Bloem (Teil 3)

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32 – Neues Familienmitglied​

Es musste Jahrzehnte her gewesen sein, seit Pieter van Houten zuletzt durch diesen Außenbezirk der Stadt gefahren war. Er drosselte das Tempo, blickte sich um. Vieles kam ihm bekannt vor. Da lag der Park mit dem Spielplatz – Jugendliche mit Bierflaschen lungerten auf dem verwitterten Klettergerüst herum. Dort standen die Mietshäuser der alten Arbeitersiedlung – an vielen Fenstern hingen keine Gardinen. Auf dem weitläufigen Gelände, das einst Brachland war, hatte sich ein gigantischer Baumarkt in Positur geworfen. Einzig unverändert: der zum Norden führende Eisenbahndamm.
Gegenüber der von ihm gesuchten Adresse fand er einen freien Parkplatz, schnallte sich ab, warf einen Blick auf das Gebäude und verglich den Namen auf dem Reklameschild mit dem aus der SMS. Bij Luuk. Bloß ein neuer Name.
Früher war hier ein angesagter Treffpunkt für junge Leute, zum Kartenspielen und Würfeln, Darten und Billardspielen gewesen. In seinem Magen grummelte es. Die Wurlitzer Jukebox, Mädels, ein wenig Tanz.
Er schloss den Wagen ab, überquerte die Straße und ging lärmenden Männern aus dem Weg, die sich unsicher auf den Beinen hielten. Kurz überlegte er, seinen Mercedes woanders zu parken, drückte dann erneut auf den Knopf der Zentralverriegelung, um sicherzustellen, dass die Alarmanlage wirklich aktiviert war.

Vor dem Eingang des Gebäudes war eine Kreidetafel aufgestellt. Mit krakeliger Schrift hatte jemand die Euro League-Spielbegegnung des heutigen Abends notiert. Seufzend schob er den schweren Filzvorhang zur Seite und schritt über den knarzenden Holzboden. Ein Geruch aus Zigarettenqualm und Frittenfett schlug ihm entgegen. Er streifte mit der Hand über seinen Maßanzug, in dem er sich reichlich deplatziert zwischen den teilweise mit Schal oder in Weiß und Rot gekleideten Leuten vorkam, die ihre letzten Euros für Bier ohne Schaum und billigen Fusel ausgaben. Er fragte sich, wie er den Kneipengeruch wieder aus der Kleidung bekommen würde.
Zwei übriggebliebene Dart-Automaten hingen einsam und unbeleuchtet an der hinteren Wand. Die Billardtische waren verschwunden. Längst hatten sich die großen, modernen Billardcenter durchgesetzt, oft angrenzend an Kinokomplexen und Schnellrestaurants. Orte, an denen Ruben seine Zeit vergeudete.
Ansonsten bot sich ein unveränderter Anblick: Holzdecken, holzvertäfelte Wände, Eckbänke. In der Mitte die runde Holztheke, vor der Männer standen und das Fußballspiel auf einem monströsen Flatscreen verfolgten. Der Fernseher war das einzige, das aus der archaisch anmutenden Einrichtung herausstach. Ein teures, modernes Gerät, das sich Pieter nie gönnen würde.
In einer Ecke erblickte er Luschinski, der an einem Zweiertisch saß, rauchte und ihn herbeiwinkte.

„Wir haben keinen Wein“, krächzte eine Kellnerin, deren Faltengesicht grotesk geschminkt war, und blickte ihn abschätzig an. „Also?“
„Bring ihm bitte das gleiche, Süße. Und mir auch noch einen“, sagte Luschinski.
Pieter folgte Luschinskis Blick, stierte auf ihren viel zu kurzen Rock, bis sie in der Menge verschwand. Mit aufmerksamen Augen schaute sich Pieter nach allen Seiten um, während sich Luschinski zuerst die Kippe im Aschenbecher ausdrückte, dann umständlich eine Zigarette aus der Packung holte und sie anzündete.
Er schien erst kurz vor ihm angekommen zu sein – wenn der andere Stummel und die zwei Striche auf dem Bierdeckel als Zeitmaß galten.

