Zeitgedanken

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wirena

Mitglied
Zeitgedanken

die Tage gehen so dahin
vom Montag bis Sonntag
jahrein, jahraus

dies der Fluss der Zeit
der Pfeil

Abfolgen nur
Veränderung

gemessen am Zeiger,
der sich dreht im Kreis

gebunden sei die Zeit an Raum
Raumzeit dies und relativ

Singularität und Entropie
Quantenfluktuation selbst im Vakuum

ein immerwährendes Vergehen
und Neuentstehen?

Zeit ist Geld und
Geld ist Zeit

die Zeit ein Hirngespinst
auch ein Zeitgedanke

was vergangen ist
kehrt nicht wieder

was nicht ist
wird morgen sein

ein immerwährendes Vergehen
und Neuentstehen
 

Aniella

Mitglied
Nur muss das Neue, was entsteht, rein gar nichts mit dem Vorangegangenen zu tun haben …
Es bleibt die Frage, ob wir davor Angst haben sollten, oder uns auf "neue Ufer" freuen sollten – trotz allem.
 

sufnus

Mitglied
Die Mischung aus Allgemeinplätzen und Wissenschaftsbluppblupp ergibt noch kein Gedicht.
Denn siehe, es steht geschrieben, Du sollst den Zeilenumbruch nicht verunehren! ;)
 

wirena

Mitglied
Besten Dank sufnus fürs Lesen und darauf eingehen. Verstehe nicht was ich ändern müsste, damit es ein ungereimtes Gedicht ist? Einen gewissen Rhytmus hat es m.M.n.
 

sufnus

Mitglied
Hey wirena!
Ich möchte Dich jetzt zu allererst einmal für die Souveränität bewundern, meine harsche und noch ziemlich begründungsarme (an der Grenze zu -frei) Kritik elastisch abzufedern und die Begründung bzw. Verbesserungsvorschläge nachzufordern. Ich lese und lerne! :)
...
Also:
Du fragst, was Du ändern musst, damit der Text ein ungereimtes Gedicht wird.
Die Kurzantwort (wenn man sich denn auf das "muss" in der Frage konzentriert) lautet natürlich: Nichts.
Die etwas längere Antwort lautet: Nichts, sofern Du mit dem Gedicht zufrieden bist.
Diese etwas erweiterte Antwort ist die Wichtigste. Aber wenn das alles wäre, bräuchte man kein Text(arbeits)forum.
Jetzt daher auch noch eine Langversion:
Wenn man gerne etwas schreibt, weil man das Gefühl geniesst, etwas geschrieben zu haben oder weil man die selbstverfassten Texte so gerne liest, dann ist das unveröffentlichte Tagebuch die Form der Wahl.
Wenn man gerne etwas schreibt, um andere Menschen zu belehren (dieses Verb hat einen schlechten Ruf), dann sind Sachtexte (oder lange Kommentare in der Leselupe ;) ) die richtige Spielwiese.
Will man aber andere Menschen unterhalten, nachdenklich machen, wachrütteln, zum Lachen bringen, ermutigen, zu moralischem Handeln einladen, auf andere Gedanken bringen, trösten, in ihrer Selbstgefälligkeit erschüttern oder irgendwie sonst inspirieren, dann ist ein literarischer Text (im weitesten Sinn) das naheliegende Verlautbarungsvehikel. Innerhalb des literarischen Spektrums steht nun wiederum ein ganzes Buffet von Text-Arten und -Gattungen zur Auswahl und "das Gedicht" ist nur eine kleiner Menüpunkt dabei.
Du wolltest Dich nun offensichtlich auf eine literarische Weise (ich gebrauche den Lit-Begriff jetzt, mal wie gesagt, sehr weitherzig) zum Thema "Zeit" äussern. Sehe ich das richtig?
Wenn Du jetzt antwortest: Aber nein, aber mitnichten, mir ging es doch nicht um das Thema Zeit, sondern vielmehr um die Frage, ob die Kosmologische Konstante einen Wert größer Null besitzt (nur mal als Beispiel), ja... dann ... wären alle folgenden Ausführungen von mir völlig sinnlos ... daher würde ich jetzt mal eine kleine Verschnaufspause zur Sicherung einer gemeinsamen, thematischen Diskussionsbasis einlegen.
Wenn Du mit Bisherigem so einigermassen "mitgehen" kannst, mach ich gerne weiter. :) Andernfalls rekalibrieren wir uns halt nochmal. :)
LG!
S.
 

wirena

Mitglied
Herzlichen Dank sufnus für Deine ausführliche Antwort.

