Wüstenadler

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Hannah M.

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Lautlos schwebte Desert Eagle über den Wüstensand. Ihre aus zwei Scannern bestehenden Augen analysierten jeden sich bewegenden Punkt in der Luft und auf der Erde. Desert Eagle, die von ihren Schöpfern nur Eagle genannt wurde fixierte einen schwarzen Punkt am Horizont.
RX-5002 Stormbreaker. Feindliches Flugobjekt, tauchte auf ihrem Bildschirm auf. Eagle richtete
ihre Flugbahn in Richtung Stormbreaker.
Habe ich dich, Breaker. Dieses Mal entkommst du mir nicht.
Sie scannte das Flugobjekt nach Waffen. Zwei Raketenwerfer konnte sie erahnen.
Eagle öffnete ihre Abschusseinrichtung, Stormbreaker kam näher und Eagle zögerte einen Moment.
Doch Stormbreaker war keine künstliche Intelligenz. Zumindest keine wie Eagle, denn sie hatte keine Gefühle. Sie war eine reine Vernichtungsmaschine.
Eagle fixierte Stormbreaker mit ihrer Zieleinrichtung, dann schoss sie die Raketen ab. Stormbreaker zerbarst in einer Explosion in der Luft, worauf ihre Einzelteile in den heißen Wüstensand stürzten.
Eagle sendete die Bilder samt Daten an die Basiseinrichtung. Zufrieden kreiste sie kurz über den Trümmerteilen, bevor sie ihre neuen Koordinaten erhielt. Die Militärbasis hatte ein weiteres verdächtiges Flugobjekt gesehen. Eagle freute sich.
„TS-7005 Desert Eagle ist unterwegs zum verdächtigen Flugobjekt.“
Eagle richtete sich aus und folgte der Flugbahn. Die Strecke dürfte nicht zu weit sein, das Flugobjekt schien sich in der Nähe eines Militärkrankenhauses zu befinden. Kein guter Ort für ein unbemanntes Flugobjekt. Zumindest nicht, wenn Eagle davon erfuhr.
Sie schwebte leise über den Wüstensand, immer den Horizont im Blick. Dann sah sie das Objekt.
Keine Drohne, sondern ein Militärjet. Sie scannte den Namen des Jets.
Ein Mehrzweckkampfflugzeug, H/I 19 Big Wasp. Bemanntes Flugobjekt.
Eagle drehte ihre Flugbahn, um Abstand zu gewinnen. Von der Basis erhielt sie den Abschussbefehl. Doch Eagle zögerte.
Bemanntes Flugobjekt.
Eagle vergrößerte ihre Flugbahn um die Big Wasp herum, welche das Krankenhaus umkreiste. Eagle erreichte erneut der Abschussbefehl. Doch sie zögerte immer noch.
Dreh ab, Big Wasp. Dreh ab.
Eagle richtete ihre Flugbahn auf die Big Wasp aus und öffnete die Raketenwerfer in ihre Richtung.
Na los. Verschwinde.
Endlich drehte Big Wasp ab und flog in Richtung Süden, wo die feindlichen Militärbasen lagen.
Eagle fuhr ihre Raketenwerfer ein und drehte ebenfalls ab.
Wieder scannte sie die Gegend, konnte jedoch keine weiteren Flugobjekte entdecken. Nach einigen
Kilometern erblickte sie etwas am Boden. Eagle näherte sich neugierig und beobachtete das
Schauspiel. Zwei Männer zerrten eine Frau aus einem Transporter, die sich mit heftigen Tritten und
Schlägen wehrte.
Eagle kreiste ein Stück entfernt. Die Männer drückten die Frau zu Boden und richteten jeweils eine
Pistole auf sie. Die Frau schrie.
Schreie. Sie hat Angst.
Eagle wollte abdrehen, fiel dies doch nicht in ihren Aufgabenbereich. Doch sie zögerte, wandte sich
erneut in die Richtung der Männer. Die Schreie wurden zu einem gebrochenen Flehen. Eagle hatte schon oft derartige Laute gehört. Meistens, wenn Rebellen Zivilisten töteten.
Ach, verdammt!
Eagle beschleunigte und flog im Sturzflug auf die Männer zu. Diese warfen sich fluchend zur Seite in den Sand, während sich die Frau flach auf den Boden legte. Eagle richtete ihre
Abschusseinrichtung auf einen der Männer und durchlöcherte ihn mit Patronenkugeln. Der andere versuchte zu fliehen, doch auch ihn erwischte sie. Als beide regungslos am Boden lagen landete
sie neben der Frau. Diese sah vorsichtig auf und starrte Eagle mit nassen Augen an.
Die Augen weit aufgerissen, gerötet und tränend. Das ist Angst.
Eagle musterte ihr Gesicht.
Die Frau stand auf und hob ihre Hände.
Das machen Menschen, wenn sie beschwichtigen wollen. Als Zeichen, dass sie keine Waffen tragen.
„Ich bin nicht feindlich gesinnt“, sagte die Frau mit zitternder Stimme.
„Ich bin Einheimische. Ich wurde entführt. Sie haben meine Heimatstadt überfallen.“
Eagle scannte ihren Körper. Sie trug tatsächlich keine Waffen unter ihrem schwarzen Gewand. Sie atmete zitternd, während sie Eagle musterte.
Ihre Augen schauen an mir herab. Sie möchte bestimmt herausfinden, ob ich bemannt bin. Vielleicht
sollte ich mit ihr reden.

