Arno Abendschön
Mitglied
(12) 18. November 1989
Heute zwei Stunden in der Stadt herumgelaufen, in der dreimal so viele Menschen unterwegs waren als gewöhnlich um diese Zeit. Es war sehr eindrucksvoll: Massen von neugierigen DDR-Bewohnern überall, besonders um Hauptbahnhof und Rathausmarkt, aber auch in allen Geschäftsstraßen. Als ich um sechs morgens mit der Taxe nach Hause fuhr, hatten sie schon die meisten Parkplätze rund um den Hauptbahnhof belegt. Das sah so sonderbar aus, auch rührend, wo mochten sie um diese Zeit sich aufhalten? Überhaupt hatte ihr Auftreten etwas leicht Kindliches, etwas, das Rührung nahebrachte. Im Ganzen war mir ihre Erscheinung durchaus sympathisch. Ihr massenhaftes Auftreten, das schon wieder ein wenig an Züge von Lemmingen erinnert, ist ja nur zu verständlich: Dreißig Jahre waren sie eingesperrt. Übrigens ist das, was da begonnen hat, ein hochinteressantes massenpsychologisches Experiment.
Ich hörte zu, wie ein Rostocker Paar bei Tchibo am Stehtisch mit einem Hamburger sprach, beide durchaus sympathisch. Sie brauchten vier Stunden herüber und standen dicht gedrängt in einem völlig überfüllten Zug. Im Sommer wollen sie eine Radtour durch Schleswig-Holstein unternehmen.
Sehr unangenehm ist mir, wie jetzt jede Gruppe oder Meinung, die bei uns existiert, ihr bisschen Geltung auch auf die DDR zu erstrecken sucht. Das gilt von allen Teilen der Wirtschaft über die Kulturindustrie bis zur politischen Linken. Ja, diese treibt es besonders heuchlerisch. Unter dem Vorwand der Nichteinmischung werden doch nur die eigenen hiesigen Utopien nach drüben projiziert. Dieses Vakuum, das sich da in Mitteleuropa aufgetan hat, ist zu verführerisch; der Wille zur Macht verschafft sich schonungslos Geltung. Naiv zu glauben, die da drüben hätten angesichts der ökonomischen und der Größenverhältnisse tatsächlich eine Chance, ihre eigene Identität zu wahren oder sich eine neue eigene zu schaffen. Um dies glauben zu können, abstrahiert die Linke flugs von jeder Ökonomie. Da wird mal wieder gegen die Sachzwänge gewettert und geschwafelt, bloß noch idealistisch geschwafelt.
Die Rostocker meinten auch, dass sich alles ändern müsse, vor allem wirtschaftlich. Und es müssten eben Kredite aufgenommen werden. Fragt sich nur, zu welchen Bedingungen und mit welchem Erfolg.
Heute zwei Stunden in der Stadt herumgelaufen, in der dreimal so viele Menschen unterwegs waren als gewöhnlich um diese Zeit. Es war sehr eindrucksvoll: Massen von neugierigen DDR-Bewohnern überall, besonders um Hauptbahnhof und Rathausmarkt, aber auch in allen Geschäftsstraßen. Als ich um sechs morgens mit der Taxe nach Hause fuhr, hatten sie schon die meisten Parkplätze rund um den Hauptbahnhof belegt. Das sah so sonderbar aus, auch rührend, wo mochten sie um diese Zeit sich aufhalten? Überhaupt hatte ihr Auftreten etwas leicht Kindliches, etwas, das Rührung nahebrachte. Im Ganzen war mir ihre Erscheinung durchaus sympathisch. Ihr massenhaftes Auftreten, das schon wieder ein wenig an Züge von Lemmingen erinnert, ist ja nur zu verständlich: Dreißig Jahre waren sie eingesperrt. Übrigens ist das, was da begonnen hat, ein hochinteressantes massenpsychologisches Experiment.
Ich hörte zu, wie ein Rostocker Paar bei Tchibo am Stehtisch mit einem Hamburger sprach, beide durchaus sympathisch. Sie brauchten vier Stunden herüber und standen dicht gedrängt in einem völlig überfüllten Zug. Im Sommer wollen sie eine Radtour durch Schleswig-Holstein unternehmen.
Sehr unangenehm ist mir, wie jetzt jede Gruppe oder Meinung, die bei uns existiert, ihr bisschen Geltung auch auf die DDR zu erstrecken sucht. Das gilt von allen Teilen der Wirtschaft über die Kulturindustrie bis zur politischen Linken. Ja, diese treibt es besonders heuchlerisch. Unter dem Vorwand der Nichteinmischung werden doch nur die eigenen hiesigen Utopien nach drüben projiziert. Dieses Vakuum, das sich da in Mitteleuropa aufgetan hat, ist zu verführerisch; der Wille zur Macht verschafft sich schonungslos Geltung. Naiv zu glauben, die da drüben hätten angesichts der ökonomischen und der Größenverhältnisse tatsächlich eine Chance, ihre eigene Identität zu wahren oder sich eine neue eigene zu schaffen. Um dies glauben zu können, abstrahiert die Linke flugs von jeder Ökonomie. Da wird mal wieder gegen die Sachzwänge gewettert und geschwafelt, bloß noch idealistisch geschwafelt.
Die Rostocker meinten auch, dass sich alles ändern müsse, vor allem wirtschaftlich. Und es müssten eben Kredite aufgenommen werden. Fragt sich nur, zu welchen Bedingungen und mit welchem Erfolg.