Du wolltest Dich nun offensichtlich auf eine literarische Weise (ich gebrauche den Lit-Begriff jetzt, mal wie gesagt, sehr weitherzig) zum Thema "Zeit" äussern. Sehe ich das richtig?
Ja, das siehst Du richtig. Es sollte, Deine Worte benützend, ein literarischer Versuch im weitesten Sinne sein, und ja, eigentlich bin ich zufrieden mit meinen Zeilen :) aber ich bin ja in diesem Forum um zu lernen, und auch um meine Gedanken in Raum zu stellen, damit ein Austausch stattfinden kann. Ich möchte inhaltlich und darstellungsmässig lernen. In meinem Stübchen, um mich selber kreisen, bringt mich nicht weiter. In diesem Sinne, gerne sufnus, mach weiter, wenn Du magst. Es würde mich freuen.

LG wirena
 

sufnus

Mitglied
Hey wirena!

Tut mir Leid, dass sich die Fadenwiederaufnahme auf meiner Seite etwas in die Länge gezogen hat... jetzt versuche ich mich also daran, aus meinem gerade etwas unaufgeräumten Enzephal-Zettelkasten etwas herauszufischen, mit dem man womöglich etwas anfanhen kann (???).
Also, wenn wir jetzt nach obigem Abgleich davon ausgehen, dass die Prämisse lautet:

- Der Text soll ein im weitesten Sinne literarischer Versuch sein
und
- Das Grundthema lautet: Zeit

, dann stellen sich m. E. zunächst einmal zwei Fragen: Erstens: Warum beschäftigt Dich das Thema Zeit gerade? Und zweitens: Wie unterscheidet sich ein literarischer Versuch über die Zeit von einem Sachtext zum selben Thema?

Bei der ersten Frage dreht es sich weniger um den akuten Auslöser des Schreibimpulses (das könnte z. B. ein kurzer Radiobeitrag zum Thema Zeit gewesen sein), sondern es geht um die Frage, warum der Impuls gerade bei diesem Thema bei Dir "gezündet" hat. Vielleicht geht es um eine biographische Reflexion zu diesem Thema, weil Deine Eltern langsm "alt" werden oder Du selbst irgendwelche "Zipperlein" verspürst (Du musst auf diese Überlegungen nicht antworten ;) ). Vielleicht hat es aber gar nichts Biographisches mit dem Thema auf sich, vielleicht geht es eher um die aktuellen "Zeitläufe", wie sie sich in den Nachrichten spiegeln. Oder es geht um noch etwas anderes, meinethalben Alltagserfahrungen, dass verschiedene Menschen Zeitdauern ganz unterschiedlich erleben. Oder es ist doch eher ein abstraktes Interesse, gespeist von der Frage, wie es eigentlich sein kann, dass jeder Mensch einen gewissen intuitiven Zugang zur physikalischen Grösse "Zeit" hat, dem aber die Modelle der Physik telweise recht fundamental widersprechen.
Letztlich ist es ziemlich egal, welche Antwort Du auf die erste Frage, also die nach der Schreibmotivation, findest, aber in irgendeiner Weise solltest Du das für Dich geklärt haben, damit Du erkennen kannst, wenn der Text eine Art Eigenleben entwickelt und sich von dieser Ausgangsmotivation entfernt. Wohlgemerkt: Es geht nur drum, das zu bemerken - "zurückpfeifen" musst Du den Text keineswegs, wenn er plötzlich, Du weisst auch nicht warum, einen oder mehrere Haken schlägt und sich (teilweise) Deiner Kontrolle zu entziehen beginnt. Oft sind solche Texte die wertvollsten! Allerdings verlangen sie nicht selten eine gewisse Nachreifzeit, in der man das Endprodukt auf sich wirken lässt, um zu sehen, ob man dem Text bei seiner "Emanzipation" noch etwas helfen kann. Es hat dann ein bisschen was von Kindern, die Flügge werden. :)

