lietzensee
Mitglied
Winteranfang
Mit der Natur fühlte Danny sich eng verbunden. Zu keiner Zeit war ihm das so bewusst wie morgens in der U-Bahn. Immer genau 6.05 Uhr stieg er am dunklen Prinzendamm in den Zug. Der Waggon ratterte. Er saß zwischen Fremden. Danny, Angestellter im Archiv, Facharbeiter unter Neonlicht, vom Lauf der Natur konnte er sich nicht lösen, selbst wenn er es gewollt hätte. Das fühlte er und vor dem Fenster rauschte die Tunnelwand vorbei.
Zeitung raschelte. Handys piepten. Er dachte an seinen Großvater. Der alte Bauer hatte selbst auf dem elektrischen Pflegebett noch von der Verbindung zur Natur gesprochen. Im Winter war er früh unterm Sternenhimmel zu den Ställen gelaufen. Bei der Ernte im Juli hatte er den Sonnenaufgang auf dem Feld gesehen. „Das ist der natürliche Lauf der Jahreszeiten“, hatte er oft gesagt, „Nur der gibt dem Leben einen gleichmäßigen Rhythmus.“
Jetzt fuhr die U-Bahn eine Steigung hinauf. Durch den Waggon rollte ein Kaffeebecher. Es war soweit und die Tunnelwand verschwand vor dem Fenster. Der Blick öffnete sich auf einen weiten Horizont. Da! Zwischen zwei Baukränen gleißte der oberste Rand der Sonne. Das Licht brannte in Dannys Augen. Dann fuhr die Bahn hinab in den nächsten Tunnel und er presste die Lider zusammen. Das war es gewesen. So einen Sonnenaufgang würde er erst im nächsten Jahr wieder sehen. Für Danny begann jetzt der Winter.
Zuletzt bearbeitet: