Zum anderen Ufer (Terzine)

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James Blond

Mitglied
Wie viele Nächte sollt ich bange wachen,
bis dann dein Schlaf dem Todesgriff entkam?
Erleichtert hör ich dich schon wieder lachen,

doch mir verschnürt den Hals noch immer Gram.
Wo du, gezeichnet schwer, so blass und mager
die ersten Schritte planst, fühl ich nun Scham.

Noch liegst du matt auf deinem Krankenlager
und rufst nach Lebensquellen muntrer Spiele.
Einst fand ich dich verzweifelt, als Versager,

der täglich neue Kränze band, zu viele,
aus Sorgen, Angst, voll Schmerz und stillem Kummer,
nun siehst du stündlich immer neue Ziele.

Ich mein, sie rauben ebenso den Schlummer,
den du zuvor in jeder weitren Tat
zu fangen suchtest, bis zur letzten Nummer.

Da wusstest du nicht ein noch aus. Kein Rat
ward dir zuteil. Nun planst du Wanderungen,
um die ein treuer Mensch dich damals bat,

und jetzt ist dir noch nicht ein Schritt gelungen.
Wie fremd erscheint mir dort des Menschen Art,
wo er befreit sich glaubt und ungezwungen

und bleibt doch in die Ferne so vernarrt,
dass er, zum letzten großen Fluss gelangt,
stets hoffnungsvoll ans andre Ufer starrt,

als hätt er ihm den ganzen Weg verdankt.
 
Zuletzt bearbeitet:

Tula

Mitglied
Hallo James
Dass sich bei diesem niemand meldet ... Einem Terzinen-Wettstreit wäre ich nicht abgeneigt (solange wir nicht den Herbst als Thema wählen ...), wobei mich diese hier nicht unbedingt überzeugt, d.h. rein sprachlich-stilistisch. Das liest sich irgendwie wie Schiller auf seinem Sterbebett und nicht wie ein Gedicht der Moderne. Wobei der Stil selbstverständlich deine Absicht war; mir unklar nur die damit beabsichtigte Wirkung auf den Leser.

Eine Stelle hat mir dann einen Lacher entlockt:
... bis zur letzten Nummer
Nun ja, was könnte man sonst auf Schlummer reimen ;)

LG
Tula
 

James Blond

Mitglied
Haha Tula,
ich freue mich, wenn dir diese Terzine Spaß bereitet hat. Das wäre ja zumindest etwas. Natürlich ist dies nicht das übliche Leselupen-Fastfood und die ausbleibende Resonanz hat mich kaum überrascht. Auch einem Wettstreit auf diesen Seiten bin ich mehr denn je abgeneigt.

Dies ist tatsächlich ein Gedicht der Moderne, auch wenn es ganz ohne die entsprechenden Anleihen an Jargon und Begrifflichkeiten auskommt und sich keinen oberflächlich aktuellen Anschein gibt. Es mag vielleicht altbacken auf dich wirken, die Sprache ist jedoch schnörkellos, nicht historisierend, die Suizid-Thematik ist modern, der Erfahrungshintergrund real und die 'letzte Nummer' ist eine Umschreibung für den letzten tödlichen Ausweg, nicht etwa nur reimgeschuldet, wie 'dummer Hummer'. ;)

Grüße
JB
 
G

Gelöschtes Mitglied 13736

Gast
Moin,

Lieber James,
Es bedarf aber schon das Leselupen Fastfood, um deine Edelsteine leuchten zu lassen.
Hier verkneifen sich Hunderte die 5 Sterne Bewertung, nur weil sie dich nicht verärgern wollen.
Einen lieben Gruß in den Norden
Und noch einen schönen Sonntag
Oscarchen
 

James Blond

Mitglied
Liebes Oscarchen,

auch wenn du als aktives Mitglied auf diesen Seiten nicht mehr sichtbar bist, so gibst du mir doch die Möglichkeit zu einer kurzen Antwort. ;)

Was mich aber ärgert, sind weniger eintrudelnde Sternchen als ausbleibende Worte. Der Begriff Fastfood trifft dies insofern, als hier in der Leselupe das Prinzip 'lies bloß nicht das von gestern' dominiert. Wer blättert auch mal zurück und befasst sich mit älteren Gedichten? Insofern trifft auch der Vorwurf der lyrischen Eintagsfliegen.