Für die "Technik" des Schreibens ist die zweite Frage die wichtigere: Bei einem Sachtext geht es ja darum, Fakten verständlich rüberzubringen. Aber worum geht es in der Literatur? Es gibt hier sehr viele Antworten und je nach Literaturgattung existieren dann auch nochmal schwerpunktmässige Unterschiede, aber zumindest für die Lyrik ist m. E. eine der kürzesten (wenn auch unvollständigen) Antworten: Es geht um Schönheit. Entweder im altmodischen Sinn, dass man tatsächlich versucht, einen "schönen" Text zu schreiben (etwas in zeitgenössischer Lyrik Unerhörtes, weshalb es in neuerer Zeit wieder vermehrt versucht wird) oder im "klassisch-modernen" Sinn, indem man den Verlust von Schönheit "besingt" oder in noch etwas modernerem Sin, indem man einen Text schreibt in dem Wissen, dass "Schönheit" etwas Unerreichbares ist, dem man sich am einfachsten im gescheiterten Annäherungsversuch zuwenden kann.
Wie gesagt, dieser "Schönheitskomplex" umfasst noch nicht alles und man kann ihn auch in Prosa-Literatur und im Drama durchaus dingfest machen, er ist also noch nicht Lyrik-spezifisch. Was bei der Lyrik noch hinzukommt, ist dass bei dieser Literatur-Art eigentlich immer (meist) eine gewisse subjektive Schwingung mit an Bord ist, eine gewisse "Ich-haftigkeit". Das heißt (natürlich!) nicht, dass ein Gedicht immer in der ersten Person geschrieben sein muss (Erlkönig, Mondlied von Claudius, Panther von Rilkeusw. usf.), aber i. d. R. hat man beim Lesen eines Gedichts irgendwie im weitesten Sinne meist den Eindruck einer Art Augenzeugenbericht beizuwohnen oder tatsächlich eine Tauchfahrt in ein lyr. Ich zu unternehmen. Und als letzten Punkt kann man ins Feld führen, dass Gedichte immer auch ein kleines bissel eine Sagbarkeitserforschung betreiben, dass sie sich also für Bereiche der Sprache interessieren, die neben dem reinen Mitteilungscharakter noch irgendetwas (aus Sicht der Normalsprache) "Unkonventionelles" bieten, z. B. einen Reim oder ein Metrum oder Metaphern oder Neologismen oder ungrammatische Formulierungen oderoderoder.... einige dieser "Ungewöhnlichkeiten" finden wir natürlich auch ab und zu mal in der Normalsprache, etwa in Redewendungen oder in der Werbung oder in Fachsprachen, aber es ist in unserem normalen Reden nicht so bestimmend wie in der Lyrik.

Wenn ich jetzt diese meine (diskutablen) Ausführlichkeiten auf Deinen Text anwende, so finde ich, dass er keinen besonderen Willen zur Auseinandersetzung mit dem Aspekt der Schönheit besitzt, keine besonders subjektive Einfärbung aufweist und abgesehen von den von mir oben schon erwähnten Zeilenumbrüchen auch keine ambitionierten Sprachgestaltungsmittel beinhaltet. Insofern ist es für mich eher eine zeilenumbruchsbetonte und stichpunkthafte Notiz ohne literarischen Anspruch, aber kein Gedicht. Um den Text zu "lyrifizieren" könnten z. B. subjektive und konkrete (!) Alltagserfahrungen (die durchaus fiktional sein dürfen) eingebunden werden und der Text könnte entweder sprachlich unkonventioneller gestaltet werden oder inhaltlich die Sphäre des Altbekannten verlassen (dabei darf er auch den Bereich des Logischen und Möglichen hinter sich lassen).

