Zucker

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Plejadus

Mitglied
.




Das Café liegt an einer Ecke zweier sich kreuzender Gassen der Altstadt, draußen Tische, ich sitze jedoch stets im Café.
Schrieb ich 'das Café'?
Es ist 'mein Café'; ich halte mich hier beinahe jeden Tag auf, außer Sonntags, denn dann hat es geschlossen.
Ich habe keinen Hund, keine Zimmerpflanzen und meine Frau liegt längst auf dem Hauptfriedhof, ein natürlicher Tod, Sie verstehen.
Hunde dürfen nicht ins Café, Frauen schon. Eine vernünftige Anordnung, man sollte nicht nur die Kirche im Dorf lassen, sondern auch Tier und Ungetier vor den Toren.
Es dürfte Ihnen nicht allzu schwerfallen, zu ermessen, dass ich ein recht unterhaltsamer Zeitgenosse bin.

Obwohl ich Zimmerpflanzen nicht sonderlich schätze - Schuster bleib bei deinen Leisten - pflege ich im Café neben einer solchen zu sitzen, genauer, neben einem Gummibaum aus Echtblatt. Die Pflanze sieht dermaßen künstlich aus, dass ich Mal um Mal mit meinem Fingernagel Kerben in ihre dicken Blätter ritze, mich immer wieder aufs Neue zu vergewissern, ob sie tatsächlich natürlichen Wuchses ist. Sie hat unterdessen schon jede Menge bräunlich verfärbte Narben im Grün. Ich kann nicht sagen, dass ich das bedaure, im Gegenteil, es ist wie eine Art Signatur, mit der ich meinen Stammplatz oder überhaupt das Café markiere.
Und wirklich mögen tue ich den kargen Baum nicht.
Eigentlich ist mir das ganze Café ziemlich zuwider, seine brave Bestuhlung, die teilnahmslose Bedienung, die albernen Tiffanylampen, der Ausblick, der nach fünf Metern an einer Betonwand zerschellt - ja sogar der Kaffee, der weder flau noch stark ist, sondern, wie ich es nennen würde: feige.
Nichts ändert sich hier von einem auf den anderen Tag, kaum etwas, alles bleibt und ich habe keine Ahnung, was mich stets und wieder in diesen mäßigen Stillstand verschlägt. Ich ertappe mich dabei, die hölzernen Beine der Tische und Stühle nach neuen Anstoßungen oder Ratschern hin abzusuchen.
Jede neue Herpeskruste der von hässlicher Routine gegerbten Bedienungen kenne ich aus dem Effeff. Den Existenzekel dieser Alleinerziehenden schmeckt man bis tief in den Mokka.

Manchmal habe ich dunkle Absichten, natürlich theoretischer Natur, nachts an diesen Ort zu schleichen, Benzin zu verschütten, eine Feuersbrunst zu entfesseln und abzuhauen.
Gut, dann wäre erstmal eine Weile Feierabend, die Versicherung würde irgendwann überweisen, das Café komplett renoviert, neue Wände, Böden, Stühle, Tische, Tresen und Zierpflanzen.
Ein Spaß, natürlich - ich halte mich an die Regeln.
Eines, ein einziges, vielleicht genau das, weswegen ich immer wieder einkehre, das ist ...
der Zuckerstreuer. Er hat eine unglaubliche Form und Grazie, sanfte Rillen im weichen Glas, eine silberne Krone, sich keck verjüngend - der süßeste Traum von einem Streuer!
Ich habe sinnliche Fantasien. Ich möchte ihn packen, in meinen beiden Händen halten, zärtlich, hart, ihn liebkosen, fühlen, überall belecken, vom Schaft bis zur Streuauslassung, in wilder Lust den tropenheißen Tanz der Liebe tanzen, ihn einführen, mich mit ihm vereinigen, verschmelzen, für immer - auf dass das nie ende!
Der Knackpunkt: Es ist eine weibliche Fantasie, und ich bin ein Mann, ein Exporteur. Ich sollte mich, Sie lachen bestimmt schon, sollte mich für die Vase mit den authentischen PVC-Blumen begeistern.
Sie steht genau neben dem Streuer. Aber sie lässt mich mehr als kalt; stets schiebe ich sie so weit weg, wie es mir möglich ist, ans andere Tischende. Gern würfe ich sie diesem Mittdreißiger und Caféinhaber an den Schädel, einem brillentragenden Schleimbeutel mit, worauf ich wette, BWL-Vergangenheit. Oft stelle ich mir vor, wie er im Hinterzimmer vor seiner gelangweilten Belegschaft herum doziert; Sachen wie:

'Ich bin der festen Ansicht, dass wir davon absehen können, Investitionen in das Interieur zu tätigen. Das macht nach wie vor einen guten Job.'

Gestern trug sich etwas zu, dass mich davon ferngehalten hat, heute mein Café zu besuchen. Und ich fürchte, dass ich auch nicht morgen und übermorgen und jemals wiederkehren werde.
Ich trank meinen Kaffee, hatte bereits den Baum gekerbt und untersuchte die Tischdecke auf Gewebsverschleißspuren, als die Bedienung kam, 'Ich darf doch?' mehr sagte als fragte und im Begriff war, mir den Zuckerstreuer abzuräumen. Unsere Hände erreichten ihn zur gleichen Zeit.
Zur gleichen Zeit wurde er gehalten und an ihm gezogen.
"Ich ... ", sagte ich, obwohl ich 'nein' dachte.
"Sie nehmen doch keinen Zucker zum Kaffee?", sagte die scheinbar verblüffte Schürzenfrau.
"Das ist nur die halbe Wahrheit", sagte ich, worauf sie mir hart den Streuer entwand und entgegnete: "Das ist mir bekannt, mein Herr. Und die andere Hälfte habe ich."

Es waren nicht ihre Worte, nicht nur. Es war das Gesicht, das sie sprach, der Blick, der in mich drang.
Er ist in mir. Er kerbt mir mein Hirn.
 

Plejadus

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Das Café liegt an einer Ecke zweier sich kreuzender Gassen der Altstadt, draußen Tische, ich sitze jedoch stets im Café.
Schrieb ich 'das Café'?
Es ist 'mein Café'; ich halte mich hier beinahe jeden Tag auf, außer Sonntags, denn dann hat es geschlossen.
Ich habe keinen Hund, keine Zimmerpflanzen und meine Frau liegt längst auf dem Hauptfriedhof, ein natürlicher Tod, Sie verstehen.
Hunde dürfen nicht ins Café, Frauen schon. Eine vernünftige Anordnung, man sollte nicht nur die Kirche im Dorf lassen, sondern auch Tier und Ungetier vor den Toren.
Es dürfte Ihnen nicht allzu schwerfallen, zu ermessen, dass ich ein recht unterhaltsamer Zeitgenosse bin.

Obwohl ich Zimmerpflanzen nicht sonderlich schätze - Schuster bleib bei deinen Leisten - pflege ich im Café neben einer solchen zu sitzen, genauer, neben einem Gummibaum aus Echtblatt. Die Pflanze sieht dermaßen künstlich aus, dass ich Mal um Mal mit meinem Fingernagel Kerben in ihre dicken Blätter ritze, mich immer wieder aufs Neue zu vergewissern, ob sie tatsächlich natürlichen Wuchses ist. Sie hat unterdessen schon jede Menge bräunlich verfärbte Narben im Grün. Ich kann nicht sagen, dass ich das bedaure, im Gegenteil, es ist wie eine Art Signatur, mit der ich meinen Stammplatz oder überhaupt das Café markiere.
Und wirklich mögen tue ich den kargen Baum nicht.
Eigentlich ist mir das ganze Café ziemlich zuwider, seine brave Bestuhlung, die teilnahmslose Bedienung, die albernen Tiffanylampen, der Ausblick, der nach fünf Metern an einer Betonwand zerschellt - ja sogar der Kaffee, der weder flau noch stark ist, sondern, wie ich es nennen würde: feige.
Nichts ändert sich hier von einem auf den anderen Tag, kaum etwas, alles bleibt und ich habe keine Ahnung, was mich stets und wieder in diesen mäßigen Stillstand verschlägt. Ich ertappe mich dabei, die hölzernen Beine der Tische und Stühle nach neuen Anstoßungen oder Ratschern hin abzusuchen.
Jede neue Herpeskruste der von hässlicher Routine gegerbten Bedienungen kenne ich aus dem Effeff. Den Existenzekel dieser Alleinerziehenden schmeckt man bis tief in den Mokka.

Manchmal habe ich dunkle Absichten, natürlich theoretischer Natur, nachts an diesen Ort zu schleichen, Benzin zu verschütten, eine Feuersbrunst zu entfesseln und abzuhauen.
Gut, dann wäre erstmal eine Weile Feierabend, die Versicherung würde irgendwann überweisen, das Café komplett renoviert, neue Wände, Böden, Stühle, Tische, Tresen und Zierpflanzen.
Ein Spaß, natürlich - ich halte mich an die Regeln.
Eines, ein einziges, vielleicht genau das, weswegen ich immer wieder einkehre, das ist ...
der Zuckerstreuer. Er hat eine unglaubliche Form und Grazie, sanfte Rillen im weichen Glas, eine silberne Krone, sich keck verjüngend - der süßeste Traum von einem Streuer!
Ich habe sinnliche Fantasien. Ich möchte ihn packen, in meinen beiden Händen halten, zärtlich, hart, ihn liebkosen, fühlen, überall belecken, vom Schaft bis zur Streuauslassung, in wilder Lust den tropenheißen Tanz der Liebe tanzen, ihn einführen, mich mit ihm vereinigen, verschmelzen, für immer - auf dass das nie ende!
Der Knackpunkt: Es ist eine weibliche Fantasie, und ich bin ein Mann, ein Exporteur. Ich sollte mich, Sie lachen bestimmt schon, sollte mich für die Vase mit den authentischen PVC-Blumen begeistern.
Sie steht genau neben dem Streuer. Aber sie lässt mich mehr als kalt; stets schiebe ich sie so weit weg, wie es mir möglich ist, ans andere Tischende. Gern würfe ich sie diesem Mittdreißiger und Caféinhaber an den Schädel, einem brillentragenden Schleimbeutel mit, worauf ich wette, BWL-Vergangenheit. Oft stelle ich mir vor, wie er im Hinterzimmer vor seiner gelangweilten Belegschaft herum doziert; Sachen wie:

'Ich bin der festen Ansicht, dass wir davon absehen können, Investitionen in das Interieur zu tätigen. Das macht nach wie vor einen guten Job.'

Gestern trug sich etwas zu, das mich davon ferngehalten hat, heute mein Café zu besuchen. Und ich fürchte, dass ich auch nicht morgen und übermorgen und jemals wiederkehren werde.
Ich trank meinen Kaffee, hatte bereits den Baum gekerbt und untersuchte die Tischdecke auf Gewebsverschleißspuren, als die Bedienung kam, 'Ich darf doch?' mehr sagte als fragte und im Begriff war, mir den Zuckerstreuer abzuräumen. Unsere Hände erreichten ihn zur gleichen Zeit.
Zur gleichen Zeit wurde er gehalten und an ihm gezogen.
"Ich ... ", sagte ich, obwohl ich 'nein' dachte.
"Sie nehmen doch keinen Zucker zum Kaffee?", sagte die scheinbar verblüffte Schürzenfrau.
"Das ist nur die halbe Wahrheit", sagte ich, worauf sie mir hart den Streuer entwand und entgegnete: "Das ist mir bekannt, mein Herr. Und die andere Hälfte habe ich."

Es waren nicht ihre Worte, nicht nur. Es war das Gesicht, das sie sprach, der Blick, der in mich drang.
Er ist in mir. Er kerbt mir mein Hirn.
 
Hallo Plejadus,

Die Protagonisten deiner letzten beiden Geschichten sind wirklich sehr authentisch! Für mich ist die Geschichte sehr schön zu lesen und erfrischend ernüchternd im Abgang. Die Wiederaufnahme der Kerben ist am Schluss sehr gelungen. Was mich etwas irritiert, ist die scheinbare Wichtigkeit der Erzählung für den Protagonist - vielleicht bin ich dazu zu wenig in Cafés unterwegs. Vielleicht ist das aber auch der Grund, wieso das Ganze interessant ist - man bekommt einen Einblick in (zumindest für mich) sehr befremdliche Verhaltensweisen. insgesamt etwas verwirrend, aber genau deswegen auch lesenswert!

Eine kurze Anmerkung:

Es war das Gesicht, das sie sprach,
Für mich würde hier "Das Gesicht, aus dem sie sprach" verständlicher sein.

Liebe Grüße
Tobid
 

Plejadus

Mitglied
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Das Café liegt an einer Ecke zweier sich kreuzender Gassen der Altstadt, draußen Tische, ich sitze jedoch stets im Café.
Schrieb ich 'das Café'?
Es ist 'mein Café'; ich halte mich hier beinahe jeden Tag auf, außer Sonntags, denn dann hat es geschlossen.
Ich habe keinen Hund, keine Zimmerpflanzen und meine Frau liegt längst auf dem Hauptfriedhof, ein natürlicher Tod, Sie verstehen.
Hunde dürfen nicht ins Café, Frauen schon. Eine vernünftige Anordnung, man sollte nicht nur die Kirche im Dorf lassen, sondern auch Tier und Ungetier vor den Toren.
Es dürfte Ihnen nicht allzu schwerfallen, zu ermessen, dass ich ein recht unterhaltsamer Zeitgenosse bin.

Obwohl ich Zimmerpflanzen nicht sonderlich schätze - Schuster bleib bei deinen Leisten - pflege ich im Café neben einer solchen zu sitzen, genauer, neben einem Gummibaum aus Echtblatt. Die Pflanze sieht dermaßen künstlich aus, dass ich Mal um Mal mit meinem Fingernagel Kerben in ihre dicken Blätter ritze, mich immer wieder aufs Neue zu vergewissern, ob sie tatsächlich natürlichen Wuchses ist. Sie hat unterdessen schon jede Menge bräunlich verfärbte Narben im Grün. Ich kann nicht sagen, dass ich das bedaure, im Gegenteil, es ist wie eine Art Signatur, mit der ich meinen Stammplatz oder überhaupt das Café markiere.
Und wirklich mögen tue ich den kargen Baum nicht.
Eigentlich ist mir das ganze Café ziemlich zuwider, seine brave Bestuhlung, die teilnahmslose Bedienung, die albernen Tiffanylampen, der Ausblick, der nach fünf Metern an einer Betonwand zerschellt - ja sogar der Kaffee, der weder flau noch stark ist, sondern, wie ich es nennen würde: feige.
Nichts ändert sich hier von einem auf den anderen Tag, kaum etwas, alles bleibt und ich habe keine Ahnung, was mich stets und wieder in diesen mäßigen Stillstand verschlägt. Ich ertappe mich dabei, die hölzernen Beine der Tische und Stühle nach neuen Anstoßungen oder Ratschern hin abzusuchen.
Jede neue Herpeskruste der von hässlicher Routine gegerbten Bedienungen kenne ich aus dem Effeff. Den Existenzekel dieser Alleinerziehenden schmeckt man bis tief in den Mokka.

Manchmal habe ich dunkle Absichten, natürlich theoretischer Natur, nachts an diesen Ort zu schleichen, Benzin zu verschütten, eine Feuersbrunst zu entfesseln und abzuhauen.
Gut, dann wäre erstmal eine Weile Feierabend, die Versicherung würde irgendwann überweisen, das Café komplett renoviert, neue Wände, Böden, Stühle, Tische, Tresen und Zierpflanzen.
Ein Spaß, natürlich - ich halte mich an die Regeln.
Eines, ein einziges, vielleicht genau das, weswegen ich immer wieder einkehre, das ist ...
der Zuckerstreuer. Er hat eine unglaubliche Form und Grazie, sanfte Rillen im weichen Glas, eine silberne Krone, sich keck verjüngend - der süßeste Traum von einem Streuer!
Ich habe sinnliche Fantasien. Ich möchte ihn packen, in meinen beiden Händen halten, zärtlich, hart, ihn liebkosen, fühlen, überall belecken, vom Schaft bis zur Streuauslassung, in wilder Lust den tropenheißen Tanz der Liebe tanzen, ihn einführen, mich mit ihm vereinigen, verschmelzen, für immer - auf dass das nie ende!
Der Knackpunkt: Es ist eine weibliche Fantasie, und ich bin ein Mann, ein Exporteur. Ich sollte mich, Sie lachen bestimmt schon, sollte mich für die Vase mit den authentischen PVC-Blumen begeistern.
Sie steht genau neben dem Streuer. Aber sie lässt mich mehr als kalt; stets schiebe ich sie so weit weg, wie es mir möglich ist, ans andere Tischende. Gern würfe ich sie diesem Mittdreißiger und Caféinhaber an den Schädel, einem brillentragenden Schleimbeutel mit, worauf ich wette, BWL-Vergangenheit. Oft stelle ich mir vor, wie er im Hinterzimmer vor seiner gelangweilten Belegschaft herum doziert; Sachen wie:

'Ich bin der festen Ansicht, dass wir davon absehen können, Investitionen in das Interieur zu tätigen. Das macht nach wie vor einen guten Job.'

Gestern trug sich etwas zu, das mich davon ferngehalten hat, heute mein Café zu besuchen. Und ich fürchte, dass ich auch nicht morgen und übermorgen und jemals wiederkehren werde.
Ich trank meinen Kaffee, hatte bereits den Baum gekerbt und untersuchte die Tischdecke auf Gewebsverschleißspuren, als die Bedienung kam, 'Ich darf doch?' mehr sagte als fragte und im Begriff war, mir den Zuckerstreuer abzuräumen. Unsere Hände erreichten ihn zur gleichen Zeit.
Zur gleichen Zeit wurde er gehalten und an ihm gezogen.
"Ich ... ", sagte ich, obwohl ich 'nein' dachte.
"Sie nehmen doch keinen Zucker zum Kaffee?", sagte die scheinbar verblüffte Schürzenfrau.
"Das ist nur die halbe Wahrheit", sagte ich, worauf sie mir hart den Streuer entwand und entgegnete: "Das ist mir bekannt, mein Herr. Und die andere Hälfte habe ich."

Es waren nicht ihre Worte, nicht nur. Es war das Gesicht, das diese Worte sprach, der Blick, der in mich drang.
Er ist in mir. Er kerbt mir mein Hirn.
 

Plejadus

Mitglied
Jaha,der Mensch ist kein leicht zu fassendes Zuckerwürfelchen des Cafés in der Milchstraße. Aber gottlob nähert sich ja der Andromeda-Nebel ...
Vielen Dank für die Anregung, Ich hatte diese Stelle auch schon auf dem Nachbetrachtungsschirm, war mir jedoch nicht sicher, ob es irritiert oder wegen seiner
Schlichtheit vllt nicht doch passte.
Ersteres scheint der Fall, so dass ich den Text nun bedokterte.
Gruß
Plej.
 
G

Gelöschtes Mitglied 18005

Gast
Wie, Plejadus,

machst du das nur? Der Text hat mich in seinen Bann gezogen und nicht losgelassen bis ich jedes einzelne Wort aufgesaugt habe. Das ist echte Literatur, wenn auch irgendwie an Stellen komisch, aber je komischer die Geschichte wurde, desto stärker und intensiver passte ich auf, damit mir auch ja kein Wort entwischt.

Fabelhaft :)

Grß,
Ptr

PS:

[...] man sollte nicht nur die Kirche im Dorf lassen [...]
sollte man das? soso ...

Es dürfte Ihnen nicht allzu schwerfallen, zu ermessen, dass ich ein recht unterhaltsamer Zeitgenosse bin.
Ja, das sehe ich schon!

Schuster bleib bei deinen Leisten
den Teil verstehe ich nicht. Wer ist Schuster und welche Leisten sind gemeint?

Die Pflanze sieht dermaßen künstlich aus, dass ich Mal um Mal mit meinem Fingernagel Kerben in ihre dicken Blätter ritze, mich immer wieder aufs Neue zu vergewissern, ob sie tatsächlich natürlichen Wuchses ist.
in diesem Fall sieht die Pflanze jedoch nicht künstlich aus sondern eben genau nicht. Der erste Satzteil wäre somit falsch - oder nicht? Außerdem: fehlt dort nicht ein "um" vor "mich"?

Ich kann nicht sagen, dass ich das bedaure, im Gegenteil, es ist wie eine Art Signatur, mit der ich meinen Stammplatz oder überhaupt das Café markiere.
Und wirklich mögen tue ich den kargen Baum nicht.
Zuerst zu sagen, dass man etwas NICHT bedauert und dann das Gegenteil zu behaupten, die beiden Sätze jedoch mit einem "Und" zu verbinden ist unlogisch. Ein "Aber" wäre hier passender.

ja sogar der Kaffee, der weder flau noch stark ist, sondern, wie ich es nennen würde: feige.
Das "feige" war überraschend ausdrucksschwach - ich habe etwas anderes, nicht so mildes, erwartet. Meine Erwartung durchbrochen habe ich aber, wie oben erwähnt, mich noch deutlicher konzentriert.

Jede neue Herpeskruste der von hässlicher Routine gegerbten Bedienungen kenne ich aus dem Effeff.
musste ich sehr oft lesen bis ich es verstanden habe :) endlich :D

Den Existenzekel dieser Alleinerziehenden schmeckt man bis tief in den Mokka.
wunderbar gemacht!

Manchmal habe ich dunkle Absichten, natürlich theoretischer Natur, nachts an diesen Ort zu schleichen, Benzin zu verschütten, eine Feuersbrunst zu entfesseln und abzuhauen.
sehr schön!

der Zuckerstreuer
diese ganze Zuckerstreuer-Passage ist sehr albern - ich liebe sie.

"Das ist mir bekannt, mein Herr. Und die andere Hälfte habe ich."
wie meinst du das? welche Hälfte hat die Bedienung? Die andere Hälfte des Zuckerstreuers oder die andere Hälfte der Wahrheit?

Es waren nicht ihre Worte, nicht nur. Es war das Gesicht, das diese Worte sprach, der Blick, der in mich drang.
Er ist in mir. Er kerbt mir mein Hirn.
Ein spannendes Ende! Jedes einzelne Wort ist wichtig - erzählt.

Das ist ein Stücklein, das man immer wieder lesen kann und aufgrund der entzückenden Sprache wird es nicht langweilig.
 

Plejadus

Mitglied
Guten Tag Etma,

schön, das es dem Text offenbar gelingt, Dir nachhaltig durch den Kopf zu geistern. :)


Zu Deinen Anmerkungen:

"...man sollte nicht nur die Kirche im Dorf lassen ..."
Gibt es eigentlich schon "Kirche auf Rädern"? Ansonsten vllt eine pfiffige Geschäftsidee, sein Schreiben gegenzufinanzieren :)
(fehlt hier auch ein 'um'? - siehe weiter unten)
Jedenfalls gefällt sich der cafehockende Prot hier im Bilderschmieden; offenbar hat er mal ein Metapherbastelkurs belegt...

"Es dürfte Ihnen nicht allzu schwerfallen, zu ermessen, dass ich ein recht unterhaltsamer Zeitgenosse bin."
Ja, das sehe ich schon!/i]
Klar, wer schon solches schreibt, muss förmlich ein solcher sein, wobei eine gewisse Unfreiwilligkeit hinsichtlich des Unterfangens nur seitens des Prot bestritten werden würde ...

"Die Pflanze sieht dermaßen künstlich aus, dass ich Mal um Mal mit meinem Fingernagel Kerben in ihre dicken Blätter ritze, mich immer wieder aufs Neue zu vergewissern, ob sie tatsächlich natürlichen Wuchses ist."

in diesem Fall sieht die Pflanze jedoch nicht künstlich aus sondern eben genau nicht. Der erste Satzteil wäre somit falsch - oder nicht? Außerdem: fehlt dort nicht ein "um" vor "mich"?


Hier bringst Du ich ins Schlingern. Nach mehrmaligem Lesen ist es mir nicht erklärlich, worauf du hinaus willst, aber es ist gut möglich, dass ir die selbstgestellte Logikfalle den Verstand trübt.
Ich lasse den Prot. feststellen, dass die Pflanze künstlich ausschaut, und zwar übermäßig. Natürlich impliziert dies, dass er umkehrschlüssig weiß, dass sie es nicht ist. Offenbar hält ihn dies aber nicht davon fern, um sich stets aufs Neue zu vergewissern, an ihr herumzuritzen.
Was das 'um' anbetrifft, so kann man es natürlich einfügen - aber muss man es? Ich bin mir nicht gänzlich aber fästlich sicher, dass man es hier nicht muss (weiter oben auch nicht). Aber wie betont, ich vermute es stark. Einzig auf der Grundlage grammatischen Gefühls.

"Ich kann nicht sagen, dass ich das bedaure, im Gegenteil, es ist wie eine Art Signatur, mit der ich meinen Stammplatz oder überhaupt das Café markiere.
Und wirklich mögen tue ich den kargen Baum nicht."

Zuerst zu sagen, dass man etwas NICHT bedauert und dann das Gegenteil zu behaupten, die beiden Sätze jedoch mit einem "Und" zu verbinden ist unlogisch. Ein "Aber" wäre hier passender.


Wohingegen ich hier d'accord gehe und zur Korrektur schreiten werde.

"ja sogar der Kaffee, der weder flau noch stark ist, sondern, wie ich es nennen würde: feige."

Das "feige" war überraschend ausdrucksschwach - ich habe etwas anderes, nicht so mildes, erwartet. Meine Erwartung durchbrochen habe ich aber, wie oben erwähnt, mich noch deutlicher konzentriert.


Diesen Einwand kann ich nachvollziehen; hier hätte der Prot auch blumig abkotzen können.
Wenn ich hier den Text lasse, so deshalb, da ich irgendwie denke, dass ich mir, als ich es schrieb, irgend etwas dabei gedacht hatte, es nicht zu tun.
Möglicherweise (wer kennt sich schon näher) war es mir um den Begriff 'feige', dergestalt, dass es mit der eigentümlichen Widersprüchlichkeit korrespondiert, die darin besteht, dass sich der Herr überhaupt fortgesetzt entschließt, diesen Ort aufzusuchen, obgleich einem die Logik ja spräche, dass Orte, die einem missfallen eher jene sind, die man meidet.

"Das ist mir bekannt, mein Herr. Und die andere Hälfte habe ich."

wie meinst du das? welche Hälfte hat die Bedienung? Die andere Hälfte des Zuckerstreuers oder die andere Hälfte der Wahrheit?


Hier soll schon Rätselhaftes durch die Zeilenzwischenräume schleichen.
Die andere Hälfte - es bleibt offen, es ist gewissermaßen das Recht des Prots auf Kopfkino.
Man ahnt vielleicht, dass er ahnt, dass sie ahnt . .

Deine restlichen Anmerkungen kommen in meine Verlegenheitspuderdose, vielen Dank ...
Plej.
 

Plejadus

Mitglied
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Das Café liegt an einer Ecke zweier sich kreuzender Gassen der Altstadt, draußen Tische, ich sitze jedoch stets im Café.
Schrieb ich 'das Café'?
Es ist 'mein Café'; ich halte mich hier beinahe jeden Tag auf, außer Sonntags, denn dann hat es geschlossen.
Ich habe keinen Hund, keine Zimmerpflanzen und meine Frau liegt längst auf dem Hauptfriedhof, ein natürlicher Tod, Sie verstehen.
Hunde dürfen nicht ins Café, Frauen schon. Eine vernünftige Anordnung, man sollte nicht nur die Kirche im Dorf lassen, sondern auch Tier und Ungetier vor den Toren.
Es dürfte Ihnen nicht allzu schwerfallen, zu ermessen, dass ich ein recht unterhaltsamer Zeitgenosse bin.

Obwohl ich Zimmerpflanzen nicht sonderlich schätze - Schuster bleib bei deinen Leisten - pflege ich im Café neben einer solchen zu sitzen, genauer, neben einem Gummibaum aus Echtblatt. Die Pflanze sieht dermaßen künstlich aus, dass ich Mal um Mal mit meinem Fingernagel Kerben in ihre dicken Blätter ritze, mich immer wieder aufs Neue zu vergewissern, ob sie tatsächlich natürlichen Wuchses ist. Sie hat unterdessen schon jede Menge bräunlich verfärbte Narben im Grün. Ich kann nicht sagen, dass ich das bedaure, im Gegenteil, es ist wie eine Art Signatur, mit der ich meinen Stammplatz oder überhaupt das Café markiere.
Aber wirklich mögen tue ich den kargen Baum nicht.
Eigentlich ist mir das ganze Café ziemlich zuwider, seine brave Bestuhlung, die teilnahmslose Bedienung, die albernen Tiffanylampen, der Ausblick, der nach fünf Metern an einer Betonwand zerschellt - ja sogar der Kaffee, der weder flau noch stark ist, sondern, wie ich es nennen würde: feige.
Nichts ändert sich hier von einem auf den anderen Tag, kaum etwas, alles bleibt und ich habe keine Ahnung, was mich stets und wieder in diesen mäßigen Stillstand verschlägt. Ich ertappe mich dabei, die hölzernen Beine der Tische und Stühle nach neuen Anstoßungen oder Ratschern hin abzusuchen.
Jede neue Herpeskruste der von hässlicher Routine gegerbten Bedienungen kenne ich aus dem Effeff. Den Existenzekel dieser Alleinerziehenden schmeckt man bis tief in den Mokka.

Manchmal habe ich dunkle Absichten, natürlich theoretischer Natur, nachts an diesen Ort zu schleichen, Benzin zu verschütten, eine Feuersbrunst zu entfesseln und abzuhauen.
Gut, dann wäre erstmal eine Weile Feierabend, die Versicherung würde irgendwann überweisen, das Café komplett renoviert, neue Wände, Böden, Stühle, Tische, Tresen und Zierpflanzen.
Ein Spaß, natürlich - ich halte mich an die Regeln.
Eines, ein einziges, vielleicht genau das, weswegen ich immer wieder einkehre, das ist ...
der Zuckerstreuer. Er hat eine unglaubliche Form und Grazie, sanfte Rillen im weichen Glas, eine silberne Krone, sich keck verjüngend - der süßeste Traum von einem Streuer!
Ich habe sinnliche Fantasien. Ich möchte ihn packen, in meinen beiden Händen halten, zärtlich, hart, ihn liebkosen, fühlen, überall belecken, vom Schaft bis zur Streuauslassung, in wilder Lust den tropenheißen Tanz der Liebe tanzen, ihn einführen, mich mit ihm vereinigen, verschmelzen, für immer - auf dass das nie ende!
Der Knackpunkt: Es ist eine weibliche Fantasie, und ich bin ein Mann, ein Exporteur. Ich sollte mich, Sie lachen bestimmt schon, sollte mich für die Vase mit den authentischen PVC-Blumen begeistern.
Sie steht genau neben dem Streuer. Aber sie lässt mich mehr als kalt; stets schiebe ich sie so weit weg, wie es mir möglich ist, ans andere Tischende. Gern würfe ich sie diesem Mittdreißiger und Caféinhaber an den Schädel, einem brillentragenden Schleimbeutel mit, worauf ich wette, BWL-Vergangenheit. Oft stelle ich mir vor, wie er im Hinterzimmer vor seiner gelangweilten Belegschaft herum doziert; Sachen wie:

'Ich bin der festen Ansicht, dass wir davon absehen können, Investitionen in das Interieur zu tätigen. Das macht nach wie vor einen guten Job.'

Gestern trug sich etwas zu, das mich davon ferngehalten hat, heute mein Café zu besuchen. Und ich fürchte, dass ich auch nicht morgen und übermorgen und jemals wiederkehren werde.
Ich trank meinen Kaffee, hatte bereits den Baum gekerbt und untersuchte die Tischdecke auf Gewebsverschleißspuren, als die Bedienung kam, 'Ich darf doch?' mehr sagte als fragte und im Begriff war, mir den Zuckerstreuer abzuräumen. Unsere Hände erreichten ihn zur gleichen Zeit.
Zur gleichen Zeit wurde er gehalten und an ihm gezogen.
"Ich ... ", sagte ich, obwohl ich 'nein' dachte.
"Sie nehmen doch keinen Zucker zum Kaffee?", sagte die scheinbar verblüffte Schürzenfrau.
"Das ist nur die halbe Wahrheit", sagte ich, worauf sie mir hart den Streuer entwand und entgegnete: "Das ist mir bekannt, mein Herr. Und die andere Hälfte habe ich."

Es waren nicht ihre Worte, nicht nur. Es war das Gesicht, das diese Worte sprach, der Blick, der in mich drang.
Er ist in mir. Er kerbt mir mein Hirn.
 

Plejadus

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Das Café liegt an einer Ecke zweier sich kreuzender Gassen der Altstadt, draußen Tische, ich sitze jedoch stets im Café.
Schrieb ich 'das Café'?
Es ist 'mein Café'; ich halte mich hier beinahe jeden Tag auf, außer sonntags, denn dann hat es geschlossen.
Ich habe keinen Hund, keine Zimmerpflanzen und meine Frau liegt längst auf dem Hauptfriedhof, ein natürlicher Tod, Sie verstehen.
Hunde dürfen nicht ins Café, Frauen schon. Eine vernünftige Anordnung, man sollte nicht nur die Kirche im Dorf lassen, sondern auch Tier und Ungetier vor den Toren.
Es dürfte Ihnen nicht allzu schwerfallen, zu ermessen, dass ich ein recht unterhaltsamer Zeitgenosse bin.

Obwohl ich Zimmerpflanzen nicht sonderlich schätze, pflege ich im Café neben einer solchen zu sitzen, genauer, neben einem Gummibaum aus Echtblatt. Die Pflanze sieht dermaßen künstlich aus, dass ich Mal um Mal mit meinem Fingernagel Kerben in ihre dicken Blätter ritze, mich immer wieder aufs Neue zu vergewissern, ob sie tatsächlich natürlichen Wuchses ist. Sie hat unterdessen schon jede Menge bräunlich verfärbte Narben im Grün. Ich kann nicht sagen, dass ich das bedaure, im Gegenteil, es ist wie eine Art Signatur, mit der ich meinen Stammplatz oder überhaupt das Café markiere.
Aber wirklich mögen tue ich den kargen Baum nicht.
Eigentlich ist mir das ganze Café ziemlich zuwider, seine brave Bestuhlung, die teilnahmslose Bedienung, die albernen Tiffanylampen, der Ausblick, der nach fünf Metern an einer Betonwand zerschellt - ja sogar der Kaffee, der weder flau noch stark ist, sondern, wie ich es nennen würde: feige.
Nichts ändert sich hier von einem auf den anderen Tag, kaum etwas, alles bleibt und ich habe keine Ahnung, was mich stets und wieder in diesen mäßigen Stillstand verschlägt. Ich ertappe mich dabei, die hölzernen Beine der Tische und Stühle nach neuen Anstoßungen oder Ratschern hin abzusuchen.
Jede neue Herpeskruste der von hässlicher Routine gegerbten Bedienungen kenne ich aus dem Effeff. Den Existenzekel dieser Alleinerziehenden schmeckt man bis tief in den Mokka.

Manchmal habe ich dunkle Absichten, natürlich theoretischer Natur, nachts an diesen Ort zu schleichen, Benzin zu verschütten, eine Feuersbrunst zu entfesseln und abzuhauen.
Gut, dann wäre erstmal eine Weile Feierabend, die Versicherung würde irgendwann überweisen, das Café komplett renoviert, neue Wände, Böden, Stühle, Tische, Tresen und Zierpflanzen.
Ein Spaß, natürlich - ich halte mich an die Regeln.
Eines, ein einziges, vielleicht genau das, weswegen ich immer wieder einkehre, das ist ...
der Zuckerstreuer. Er hat eine unglaubliche Form und Grazie, sanfte Rillen im weichen Glas, eine silberne Krone, sich keck verjüngend - der süßeste Traum von einem Streuer!
Ich habe sinnliche Fantasien. Ich möchte ihn packen, in meinen beiden Händen halten, zärtlich, hart, ihn liebkosen, fühlen, überall belecken, vom Schaft bis zur Streuauslassung, in wilder Lust den tropenheißen Tanz der Liebe tanzen, ihn einführen, mich mit ihm vereinigen, verschmelzen, für immer - auf dass das nie ende!
Der Knackpunkt: Es ist eine weibliche Fantasie, und ich bin ein Mann, ein Exporteur. Ich sollte mich, Sie lachen bestimmt schon, sollte mich für die Vase mit den authentischen PVC-Blumen begeistern.
Sie steht genau neben dem Streuer. Aber sie lässt mich mehr als kalt; stets schiebe ich sie so weit weg, wie es mir möglich ist, ans andere Tischende. Gern würfe ich sie diesem Mittdreißiger und Caféinhaber an den Schädel, einem brillentragenden Schleimbeutel mit, worauf ich wette, BWL-Vergangenheit. Oft stelle ich mir vor, wie er im Hinterzimmer vor seiner gelangweilten Belegschaft herum doziert; Sachen wie:

'Ich bin der festen Ansicht, dass wir davon absehen können, Investitionen in das Interieur zu tätigen. Das macht nach wie vor einen guten Job.'