Ich habe diese alte Terzine hervorgeholt, weil mich unlängst das gestiegene Interesse an Terzinen etwas überrascht hat ... :cool:

Liebe Grüße in den Westen und
auch dir, lieber Oscar, einen schönen Sonntag

JB
 

mondnein

Mitglied
in der Leselupe das Prinzip 'lies bloß nicht das von gestern' dominiert. Wer blättert auch mal zurück und befasst sich mit älteren Gedichten?
ja, das ist ein gewaltiges Problem hier

immerhin kann man ja unter dem Gedicht jedes Autors mal einen Blick in die Liste der "anderen Werke" werfen, aber Aufrufe mit eventuellen Nachfragen ("Antworten") sind selten, eigentlich null, das ist leider typisch. Ab Seite zwei verliert sich jedes hier veröffentlichte Gedicht im Abyssus des Vergessens
 

sufnus

Mitglied
ja, das ist ein gewaltiges Problem hier

immerhin kann man ja unter dem Gedicht jedes Autors mal einen Blick in die Liste der "anderen Werke" werfen, aber Aufrufe mit eventuellen Nachfragen ("Antworten") sind selten, eigentlich null, das ist leider typisch. Ab Seite zwei verliert sich jedes hier veröffentlichte Gedicht im Abyssus des Vergessens
Hey JB & Hansz!

Ihr habt durchaus völlig Recht (und ich darf mich in die Schelte mit einbezogen fühlen), dass die Lupe (wie praktisch jedes Forum) unter Kommentierungsgesichtspunkten unter einem etwas löchrigen Langzeitgedächtnis leidet und so (meist) der Tagesaktualität verhaftet bleibt.

Andererseits ist das natürlich Ausdruck der hohen Produktivität, die einen beständigen Nachschub neuer Texte liefert (manchmal wäre zwar weniger Quantität zugunsten gehobener Qualität sicher nicht verkehrt - aber an misslungenen Texten lernt man eigentlich am besten, wie man es nicht (und im nächsten Schritt: besser) machen sollte).
Viel wichtiger jedoch: Die alten Texte sind ja nicht per Selbstzerstörungsmodus wirklich im unergründlichen Lethe-Reich versunken, sondern durchaus noch da. Also könnten wir ja alle mit etwas dazu tun, dass alte Perlen wieder an die Oberfläche gebracht werden.

Ein paar User machen das übrigens immer wieder mal, besonders aufgefallen ist mir das bisher bei Revilo, aber gerade aktuell hat auch Logi ein kleines, einige Monate "altes" Gedicht von mir aus der Versenkung gehoben, woraufhin auch durchaus eine mehrstimmige Reaktion erfolgt ist. Insofern liegt das dann halt wohl an uns allen - und Ihr könnt ja ruhig auch mal ein paar schöne Sachen ausbuddeln. :)

Was die Terzinen angeht, so bin ich hier ein bisschen zweigeteilt: Erstens voller Bewunderung für die Formmeisterung, denn ich finde (hier wiederhole ich mich), dass die Terzine doch deutlich höhere Schwierigkeiten bietet als das Sonett und ich muss sagen, dass mir in meinem mittellangen Dichterleben bisher noch kein gültiges Gedicht dieser Gattung gelungen ist. Ich hätte hier auch vom rein Formalen nur eine Winzigkleinigkeit als Verbesserungsmöglichkeit anzumerken, nämlich, dass in S3 & S4 sowie in S8 (mit entsprechender Anpassung der letzten Zeile) ein Kadenzenwechsel wie in den übrigen Strophen den Gesamtklang noch etwas schmissiger machte. Soweit also der eine Teil der Zweiteilung. Die etwas skeptischere Schwingung (natürlich auf sauhohem Niwoo) pendelt ein bisschen in synchro mit Tula: Auch mir erscheint die Sprache hier ein bisschen gravitätisch-altväterlich, was ganz leicht ungewollt komische Schwingungen erzeugt. Ich hätts nicht erwähnt, wenn Du ein Im-Argen-Dichter wärst, dem hier mal ein relativer Glückstreffer gelungen ist - aber bei Deinem Sprachpotential ginge es hier halt noch ein Mü-Schippchen besser.

Eigentlich also ein dialektisches Lob dieser Minimalzweifel meinerseits. :)

LG!
S.
 

