Besuch am Rhein

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Ixolotl

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Lieber Scal,

ich sehe gerade, dass ich Dir auf Deinen Kommentar vom vergangenen Montag noch gar nicht geantwortet habe. Du schreibst neben anderem:
Mein erstes und bislang einziges Enkelkindchen - er hat zu laufen begonnen – ist zu Besuch; mit seinem Vater, meinem Sohn. Und meine Tochter ist auch mitgekommen. Ins Gartenbeet habe ich Karottensamen gestreut, jetzt ist es hier endlich wieder möglich, im Garten zu arbeiten. Höhenlage achthundert Meter, da zieht der Frühling später ein.
Ich entnehme dieser Zuschrift eher nichts, was mit meinen hier publizierten Texten zu tun haben könnte, sondern lediglich Hinweise auf Dein Lebensalter, Deinen Wohnraum und Deine Familienverhältnisse.

So interessant und so außergewöhnlich diese auch sein mögen (Gelbe Rüben auch in 800 Metern Höhe noch!) - ich frage mich, warum Du mir, der Dir bis auf den Nick völlig fremd und der hier nur literarisch unterwegs ist, damit kommen zu glauben musst.

Nicht, dass ich etwas dagegen hätte - aber normalerweise gibt man Persönliches, nota bene Familiäres, nicht jedem X-Beliebigen preis, schon gar nicht ohne Hintergedanken. Diese Gedanken würden mich interessieren. Haben Dich meine Texte so beeindruckt, dass du mir näherkommen möchtest? Oder willst Du nur zum Ausdruck bringen, dass Deine Lebensverhältnisse wohl so ganz anders wären als jene, die Du mir zutraust und deshalb meinen Texten nicht so recht zu folgen vermagst?

Wie auch immer - hier, mitten in einem Literaturforum, noch dazu einem anonymen, verstecken sich die Autoren eigentlich immer hinter ihren Texten; sie können daher, wenn überhaupt, nur indirekt wahrgenommen werden. Das ist Segen und Fluch zugleich - Segen, weil der intime Bereich des Autors geschützt bleibt, und Fluch, weil der direkte Kontakt, der auch unter Künstlern notwendig ist, um Stil und Richtung zu bilden, fehlt. Ein LiFo ist nur ein - in mancher Hinsicht ziemlicher fauler - Kompromiss.

Vielleicht solltest Du unter "Tagebuch-Diary" veröffentlichen und bekämest dort den Zuspruch, den Du Dir wünschst?

lg

Ixo
 

Scal

Mitglied
Lieber Ixo,

ich finde, dass Du im vorletzten Absatz Wesentliches sehr schön zum Ausdruck gebracht hast.

Mit meinen Hinweisen auf Persönliches wollte ich beschreibend darlegen, dass es meine situativen Umstände momentan ohnehin erschweren würden, die Erörterungspfade im Zusammenhang mit Deinem Text weiter zu schreiten. Diese Beschreibung habe ich gewissermaßen wie eine persönliche Landkarte ausgebreitet. Das ohnehin bezog sich auf Deine Meinungsäußerung "Ich glaube nicht, dass es Sinn machte, wenn du hier weiter antwortest".

Ich glaube, dass sich jeder Teilnehmer in einem Forum einen gewissen Zuspruch erwartet, wobei es bei den Erwartungshaltungen Abstufungen gibt. Es gibt den verständlichen Wunsch, als kreativ Tätiger mitsamt seinen Entwicklungsbemühungen - auch kritisch - schlicht wahrgenommen werden zu wollen bis hin zu übertriebenen Hoffnungs- und Applausbegierdhaftigkeiten. Es ist immer schwer, sich diesbezüglich selbst redlich einzuschätzen. Ich bilde mir ein, ein gewisses Maß an innerer Unabhängigkeit aufrecht erhalten zu können.