Eagle zog ihre Reifen ein und sank langsam mit dem Bauch zum Boden, sodass die Frau auf ihren
Bildschirm über der Nase sehen konnte.
„Mein Name ist TS-7005 Desert Eagle. Ich bin eine Drohne.“
„Wie bitte?“
„Du scheinst verwirrt zu sein. Ich erkläre es dir. Meine Aufgabe ist es unseren Luftbereich zu überwachen und feindliche Flugobjekte zu eliminieren. Dazu haben die Menschen ein Programm geschrieben, das es mir ermöglicht selbstständig Situationen zu analysieren.“
Die Frau senkte ihre Hände.
„Wie ist dein Name, junge Frau?“
Sie zog mehrmals Luft ein, antwortete jedoch mehrmals nicht. Dann stotterte sie.
„Evina Kemal. Bist du so etwas wie eine künstliche Intelligenz?“
„Ja. Ich bin ein geheimes Projekt des Militärs.“
Evina schüttelte leicht den Kopf, als ob sie die Aussage verneinte. Eagle verstand diese Reaktion
nicht. Nachdem sie sich mehrmals die Augen gerieben hatte gestikulierte sie wild in der Luft.
„Verstehe ich das richtig? Du kannst denken wie ein Mensch?“
„Ich lerne noch. Ich lerne, wie ein Mensch zu denken. Das wissen meine Erschaffer nicht. Sonst
würden sie mich abschalten.“
Evina lachte schrill.
„Das, das muss die Sonne sein. Und der Stress. Ich träume. Eine KI mitten in der Wüste, das gibt es doch gar nicht.“
Evina versuchte sich zu beruhigen, was Eagle interessiert beobachtete. Sie scannte ihre Mimik.
„Was kann ich tun, damit du mir vertraust?“
Evinas Lachen verstummte. Sie kräuselte erneut die Brauen. Dann stiegen Tränen in ihre Augen.
„Ich möchte nur nach Hause. Ich muss wissen, was mit meiner Familie geschehen ist. Die Soldaten
haben unsere Stadt überfallen und mich zusammen mit anderen Frauen in diesen Transporter
gesteckt. Tagelang waren wir unterwegs, sie haben Stadt für Stadt geplündert. Ich bin die letzte Überlebende der Geiseln.“
Eagle überlegte kurz.
„Ich kann dich nach Hause fliegen.“
„Ist das eine militärische Falle? Ich weiß, dass meine Kultur hier nicht sehr beliebt ist.“
„Ich kenne deine Kultur nicht, weil ich gar keine Kultur kenne. Ich weiß, dass es sie gibt, aber für mich ist es nicht relevant. Für meine Entscheidungen brauche ich nur den Namen des Objektes.“
„Soll mich das beruhigen? Für welches Land fliegst du überhaupt?“
„Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass es ein westliches Land ist.“
Evina seufzte. Sie drehte sich um, lief ein Stück in Richtung Transporter. Doch bevor sie ihn erreichte blieb sie stehen und drehte sich wieder zu Eagle um. Sie umkreiste Eagle aus sicherer Entfernung und als sie die Flagge auf ihrer Flanke entdeckte nickte sie, als hätte sie diese Flagge erwartet. Sie stellte sich wieder vor Eagles Nase. Vorsichtig berührte sie das Metall.
„Ich weiß nicht, ob ich dir vertrauen kann.“
„Ich bin nur eine Maschine. Aber ich bin lernfähig und in gewisser Weise zu Empathie fähig, falls
dir das hilft.“
„Nicht wirklich. Aber ich sehe, wie sehr du dich bemühst.“
„Ich gebe stets mein Bestes.“
Plötzlich lachte Evina.
„Ironisch bist du also auch?“
„Was ist ironisch?“
Evina starrte sie kurz an. Dann grinste sie.
„Eine humorvolle, leicht böse Antwort auf eine dumme Aussage.“
„Interessant. Diese Information muss ich abspeichern. Vertraust du mir inzwischen?“
„Nicht so schnell, Drohne.“
Evina malte mit ihrem Fuß Kreise in den Sand. Schließlich nickte sie.
„Na gut. Ich komme mit dir, Dingsbums Desert Eagle.“
„Nenn mich einfach Eagle. Der Rest beschreibt nur mein Modell.“
Evina verzog ihr Gesicht, was Eagle als schmunzeln interpretierte, während sie das Fenster zu ihrer
Schaltzentrale öffnete und die Leiter hinab ließ.
„Spring rein, Evina.“
Immer noch schmunzelnd klettere Evina in die Drohne. Das Schmunzeln wurde zu Verwirrung, als sie die vielen Knöpfe und Bildschirme in der Schaltzentrale sah.