Tula

Mitglied
Hallo James
Da ich mit Herne einen heißen Draht zu laufen habe, ist dein dankender Gruß dort angekommen :)

Übrigens: man könnte vielleicht auch auf dieser Plattform per Zufallsgenerator täglich oder wöchentlich ein Gedicht (bzw. Prosa) der Vergangenheit (mit einer Mindest-Gut-Bewertung der Leser) an die Oberfläche ziehen. Könnte dann passend gleich beim Einstieg auf der ersten Seite angezeigt werden (Titel, Autor, Erscheinungsjahr usw.) und wer darauf erpicht ist, klickt es an und wer nicht, lässt sich damit nicht weiter stören ...

LG
Tula
 

James Blond

Mitglied
Lieber sufnus,

natürlich hast du Recht: Ich könnte mich von meiner Bemerkung über die hier mangelnden lyrischen Ausgrabungen auch selbst inspirieren lassen. Dem steht allein entgegen, dass mir die Lust zu einer eingehenderen Beschäftigung mit den Gedichten anderer Teilnehmer inzwischen gründlich abhanden gekommen ist, da dies letztlich fast immer in einer für beide Seiten enttäuschenden Weise endete.

Abgesehn davon, dass ich mich weder ins Ungereimte noch ins Experimentelle wage, bin ich schon von meinem Naturell weniger auf behutsam kommentierendes Süßholzgeraspel ausgelegt und meine professionellen Tätigkeiten (als SW-Entwickler und -Tester) haben mich derart auf Präzision und Akribie in der Fehleranalyse eingeschworen, dass sich dies bei der allgemeinen, oft auch sehr oberflächlichen Subjektivität der Leselupenwerke und der sich daran anschließenden Dialoge lediglich als arrogante, störende Penetranz bemerkbar macht.
Wem also wäre damit geholfen?

Was diese Terzine anbelangt,
so scheint es (mir zumindest) eher irrelevant, ob die Sprache an den lyrischen Duktus früherer Autoren (und sei es gar ein Schiller auf dem Sterbebett,) erinnert. Es erfolgt hier ja auch in manchen Kommentaren ein Namedropping anderer (meist zeitgenössischer) Autoren als Ausdruck besonderer Wertschätzung, was mich ebenso unberührt lässt. (Gottseidank hat mich hier noch keiner als Rilke-Epigone geschmäht ... ;) )

Wenn mein Stil hier als gravitätisch-altväterlich empfunden wird, so sehe ich dies zwar nicht als Vorteil, aber auch nicht als Nachteil – er ist der Situation eines alten Vaters nach einem Besuch am Krankenbett seines suizidalen Kindes geschuldet und stellt als stiller Brief einen Versuch dar, die eigenen Empfindungen und Gedanken zu ordnen, um sein inneres Gleichgewicht wiederzuerlangen. Das muss man nicht mögen, immerhin es passt meines Erachtens.

Was die Kadenzen anbelangt,
so bin ich mir jetzt nicht mehr sicher, ob sich der Wechsel vom Wechsel nicht 'irgendwie von selbst' ergab. Man könnte ja auch sagen, dass ein durchgängiges Alternieren der Kadenzen über 25 Verse leiernd, ermüdend oder einschläfernd wirkt. Hier steuern S3 & S4 einen (weiblich kadenzierten) Höhepunkt an, wohingegen S8 und der Schlussvers einen resümierenden (männlichen) Abschluss bilden. Auch das passt meines Erachtens.

Du hast, lieber Sufnus, dir als erster schriftlich ausführlichere Gedanken zu dieser Terzine gemacht.
Dafür bin ich dir sehr dankbar! :)

Liebe Grüße
JB
 

James Blond

Mitglied
Hallo Tula,

ich war noch nicht ganz fertig mit meiner letzten Antwort, daher jetzt eine gesonderte Antwort an dich:

Dankeschön für die überraschenden Grüße vom Oscarchen!! :)

Die Exhumierung (lyrischer Überreste) würde ich lieber gestaltungswilligen (und -fähigen) Teilnehmern nach ihrem Belieben als einem institutionalisierten Zufall eines anonymen 'man' überlassen. Vielleicht regt das Ausbuddeln von Nuggets (oder Bleiklumpen) ja auch den einen oder anderen aus freien Stücken zur Nachahmung an.
;)

Viele Grüße
JB
 

mondnein

Mitglied
Zuletzt bearbeitet:
G

Gelöschtes Mitglied 28334

Gast
Es erfolgt hier ja auch in manchen Kommentaren ein Namedropping anderer (meist zeitgenössischer) Autoren als Ausdruck besonderer Wertschätzung, was mich ebenso unberührt lässt. (Gottseidank hat mich hier noch keiner als Rilke-Epigone geschmäht ... ;) )
Ich schätze, du meinst damit mich. Dass ich Literaturverweise einbinde ist meine Art der Kritikausübung, aber auch eine Form Wissen zu verfestigen, in dem ich es aktiv in den Diskurs schicke.

Ich versuche mich dahingehend zu entwickeln, dass ich Kritik als etwas weniger Verallgemeinerndes (Etwas MUSS so oder so sein, oder Etwas ist schlecht WEIL xyz) und Bewertendes betrachte, aber Angebote (Literaturverweise) von Künstler anbiete, die meiner Meinung nach eine interessante Sprache und Persönlichkeit haben. Ich glaube, dass sich jeder Autor auf seine Weise durch sein Gewebe entwickelt, aber auch, da Lyrik derart Subjektiv ist, es mir gänzlich wertlos erscheint einen Text, der eigentlich ja ein Kunstwerk ist, jedenfalls in meinen Augen, im Gustus nach der alten Schule, zu kritisieren. Jemand, der neugierig ist, könnte sich durch autonomes Denken vermutlich weiterentickeln, vielleicht sogar dankbar fühlen. Betrachte es daher bitte weniger als "Name-Dropping", viel mehr verfolge ich damit einen gewissen Hintergedanken.
Wenn das hier nicht gern gesehen ist, dann erfreut mich das tatsächlich, da ich mir dadurch Aufwand und Lebenszeit spare.
 

James Blond

Mitglied
Lieber logica89,

sehr löblich sind deine Vorüberlegungen zur Lebenszeitökonomie. Angesichts dieses stetig schwindenden Zeitkapitals sind entsprechende Gedanken zur Aufmerksamkeitsplanung nicht zu unterschätzen, selbst wenn sich substantielle Verlustbetrachtungen oft erst im Nachhinein herausstellen.

Was aber deine bisherigen Kommentare zu meinen Gedichten anbelangt, so kann ich dich beruhigen: Du hast, was den Nutzen deiner Worte betrifft, bisher nichts an mich verschwendet. Auch ist es so, dass beim Überfliegen bestimmter Kritik sich nur allzu oft das Gefühl einstellt, man sei selbst davon betroffen – die kritischen Töne gelten also hauptsächlich (oder sogar ausschließlich) dem eigenen Handeln oder der eigenen Person. Dass es sich dabei in den meisten Fällen um eine Fehlwahrnehmung handelt, die aus unserer Betroffenheitsbereitschaft resultiert, möchte ich nur kurz erwähnen, aber hier nicht weiter ausführen.

Solltest du allerdings, was ich mir aber kaum vorzustellen vermag, in Versuchung geraten, meine lyrischen Elaborate in Bezug auf das Œvre ausgewählter Koryphäen einer Lyrikline zu stellen, so möchte ich dir im Sinne deines eigenen Vorsatzes schon jetzt davon abraten. Meine Ziele sind zu bescheiden, das Werk zu beschränkt, als dass sich solch ein Aufwand lohnen könnte.

Nein, meine obskuren Anspielungen waren als Reaktion auf die Sprachstilkritik gedacht, welche irgendeine Modernität hier vermisst. Wenn du in den Kommentaren der Leselupe beispielsweise nach 'Benn' (ein beliebter Vergleich) oder auch allgemein nach 'Namedropping' suchst, wirst du sehen, was ich gemeint habe.

(Ich wiederholte mich:) Meine Ziele sind zu bescheiden, als dass ich mich für eine selbstzuerschaffende Modernität quälen möchte. Ich zähle mich nicht zur Avantgarde, sondern eher zur Nachhut, die in abgeernteten Ackerfurchen nach übersehenen Kartoffeln wühlt.

Besser ein bescheidenes Abendbrot, als in der Wüste zu verdursten. ;)

Liebe Grüße
JB
 
Zuletzt bearbeitet:

James Blond

Mitglied
nun ja, dafür haben wir Revilo.
Den ich schon persönlich dafür beschimpft habe, daß er weder bei den Sonetten, Terzinen und Ghaselen noch in den Knittelversen der Wilhelm-Busch-Fraktion seine Anmerkungen einwirft.
Er wird schon seine Gründe dafür haben. Beschimpfen aber sollte man ihn – wenn überhaupt – für das, was er treibt, nicht für das, was er unterlässt. ;)
 



 
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