SilberneDelfine
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Im Sommer 2010 fuhr ich mit meinem Freund für ein paar Tage nach Paris. Unser Hotel lag eingebettet in eine große Anlage mit mehreren Gebäuden und viel Platz im Freien. Eines Abends, als die Sonne sich nach einem heißen Augusttag endlich anschickte, unterzugehen, setzten wir uns auf die Treppenstufen vor unserem Hoteltrakt und sahen ihr zu. Charlie hatte eine Flasche Wein und zwei Gläser organisiert, die er zwischen uns stellte. Wir prosteten uns zu, während die Sonne langsam sank und das Licht der Dämmerung die Anlage mit einem sanften Schimmer überzog. Ringsum herrschte friedliche Stille, ab und zu unterbrochen vom leisen Geplapper anderer Pärchen, die es sich ebenso wie wir bequem gemacht hatten.
Ein Taxi fuhr vor und eine junge Frau mit langen blonden Haaren stieg aus. Etwas an ihrer Erscheinung irritierte mich. Sie trug einen eleganten Hosenanzug und Sandalen mit hohen Absätzen, aus denen lackierte Nägel herausschauten, war sehr geschminkt und schien vor allem nicht recht zu wissen, wo sie hin wollte. Mit eher unsicherem Blick schaute sie sich um, bis ein leiser Ruf ertönte. Sie drehte sich nach dem Rufer um und verschwand dann in dieser Richtung.
„Jaja", sagte Charlie. Er lächelte. „Das war schon das, was du denkst."
„Wirklich? Sie sah gar nicht so aus."
Charlie schenkte mir Wein nach. „Ich war gestern noch mal unten, eine rauchen, als du schon geschlafen hast. Da kam sie auch hier an."
„Zu demselben Typen?"
„Ich glaube nicht. Sie wird sicher oft gebucht."
„Wie kommst du darauf?" fragte ich verblüfft.
Charlie überlegte kurz. „Weil sie gut ist", sagte er, und ich nickte, als sei das eine Offenbarung. Im Grunde genommen war es das für mich auch. Eine solche Antwort war einer der Gründe, warum ich Charlie liebte, meinen vollkommen vorurteilslosen Charlie. Es wäre ihm niemals eingefallen, verächtlich oder zotig über eine Frau zu sprechen, die einen solchen Beruf ausübte. Im Gegenteil: Er zollte ihr Bewunderung. Wir stellten zusammen ein paar Überlegungen über die Unbekannte an: Wir rätselten über ihr Alter und ob sie aus Paris stammte, seit wann sie ihren Beruf ausübte usw. Gewissheit hatten wir nur über eines: dass sie gut war. Charlie brauchte mir das auch nicht näher zu erklären. Wenn er es erkannt hatte, dann war es ganz einfach so.
Charlie starb zwei Jahre später an seiner chronischen Krankheit, die ihm schon vor der Reise nach Paris zu schaffen gemacht hatte. Und nochmals zwei Jahre später fragte mich meine Freundin Brigitte, ob ich Lust hätte, mit ihr nach Paris zu reisen.
„Und ob", sagte ich.
Wir landeten in der gleichen Hotelanlage, in der ich damals mit Charlie gewesen war. Zumindest glaubte ich das. Oder wollte es glauben. Eines Abends überredete ich Brigitte, sich mit mir auf die Treppenstufen vor unserem Hotel zu setzen und eine Flasche Wein zu trinken. Wie damals war es der Ausklang eines heißen Augusttages und die Dämmerung senkte sich bereits hernieder, als ein Wagen vorgefahren kam. Aufgeregt verfolgte ich, wie eine hochgewachsene Blondine dem Taxi entstieg. War sie es? Sie trug keinen Hosenanzug, sondern eine weiße Bluse und einen kurzen Rock, aber Sandalen mit hohen Absätzen wie damals und sehr auffälliges Make-Up.
„Starr die arme Frau doch nicht so an", sagte Brigitte in meine Gedanken hinein. „Die hat es bestimmt schwer genug. Wenn man in einem solchen Job landet..." Brigitte zuckte mit den Achseln.
„Du hast keine Ahnung!", entgegnete ich heftig. „Die braucht dein Mitleid nicht."
„Ah?"