Zu seiner Sturm-und-Drang-Zeit war Pieter ein paarmal hier gewesen, hatte Billard gespielt, Bier getrunken, um ein paar Gulden gepokert oder gewürfelt. Manchmal hatte er sogar Beute gemacht. Doch es waren die anderen, die mit dem Geld und den wirklich hübschen Mädels davonzogen. Söhne von reichen Eltern, die einen Drink nach dem anderen spendierten und mit imponierenden Autoschlüsseln herumfingerten. Autos, die ihnen nicht gehörten.
Er, Sohn eines Schlossers und einer Verkäuferin, hatte gerade eine Schlosserlehre begonnen, als er dort an derselben Theke Juliana kennenlernte. Ihr wollte er die Sterne vom Himmel holen.
Zum Unmut seiner Eltern warf er die Lehre hin. Stieg in Immobilien und Wertpapierhandel ein, – angeleitet durch einen Bekannten – war eifrig, ehrgeizig. Machte sich selbständig, wollte immer sparsam bleiben, sich nur die feinen, wichtigen Dinge leisten.
Alles war anders gekommen.
Die letzten Jahre lebte er im Rausch, er wagte immer mehr, verspekulierte sich: riskante Geschäfte, dubiose Geschäftspartner. Am Ende die Gläubiger in Rotterdam, die ihn noch immer verfolgten und seine Tochter auf dem Gewissen hatten. Auf eine Art war es gut, dass Juliana Bloems Tod nicht mehr miterleben musste.

Er rutschte mit dem Stuhl näher an den Tisch heran. Luschinski wischte sich den Schweiß von der Stirn, nahm einen tiefen Zug und begann: „Also, Piet: warum so hektisch? Hast mich tausendmal angefunkt und dann doch kaum was am Telefon gesagt.“
Er antwortete nicht, putzte mit einem Taschentuch die Tischplatte vor sich, nahm seinen Fedora ab und positionierte ihn über die polierte Stelle. Dann überlegte er es sich anders und setzte ihn wieder auf.
Luschinski blies den Zigarettenrauch in die Höhe, wo er sich im Luftzug des Deckenventilators verflüchtigte. Seine dicke Gestalt mit den fleischigen, bloßen Armen nahm den gesamten Platz der Eckbank ein, auf die Pieter zweimal gepasst hätte. „Gefällt’s dir hier nicht? Hier sind wir ungestört, so wie du dir es gewünscht hast. Alles unauffällig.“
„Wie bist du gerade auf diese … Kneipe gekommen?“, fragte Pieter.
„Hab ich beim Vorbeifahren im Frühjahr entdeckt, als ich auf dem Rückweg von … na, du weißt ja, und mir anschließend hier noch ‘n paar Schnäpse gegönnt.“
„Elfmeter! Elfmeter!“, schallte es aus Richtung Theke.
„Sorry, Piet.“ Luschinski streckte sich zum Bildschirm, während Pieter ungeduldig mit den Füßen tippelte und sich auf die zitternde Lippe biss. Luschinski stöhnte, sagte „Verschossen“ und rauchte weiter.
Eine kurze Pause, in der niemand sprach, in der Pieter sich zurückerinnerte, wie sie sich vor über dreißig Jahren kennengelernt hatten. Auf einem Zeltplatz, als ihre beiden Jugendmannschaften zufällig zur selben Zeit den Saisonabschluss betranken. NEC Nijmegen und Sportfreunde Katernberg aus Essen, für Fachkundige ein großer Name, kamen doch zwei Fußballweltmeister aus dem Verein, in dem Luschinski den Verteidiger gab, an dem niemand vorbeikam.
„Alles unauffällig hier“, wiederholte Luschinski. „Na ja … bis auf dich.“ Er schmunzelte. „Ich such uns für unsere nächste Geschäftsbesprechung gerne ein passenderes Ambiente aus“, sagte er und richtete seine imaginäre Krawatte.
„Es gibt kein nächstes Mal.“
„Lass hören!“
„Keine Namen. Keine Orte. Nichts!“ Dann sagte er leiser: „Hinter der Grenze. Die Stadt, mit dem langen, unaussprechlichen Namen.“ Als er in Luschinskis regungsloses Gesicht blickte, ergänzte er: „Du weißt, wo wir beide zum Fußball im Stadion waren.“
„Hoffentlich lohnt sich die Fahrt diesmal. Twente Enschede hat damals kein gutes Bild gegen die Borussia abgegeben.“ Der Schimmer eines Lächelns lag auf seinem Gesicht.
„Deine Breslauer auch nicht!“
Die Kellnerin hatte sich bis zum Tisch durchgekämpft, stellte die Gläser ab, markierte die Bierdeckel und balancierte das Tablett weiter.
Mit zwei Fingern griff Pieter nach dem Glas, drehte es im schummerigen Licht und begutachtete es. Ohne es mit den Lippen zu berühren, trank er es aus.
„Schmeckt es?“ Luschinskis Goldzähne kamen zum Vorschein, als er den Wodka mit der schwieligen Pranke in den offenen Mund schüttete. „Weiter!“, gurgelte er.
„Es wird dir gefallen. Nagelneues Einkaufscenter, wunderschöner Bau. Bietet alles, was das Herz begehrt. Mode, Wellness, …“ Kurz schreckte er auf, als die Leute vor dem Fernseher lautstark einen Treffer bejubelten.
„Ist mir scheißegal, ob’s tolle Hüte gibt oder man sich die Nägel feilen lassen kann.“ Luschinski schaute ihn amüsiert an. „Wie kommen wir rein? Und raus? Wie sicher ist es? Wie viel Beute? Tresor? Alarmanlage?“ Er hatte die Worte nicht geflüstert, noch nicht einmal die Stimme gesenkt, was bei dem andauernden Jubel auch nicht nötig war.
„Mach dir keine Sorgen. Es ist so sicher, wie Oranje bei der nächsten Fußball-WM dabei ist.“
„Ich mag euch Käsköppe. Ihr seid immer so optimistisch.“
„Ich habe Bilder gemacht. Und Skizzen. Zeige ich dir später. Wir beide gucken es uns aber vorher vor Ort an, damit nichts schief geht.“ Er schaute Luschinski an, der noch immer ein argwöhnisches Gesicht machte. „Komm, entspann dich, Lulu.“
„Wer ist sonst noch dabei?“, murrte Luschinski.
„Wir sind zu viert … Ruben kommt mit.“
Ruben?“ Er winkte ab. „Hab ihn zwar erst einmal gesehen. Für mich ein absoluter Taugenichts. Soll er etwa fahren? Und wer kommt noch mit? Wer ist der Vierte? Und warum überhaupt?“


33 – Abbild​

Viktoria horchte an der Sprechanlage. Als die Klingel schellte, sagte sie: „Ja?“
„Ruben“, antwortete eine bekannte Stimme, fast vom Knattern eines vorbeifahrenden Mofas übertönt.
Sie drückte den Knopf, wartete, bis die Schritte auf der Holztreppe näher kamen, öffnete die Tür gerade so weit, wie es die eingerastete Kette erlaubte und schaute in den dunklen Flur.
„Ich hab gesehen, dass du noch wach bist.“
„Ähm …“ Er ist es tatsächlich, dachte sie und spürte ein Ziehen in der Magengrube.
„Bitte, Viktoria! Ich muss mit dir reden.“
„Komm rein!“, sagte sie und entriegelte die Kette. „Ich mach uns Kaffee.“ Sie deutete rücklings zur Wohnzimmerecke. „Mach es dir bequem.“ Das ist alles, was mir einfällt? Kaffee, sich bequem machen?, fragte sie sich.
Er blieb an der Garderobe stehen, betrachtete das Foto, auf dem sie zwischen ihren Eltern stand.
„An welchem See seid ihr da? Ist das euer Boot?“
„Erzähl ich dir ein andermal“, sagte sie rasch, bevor er sie nach den überkritzelten Augen ihrer Mutter fragen konnte. Wahrscheinlich war das aus dem Wohnzimmer scheinende Licht nicht hell genug, als das er etwas Genaueres erkennen könnte.
Sie ging zur Kochnische, steckte Pads in die Kaffeemaschine, stellte zwei Tassen drunter, zog ihre Bluse glatt, holte ein Tablett aus dem Schrank, kramte in der Schublade nach Zucker und Kaffeesahne – machte das fast alles gleichzeitig, dachte dabei nach, was sie sagen sollte. Warum rief er vorher nicht an? Wieso hat er sich überhaupt unter dem Torbogen versteckt, grübelte sie und blickte hinüber. Er stand hinter der Gardine und beobachtete die Straße. „Darf ich den Vorhang zuziehen?“
„Kein Problem.“ Ihre Kehle war trocken. Sie entnahm Marmorkuchen aus einer Frischhaltedose und legte ihn auf einen Teller, sah aus dem Augenwinkel, wie er sein Sakko über die Couch warf und Platz nahm.
Den Kuchenteller und das Tablett mit Milch und Zucker stellte sie auf den Couchtisch und setzte sich ans andere Ende des Polsters. Sie versuchte Gelassenheit auszustrahlen. Insgeheim war ihr klar, dass sie sich nichts sehnlicher gewünscht hatte, als ihn schnell wiederzusehen. „Woher weißt du, wo ich wohne?“
„Es gibt nicht viele Lehmanns, die neben einem Chinesen am Eiermarkt wohnen.“ Der Anflug eines Lächelns. „Nettes Appartement. Wie bezahlst du es? Durch deine Jobs?“ Er lehnte sich vor, tippelte mit den Fingern auf das Buch, das vor ihm auf dem Tisch lag, und sah sich um.
„Mein Vater hat mir ein kleines Erbe hinterlassen …“ Sie schluckte.
„Oh, tut mir leid.“
„Zusammen mit der Hinterbliebenenrente und den Jobs reicht es soeben.“
Er deutete auf das Buch. „Alles auf Nederlands? Die Vorlesungen auch?“
„Ja.“ Viktoria schob das Buch zur Seite, zeigte auf den Teller. „Möchtest du?“
Er brach sich ein Stück vom Kuchen ab. Ein paar Krümel fielen auf den Teppich.
„Aber du bist nicht gekommen, um dir meine Studentenbude anzuschauen?“
„Wie oft hast du dich mit ihm getroffen?“
„Wie?“ Verdutzt schaute sie ihn an. „Vier- oder fünfmal.“
„Hat er dich … Ich meine, … habt ihr …?“
„Nein, natürlich nicht!“, protestierte sie. „Er ist freundlich, fast väterlich. Aber es reicht langsam.“
„Was reicht?“
„Die Einladungen zum Essen, die Geschenke …“
Im Hintergrund gab die Padmaschine ein lautes Blubbern von sich, Kaffeegeruch verbreitete sich im Raum.
Sie stand auf. „Was genau ist mit deinem Vater los?“, rief sie und ging dann mit den Tassen zurück.
„Seit einiger Zeit ist er anders, ist kaum zu Hause, arbeitet nur von unterwegs.“
„Im Café sah es nicht so aus, als würde er tatsächlich arbeiten. Und er war oft und lange dort.“ Sie schüttete Milch in ihre Tasse, rührte um, nahm den Löffel heraus, ließ ihn abtropfen, rührte wieder im Kaffee herum, den Blick reglos auf die Tasse gerichtet. Sie musste sich zusammenreißen. Auf keinen Fall durfte sie ihn ständig anstarren. „Er behandelt dich doch nicht schlecht, oder?“, fragte sie und bereute es sofort, sich in fremde Angelegenheiten einzumischen. „Entschuldigung, ich sollte nicht …“
„Hast du nicht gemerkt, dass er mich wie einen Idioten behandelt? Ruben liebt die Seefahrt, das Meer, sagt er. Als wenn ich das nicht selbst sagen könnte.“
„Mach dir nichts draus, so sind Eltern. Denken, wir wären kleine Kinder.“ Endlich legte sie den Löffel zur Seite. „Du kannst doch froh sein, bei ihm zu wohnen, bis du eine Arbeit hast.“
„Hm“, murmelte er.
„Er sagt, er möchte dir eine Werkstatt einrichten?“
„Ja, eine Bootswerkstatt.“
„Ich bin früher auch …“, sagte sie halblaut und forderte ihn dann mit einem Nicken auf, weiterzuerzählen.
„Keine Ahnung, wie lange wir da überhaupt noch wohnen. Die alte Waterfront soll umgebaut, der Kanalarm trockengelegt werden.“ Er wischte sich Krümel vom Mund, trank einen Schluck Kaffee.
Sie versuchte, die Dinge, die sie fragen wollte, im Kopf in eine vernünftige Reihenfolge zu bringen. „Warum bist du hier?“
„Soll ich einfach von vorne beginnen?“

Er trank den Kaffee aus, betrachtete sie mit einem langanhaltenden Blick. „Meine Schwester …“, begann er. „Ich war mehrere Monate auf See. NATO Manoeuvre. In großer Vorfreude kam ich zurück, stand mit dem Seesack in der Loft. Ich wollte Bloem mit dem Tattoo überraschen.“ Er deutete auf seinen Arm. „Doch Vater hat mir erzählt, dass sie am Tag zuvor die Tasche gepackt hat, um zu einer Freundin zu fahren.“
„Aber da war sie nicht?“
„Ich rief sie auf dem Handy an. Es war aus. Vater konnte auch nicht sagen, zu wem genau sie hin wollte.“ Seine Stimme zitterte. „Alles sehr merkwürdig.“
„Bestimmt meldet sie sich noch.“ Sie rutschte näher, legte die Hand auf sein Knie, war überrascht, es getan zu haben, zog sie wieder zurück und kratzte sich am Ohr. „Wenn ich dir irgendwie helfen kann …“
„Niemand hat Bloem gesehen. Die Polizei ist keine Hilfe. Sie ist seit zwei Monaten verschwunden, nicht mehr online – weder bei Facebook, noch bei WhatsApp oder sonst wo. So ist sie nicht.“
„Zwei Monate schon?“
„Meine Freunde und ich tun alles, um sie zu finden. Flyer haben wir verteilt. Sogar im Radio und Fernsehen kam es.“ Er sah nachdenklich aus. „Du hast nichts Näheres mitbekommen, die Bilder nicht gesehen, richtig? Sonst wüsstest du …“
Einen Moment herrschte Stille.
Sie beugte sich vor, senkte die Stimme. „Was meinst du?“
Er holte sein Portemonnaie aus der Hosentasche, wendete es mehrmals hin und her. „Ich fürchte, er ist krank. Erst ist Mama gestorben, nun ist Bloem verschwunden.“ Er hielt inne, schaute sie an und steckte das Portemonnaie wieder zurück.
„Du meinst seelisch krank? Ich könnte ihm sicher einen guten Psychologen besorgen.“
„Halt dich besser von ihm fern.“
„Ja, so ungefähr hab ich das vorgehabt, aber dann bist du dazwischen gekommen.“ Röte schoss ihr ins Gesicht. Sie ging zur Garderobe und kam mit der großen Einkaufstasche der Boutique zurück.
„Bitte gib ihm die Kleidung wieder. Die Etiketten sind überall noch dran.“ Dann kramte sie in der Handtasche. „Auch die Kette.“
„Kette?“
Sie reichte ihm die Schatulle.
Behutsam klappte er sie auf, zuckte zusammen und legte die Hand an die Lippen. „Bloem“ hauchte er, streichelte über den Blumenanhänger, blinzelte die Tränen fort. „Die Kette … gehört ihr. Oder … hat ihr gehört.“ Sein Gesicht wurde weiß wie ein Blatt Papier.
Sie rutschte näher, legte wieder eine Hand auf sein Knie. Ihr wurde zugleich heiß und kalt. Diesmal ließ sie Hand auf dem Knie ruhen. „Puh“, brachte sie nur heraus. „Warum hat er mir die Kette gegeben? Warum soll ich sie tragen?“
„Sie hätte die Kette nie zurückgelassen.“
„Und wenn es nur eine ähnliche Kette ist?“
Er schüttelte den Kopf, steckte das Teil zurück in die Schatulle und legte sie auf den Tisch. „Es ist besser, wenn ich jetzt gehe“, sagte er und stand auf. „Musst du morgen zur Uni?“
„Samstags hab ich frei.“
Er deutete auf Tasche und Schatulle. „Lass das erst mal alles hier. Ich melde mich morgen früh bei dir.“
Er nahm sein Sakko, blieb vor der Tür stehen, umfasste die Sicherungskette und zog kurz an ihr, als prüfe er die Festigkeit. „Mach am besten niemandem auf.“
„Wieso?“
„Vielleicht ist es alles harmlos, ein dummer Zufall“, murmelte er und verschwand im dunklen Treppenhaus.
„Ruben?“, rief sie hinterher. Ihre Brust fühlte sich zugeschnürt an. „Ruben!“
Die Schritte wurden leiser. Dann hörte sie, wie die Haustür ins Schloss fiel. Sie eilte zum Fenster, riss den Vorhang beiseite und sah einen Mann auf einem Fahrrad ohne Licht davonfahren. Ein Gefühl von völliger Verlassenheit überkam sie.