Gestern trug sich etwas zu, das mich davon ferngehalten hat, heute mein Café zu besuchen. Und ich fürchte, dass ich auch nicht morgen und übermorgen und jemals wiederkehren werde.
Ich trank meinen Kaffee, hatte bereits den Baum gekerbt und untersuchte die Tischdecke auf Gewebsverschleißspuren, als die Bedienung kam, 'Ich darf doch?' mehr sagte als fragte und im Begriff war, mir den Zuckerstreuer abzuräumen. Unsere Hände erreichten ihn zur gleichen Zeit.
Zur gleichen Zeit wurde er gehalten und an ihm gezogen.
"Ich ... ", sagte ich, obwohl ich 'nein' dachte.
"Sie nehmen doch keinen Zucker zum Kaffee?", sagte die scheinbar verblüffte Schürzenfrau.
"Das ist nur die halbe Wahrheit", sagte ich, worauf sie mir hart den Streuer entwand und entgegnete: "Das ist mir bekannt, mein Herr. Und die andere Hälfte habe ich."

Es waren nicht ihre Worte, nicht nur. Es war das Gesicht, das diese Worte sprach, der Blick, der in mich drang.
Er ist in mir. Er kerbt mir mein Hirn.
 
Hallo Plejadus

Ich lese mich gerade durch deine Geschichten, angefangen mit dieser alternativen, amüsanten Lilofee vom Rheingau. Diese Story hier erscheint mir ebenfalls recht gelungen. Eine Anmerkung jedoch, etwas geschmäcklerisch mag es zwar klingen, aber ich finde, dass der Ekel, z.B. bei den "Herpeskrusten" der Bedienung, etwas zu dick aufgetragen ist. Manchmal ist weniger mehr, wie bei der Musik: Wenn der Maximalpegel in einem Stück zu oft auftritt, verliert er an Wert.

Freundliche Grüße, Binsenbrecher
 

Plejadus

Mitglied
Guten Abend Binsenbrecher,
vielen Dank zunächst für das Dich-durch-meine-Geschichten lesen und die Kritik.
Dass dir die "Herpeskrusten" als too-much erscheinen, kann ich durchaus nachvollziehen. Die Dosierung solcher Mittel ist kein Leichtes, denn auch ein Zuwenig kann sich ungünstig auswirken. Ich habe mich hier bei der Charakterzeichnung des Prots dafür entschieden , ihn zu überzeichnen, um die Figur mit deren ja auch frappierenden, absurden Betragen glaubhaft als ekelgesteuert zu synchroniesieren.
Gruß
- Plej.
 

PhilMarlowe

Mitglied
Hallo Plejadus,

hier hast Du eine ungewöhnliche, eher skurrile Geschichte von besonderem Reiz geschrieben. Meinen Glückwunsch.
Zum Einen die wundervolle Beschreibung dieses Cafés mit der tristen Inneneinrichtung, in dem wir sicherlich alle schon
einmal saßen. Zu meinem Erstaunen erscheint hier vor meinem geistigen Auge das typische Friedhofscafé, in dem der sogenannte "Leichenschmaus" stattfindet und das in seiner Tristesse mit der vorausgegangenen Beerdigung in einen Wettstreit um den ersten Platz der Traurigkeit eintritt.
Wunderschön geschrieben. Man hat nicht nur den Ort und seine traurigen Protagonisten vor Auge, man kann förmlich die Gerüche und Geräusche wahrnehmen.
Dies wird umrankt von skurrilen Einfällen ( Zuckerdose ) und einem ( mich jedenfalls ) verwirrenden und offenen Ende.
Nichts wirkt konstruiert oder erzwungen, alles hat einen leichten Fluss.
Ich danke Dir für diese wunderschöne Geschichte. Sie zu lesen, war ein absolutes Vergnügen.

Gruß
PhilMarlowe
 

Val Sidal

Mitglied
@Plejadus

ein gelungener Text.

Paar kleine Hinweise -- reine Geschmackssache:

Der Wechsel von der Liebeserklärung an das Café zur großen Enttäuschung ist im Plot zeitlich gut proportioniert, für meinen Geschmack ist aber der damit verbundene emotionaler Umschwung flach geraten und in einer wenig überzeugende Relation dazu gesetzt.

Es dürfte Ihnen [strike][red]nicht allzu schwerfallen, zu ermessen[/red][/strike] [blue]nicht entgangen sein[/blue], dass ich ein recht unterhaltsamer Zeitgenosse bin.
-- Würde die Ironiedosis ein wenig steigern.
"Das ist nur die halbe Wahrheit", sagte ich, worauf sie mir hart den Streuer entwand[blue].[/blue] [blue](hier würde ich lieber ihr(en) Gesicht(sausdruck)sehen oder ihre Stimme/Ton hören, oder nichts davon, statt „[red]und entgegnete:[/red]“ – es stört.)[/blue] "Das ist mir bekannt, mein Herr. Und die andere Hälfte habe ich."
Es waren nicht ihre Worte, nicht nur. Es war das Gesicht, das [blue]zu mir[/blue] [strike][red]diese Worte[/red] [/strike]sprach, der Blick, der in mich drang.
Er ist in mir. Er kerbt mir mein Hirn.
 

Plejadus

Mitglied
Guten Tag @PhilMarlowe,

ich fühle mich bezuckerstreut :)

Das verwirrende, offene Ende der Story ist natürlich, wie sich denken lässt, gestalterische Absicht, und es liegt in der Natur der Sache, dass, da es kein Rätsel ist, auch keine Lösung dahinter verborgen ist, sonden es sich vielmehr um die Einladung zum Kopfkino handelt...
Gruß
_Plej.
 

Plejadus

Mitglied
Guten Tag @ValS,

vielen Dank für die Textbeschäftigung und die Hinweise, die allenthalben nützliche sind,
wobei ich mir (noch) nicht in jedem Falle sicher bin, ob ich sie in eine Korrektur einbeziehe.
Vom ersten abgesehen handelt es sich jedenfalls um Textstellen, an denen ich ebenfalls herumdokterte, ehe ich mich für die zur Zeit zu lesende Variante entschied.

Was Deinen ersten Vorschlag anbelangt, wirst Du ihn in Kürze im Text vorfinden, da diese Formulierung in der Tat eine Spur trefflicher klingt.

Die das Ende betreffenden Hinweise deuten mir jedenfalls plausibel an, dass hier noch 'etwas geht'. Ich schwanke jedoch, ob ich da noch einmal dran herumfummelen werde.
Insbesondere bin ich mir unschlüssig, ob es ein Mehr im Sinne von Metapher oder bildhafter Erklärung benötigt, oder ob hier nicht der Leser zu sehr der Möglichkeit beraubt würde, seiner spekuativen Phantasie freien Lauf zu lassen.

Deinen eingangs getroffenen Gedanken bezüglich des emotionalen Umschwunges bzw. dessen Flachheit vermag ich zumindest teilweise nachzuvollziehen. Ein wenig gilt hier aber auch der Verweis auf die Gratwanderung zwischen Auserklären und Reduktion einer letztlich doch gestalterisch recht komprimiert angelegten KG.
Ich werde daran noch einmal herumdenken.
Gruß
Plej.
 

Plejadus

Mitglied
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Das Café liegt an einer Ecke zweier sich kreuzender Gassen der Altstadt, draußen Tische, ich sitze jedoch stets im Café.
Schrieb ich 'das Café'?
Es ist 'mein Café'; ich halte mich hier beinahe jeden Tag auf, außer sonntags, denn dann hat es geschlossen.
Ich habe keinen Hund, keine Zimmerpflanzen und meine Frau liegt längst auf dem Hauptfriedhof, ein natürlicher Tod, Sie verstehen.
Hunde dürfen nicht ins Café, Frauen schon. Eine vernünftige Anordnung, man sollte nicht nur die Kirche im Dorf lassen, sondern auch Tier und Ungetier vor den Toren.
Es dürfte Ihnen nicht entgangen sein, dass ich ein recht unterhaltsamer Zeitgenosse bin.

Obwohl ich Zimmerpflanzen nicht sonderlich schätze, pflege ich im Café neben einer solchen zu sitzen, genauer, neben einem Gummibaum aus Echtblatt. Die Pflanze sieht dermaßen künstlich aus, dass ich Mal um Mal mit meinem Fingernagel Kerben in ihre dicken Blätter ritze, mich immer wieder aufs Neue zu vergewissern, ob sie tatsächlich natürlichen Wuchses ist. Sie hat unterdessen schon jede Menge bräunlich verfärbte Narben im Grün. Ich kann nicht sagen, dass ich das bedaure, im Gegenteil, es ist wie eine Art Signatur, mit der ich meinen Stammplatz oder überhaupt das Café markiere.
Aber wirklich mögen tue ich den kargen Baum nicht.
Eigentlich ist mir das ganze Café ziemlich zuwider, seine brave Bestuhlung, die teilnahmslose Bedienung, die albernen Tiffanylampen, der Ausblick, der nach fünf Metern an einer Betonwand zerschellt - ja sogar der Kaffee, der weder flau noch stark ist, sondern, wie ich es nennen würde: feige.
Nichts ändert sich hier von einem auf den anderen Tag, kaum etwas, alles bleibt und ich habe keine Ahnung, was mich stets und wieder in diesen mäßigen Stillstand verschlägt. Ich ertappe mich dabei, die hölzernen Beine der Tische und Stühle nach neuen Anstoßungen oder Ratschern hin abzusuchen.
Jede neue Herpeskruste der von hässlicher Routine gegerbten Bedienungen kenne ich aus dem Effeff. Den Existenzekel dieser Alleinerziehenden schmeckt man bis tief in den Mokka.

Manchmal habe ich dunkle Absichten, natürlich theoretischer Natur, nachts an diesen Ort zu schleichen, Benzin zu verschütten, eine Feuersbrunst zu entfesseln und abzuhauen.
Gut, dann wäre erstmal eine Weile Feierabend, die Versicherung würde irgendwann überweisen, das Café komplett renoviert, neue Wände, Böden, Stühle, Tische, Tresen und Zierpflanzen.
Ein Spaß, natürlich - ich halte mich an die Regeln.
Eines, ein einziges, vielleicht genau das, weswegen ich immer wieder einkehre, das ist ...
der Zuckerstreuer. Er hat eine unglaubliche Form und Grazie, sanfte Rillen im weichen Glas, eine silberne Krone, sich keck verjüngend - der süßeste Traum von einem Streuer!
Ich habe sinnliche Fantasien. Ich möchte ihn packen, in meinen beiden Händen halten, zärtlich, hart, ihn liebkosen, fühlen, überall belecken, vom Schaft bis zur Streuauslassung, in wilder Lust den tropenheißen Tanz der Liebe tanzen, ihn einführen, mich mit ihm vereinigen, verschmelzen, für immer - auf dass das nie ende!
Der Knackpunkt: Es ist eine weibliche Fantasie, und ich bin ein Mann, ein Exporteur. Ich sollte mich, Sie lachen bestimmt schon, sollte mich für die Vase mit den authentischen PVC-Blumen begeistern.
Sie steht genau neben dem Streuer. Aber sie lässt mich mehr als kalt; stets schiebe ich sie so weit weg, wie es mir möglich ist, ans andere Tischende. Gern würfe ich sie diesem Mittdreißiger und Caféinhaber an den Schädel, einem brillentragenden Schleimbeutel mit, worauf ich wette, BWL-Vergangenheit. Oft stelle ich mir vor, wie er im Hinterzimmer vor seiner gelangweilten Belegschaft herum doziert; Sachen wie:

'Ich bin der festen Ansicht, dass wir davon absehen können, Investitionen in das Interieur zu tätigen. Das macht nach wie vor einen guten Job.'

Gestern trug sich etwas zu, das mich davon ferngehalten hat, heute mein Café zu besuchen. Und ich fürchte, dass ich auch nicht morgen und übermorgen und jemals wiederkehren werde.
Ich trank meinen Kaffee, hatte bereits den Baum gekerbt und untersuchte die Tischdecke auf Gewebsverschleißspuren, als die Bedienung kam, 'Ich darf doch?' mehr sagte als fragte und im Begriff war, mir den Zuckerstreuer abzuräumen. Unsere Hände erreichten ihn zur gleichen Zeit.
Zur gleichen Zeit wurde er gehalten und an ihm gezogen.
"Ich ... ", sagte ich, obwohl ich 'nein' dachte.
"Sie nehmen doch keinen Zucker zum Kaffee?", sagte die scheinbar verblüffte Schürzenfrau.
"Das ist nur die halbe Wahrheit", sagte ich, worauf sie mir hart den Streuer entwand und entgegnete: "Das ist mir bekannt, mein Herr. Und die andere Hälfte habe ich."

Es waren nicht ihre Worte, nicht nur. Es war das Gesicht, das diese Worte sprach, der Blick, der in mich drang.
Er ist in mir. Er kerbt mir mein Hirn.
 



 
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