am Wasser

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Tula

Mitglied
am Wasser


Mein Stein versinkt, an diesem Ort
gebiert ein Nabel neue Kraft;
in Ringen fliehend, wie ein Wort,
das in der Tiefe Licht verschafft
und stürmisch in die Ferne strebt.

Beharrlich erst, doch bald verwebt
sich steter Drang mit Ungeduld,
entwirft jetzt neuen Plan, belebt
fraktalen Bühnentanz, Tumult,
der sich kaleidoskopisch dreht.

Der Himmel, der darüber steht,
erzittert mit Ergebenheit
in diesem Spiel, das nie vergeht ...
wie jenes Wort, das nun, schon weit,
sich auflöst in Unsterblichkeit.
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Selbst-Thematisierung des Dichtens (bzw. der Ent-Dichtung)

Hallo, Tula!
Ich freue mich immer, wenn ein Sympoet unter "Gereimtes" etwa einbringt, das weder wilhelmbuschelt noch limerückt. Wo die Metaphern gewagt und der flow hinreißend ist.
Jetzt wirst Du, armer Tula, also meiner gemeinen Strenge gewürdigt. (Das hat man dann davon ...)
Mein Stein versinkt, an diesem Ort
gebiert ein Nabel neue Kraft;
in Ringen fliehend, wie ein Wort,
das in der Tiefe Licht verschafft
und stürmisch in die Ferne strebt.
Der "Nabel" ist ein Überbleibsel der Nabelschnur, eher Zeichen des Geborenwordenseins als des Gebärens.
"neue Kraft" ist etwas unmetaphorisch Abstraktes.
Die "Ringe" passen gut, sie entstehen dort, wo der "Stein" die Wasseroberfläche trifft; "fliehend" paßt auch, insofern die Wellenringe nach außen "weg" eilen; allerdings wird das Bild ein wenig wild, wenn es "wie" (ungünstig, leicht redundant, eine Metapher mit einer Vergleichspartikel einzuleiten) ein "Wort" flieht; zumal ein Wort, "das in der Tiefe Licht verschafft" weder Grund noch Charakteristik eines Fliehenden, Flüchtigen oder sonst sich Fortbewegenden hat. Der Stein geht in die Tiefe, nun hat er die Charakteristik eines magischen Karfunkels, aber das widerstrebt sowohl der ringförmigen Wellenausbreitung als auch dem stürmischen in die Ferne Streben. Das sind drei Bilder übereinandergeschoben -
1. sinkender Stein, der in der Tiefe leuchtet,
2. die (eigentlich hyperharmonischen) Wellenkreise,
3. ein stürmisches in die Ferne Streben.

Beharrlich erst, doch bald verwebt
sich steter Drang mit Ungeduld,
entwirft jetzt neuen Plan, belebt
fraktalen Bühnentanz, Tumult,
der sich kaleidoskopisch dreht.
Die Unvermitteltheit, Abstraktheit der Bilder wird durchaus konsequent so fortgesetzt - das heißt: Man kann das durchaus so locker fügen, gewissermaßen kubistisch fragmentiert; und es wird ja auch innerhalb dieses Gedichtes so reflektiert, autothematisch: "fraktaler Bühnentanz". Das Muster der Wellenringe hat eine Entsprechung im kaleidoskopischen Drehen, auch wenn das eine andere Form der Symmetrien in den inneren Film einbringt, einen wiederum autothematischen Bildbruch.

Der Himmel, der darüber steht,
erzittert mit Ergebenheit
in diesem Spiel, das nie vergeht ...
wie jenes Wort, das nun, schon weit,
sich auflöst in Unsterblichkeit.
Die "Ergebenheit" des Himmels klingt ein wenig überheblich, auch die "Unsterblichkeit" ist etwas leichtfertig geschlossen (in den mehreren Bedeutungen dieses Wortes an dieser Stelle).
Das ist alles bedenkenswert, durchaus.

Ich will hier keine Werbung machen (ich verkaufe ja ohnehin nichts, weder hier noch sonstwo), nur hinweisen auf ein Lied im "Siebenstern", das ich vor drei Jahren hier in der Leselupe eingebracht habe, das in etwas das gleiche Thema und eine vergleichbare Autothematik hat. Ich suche eben den link dazu raus.

grusz, hansz


gefunden:
https://www.leselupe.de/lw/titel-Figurengedicht--symmetrisch-in-Metrik-und-Reimung-117367.htm
 

Tula

Mitglied
am Wasser


Mein Stein versinkt, an diesem Ort
entspringt als Quelle neue Kraft;
in Ringen ziehend, wie ein Wort,
das in der Tiefe Licht verschafft
und mutig in die Ferne strebt.

Beharrlich erst, doch bald verwebt
sich steter Drang mit Ungeduld,
entwirft jetzt neuen Plan, belebt
fraktalen Bühnentanz, Tumult,
der sich kaleidoskopisch dreht.