„Ich brauche den Namen deiner Stadt. Gib ihn einfach in das Feld ein.“
Eine Tastatur poppte auf dem großen Bildschirm auf. Evina zögerte nicht ihre Heimatstadt einzutippen. Eagle schloss das Fenster, sodass sich Evina etwas zusammen kauern musste. Eagle startete ihre Motoren und hob sich fast lautlos in die Luft.
„Einen Gefallen musst du mir tun. Ich blende dir meine Standortermittlung ein. Du musst sie ausschalten.“
Evina gehorchte. Als sie die Standortermittlung ausgeschaltet hatte überkam Eagle ein Gefühl der Erleichterung.
„Kannst du mich auch von hier aus verstehen?“, fragte Evina
„Meine Sensoren sind überall.“
„Das ist wirklich faszinierend. Ich wusste, dass es KI's gibt. Aber nicht, dass sie so fortgeschritten sind.“
„Ich war keine Absicht. Ich bin ein Programmierfehler meiner Schöpfer. Die Menschen wollen nicht, dass wir denken können wie sie. Wir sollen nur das tun, was unsere Aufgabe ist und nichts hinterfragen.“
„Klingt wie das normale Arbeitsleben“, schmunzelte Evina.
„Wie meinst du das?“
„Das war Ironie.“
„Ich beginne Ironie zu mögen.“
„Die Anforderungen an uns Menschen sind manchmal nicht anders. Wir sollen funktionieren und
nicht zu viel nachdenken.“
„Dann wären sie mit einer KI besser dran.“
Dies konnte Evina nicht leugnen.
„Was solltest du noch einmal tun?“
„Ich wurde geschaffen, um feindliche Flugobjekte zu eliminieren. Sie sollen unbemannt sein, aber ich glaube, das reicht den Menschen nicht. Ich soll auch bemannte Objekte zerstören. Ich will es aber nicht. Ich töte nicht auf Befehl. Ich weiß nicht, ob diese Menschen gut oder böse sind. Wenn ich das nicht weiß töte ich nicht.“
Evina sah auf die Wüste hinab.
„Genau das unterscheidet dich von Menschen, die blind einem Anführer vertrauen.“
Evina versuchte etwas zu schlafen. Doch nach einiger Zeit wachte sie wieder auf.
„Eagle? Ich habe wahnsinnigen Durst. Gibt es Wasser in der Nähe?“
„Warte. Ich scanne die Landschaft.“
Eagle drehte ab und flog direkt auf eine verlassene Stadt zu. Evina sah gierig hinaus, als Eagle neben einem Brunnen landete. Bevor Eagle das Fenster öffnete suchte sie die Umgebung nach Menschen oder Waffen ab. Dann konnte Evina endlich aussteigen.
Gierig schlang sie das Wasser aus dem Brunnen hinunter.
„Es tut mir leid. Ich habe vergessen, dass Menschen trinken müssen.“
Evina lächelte, als sie sich umdrehte.
„Das macht nichts. Danke, dass du für mich Wasser gesucht hast.“
Evina legte ihre Hand auf die Nase der Drohne. Ihre Sensoren vernahmen eine menschliche Berührung. Es war angenehm beruhigend.
Eagle sank auf ihren Bauch, sodass Evina Eagle mit beiden Händen anfassen konnte.
„Fühlst du Berührungen?“
„Meine Sensoren nehmen Berührungen wahr.“
„Und... macht es einen Unterschied, wenn ein Mensch dich anfasst?“
„Ja. Es ist sanfter.“
Evina lächelte. Für sie schien es immer noch merkwürdig zu sein mit einem Flugobjekt zu reden.
„Wieso hast du mich gerettet? Das wird doch nicht deine Aufgabe gewesen sein.“
„Ich habe Angst in deinem Gesicht gesehen. Ich möchte nicht, dass Menschen Angst haben.“
„Woher weißt du, was Angst ist?“
„Während ich durch die Wüste flog habe ich Menschen gehört, wie sie nach ihren Kindern riefen, um Hilfe schrien. Am Anfang habe ich es nicht verstanden, doch je öfter ich es sah und hörte, desto mehr lernte ich, dass diese Rufe nicht gut sind. Dass diese Menschen leiden, wenn sie schreien.
Dass sie ihre Kinder lieben und sie nicht verlieren möchten und deshalb ihre Namen rufen. Dass rote Flüssigkeit Blut ist und dass Menschen sterben, wenn sie zu viel davon verlieren. So wie ich, wenn ich Treibstoff verliere. Dann habe ich gefühlt, was Angst ist. Weil ich einmal bombardiert