LG!

S.
 

wirena

Mitglied
Hallo sufnus

Vielen herzlichen Dank für Deine detaillierten Ausführungen. Nicht einfach dies umzusetzen. Muss es erstmals sacken und reifen lassen - mal sehen was daraus wird.

Lg wirena
 

mondnein

Mitglied
Nur muss das Neue, was entsteht, rein gar nichts mit dem Vorangegangenen zu tun haben …
Das ist die Frage.
Die meisten Menschen, naiv-materialistisch, gehen davon aus, daß alles Gegenwärtige Folge des Vergangenen ist: dann folgt jedes Ereignis, auch die Handlungen, die Taten, die Werke usw. in mechanischer oder biologischer Kausalität auf die Gesamtheit der vorausgegangenen Ereignisse.
Andere Menschen, die vielleicht eine Minderheit bilden, aber das spielt hier keine Rolle, gehen davon aus, daß Menschen einen freien Willen haben und durch ihre Taten eine neue Ereignisfolge beginnen lassen.
Also "rein gar nichts" ist ziemlich übertrieben, selbst für die Staatsanwälte, die eine originelle Schuld des Täters dem Verbrechen zum Grunde legen.
Rechtsanwälte würden wohl eher die "vergangenen", aber in der Folge stets wirksamen Umstände einer Tat zum Beleg dafür anführen, daß die Ursachen der Handlungen in der Vergangenheit verwurzelt sind.
Wissenschaftler vermeiden teleologische Erklärungen aus Absichten, Erwartungen, Zukünftigem usw., Menschen aber, die miteinander kommunizieren, sind überwiegend auf eigene und "andere" Absichten und Erwartungen augerichtet, im permanenten Kommunikationsstrom der Individuen miteinander. Tautologische Wiederholungen würden den Gesprächspartner kopfschütteln lassen.

kurz: "Tautologie" versus "Teleologie"

Ich denke viel über das Verhältnis von Periodizität planetarischer und biologischer Kreisläufe im Verhältnis zum menschlichen Originalitäts-Strom der Kommunikationswechsel und Neuschöpfungen nach. Das Neue greift ins Alte ein, das Originelle, das der Sprecher der angesprochenen Person mitteilt, bezieht sich aufs Vorhergegangene. Ohne Neuigkeit keine Kommunikation, sei sie gedichtförmig, sei sie alltägliche Begrüßung, Nachbartratsch oder Tagesplan; ohne schon bis an die Jetztfront der Zeit heran-entwickelte Sprache keine Mitteilung der darüber hinausgehenden Neuigkeit.

grusz, hansz

P.S.: ich hoffe, das war nicht so langatmig
 
Zuletzt bearbeitet:

Aniella

Mitglied
Das ist die Frage.
Die meisten Menschen, naiv-materialistisch, gehen davon aus, daß alles Gegenwärtige Folge des Vergangenen ist: dann folgt jedes Ereignis, auch die Handlungen, die Taten, die Werke usw. in mechanischer oder biologischer Kausalität auf die Gesamtheit der vorausgegangenen Ereignisse.
Andere Menschen, die vielleicht eine Minderheit bilden, aber das spielt hier keine Rolle, gehen davon aus, daß Menschen einen freien Willen haben und durch ihre Taten eine neue Ereignisfolge beginnen lassen.
Also "rein gar nichts" ist ziemlich übertrieben, selbst für die Staatsanwälte, die eine originelle Schuld des Täters dem Verbrechen zum Grunde legen.
Rechtsanwälte würden wohl eher die "vergangenen", aber in der Folge stets wirksamen Umstände einer Tat zum Beleg dafür anführen, daß die Ursachen der Handlungen in der Vergangenheit verwurzelt sind.
Wissenschaftler vermeiden teleologische Erklärungen aus Absichten, Erwartungen, Zukünftigem usw., Menschen aber, die miteinander kommunizieren, sind überwiegend auf eigene und "andere" Absichten und Erwartungen augerichtet, im permanenten Kommunikationsstrom der Individuen miteinander. Tautologische Wiederholungen würden den Gesprächspartner kopfschütteln lassen.