34 – Die schwarzen Ritter​

Pieter van Houten war es egal, was Luschinski über seinen Sohn dachte. Sollte er ihn ruhig für einen Taugenichts halten. Wahrscheinlich hatte er auf eine Art Recht. Aber Luschinski wusste nicht, zu was Ruben fähig wäre.
Luschinski begriff sicher nicht den ganzen Zusammenhang – Rubens Rolle, Viktorias Rolle, seine eigene Rolle. Er musste ihm nicht erzählen, dass Juliana während der Aufführung von Lohengrin im Theater gestorben war. Wahrscheinlich wusste er nicht einmal den Namen seiner Frau. Ebenso wenig ging es ihn etwas an, dass sich der Zugang zum Theater genau an der Stelle befand, an der heute der Juwelier war. Dass nun Ruben der Ritter von Lohengrin wäre, der Protagonistin im Traum erschienene Retter und Beschützer.
„Wer außer Ruben noch dabei ist?“, wiederholte er Luschinskis Frage. „Du wirst sehen. Und sprich nicht so über meinen Sohn!“
„Wie viel wartet da auf mich?“, zischte Luschinski.
„Viel.“
„Das hast du zuletzt auch gesagt.“
„Millionen.“ Er war auf dem Stuhl noch näher gerutscht.
Luschinski zog eine Augenbraue herauf. „Millionen?“
„Eine Million alleine in der ersten Uhren-Auslagen. Viele weitere Millionen in den anderen Fenstern, in den Kästen. Sechs oder zehn. Vielleicht auch zwanzig, dreißig Millionen. Was spielt das für eine Rolle?“ Er drehte sich um und hielt zwei Finger hinauf, wartete, bis die Kellnerin genickt hatte.
„Was ist mit dem Tresor und der Alarmanlage?“
„Du bist der Experte! Deswegen fahren wir ja vorher hin. Der Tresor ist aber nur ein netter Nebenverdienst. Den brauchen wir nicht wirklich. Stell dir vor, was du mit dem Geld alles anstellen könntest. Wo würdest du hinwollen, Lulu? Zurück nach Polen?“
„Was soll ich denn da?“, spuckte Luschinski förmlich die Worte heraus. „Bei mir im Viertel wohnen genug Polacken. Und außerdem spreche ich nicht mal deren Sprache.“ Er stützte sich auf den Ellenbogen ab, strich mit einer Hand über die Tischplatte, flüsterte. „Mutter braucht mich. Sie quält sich mit ihrem Rollator bis zur obersten Etage rauf. Der Aufzug ist andauernd im Arsch. Aber sie mag die schöne Aussicht.“ Er nickte vor sich hin. „Ich besorg ihr was Feines auf ihre alten Tage, barrierefrei, wo es warm ist, wegen ihrem Rücken, wo sie schöne Landschaften sieht. Berge oder Meer … und du, Piet?“
„Mich nur noch um meine Familie kümmern.“ Er nahm den Fedora in die Hand, streichelte über die Stoffblume, sagte gedankenversunken: „Das alte Leben neu anfangen.“
„Hm.“ Luschinski stützte sich aufs Kinn, beäugte ihn. „Gut. Bin dabei! Diesmal will ich sechzig Prozent! Falls ich wieder nachts mit vollem Kofferraum zum Kanal fahren muss. Nennen wir es … Gefahrenzulage, Schmutzzulage.“ Er knetete die Finger, dass die Knochen knackten. „Außerdem findest du keinen besseren Panzerknacker.“
Sein Körper fror ein. Voller Kofferraum? Kanal? War Bloem in irgendeiner verschmutzten Brühe gelandet? Und warum Schmutzzulage? Was hat er ihr noch angetan, war sie nicht tot genug? Seine Augen verengten sich. „Sprich nicht so über das Mädchen!“ Verdammt nochmal. Sein Blick blieb auf Luschinskis schlichtem, kurzärmeligen Polyesterhemd hängen. Er musste sich nicht erst erheben und nachschauen, um zu wissen, dass er wieder dieselbe, speckige schwarze Jeans von der Nacht in Venlo trug. Beim Einparken war ihm Luschinskis alter Porsche aufgefallen, der schon bessere Tage gesehen hatte. Sechzig Prozent. Das hätte er gerne.