Der Himmel, der darüber steht,
erzittert mit Ergebenheit
in diesem Spiel, das nie vergeht ...
wie jenes Wort, das nun, schon weit,
sich auflöst in Unsterblichkeit.
 

Tula

Mitglied
Hallo Mondnein

herzlichen Dank für Kommentar und Textarbeit. Es freut mich natürlich besonders, gerade von dir bei solch einem Thema eine eingehende Analyse des Textes zu bekommen :) und hoffe, dass das Gedicht seiner philosophischen Betrachtungsweise und Absicht einigermaßen standhält. Du hast auch treffend ein paar Schwachstellen entdeckt, die ich hiermit korrigieren möchte.

Das Wort als dichterische Erkenntnis erkenne ich ebenfalls an, wobei es mir hier weitergreifend um neue Gedanken, Ideen jeder Art usw. ging (wie etwa bei Benns bekannten Gedicht – Ein Wort, welches mir hier allerdings wirklich nicht als Vorlage diente).
Diese Interpretation habe ich versucht, in V4 mit “in der Tiefe Licht verschafft” inhaltlich zu betonen. Da auch der Stein für Erkenntnis und Weisheit steht (obwohl ich sein geheimnisvolles Leuchten auf dem Grund leider vernachlässigt habe), steht sein Einschlagspunkt im Wasser als Ursprungsort der benannten neuen Kraft.

Wobei wir in der Tat beim ersten Fehler meinerseits sind. Der Nabel aller Dinge mag vielleicht als solcher zugänglich sein, aber wie du richtig bemerkst, steht er selbst nicht für die Geburt als Moment, sondern als Resultat der letzteren. Außerdem laufen die Dinge normalerweise “zum” Nabel (wie z.B. der Nabel der Welt) und nicht umgekehrt. Ich habe mich daher für die 'Quelle' entschieden, nicht unbeding originell, aber unmissverständlich.

Dass sich 'fliehen' und 'streben' hier schon semantisch widersprechen, stimmt auch, war mir beim Schreiben nicht aufgefallen. Fliehende Worte wäre ja im Kontext etwas unangebracht; aus 'fliehen' wurde in der neuen Version also 'ziehen'.
Statt 'stürmisch' jetzt auch 'mutig'. Entpricht wohl ebenfalls etwas besser dem Aufbruch neuer Ideen.

Inhaltlich geht es also um den sinnbildlichen Vergleich der fortlaufenden (in Ringen, nach allen Richtungen) Welle(n) und den besagten Gedanken, Ideen usw. als Produkt menschlicher Geisteskraft. Die stetige Interferenz dieser Welle mit anderen Bewegungen auf der Oberfläche, die ununterbrochene Um- und Neuformung und die unendliche Vielfalt (fraktal), die dabei entsteht, erschienen mir als schöne Vergleiche für den 'Weg' des Wortes durch das gedankliche Raum-Zeit-Gebilde der Menschen. Das Verebben der Welle darf dann am Ende nicht als Verlust verstanden werden, sondern vielmehr als Eingehen und Auflösung im unsterblichen Ganzen.

Soweit zur Idee. Bliebe noch der Himmel: der reflektiert sich im Wasser und erzittert dabei. Die metaphorische Seite dieser Betrachtung lässt immer noch einigen Raum für die Interpretation des Lesers. Ich dachte dabei selbst an politische Macht (welche typischerweise die Bewegung der Gedanken und Worte viel lieber auf eine leichter überschau- und vorhersehbare Grundlage der Mechanik stellen würde) und überhaupt an alle jene, die an dem beschriebenen Prozess selbst nicht teilnehmen, aus welchem Grund auch immer als Zuschauer verbleiben.

Die 'Ergebenheit' steht daher für so etwas wie 'ängstliche Ehrfurcht'. Ich habe eben noch einmal nach Alternativen gesucht, 'Befangenheit' und 'Beklommenheit' stehen meiner Absicht noch am nächsten, sind aber auch nicht so stark, was die beschriebene Ehrfurcht angeht.

Nun muss ich mich bis morgen erstmal selbst auflösen :)

Dankende Grüße

Tula
 

Tula

Mitglied
am Wasser


Der Stein versinkt, an diesem Ort
quillt Ringe treibend ein Kraft;
Erleuchtung ... Sinn … auch nur ein Wort,
das aus der Tiefe Licht verschafft
und mutig in die Ferne strebt.

Beharrlich erst, doch bald verwebt
sich steter Drang mit Ungeduld,
entwirft jetzt neuen Plan, belebt
fraktalen Bühnentanz, Tumult,
der sich kaleidoskopisch dreht.