kurz: "Tautologie" versus "Teleologie"

Ich denke viel über das Verhältnis von Periodizität planetarischer und biologischer Kreisläufe im Verhältnis zum menschlichen Originalitäts-Strom der Kommunikationswechsel und Neuschöpfungen nach. Das Neue greift ins Alte ein, das Originelle, das der Sprecher der angesprochenen Person mitteilt, bezieht sich aufs Vorhergegangene. Ohne Neuigkeit keine Kommunikation, sei sie gedichtförmig, sei sie alltägliche Begrüßung, Nachbartratsch oder Tagesplan; ohne schon bis an die Jetztfront der Zeit heran-entwickelte Sprache keine Mitteilung der darüber hinausgehenden Neuigkeit.

grusz, hansz

P.S.: ich hoffe, das war nicht so langatmig
Hallo Hansz,

tatsächlich habe ich mit der üblichen Auffassung von Allgemeingültigkeit nicht allzuviel am Hut. Schon als Kind habe ich gelernt, dass man, wenn man mit dem Rücken zur Wand steht, nur der eine Weg nach vorne geht. Natürlich geht es nicht immer gut, aber er hilft einem doch sehr aus der Passivität des schlichten Ertragens hinweg. Ich weigere mich bis heute, alltägliche Dinge ausschließlich dafür zu verwenden, wofür sie vorgesehen sind. Mit ein wenig Fantasie sind sie meistens vielseitiger als man zunächst denkt.
Daraus resultiert wohl auch meine spontane Antwort. Ich wollte sie auch nicht als allgemeingültig verstanden wissen, sondern nur in meinen Gedankengängen nach außen dringen lassen. Du hast mich mit Deiner ausführlichen Antwort darüber nachdenken lassen, wieso ich manchmal zu solchen Aussagen komme. Es liegt wohl daran, dass ich solche "Texte" (ich nenne sie jetzt der Einfachheit halber so, weil es mir bei den meisten Texten so geht) nur meine neutralen Gedanken zulasse. Erst später kommen Schlussfolgerungen und Hintergrundwissen dazu. Je nachdem, wo ich gerade bin in meinen Gedankengängen, kommen dann wertfreie oder bereits analysierte Gedanken bei meiner Antwort zum Tragen.
Hier sprang mich nach einer kurzen Zeit die Auswirkungen der KI in diesem Zusammenhang an, allerdings lediglich in der Variante innerhalb der Literatur, die mir dort ziemlich suspekt vorkommt. Das ist nur ein winziger Aspekt in der Fülle der Möglichkeiten und vielleicht hätte ich das auch deutlich zum Ausdruck bringen sollen. Vermutlich gibt es nun dazu auch genug Widerspruch. Egal.
Wenn ich mir die Definition von Lyrik, wie sie hier vertreten wird, ansehe, dann falle ich da auch meistens aus dem Rahmen. Nicht verwunderlich, weil ich die Lyrik und ihre Lehren immer nur angekratzt habe und mich mehr im belletristischen Bereich tummele. Ich bin nicht wirklich in der Lage, diese ganzen Regeln der Lyrik und deren Umsetzung zu erkennen, zu analysieren und zu verstehen, außer man nimmt mich kurzzeitig an die Hand und erklärt es mir geduldig. Ich bewundere jeden, der dafür die Geduld aufbringt. ;-)
Zum Beispiel Zeilenumbrüche, da könnte man sicher Bücher drüber füllen, aber ich stehe davor, finde es interessant, dass sie mitten aus dem Kontext erfolgen (können), aber ich nehme es einfach so hin. Es gibt Regeln dazu, aber es gibt auch die Regel, dass man diese brechen kann. Damit ist für mich das Relevante gesagt. Alles darf, nichts muss. Also stelle ich einfach wieder meinen Filter an: Kann ich dem Text folgen?
Trotzdem lese ich Lyrik immer gerne und kann dann eben nur mitteilen, welche Gedanken mir bei der Lektüre durch den Kopf gehen. Ich gehe immer davon aus, dass jeder, der etwas "zu Papier" bringt, eben auch gern eine Rückmeldung bekommt. Auch wenn es von Einigen hier belächelt wird, oder unterstellt, dass man sich einfach nur über Belangslosigkeiten austauschen möchte, mache ich das weiter, es sei denn, es wird untersagt oder mir fehlt die Zeit dafür.