„Warum glotzt du mich so an? Gefällt dir mein Outfit nicht?“
Pieter schüttelte den Kopf und damit auch die Gedanken von sich. „Dreißig Prozent.“
Die Kellnerin kam, stellte zwei Gläser ab, machte wieder Striche auf den Bierdeckeln.
„Vierzig!“, sagte Luschinski.
„Gut, aber dann besorgst du den Wagen. Es muss der gleiche RS 6 Avant sein. In Schwarz.“
„Hab keinen guten Draht mehr. Und den gibt es nicht so häufig.“
„Genau den“, blökte Pieter, „oder deine Mutter schiebt bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag ihren Gehwagen die Etagen hoch!“ Er beobachte Luschinski, der sich am Kinn kratzte, alles abzuwägen schien.
„Verstehe. Gibt es noch was Spezielles, was ich wissen sollte? Was ist mit den Skizzen und den Bildern?“
Pieter lächelte schief. „Vergiss die Skizzen, viel zu kompliziert. Die Fotos sagen alles.“ Er holte sein Handy hervor. „Der Juwelier ist fast uneinnehmbar, wie eine Burg. Aber nur fast“, sagte er und startete die Foto-App. „Du hast bestimmt früher auch Ritterfilme geguckt und weißt, wie man eine Burg erstürmt, hm?“
„Ritterburg“? Luschinski schob mit dem Arm Zigarettenpackung und Feuerzeug beiseite, stützte sich vor. „Keine Ahnung. Mit Leitern? Katapult?“
Pieter reichte das Handy herüber. „Wisch bitte nach rechts!“
„Schickes Einkaufscenter.“ Luschinski schob den Finger mehrmals über die Glasscheibe des Handys. „Wer ist das Mädel? Eine Kellnerin?“
Er entriss ihm das Gerät, wischte zurück und gab es ihm wieder. „Andersherum habe ich gesagt!“ Luschinski würde sie früh genug kennenlernen, dachte er.
„Stählerne Sockel. In Beton gegossen. Direkt vor den Scheiben.“ Luschinski grübelte. „Da kommen wir nicht durch.“
„Guck weiter!“
„Ah, der Juwelier hat zwei Etagen? Außen eine lange Treppe, vom Bürgersteig hinauf zum Centereingang?“ Luschinski kniff ein Auge zu. „Wie willst du mit der Karre …? Gibt es noch einen anderen Eingang?“
„Sieh mal genauer hin. Wie würde deine schwache Mama da hochkommen?“
„Lass meine Mutter aus dem Spiel!“, ächzte Luschinski.
„Schau doch!“
Luschinski rundete die Stirn. „Ich verstehe nicht.“
„Sie würde doch bestimmt nicht die Treppen nehmen, oder?“
„Piet“, Luschinski grinste, und für Pieter sah es derart aus, als würden seine Augen funkeln, „ich sag’s nur ungern, aber du bist ein Genie.“
„Danke. Aber es geht noch weiter. Wir wollen ja nicht gestört werden, müssen für den Notfall die weißen Ritter fernhalten.“ Er schnappte sich einen Bierdeckel, hielt ihn über den Aschenbecher und zündete ihn mit dem Feuerzeug an. „Wir lenken die weißen Ritter ab.“ Als der Bierdeckel entfachte, legte er das Pappteil vorsichtig in den Ascher und schob ihn ein Stück weiter zu Luschinski.
„Dann sind wir also die schwatten Ritter?“ Luschinski lächelte. „Das gefällt mir.“ Einen Augenblick schaute er dem Flammenspiel zu und nahm schließlich das brennende Teil mit bloßen Fingern heraus. Ohne das Gesicht zu verziehen, erstickte er das Feuer in der Faust, ließ die Glut in den Ascher fallen. Nachdem er sich die Hand an der Jeans abgewischt hatte, griff er nach seinem Schnapsglas. Er schaute zuerst das leere Glas an, dann Pieter.
„Ich sag ja Ablenkung“, sagte dieser und wischte sich mit dem Handrücken über den Mund, „wenn man sie denn beherrscht.“


