitzunehmen.
Sie wollte aber auch nicht, dass er etwas mitnahm, und irgendwo zu Hause in einem fernen oder nahen Europa feststellte, dass sie gelogen hatte.
Sie zögerte zu antworten.
Er sah ihr zu, wie sie ihre Hand unter den sanften Wasserstrahl hielt, wie sich Luftperlen an den feinen Härchen ihres Handrückens fingen und weitergeschwemmt wurden, sah zu, wie sie mit einer kleinen Bewegung die Düse umstellte, und das feine Sprühen des Wassers in der Märzsonne glitzerte.
Sie schlug die Augen nieder.
Er spürte ihre Verlegenheit und lächelte. Sprach ein paar Worte zu seiner Begleiterin, die übersetzte: "Monsieur wünscht zwei Stück dieser Sprühdüsen mitzunehmen."
Später wusste sie nicht so recht, was in diesen Augenblicken geschehen war. Ein Verkaufsgespräch mit positivem Ausgang? Eine Begegnung? Und das winzige Ziehen im Herznest, das sie verspürt hatte, was war das gewesen?
Ein Jahr später etwa - die Wasserfrau hatte inzwischen geheiratet und saß abends gerne, eng an die noch nicht zur Gewohnheit gewordene Schulter geschmiegt, vor dem Fernseher - sah sie in einem Frauenmagazin die neuesten Trends aus Paris. Haute Couture, wunderschöne, untragbare und unerschwingliche Kunstwerke. Zuletzt, nicht wie sonst üblich das Brautkleid, sondern diesmal als ganz persönliches Highlight des Modeschöpfers, eine schwarze Abendrobe mit Mantel, dessen bestickte Rückenpartie im Scheinwerferlicht funkelte und aufblitzte, als liefen Tausende Wasserperlen in feinen Bahnen über den Stoff hinunter zum Mantelsaum, wo sie ein glitzerndes Band bildeten.
Und dann kam er selbst auf die Bühne, gab Interviews in allen Sprachen.
Sie erkannte ihn sofort, das Gesicht, die dunkle Brille, der Zopf.
Die Frage der 3sat-Moderatorin, woher er seine Ideen, seine Einfälle beziehe, beantwortete er auf Deutsch: „Ach, wissen Sie, ich habe so viele Eindrücke, so viel ‚inspiration‘, zuhause im Badezimmer oder in München beim Flanieren …“
Sie lächelte. Rückte einen unmerklichen Millimeter weg von der Wärme des vertrauten Männerkörpers neben sich, sagte kein Wort, und den Flügelschlag eines Schmetterlings, den sie verspürte, barg sie in einem geheimen Schrein.
© Heidi Merkel