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Liebe Verena
Dein Mail kam, als wir uns schon für einen Ausflug bereit gemacht haben, der den ganzen Tag dauerte.
Darum weder Anruf noch Antwortmail von mir.
Erklärung: bin gerade in der [blue]Leselupe.de [/blue]lyrikschreibend aktiv. Auf mein neuestes "Werk", das ich nun einfach mal so nenne
bekomme ich eine Rückmeldung die mich etwas erstaunt.
Um Dich nicht zu beeinflussen, füge ich Dir dieses Re: als Anhang bei - dann kannst Du sie lesen, wenn es für Dich stimmt.
Den Anhang wollte ich nach einiger «Einwirkzeit» auch noch lesen, konnte es aber nicht.
Du müsstest mir eine andere Datei schicken.
Wir können aber auch morgen dann telefonieren.
Nun interessiert es mich, wie es Dir Rolf, mit meiner Lyrik geht.
Also: Dieses Gedicht weckt zwiespältige Gefühle in mir.
Wenn ich das weiter ausführe, wird es keine Lobhudelei, aber ganz gewiss eine aufbauende Kritik, aus wohlwollender Haltung eines Freundes geboren!
Zwiespalt: Ich meine, genau zu verstehen, was du aussagen willst.
Doch im Formalen überzeugt mich die Arbeit noch nicht recht:
Sternverwurzelte Zeilen
sind Körbe voller Nahrung
für den Geist
Eigentlich eine schöne Strophe.
Jedoch ist das erste Wort [blue](Sternverwurzelte)[/blue] fast das einzige im ganzen Gedicht, das sich aus der Alltagssprache erhebt und die kreative Arbeit an der Form spüren lässt.
Damit entsteht eine formale Unbalance.
Übrigens: wäre [blue]Sternenverwurzelte[/blue] nicht stimmiger (zwar nicht rhythmisch, aber inhaltlich)?
Dann wirken mehrere Wörter für mich etwas altmodisch: [blue]darbt,
Leib, Geist, verzehren ...[/blue] Eigentlich ... je länger es auf mich einwirkt, desto mehr erinnert es mich an die Sprache, die ich aus meinen frommen Jugendzeiten kenne, fast eine Vorstufe der «Sprache Kanaans», wie man den Predigtstil und die Insidersprache der Evangelikalen geisselt.
Dann:
Dank Winde, die die Samen
In mehrfacher Hinsicht ungeschickte Zeile.
1. die einzige Interpunktion im ganzen Gedicht. Du hättest das mit dem Zeilenfall «regeln» können.
2. Erst dachte ich: Grammatikfehler. Doch dann wurde mir klar… Dank + Genitiv ist schon richtig. Aber hier ist der Versuch einer lyrischen Verdichtung irgendwie missraten.
3.
[blue]die die[/blue]
nochmals eine holprige Konstruktion. Allerdings wäre
[blue]welche die[/blue]
auch nicht schöner. Ich würde eine komplett neue Formulierung suchen!
[blue]wohlbesonnen – [/blue]als Wortschöpfung vielleicht auch nicht ganz geglückt?
[blue]Körbe voller Nahrung[/blue] –
bewusste Anspielung auf die Bergpredigt?
***
Dies meine Gedanken von heute Abend (vielleicht kommt morgen eine Ergänzung oder Korrektur hinzu).
O je, sieht ein wenig aus, als wolle ich alles zerpflücken – nein, einfach ehrliche Antwort.
Ich meine, man habe als Künstler mehr davon, als von höflichen Ausreden.
Und klar: das ist die Antwort eines Düpflischyssers – ich bin halt einer.
Geht die merkwürdige Reaktion, die du erhalten hast, in dieselbe Richtung?
Liebe Grüsse
Rolf
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Rolf Holstein
Grafiker – Maler – Bildhauer
[blue]mit Adresse und Tel.Nr., die ich gelöscht habe/win[/blue]
Neu im Blog: Zeichnungen von den Osterferien an der Ardèche
http://rolf-holstein.blogspot.com