Wolkenseidenmeer (Sonett)

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Wolkenseidenmeer

Am Rande mokkadunkler Mooresflächen
Erzittern windzerzupfte Sommerflocken
Im stillen Moll versunk‘ner Kirchturmglocken.
Das Wolkenseidenmeer bezeugt Verbrechen.

Die Alten pflegten hier den Torf zu stechen,
Und was sie fanden, lässt den Atem stocken.
Im Geiste leg ich nun die Sümpfe trocken
Und höre nachts im Traum das Wollgras sprechen:

Wir woben seit Äonen Leichentücher
Aus unsren Toten - eure Opfer sanken,
Wir balsamierten sie im Erdfallwasser.

Wie lange wüten schon die Menschenhasser!
Ergründe deiner Brüder letzte Gedanken
Und lies vom Schmerz, gepresst in Blütenbüchern.
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Artbeck Feierabend, herzlich Willkommen in der Leselupe!

Schön, dass Du den Weg zu uns gefunden hast. Wir sind gespannt auf Deine weiteren Werke und freuen uns auf einen konstruktiven Austausch mit Dir.

Um Dir den Einstieg zu erleichtern, haben wir im 'Forum Lupanum' (unsere Plauderecke) einen Beitrag eingestellt, der sich in besonderem Maße an neue Mitglieder richtet. http://www.leselupe.de/lw/titel-Leitfaden-fuer-neue-Mitglieder-119339.htm

Ganz besonders wollen wir Dir auch die Seite mit den häufig gestellten Fragen ans Herz legen. http://www.leselupe.de/lw/service.php?action=faq

Kurz zum Werk: Ich denke, es ist ein guter Einstand für die Leselupe. Es ist ein trauriges Thema. Am schwächsten finde ich die Zeile mit den "Menschenhassern", weil es sehr abstrakt ist. Insgesamt ist die letzte Strophe eher eine Erklärung, die Moral von der Geschichte.
Am stärksten empfinde ich die erste Strophe, die bildhaft ist und dem Leser die Verallgemeinerung überlässt.
Insgesamt aber sehe ich es als ein gutes Werk an. ("Gut" nicht als Schulnote lesen, es ist also keine Einstufung.)



Viele Grüße von Bernd

Redakteur in diesem Forum
 

Tula

Mitglied
Hallo Artbeck

ich stimme gern zu, solch einen gelungenen Einstand liest man eher selten. Wie lange der Fund schon im Moor lag, bleibt ja offen, auch die Natur der Artefakte. Insofern bleibt für mich das Ende offen genug.

Die vorletzte Zeile hat bei mir eine Silbe zu viel (?). Das sollte leicht zu beheben sein.

Sehr gern gelesen

LG
Tula
 
Guten Morgen, Bernd!

Vielen Dank für deine Rückmeldung!

Das Verfassen des letzten Terzetts fand ich besonders schwierig, zumal eine „Moral“ auch beabsichtigt war.

Deine Kritik, bezogen auf Vers 12, leuchtet mir ein: Vielleicht müsste man das „Wüten“ der „Menschenhasser“ bildhafter und in Beispielen konkretisieren und mir fällt noch eine Alternative ein.
Gemeint war u.a., dass sich Gewalt zeitlos wie ein roter Faden durch die Menschheitsgeschichte zieht – und die Natur (abgestorbenes Wollgras und Torfmoos als Moorbilder) in diesem Fall durch das Konservieren von Moorleichen eine Art Beitrag leistet, dass diese Erkenntnis nicht zu banal, sondern vielleicht wie ein Appell auf unser Mitgefühl wirkt.
Ein konkretes Beispiel wäre der „Tollund-Mann“, eine in Dänemark gefundene, vollständig erhaltene Moorleiche mit klar erkennbaren Gesichtszügen und einer Lederschlinge um den Hals.

Der irische Dichter Seamus Heaney hat hierzu mit „The Tollund Man“ ein eindringliches Gedicht geschrieben…

Ich freue mich auch schon auf einen interessanten Austausch in diesem Forum!

Gruß,
Artbeck

@ Guten Morgen, Tula! Vielen Dank auch für die Schilderung deiner Wahrnehmung, freut mich sehr! Stimmt, den vorletzten Vers müsste ich noch um eine Silbe kürzen – werde mir da noch Gedanken machen.

