Hey Outymier!
Wann hat hier zuletzt ein Gedicht so fulminant für Reaktionen gesorgt? Und zwar (das ist in dem Zusammenhang natürlich wichtig) waren darunter nicht nur solche der totalen Ablehnung, sondern auch einige differenzierte oder zustimmende, ja sogar wertschätzende Antworten.
Du kannst wirklich sehr zufrieden mit diesem Text sein und ich bin ein glühender Anhänger von dem Bemühen in der Subhaikuwelt allerkürzeste, aber doch gelungene Gedichte zu erfinden.
Das vorausgeschickt ist m. E. dieses Gedicht aber doch ein gescheiterter Versuch in Minimallyrik. Ich glaube, es funktioniert (bis zum Beweis des Gegenteils, dem ich entgegenfiebere) einfach nicht, ultrakurze Gedichte auch noch mit Gesellschaftskritik auszustaffieren. Was dabei herauskommt ist in der Regel etwas krampfig (und so empfinde ich diesen Versuch) oder aber ein Slogan (Unter den Talaren: Muff von 1000 Jahren). Wobei die Unterscheidung von radikal verkürzter Lyrik und Slogan einer eigenen, mehrabendfüllenden Betrachtung wert wäre.
Abzählreime würde ich persönlich übrigens eindeutig zur Lyrik zählen (je "praktischer" sie bei einem Kinderspiel verwendbar sind, desto eher gehören sie dabei zur Gebrauchslyrik, was aber kein abwertender Begriff sein soll). In Deinem Angang ist aber der "geklaute" Abzählreim ja nur Mittel zu dem Zweck, eine Art soziale "Botschaft" zu vermitteln und (ich wiederhole mich), um Botschaft und Textgestalt irgendwie auf Augenhöhe zu bekommen, müsste der Text mehr bieten, als er das tut.
Aber (aber!!!): Es gibt viele formal korrekte Reimgedichte, die ganz schön langweilig und eigentlich keine Kommentarzeile wert sind, das ist bei Deinem Text ja offensichtlich nicht der Fall. Wenn ich also zu dem Ergebnis komme, dieser Text sei misslungen, dann muss ich doch ergänzen: Er ist auf die beste denkbare Weise misslungen und ein wirklich positives Lupenereignis. Das ist dann wohl Dialektik.
LG!
S.