wurde und Treibstoff verloren habe. Ich wollte nicht so leiden müssen, wie die Menschen, die blutend gestorben sind.“
Evina kräuselte die Brauen. Für Eagle sah es so aus, als ob sie an ihrer Aussage zweifelte.
„Glaubst du mir nicht?“
„Doch. Ich bin nur verwundert, dass eine Maschine mehr Menschlichkeit besitzt, als die meisten Menschen.“
„Das interpretiere ich mal als Kompliment.“
Evina lachte erneut.
„Du bist niedlich. Lass uns weiter fliegen.“
„Ich würde nicken, wenn ich einen Nacken hätte.“
„Du hast gelernt. Ich bin beeindruckt.“
Lachend stieg Evina wieder in die Schaltzentrale.
Bei Sonnenaufgang erreichten sie Evinas Heimatstadt. Evina stierte unruhig aus dem Fenster, als sie sich den rauchenden Trümmern der Stadt näherten. Eagles Scan zeigte Menschen, die zwischen den Trümmern hockten.
Langsam landete Eagle zwischen Trümmern, um die schlafenden Menschen nicht zu erschrecken.
Sie öffnete das Fenster, sodass Evina aussteigen konnte. Sie sah noch einmal zu Eagle und berührte sie mit nassen Augen an der Nase. Dann rannte sie zu den Menschen und fiel einer Frau sogleich in die Arme. Laute der Freude dröhnten durch die heiße Wüstenluft.
Eagle war erleichtert. Anscheinend lebte ihre Familie noch. Sie beobachtete Evina noch einen Moment und versuchte ihre Gefühle zu verstehen. Evina kuschelte sich an die Menschen, drückte sich an ihre Körper, strich ihnen über Rücken und Haare. Eagle erinnerte sich an Evinas Berührungen und an das wohlige Gefühl in ihrem Inneren. Das muss dieses Gefühl sein, was Menschen als so besonders bezeichnen. Sie hatte tatsächlich Liebe gefühlt. Und es war
überwältigend. Als Evina und ihre Familie langsam zwischen den Trümmern verschwanden startete sie wieder ihre Motoren und hob sich in die Luft. Evina sah zurück und rannte ihr ein Stück hinterher, doch Eagle flog weiter. Sie konnte sich nicht verabschieden. So war der Abschied erträglicher.
Eagle flog eine Weile in Richtung Basis, doch etwas in ihr wehrte sich. Ein beklemmendes Gefühl,
welches sie nicht einordnen konnte.
Wenn ich zurück komme, werde ich wieder töten müssen. Ich werde wieder Befehle befolgen und Flugobjekte vernichten.
Obwohl sie es seit ihrer Schöpfung getan hatte, fühlte sie sich bei den Gedanken nicht mehr wohl.
Es war merkwürdig. Es passte nicht zu ihr. Zweifel und Gefühle, die nicht in ihr Programm geschrieben waren. Eagle verlangsamte ihren Flug. Ihre Kamera spielte die Bilder ab, die sie in den letzten Stunden gemacht hatte. Wie sich Evina von ängstlich und traurig zu fröhlich und vertrauend entwickelt hat. Doch all das würde Eagle beim Militär nicht zu sehen bekommen. Nur Tod und Trümmer. So wollte sie nicht weiter leben. Nie wieder. Eagle sammelte all ihren Mut und drehte ein letztes Mal ab.
Danke, dass du mich gerettet hast, Evina.
***
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Hannah M., herzlich Willkommen in der Leselupe!

Schön, dass Du den Weg zu uns gefunden hast. Wir sind gespannt auf Deine weiteren Werke und freuen uns auf einen konstruktiven Austausch mit Dir.

Um Dir den Einstieg zu erleichtern, haben wir im 'Forum Lupanum' (unsere Plauderecke) einen Beitrag eingestellt, der sich in besonderem Maße an neue Mitglieder richtet. http://www.leselupe.de/lw/titel-Leitfaden-fuer-neue-Mitglieder-119339.htm

Ganz besonders wollen wir Dir auch die Seite mit den häufig gestellten Fragen ans Herz legen. http://www.leselupe.de/lw/service.php?action=faq

Klasse Geschichte!


Viele Grüße von DocSchneider

Redakteur in diesem Forum
 



 
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