Gruß,
Artbeck
 

hermannknehr

Mitglied
Hallo Artbeck,
ein stimmungsvolles, tiefgründiges Sonett, dass mich sofort angesprochen hat. Die düstere Moorlandschaft wird wunderbar mit den melancholischen Gedanken des Autors verknüpft. Auch ich finde, dass die Terzette (insbesondere das zweite) etwas abfallen. Vielleicht müsste man die Moral gar nicht so explizit herausstellen, es würde genügen, sie anzudeuten.
Es macht trotzdem Freude es zu lesen.
LG
Hermann
 
Hallo, Hermann!

Vielen Dank fürs Lesen und für deine motivierenden Worte! Schön, dass ich mit dem Gedicht eine bestimmte Stimmung hervorrufen konnte. Es bestärkt mich darin, es mit den beiden Quartetten erst einmal so zu belassen. Über die Terzette und deinen Tipp am Schluss werde ich noch genauer nachdenken.

Viele Grüße aus Osnabrück,
Artbeck
 
G

Gelöschtes Mitglied 17359

Gast
Hallo Artbeck Feierabend!

Wunderbares Sonett! Da ich aus einer Moorgegend komme, hatte ich die Bilder sofort vor Augen und musste an die Moorsoldaten denken.

Gruß, Hyazinthe
 

anbas

Mitglied
Hallo Artbeck,

auch von mir ein herzliches Willkommen in der Leselupe.

Dein Sonett beeindruckt mich. Ein wenig stören mich zwar die, für meinen Geschmack, zu gewaltigen Wortgebilde (z.B. mokkadunkler, Wolkenseidenmeer, Erdfallwasser), aber das lege ich mal unter "Geschmacksache" ab ;).

Allerdings gibt es an einer Stelle eine metrische Unebenheit, die schon behoben werden sollte:
Ergründe deiner Brüder letzte Gedanken
Liebe Grüße

Andreas
 
Guten Abend, Hyazinthe!

Vielen Dank für die positive Rückmeldung und die Schilderung deiner Assoziationen! Interessant dein Bezug zu den Moorsoldaten... das Börgermoor im Emsland ist auch nicht allzuweit von hier entfernt.

Grüße aus Osnabrück,
Artbeck
 
Guten Abend, Andreas!

Vielen Dank für das Lob und die Kritik gleichermaßen!

Der Begriff "Erdfallwasser" ist gar nicht so "gewaltig" gemeint. Bei mir in der Region gibt es einige sogenannte Erdfallseen, z. B. das "Große Heilige Meer" in der Nähe von Hopsten. Diese sagenumwobenden Gewässer sind vor längerer Zeit durch plötzlich eingesackte Hohlräume entstanden...

Bei den anderen, von dir zitierten Begriffen kann ich nachvollziehen, was du mit "zu gewaltig" meinst. Wahrscheinlich liegt es auch daran, dass ich schon länger über dieses Thema nachgedacht habe und sich viele Bilder bei mir eingestellt haben.

Die "metrische Unebenheit" versuche ich noch auszubügeln; es muss nur inhaltlich passen.

Gruß,
Artbeck
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Beeindruckend, nicht schlecht.

Bleibt aber der Holperer "letz[blue]te[/blue] Gedanken". Eine (unbetonte) Silbe zuviel.
 
Wolkenseidenmeer

Am Rande mokkadunkler Mooresflächen
Erzittern windzerzupfte Sommerflocken
Im stillen Moll versunk‘ner Kirchturmglocken.
Das Wolkenseidenmeer bezeugt Verbrechen.

Die Alten pflegten hier den Torf zu stechen,
Und was sie fanden, lässt den Atem stocken.
Im Geiste leg ich nun die Sümpfe trocken
Und höre nachts im Traum das Wollgras sprechen:

Wir woben seit Äonen Leichentücher
Aus unsren Toten - eure Opfer sanken,
Wir balsamierten sie im Erdfallwasser.

Wie lange wüten schon die Bruderhasser!
Ergründe dieser Menschen Schlussgedanken
Und lies vom Schmerz, gepresst in Wollgrasbüchern.
 
Vielen Dank noch einmal an alle fürs Lesen und Lektorieren!

Den Holperer im vorletzten Vers habe ich jetzt ausgebügelt; so müsste es glatter klingen.

Wer sich für das Thema interessiert, in der Arte-Mediathek läuft jetzt die Wiederholung der Doku "Moorleiche".

Gruß,
Artbeck
 



 
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