Ich dachte, ich erkläre meine manchmal nur sehr kurzen Antworten auch mal etwas ausführlicher. :)
LG Aniella
 

trivial

Mitglied
Vielleicht ist es nicht ein Entweder-Oder, sondern ein Sowohl-als-auch: Von innen sind wir alles in allem, von außen erscheinen wir wie so gut wie nichts

Diese doppelte Perspektive lässt unser Handeln frei erscheinen, auch wenn es zugleich Teil eines geschlossenen, berechenbaren Systems ist.

Von dieser Außenperspektive aus betrachtet werden rekursive Entwicklungen von Werkzeugen, Dingen oder Sinn auf Vorherigem aufgebaut, sie bilden tautologische Strukturen, doch die retroaktive Konstruktion verschiebt die Bezugspunkte nachträglich und öffnet den Kreis nach vorne. So entsteht eine Art Wellenbewegung: fortschreitend, entwickelnd, die von außen teleologisch wirken kann, ohne die rekursiven Bezüge aufzugeben.

Die Spannung zwischen Freiheit und Determination, Innen- und Außenperspektive sowie zwischen Kreis und Welle ...

Zumindest habe ich mir das gerade so ausgedacht;)
 

Aniella

Mitglied
Hallo Rufus,

da hast Du Dir eine interessante Interpretation einfallen lassen. Die gefällt mir ausnehmend gut, da sie so schön offen bleibt und vor allem in Bewegung. Wellenbewegung – eine schöne Vorstellung. ;-)
 

mondnein

Mitglied
Es ging nicht um Regeln, was auch immer das sein mag, sondern um deren "Umsetzung":

Ich hoffe, das hängt noch in irgendeiner Weise mit dem Gedicht oben zusammen (also Wirena, nicht nur Aniella), und ich fasse mich deshalb kurz (auch wenn es in der Leselupe üblich geworden ist, den Quark in die Breite zu treten, wie Goethe es einst verlästert hat).

In allen Kunstarten, auch den literarischen, werden Regeln nicht "umgesetzt", sondern gefunden. So gesehen ist das System der Regeln ein Sieb, das nur fein genug sein muß, auch noch die letzte Abweichung vom Üblichen aufzufinden, mit einem Namen zu bezetteln und im richtigen Ordner abzuheften.

Da es um ein induktives "Hinterher" der Beobachtung, Beschreibung und Klassifikation geht, nicht um die "Umsetzung" von vorher verabreichten "Regeln", läßt es sich an jeden beliebigen Beispiel durchführen, z.B. die Metrik Deines Verses:
Ich denke, die kennst Du alle.
Bin immer wieder erstaunt über derlei Rückfragen
x Xx x Xx Xx.
x Xx Xx xX xx Xx Xxx

Ich habe die betonten Silben nicht nur mit großem X wiedergegeben, sondern auch noch fett, damit der Unterschied zu den kleinen unfetten besser ins Auge fällt.

Kurz: Es gibt keinen Text, der sich nicht metrisch "analysieren" ließe. Die Metrik dient keiner "Umsetzung" von vorgegebenen Regeln, sondern deren Auffindung.
Es gibt keinen wirklich regellosen Bereich, denn das ist eine Frage der Sortierung:
Ist der Vers nicht daktylisch (mit einer Unbetonten an Stelle der per se unbetonten Doppel-Unbetonten), dann ist er eben iambisch bzw. trochäisch.
Wird seine Hebungs-Zählung nicht im folgenden Vers wiederholt, ist er in der Länge halt frei oder sonstwie geordnet.
Ist er ungereimt, ist er eben nicht gereimt.
Ist er pure Lautmalerei, ist er pure Lautmalerei, usw.