Der Himmel, der darüber steht,
erzittert mit Ergebenheit
in diesem Spiel, das nie vergeht ...
dem Worte gleich, das nun, schon weit,
sich auflöst in Unsterblichkeit.
 

Tula

Mitglied
nochmals ein paar Steine geworfen, d.h. 'gebastelt'; die beiden "wie' sind jetzt raus, auch die banale Quelle
Tula
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Schon JB's trefflichen Kommentar zu Deinem Gedicht gelesen?

s.o., "Zum Wasser"
 

Tula

Mitglied
Hallo Mondnein

ganz ehrlich, Gegengedichte sind keine besondere Kunst und ich denke, der Aufwand bei diesem lag so etwa bei 5 Minuten. Mich verwundert allerdings deine stürmische Begeisterung, da du doch behauptet hast, dir wäre das Rumgewitzel über.

Ich nehme das unserem alten James dennoch nicht übel, warum auch, schlimm wäre es, wenn man nicht auch über diese Art von Spaß lachen könnte.

LG
Tula
 

James Blond

Mitglied
Korrektur

Es brauchte, glaube ich, immerhin 6 Minuten.

Aber mit deinen Wassern hatte ich mich zuvor einige Stunden beschäftigt.

Es freut mich, dass du mir das Späßchen nicht übel nimmst. :)

Grüße
JB
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Lieber Tula,
James hat ja mein Entdichtungslied zugleich mit in den "Ring" geworfen. Ich fühlte mich deshalb geschmeichelt und habe ihn mit Lob belohnt.

Und ja, ich bin nicht ganz prinzipientreu, was Wertungen und so weiter angeht. Ich wollte mal nie mehr werten. Naja.

grusz, hansz
 

James Blond

Mitglied
Was will uns der Dichter sagen?

Genau. Alles eine Frage der Betonung:

Die Frage:

Der Dichter will was sagen?

Die Antwort:

Der Dichter will was sagen!


Da können auch schon mal Steine fliegen ...

Grüße
JB
 

Tula

Mitglied
solange bei der Frage die Betonung nicht auf "der" liegt ...

Stein hin Stein her, es ist nicht einfach, ein sogenanntes tiefsinniges Gedicht zu schreiben, dass auch als solches empfunden wird und sprachlich nicht langweilt. Da ist das 'Witzeln' vergleichsweise einfach (oder auch nicht, wenn es zur Massenware wird).

vom Grunde blubbernd ...

Tula
 

James Blond

Mitglied
Blubb blubb - du kannst nun langsam wieder auftauchen! :)

Ich stimme dir auch gerne zu, dass ein "tiefsinniges" Sonett sich nicht so einfach schreibt, allerdings sehe ich hier vor allem die Gefahr, dass der Dichter sich dabei vom Sockel stürzt, den zu erklimmen er sich wortgewaltig müht, wohingegen eine heitere Verpackung durchaus einen tieferen Sinn in einer verdaulichen Zubereitung und bekömmlichen Dosis enthalten kann.
Entscheidend ist, dem Leser nichts aufzuzwingen, sondern ihn selbst zu Entdeckungen und eigener Erkenntnis einzuladen, ihn anzuregen statt aufzuregen oder zu überzeugen:

"Sinn entsteht von ganz allein - du brauchst nicht dabei zu sein!"

Vertiefe dich in das ursprüngliche Bild, spüre ihm nach und verzichte auf Bedeutungskumulierungen wie Erleuchtung - Sinn - Wort - Himmel - Ergebenheit - Unsterblichkeit. Und bleibe sparsam mit Adjektiven und Adverbien: Ob sich Pina Bausch als Choreografin unter fraktalem Bühnentanz als kaleidoskopisch sich drehender Tumult etwas vorzustellen vermag? Vielleicht schon, aber sie würde es dann in eine Tanzaufführung umsetzen, die Sprache jedoch trägt dieses Bild nicht mit, sie entfernt sich in analytische Diskurse.

Je besser es dir gelingt, das anfängliche Bild detailliert mit einfachen, treffenden Worten einzufangen, umso mehr gewinnt auch dein Text an Wirklichkeit. Zuviel Tiefsinn ist nicht das Problem, sondern zuviel Theorie.

Grüße
JB
 

Tula

Mitglied
Hallo James

Keine Sorge, dieses Gedicht werde ich wie versprochen nochmal durchgehen und deine und andere Hinweise dabei verarbeiten. Diese Woche bin ich allerdings unterwegs und muss mich auf andere konzentrisch fliehende Dinge konzentrieren...

Ein wichtiger Punkt: die schönsten Werke sind eigentlich jene, die den sogenannten tieferen Sinn mit Humor herüberbringen. Da stimme ich gern zu.

LG
Tula
 

Tula

Mitglied
Hallo lapismont

Sorry, mit Verspätung mein Dankeschön für die gute Bewertung.

LG
Tula
 



 
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