„Weißt du, dass sie oft gebucht wird?"
„Woher sollte ich? Ich kenne sie ja nicht...interessiert mich auch nicht."
„Weil sie gut ist", sagte ich mit erhobener Stimme. „Ja, weil sie verdammt gut in ihrem Job ist."
Und wehmütig sah ich der Blondine hinterher, als sie auf ihren hohen Schuhen in Richtung eines der gegenüberliegenden Hotels verschwand.
Ein Taxi fuhr vor und eine junge Frau mit langen blonden Haaren stieg aus. Etwas an ihrer Erscheinung irritierte mich. Sie trug einen eleganten Hosenanzug und Sandalen mit hohen Absätzen, aus denen lackierte Nägel herausschauten, war sehr geschminkt und schien vor allem nicht recht zu wissen, wo sie hin wollte. Mit eher unsicherem Blick schaute sie sich um, bis ein leiser Ruf ertönte. Sie drehte sich nach dem Rufer um und verschwand dann in dieser Richtung.
„Jaja", sagte Charlie. Er lächelte. „Das war schon das, was du denkst."
„Wirklich? Sie sah gar nicht so aus."
Charlie schenkte mir Wein nach. „Ich war gestern noch mal unten, eine rauchen, als du schon geschlafen hast. Da kam sie auch hier an."
„Zu demselben Typen?"
„Ich glaube nicht. Sie wird sicher oft gebucht."
„Wie kommst du darauf?" fragte ich verblüfft.
Charlie überlegte kurz. „Weil sie gut ist", sagte er, und ich nickte, als sei das eine Offenbarung. Im Grunde genommen war es das für mich auch. Eine solche Antwort war einer der Gründe, warum ich Charlie liebte, meinen vollkommen vorurteilslosen Charlie. Es wäre ihm niemals eingefallen, verächtlich oder zotig über eine Frau zu sprechen, die einen solchen Beruf ausübte. Im Gegenteil: Er zollte ihr Bewunderung. Wir stellten zusammen ein paar Überlegungen über die Unbekannte an: Wir rätselten über ihr Alter und ob sie aus Paris stammte, seit wann sie ihren Beruf ausübte usw. Gewissheit hatten wir nur über eines: dass sie gut war. Charlie brauchte mir das auch nicht näher zu erklären. Wenn er es erkannt hatte, dann war es ganz einfach so.
Charlie starb zwei Jahre später an seiner chronischen Krankheit, die ihm schon vor der Reise nach Paris zu schaffen gemacht hatte. Und nochmals zwei Jahre später fragte mich meine Freundin Brigitte, ob ich Lust hätte, mit ihr nach Paris zu reisen.
„Und ob", sagte ich.
Wir landeten in der gleichen Hotelanlage, in der ich damals mit Charlie gewesen war. Zumindest glaubte ich das. Oder wollte es glauben. Eines Abends überredete ich Brigitte, sich mit mir auf die Treppenstufen vor unserem Hotel zu setzen und eine Flasche Wein zu trinken. Wie damals war es der Ausklang eines heißen Augusttages und die Dämmerung senkte sich bereits hernieder, als ein Wagen vorgefahren kam. Aufgeregt verfolgte ich, wie eine hochgewachsene Blondine dem Taxi entstieg. War sie es? Sie trug keinen Hosenanzug, sondern eine weiße Bluse und einen kurzen Rock, aber Sandalen mit hohen Absätzen wie damals und sehr auffälliges Make-Up.
„Starr die arme Frau doch nicht so an", sagte Brigitte in meine Gedanken hinein. „Die hat es bestimmt schwer genug. Wenn man in einem solchen Job landet..." Brigitte zuckte mit den Achseln.
„Du hast keine Ahnung!", entgegnete ich heftig. „Die braucht dein Mitleid nicht."
„Ah?"
„Weißt du, dass sie oft gebucht wird?"
„Woher sollte ich? Ich kenne sie ja nicht...interessiert mich auch nicht."
„Weil sie gut ist", sagte ich mit erhobener Stimme. „Ja, weil sie verdammt gut in ihrem Job ist."
Und wehmütig sah ich der Blondine hinterher, als sie auf ihren hohen Schuhen in Richtung eines der gegenüberliegenden Hotels verschwand.
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