Es gibt durchaus strenge Einordnungs-Kriterien, z.B. für den/die/das Haiku: was die alles nicht sein dürfen. Dann ist der als solcher eingereichte Versuch eben nur ein witziger Dreizeiler, wenn er im Casting der Besserwisser zugelassen oder geprüft wird.
Oder es ist eben kein Hexameter, wenn es kein daktylisch-spondeischer Sechsheber ist.
Daher auch die vielen "freien Verse" im Ungereimten.
Kommt alles irgendwie oder irgendwo in einer Schublade unter.

Die Litanei der gehäuften Anaphern und Homoioteleuta des vormaligen Telephonbuchs sind bereits von Reich-Ranitzky stilanalytisch gewürdigt worden.
Metaphern, Trikola, Klimakteis, antithetische Adynata und andere Barockperlen sind ganz nett, aber in der Freiheit des sprachlichen Schaffens nicht notwendig, Manche hassen diese alten Stilfiguren, sie suchen nach dem perfekten Haiku oder dem Aphorismus der untereinander geschriebenen Wörter.

Wer sucht der findet. Induktion geht vor Deduktion.

grusz, hansz
 
Zuletzt bearbeitet:

Aniella

Mitglied
Um jetzt wieder die Rückführung zu wirena zu erreichen, lasse ich dann nur noch folgenden Satz hier:

Die Zeit wird es zeigen, was am Ende hängenbleibt. :)

LG Aniella
 

mondnein

Mitglied
Wenn ich jetzt diese meine (diskutablen) Ausführlichkeiten auf Deinen Text anwende, so finde ich, ... ist es für mich ... kein Gedicht.
ja wenn.

das kann man ganz anders sehen, (s.o. meinen heftiger Widerspruch zu diesen ...
breitgetretenen Milchgerinnungsprodukten)

Ich selbst (Mondnein) bin der übelste Gegner der wilden Umbrüche, die ich gerne als "Flatterrandprosa" diffamiere. Das ist hier aber nicht der Fall. Die Zeilengestaltung, nämlich daß jeder einzelne Gedanke seine abgetzte Strophe bekommen hat und die innere Gliederung dieser einzelnen Gedanken ganz satzteilgemäß die Zeilen voneinander absetzt, das ist nicht schlecht ver-dichtet. Zum Bleistift:
die Zeit ein Hirngespinst
auch ein Zeitgedanke

was vergangen ist
kehrt nicht wieder

was nicht ist
wird morgen sein

ein immerwährendes Vergehen
und Neuentstehen
Eine harmonisch die innere Diskussion umfassende und umschließende Schluß-Formulierung.
Es gilt auch sonst: Schlußformulierungen können die Essenz eines Gedichtes so konzentriert in Worte umsetzen, daß man theoretisch alles Vorhergegangene streichen könnte. Aber das ist so, als ob man z.B. in dem Kopfsatz der 7.Sinfonie von Gustav Mahler die vielen Takte vor dem "vollständig" dargebotenen Hauptmotiv (am Ende dieses langen 1. Satzes) wegstreicht, da das Motiv dort, wo es immer nur teilweise aufleuchtet, immer nur teilweise erscheint, umgebrochen und immer neu angesetzt, "versucht", wird. Am Ende erst geht es wie eine Sonne auf.
Der große Spannungsbogen der in mehreren Stufen reflektierten "Frage" würde wegfallen, die "Antwort" bliebe übrig.

grusz, hansz
 

wirena

Mitglied
Hallo zusammen
Ja, da habe ich ja mit meinen Zeitgedanken eine rege Diskussion ausgelöst. Danke Aniella und mondnein für die Sterne. Schön, dass Ihr mein Erleben mitempfinden konntet.

LG wirena
 



 
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