Was Deinen Text betrifft, hat der "Gesprächsverlauf" mir zu einigen aufklärenden Sichtmomenten verholfen, wobei ich teilweise dann auch einer Neigung zum Ironisieren - möglicherweise zu unbedacht - nachgab. Mittlerweile lese ich Deinen Text als das Dokument einer künstlerischen Abfallverwertung, somit als eine Beschreibung für einen schöpferischen Stoffverwandlungsprozess.
Wie auch immer, die Art und Weise, wie Du poetisch gedankenvoll "voranschreitest" finde ich wirklich sehr "bemerkens- und schätzenswert". Das kann ich, denke ich, gut davon trennen, dass mir der stilistische Duktus Deiner Kommentare wegen der etwas zu penibel belehrenden "Stimmlage" manchmal nicht besonders sympathisch ist. Aber ich bin mir dabei auch bewusst, dass es nicht gut und letzlich auch nicht richtig ist, den Schein über das Wesen zu stülpen.

LG
Scal
 

Ixolotl

Mitglied
Mein lieber scal,

wenn wie Pech haben, bleiben wir mit unserer Schreiberei dort stecken, wo früher, als es noch eng gepresste Publikumsmassen zu Füßen eines geliebten Ensembles geben durfte, die Herzen aller Teenies schlugen: Sie beteten ihre Idole an; ein paar von ihnen versuchten, es ihnen mit ein paar Klampfengriffen und dünnen Stimmchen nachzumachen: I Can’t Get No Satistfaction.

Ganz, ganz wenige von den Hunderttausenden schafften es tatsächlich, mit dem Talent, das sie mitbrachten, mit dem Willen und dem unermüdlichen Fleiß, den sie an den Tag legten, weiterzukommen als nur bis zu ein paar popeligen e-moll und G-Dur-Griffen und zu dumpfem Trauergesang. Gewiss, man kommt auch damit weiter als die Kollegen, die nicht mal auf dem Kamm blasen können, und hat mit seinem Gestümper so manchem jungen Lockenköpfchen das noch ziemlich weiche Gehirn gewaschen. Bis es die geistige Einöde des „Sängers“ durchmessen hatte und lieber mit Sven, Marco und Uwe ins Freibad ging. Die konnten auch irgendwas, und mit denen konnte man wenigstens lachen.

Ich glaube, dass Literatur nicht erst dort beginnt, wo möglichst verschnörkelte Melodien gesummt werden, sondern schon viel früher. Es beginnt mit der eigenen Wahrnehmung, der eigenen, besonderen Sicht, und endet für gewöhnlich dort, wo man nur mehr zum Teil oder ganz unverständlich wird und meint, wie weiland Charlie Parker, man hätte immer noch alles selbst in der Hand, während man sein Blut auf den Teppich spuckt.

Der Spaziergang an einem Fluss will mehr sein als nur zwei Griffe auf der Gitarre neben einem dünnen, traurigen Stimmchen. Insgesamt sind’s jetzt drei Sätze geworden, die zueinander stehen und die man vielleicht nur dann nachvollziehen kann, wenn man sich wirklich mit auf die Reise begibt. Wo man Dinge erkennt, die man bisher noch gar nicht beachten konnte, grad so wie das mit unterwegs befindliche Mädchen. Offenbar begegnet es nicht nur diesem Unhold, sondern auch dessen Ambiente zum ersten Mal. Es sagt nichts, aber es flieht auch nicht.

Sonderbar, dass sich significant others so oft mit auf Reisen begeben, ohne die Wege zu kennen, die’s in dem fremden Land gibt, und ohne an das stets mögliche Ende zu denken: an ein Land, das hinter den Mauern liegt, die wir alle um uns haben.

Literatur baut keine Mauern, sondern reißt sie ein. Sie lässt sich nicht in Klischees einsperren, sondern sucht nach dem Loch im Zaun und zwängt sich hindurch, ganz gleich, was auf der anderen Seite wartet. „Etwas Besseres als den Tod finden wir allemal!“, wussten doch schon die Bremer Stadtmusikanten …

Lg

Ixo
 

Scal

Mitglied
Auf dem Zaun sitzt die Lyrik, der Zaunkönig.
Der bezwitschert die Prosa, die poetisch und bedeutungsreich beleibt durch das Loch im Zaun schlüpft.
"Significant others, significant others", zwitschert er.

Auf meiner Büchereinkaufsliste steht notiert: "Martin Seel, Nichtrechthabenwollen".
Muss sich um eine Kunst handeln, denke ich mir. Um schwierige Übungen vermutlich.
Wann, wo und vor allem wie damit beginnen?

LG, Scal
 

Ixolotl

Mitglied
Ich glaube, lieber Scal, Du hältst Schriften Stellen für eine Art Wettkampf.

Aber es ist etwas ganz anderes. Literatur klebt keine Plakate an Bretterzäune und will nicht "bedeutungsreich" sein, wie Du annimmst. Das machen die Pfarrer und die Demagogen, für die "significant others" nur Heiden sind, die zu bekehren wären.

Die Literatur sucht Schlupflöcher, nach Auswegen aus dem grauenhaften Einerlei des platten Alltags, nach den Treppen, die über Zwirnsfadenhorizonte führen; der "significant other" wird in den Arm und ernst genommen. Mitgenommen. Wer seine Leser nicht mitnehmen kann, sollte nicht schreiben wollen, sondern Versicherungen oder Immobilien verkaufen. Damit kann man (auch) sehr viel Geld verdienen.

Wer am Ende wirklich recht gehabt haben wird, weist sich immer ganz von allein. Die Zeit wird's schon zeigen ...

lg

Ixo
 
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Ixolotl

Mitglied
Mein lieber Scal,

vergiss Herrn Seel und dessen Gebrabbel über den Zaunkönig. Hör Dir lieber Mussorgski an und lies etwas wirklich Passendes dazu. Zum Beispiel das da:

"Früher bildete ich mir ein, dass man ein Mädchen am besten kennen lernt, indem man mit ihm schläft.

Ich dachte, dass es einem dabei alles sagt und zeigt, was es ist, und dass es dann keine Geheimnisse mehr gibt zwischen ihm und mir. Aber schon beim allerersten Mal war es anders. Ich blieb ratlos zurück, als sie sich mit meinem Badehandtuch abwischte, gleich darauf wieder von mir wegging und vorher verlangte, dass es ein Geheimnis bleiben müsse. Ich hab sie nie wieder gesehen, obwohl ich lange Zeit nach ihr gesucht hatte, im Gesicht, in der Sprache und im Schoß einer jeden, der ich gefiel.

Heute weiß ich, dass die Sterne wie rasend auseinanderstreben, dass man sie nur mittelbar betrachten kann und dass sie für unsereins nicht zu erreichen sind. Was mir blieb, sind Gefühle und die Gedanken, aber sie kommen und gehen, ganz gleich, ob ich sie aufschreibe oder nicht. Briefe waren nur Reflexion, nur Behauptungen; vielleicht, um ehrlich zu sein, waren sie auch Mittel zum Zweck. Genützt haben sie nichts – meine Briefe jedenfalls nicht, und die paar, die ich bekam, auch nicht.

Bei dem Mädchen mit dem Lippenstift ist es anders. Da gab es die Zeichen zuerst, viele Zeichen, keine Briefe, nichts reflektiert, erklärt oder behauptet, sondern Galerien, Räume, die jedermann offen standen wie die Bilder einer Ausstellung: frei, stolz und eigen.

Heute Nacht halte ich es in meinen Armen und drücke es an mich, bis es stöhnt, will nur noch Teil eines großen Ganzen sein, das sich immerfort ausdehnt, tiefer Klang einer Glocke, ewig nachhallend und doch immer stiller.

Als ich am Morgen zurückfahre, dämmert es eben. Ihr Gesicht bleibt blass hinter der Scheibe zurück, aber ich drehe mich nicht mehr um. Solche wie ich hinterlassen keine Spuren im Wasser, nur schillernde Luftblasen, die vergehen."


Modest Mussorgski hatte die "Bilder einer Ausstellung" niemals orchestriert, sondern nur auf das Klavier getrommelt, war schon damals meist sturzbetrunken und endete, wie Charlie Parker, in jungen Jahren bettelarm im Koma. Mussorgski und Parker haben es gewiss verdient, dass man sich ihrer immer wieder erinnert: Manchmal kommt's eben doch darauf an, was und wie man etwas sagt - ganz egal, ob es stimmt oder nicht. Das weiß die Menschheit nicht erst seit dem Getwitter eines Herrn Seel, sondern seit der Entdeckung der Sprache und der Musik.

Lg

Ixo
 
Zuletzt bearbeitet:

Ixolotl

Mitglied
Eine „Ulritze“ hat soeben den Rhein mitbesucht und offenbar nicht gefunden, wonach sie gefahndet hat: „Blick des Mannes auf die Frau?! Blick des Mannes auf sich selbst?!“, schrieb sie, interroverbangt.

Der „Interrobang“ ist ein Überbleibsel aus den 1970ern, der damals gern von jenen in Anwendung gebracht wurde, die sich vor genaueren Analysen scheuten, gleichzeitig aber die Aussagen eines Urhebers zu schwächen versuchten. Da es schon damals nicht funktionierte, mit diesem „Emoji“ Kompetenz zu suggerieren, ohne sie belegen zu müssen, wurde diese Schöpfung in der Deutschen Sprache nie offiziell und verschwand alsbald wieder in der Unmasse aller anderen, mehr oder weniger kindischen „Emoticons“.

Wie schön doch, wenn diese Praktik hier, mitten auf der Suche nach einem Fluss, wieder aufscheint und uns anzeigt, dass diese Suche nicht einfach ist! Offenbar hat die „Kritikerin“ auch keine Antwort auf die Fragen, die vom lyrischen Ich hier erstellt werden:
Hellroter Lippenstift ist wie Lack. Er verschließt, statt zu öffnen, weist den Gemeinen ab und will, dass nur Privilegierte das Siegel brechen. Wer weiß, vielleicht wünscht sie sich einen, der sich nicht kümmert um ihre Zeichen? Der ohne zu fragen nimmt, was ihm gefällt; der wegwischt, was anderen Grenze ist?
Schade, dass sie nur auf das Knöpfchen drücken kann und uns damit zu verstehen gibt, dass ihr die Suche zu mühsam ist.

Aber das macht nichts. Besser, die liebe Ulritze zeigt uns ihre Emotion, statt nur spurlos zu verschwinden: Etwas hat sich in ihr bewegt …

Lg

Ixo
 

Scal

Mitglied
Lieber Ixo,

was Walter Seel twittert, kann ich nicht vergessen, weil ich es nicht weiß.
Ich twittere nicht. Ich kenne nur den Titel seines Buches, das mich interessiert, weil ich wissen möchte, welch Wille ihn dabei bewog und wohin…

Ich kenne somit auch seinen Zaunkönig nicht, ich kenne nur den, der sich mir erkenntlich gemacht hat, der mir manchmal auf die Schulter flattert und mir ins Ohr schnabuliert, ich möge im Hören sehender, ich möge im Sehen hörender sein.
Zeitigt er plötzlichen Erfolg? Nicht auszuschließen, denn mitunter kommt's mir vor, als habe mein inneres Reh rasch den Kopf erhoben und lausche.

Der Zaunkönig ist es,
der mich ins Gefüge von Bachs Fugen so einfügt, dass ich sie als Entfaltung von Fugen erfahre.

Er ist es,
der mir bei Vivaldis Gloria den inneren Gehalt des Wortes „glorios“ aufschließt.

Er ist es,
der mich lehrt eine Handbewegung zu umarmen, die eine nasse Haarsträhne aus dem Gesicht streicht während des Songs „Natural beauty“ von Neil Young.

Er ist es,
der vor der tiefen Größe von „hunter again“ erschauert, weil Tim Buckley damit den Titel seines Songs „Sweet surrender“ realisiert.

Er ist es,
der mir beizubringen versucht, dass beim Augenaufschlag von Antony hin zu seiner Cellistin bei „The Lake“ eine der großen Sternsekunden der Musikgeschichte aufleuchtet.

Er ist es,
der mir die pochende Stille der Hände von Arvo Pärt vor Augen führt.

Er ist es,
der mir sagt, nachdem ich „Nymphes“ von Josquin des Pres das dritte Mal hintereinander gehört: „Nur zu, zweimal noch, horch“.

Er ist es,
der mich über die Nachtseite der Waffenhändler aufklärt und dass diese zu seherische Ohren gelangten - zu King Crimson - aufspürbar in „Epitaph“.

Er ist es,
der mir sagt, dass Nick Cave's gesungene Frage „Are you the one that I've been waiting for“ ein größeres Klangvolumen hat als die mögliche Antwort.

Er ist es,
der mir eine Spur skizziert, von der aus das Sterben Barbara Waldens wie einkomponiert in ihre Songs „a mes flames“ und „purple room“ erzittert.

Er ist es,
der mich dazu anregte, dreißig Sätze in Ernst Kreuders Buch, „Die Unauffindbaren“ mit Bleistift zu unterstreichen.

Er ist es,
der da ist, aber schweigt, wenn Steve Hackett die Worte singt „He who knows love, knows who you are“.

Und er ist es, der mir zutwittert:

Du bist nur der Lippenstift, der,
in den Rhein gespült,
den Main durchkreiselt
und sich in der schönen blauen Donau rötlich auflöst,
während King Crimsons Song „In the wake of poseidon“;

der wiedergeboren wird
in der Röte der Morgendämmerung
an anderen Ufern
zuguterletzt.

Meines Zaunkönigs Stimmlage und Gefieder und sein Gezwitscher bestehen aus diesem Wort, es ist sein Art zu hoffen. Darauf vertraue ich - zuguterletzt.


LG
Scal
 

Ixolotl

Mitglied
Mein lieber Scal,

in der Musik gibt’s die Musiker, das Publikum und die Plattensammler.

Während die Musiker wissen, was eine Tonart, eine Kadenz, ein Dominantseptimakkord und, vor allem, was genau denn den Unterschied zwischen Dur und moll ausmachte, gehen Publikum und Plattensammler nicht nach den strengen Gesetzen der Harmonie, der Komposition und der Intonation, sondern nach ihren momentanen Gefühlen zu Werke. Sie sind keine Schöpfer, sondern kritische Konsumenten.

Dagegen ist nichts einzuwenden – schließlich lebt der Künstler davon, dass sein Publikum und die Sammler sich von seinen Erfindungen und seinem Können mitreißen lassen.

Wer besser singt oder besser Kontrabass spielen kann, wer motiviertere, durchdachtere oder wagemutigere Tonfolgen komponiert oder arrangiert, der singt, spielt, komponiert und arrangiert besser, motivierter, durchdachter und wagemutiger. Unter Umständen kreiert er gar einen eigenen Stil, der sich auf der ganzen Welt durchsetzt. Das Publikum und die Plattensammler tragen dazu nur mittelbar etwas bei – wenn sie in Scharen geströmt kommen und entweder Beifall klatschen oder mit faulen Eiern werfen.

Ich glaube fest daran, lieber Scal, es verhielte sich auf dem Gebiet der Literatur ähnlich.

Es macht wenig Sinn, mit Verzeichnissen anzukommen, mit Buchreihen, die meterlang und zentnerschwer sind, und zu hoffen, allein ihr Besitz oder das Wissen um sie führe schon irgendwie und irgendwann auf irgendwelchen Pfaden in irgendeinen Olymp.

Literatur kann man nicht abschreiben, sondern muss sie zur Welt bringen.

Es ist dies, wie in der Musik, ein recht schwieriges Geschäft. Man braucht angeborene Grundlagen, die sich gegebenenfalls mit viel Hingabe und Aufwand vervollkommnen lassen. Aber ohne Rohdiamanten gibt‘s keinen einzigen, brillant geschliffenen Edelstein am Hals oder am Ringfinger der Prinzessin, ganz gleich, an welchem Fluss der Welt sie ein Stück mit Dir an der Hand stromauf wandert, der Quelle entgegen.

Lg

Ixo
 

Scal

Mitglied
Der Vogel sieht die Gefahr einer Rheinüberschwemmung und fliegt - nichtrechthabenwollend und immer noch unbelastet von olympischem Ehrgeiz - anderen Zäunen zu.

LG
Scal
 

Ulritze

Mitglied
"... ich kenne nur den (Zaunkönig), der sich mir erkenntlich gemacht hat, der mir manchmal auf die Schulter flattert und mir ins Ohr schnabuliert, ich möge im Hören sehender, ich möge im Sehen hörender sein."

Lieber Scal,
"im Hören sehender", "im Sehen hörender" werden - ein Übungsweg für jedwedes (mit)menschliche und künstlerische Bestreben.
Dieser Satz und die "Zaunkönig-Litanei" - eine Mitgift...
Es ist immer schön, im Forum Dankenswertes zu finden.
In diesem Sinne grüßt Ulritze
 

Ixolotl

Mitglied
Wie schön doch, liebe Ulritze, wenn man glauben kann, auf fremden, hübsch gesandeten Wegen nach Herzenslust Kehricht abladen zu dürfen, ohne sich etwas denken zu müssen, nicht wahr?

Aber das ist ein Irrtum. Wie wir in der Geschichte von Rhein und Main lesen , nehmen die Flüsse zwar Tag und Nacht alles auf, was die menschlichen Gesellschaften absondern - aber es verschwindet darin nicht spurlos wie etwa das Getwitter der Zaunkönige in der Luft: tatsächlich nur ein Geräusch, das sofort wieder zum Nichts wird.

Wie tröstlich doch! Die digitale Welt macht keinen Abfall. Wenn der Stecker gezogen wird - husch! - ist alles weg. Für immer. Wen interessierte das?

Der Dreck dagegen, den Main und Rhein ins Meer transportieren, bleibt. Er wird erst zu giftigem Ton werden und dann, viel später, zu schmutzigem Kalkstein. Sebst wenn er dereinst, noch viel später, verglühen wird, bleibt er dem Kosmos erhalten. Vielleicht gibt's irgendwann ja einen neuen Anfang?

Wer weiß.

lg

Ixo
 
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Ixolotl

Mitglied
Lieber Bornstein,

Deine freundliche Abwertung des "Rheinbesuchs" hast du mir wie folgt erklärt:
Die Geschichte ist ein Durcheinander. Sie will alles sein, und ist dabei nichts, d.h., es bleibt ein roter Lippenstift.
Natürlich bedauere ich sehr, dass Du in dem Durcheinander des Textes so gar nichts für Dich entdeckt hast als den "roten Lippenstift". Schade.

Dennoch danke ich Dir dafür, dass Du Dich dem Stück von Anfang bis Ende gewidmet hast und nach alledem zu besagter Deutung gekommen bist. Ich schätze auch Wertungen und Zuschriften der Gegner von mir bemühter Genres und frage mich zum Beispiel, was einen Anonymus denn dazu gebracht haben könnte, so massiv auf vorgeblich "nichts" zu reagieren.

"Nichts" bietet keinerlei Anhaltspunkte, wo man konkret einhaken könnte. Immerhin bist Du aber am Lippenstift hängen geblieben. Gilt er Dir denn wirklich nur als einschlägiger Kosmetikartikel? Solltest Du nicht erkannt haben, dass er hier für etwas ganz anderes steht? Gleich zu Beginn heißt es doch:
Rote Farben sind Warnsignale: fließendes Blut, Ränder von Verkehrsschildern, Leuchtzeichen auf Türmen und Schloten, Kreuze auf weißem Grund.
und danach:
Hellroter Lippenstift ist wie Lack. Er verschließt, statt zu öffnen, weist den Gemeinen ab und will, dass nur Privilegierte das Siegel brechen. Wer weiß, vielleicht wünscht sie sich einen, der sich nicht kümmert um ihre Zeichen? Der ohne zu fragen nimmt, was ihm gefällt; der wegwischt, was anderen Grenze ist?
Gewiss - es ist nicht so einfach, die Warnung zu erkennen, die im Lippenrot steckt, und den Wunsch des Leviathans nachzuvollziehen, es mit Gewalt wegzuwischen, ohne darin einen Verstoß erkennen zu wollen. Ich gebe zu - das ist schon ein bisschen sophisticated; nicht jeder wird etwas damit anfangen können. Wie ja auch nicht jeder weiß, das Rhein und Main längst keine Flüsse mehr, sondern nur noch "Vorfluter" sind. Am Ende heißt es dazu aber doch:
Du wirst dich in ihm erkennen, wie er sich durch die Stadt wälzt. Er schleppt alles mit sich, was du einmal bei dir trugst.
Ich finde, das wären ein paar ganz gute, neue Gedanken oder Gesichtspunkte für Zeitgenossen. Leider erschließen sie sich nur jenen, die bereit sind, den Text mit Sorgfalt zu lesen.

lg

Ixo
 

Bornstein

Mitglied
Lieber Ixo,

Mit Sorgfalt lesen heißt wahrscheinlich, das zu sagen, was du gern hören willst. Und was willst du hören? Das was du nicht gesagt hast.

Was hast du gesagt?
Ich habe sehr wenig verstanden, und was ich verstanden habe, ist sehr wenig.
Ein Mann, eine Frau. Sie schminkt sich mit einen roten Lippenstift. Er rasiert sich (können Barthaare Schmerzen verursachen?).
Er denkt dass die rote Farbe des Lippenstifts ein Warnsignal bedeutet. Gleichzeitig sind sie wie ein Lack eines Siegels, das er gerne brechen
(!!) würde (Erotik?).
Beeile dich, wir müssen den Rhein sehen.


Und was wolltest du sagen?
Aus den Kommentaren die den Text folgen, erscheinen so viele Themen, alles ist so weitschweifig, so prätentiös, dass es mir schwer fällt alles zusammenzufassen. Ich will mal ein Thema nehmen, unter den vielen die du ansprichst: Umweltverschmutzung. Wo ist das im Text? Er schleppt alles mit sich, was du einmal bei dir trugst. Ein bisschen wenig, nicht wahr? Nichts? Fast nichts.

Claudio
 

Ixolotl

Mitglied
Wie schön, lieber Bornstein,

dass Du den gegenständlichen Text noch einmal überflogen und dabei erkannt hast, dass er nicht „nichts“ enthält, sondern wohl doch irgendetwas: fast nichts, jetzt also.

Wir sind hier in der Rubrik „Kurzprosa“. Wie ich an anderer Stelle schon einmal gesagt habe, ist diese Literaturform nicht zu verwechseln mit „Roman“, „Novelle“, „Geschichte“ oder „Essay“ (s. Hierzu auch https://www.leselupe.de/beitrag/forentext-142303/). Ich sehe den „Besuch am Rhein“ als Impression, in der jemand vom geschminkten Gesicht seines Mädchens, über sein eigenes, glatt rasiertes bis hin zu dem des Flusses kommt, „wie er sich durch die Stadt wälzt. Er schleppt alles mit sich, was du einmal bei dir trugst.“

Von „Umweltverschmutzung“ ist nirgends die Rege. Sondern davon, dass hinter den Oberflächen nicht irgendetwas, sondern alles wohnt. Wer dazu meint
Ein bisschen wenig, nicht wahr? Nichts? Fast nichts
treibt nur auf dem Fluss und hat Angst, über den Bordrand zu gucken: er will wohl gar nicht wirklich erkennen, worauf sein brüchiges Papierschiffchen da allem schwimmt.

Aber das hilft nichts. Es wird ja doch vor der nächsten Kurve versinken und zum Inhalt werden. Ein kleinstes gemeinsames Vielfaches eines großen Ganzen. Warum sollte man sich darüber nicht schon jetzt Gedanken machen können?

Lg

Ixo
 



 
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