35 – Zurückgekommen​

Noch immer stand sie am Fenster, sah auf der Straße das Flackern des Laternenlichts, in der Wohnung gegenüber das übliche Fernsehlicht flimmern. Sie setzte sich auf die Couch, Müdigkeit übermannte sie. Die letzten Tage waren kraftraubend gewesen.
Kurze Zeit später fielen ihr die Augen zu.

Es schellte an der Tür, sie sprang auf. „Ja?“, fragte sie durch die Sprechanlage.
„Ich habe was vergessen.“
Als Ruben vor der Wohnungstür stand, starrte sie ihn an. „Ihre Kette?“ Mehr brachte sie nicht heraus. Ihr Herz raste, sie trat einen Schritt zurück, ließ ihn eintreten, wusste nicht, wohin mit den Händen, wischte sie sich an der Hose ab, strich sich durchs Haar.
„Ich habe was anderes vergessen“, sagte er, kam näher und legte eine Hand um ihren Nacken. Eine wohlige Wärme erfüllte sie, sie entspannte sich. Er beugte sich herab, sie schloss die Augen, spürte, wie das Blut durch ihre Lippen schoss. Sein Kuss schmeckte nach Meer, Freiheit und Sicherheit. Ihr ganzer Körper kribbelte, ihr Schoß zog sich zusammen.
Das Kribbeln wurde zu einem Vibrieren. Dann hörte sie ein Klingeln. Ein nicht enden wollendes Klingeln, das immer nerviger und lauter zu werden schien.
Erschrocken öffnete sie die Augen. Sie saß weiterhin auf der Couch, allein. Sie holte das vibrierende Handy aus der Hosentasche. „Ja?“
„Ich wollte nur kurz durchklingeln, damit du meine Nummer hast“, sagte Ruben. „Nur zur Sicherheit. Bis später dann.“
„Ruben, kannst du vorbeikommen? Jetzt?“
Er hatte schon aufgelegt.
Sie legte das Handy beiseite und kam sich plötzlich ziemlich albern und unreif vor und war froh, dass er sie nicht mehr gehört hatte.


36 – Du wirst es besser machen​

Ruben stellte das Duschgel zurück auf die Ablage und regelte das Wasser heißer. Das belebende Nass strömte den Rücken hinunter. Die Anspannung, die er seit Bloems Verschwinden spürte, löste sich nicht, war gar angewachsen, seit Viktoria plötzlich in sein Leben getreten war. Ein bedrückendes Gefühl innerer Unruhe und Angst überkam ihm.
Die viel zu große Ähnlichkeit mit Bloem. Die Kleidung, die Vater ihr gekauft hatte, dazu sein merkwürdiges Verhalten. Schließlich, wie zur Vervollständigung des ganzen Irrsinns, die Kette. Bloems Kette. Alles kam ihm so unwirklich vor.
Gerne wäre er in dieser Nacht zu ihr zurückgekehrt. Er konnte nicht, wusste nicht, ob er einen klaren Gedanken fassen konnte. Er war kurz davor gewesen, ihr das Foto zu zeigen. Würde sie es verstehen?
Er hoffte, alles wäre ganz harmlos. Vielleicht wünschte sich Vater nur gelegentlichen Kontakt zu Viktoria. Zweifellos erinnerte sie ihn an seine Schwester, vielleicht fühlte er sich Bloem dadurch näher. Aber warum sollte er sich ihr näher fühlen wollen? Hatte vielleicht nur er, Ruben, verwirrte Gedanken? Oder war Vater krank im Kopf? Benötigte er professionelle Hilfe? War gar gefährlich? Schlimmstenfalls traf alles zusammen zu. Eine unheildrohende Kombination.
Er stellte die Brause ab und schnappte sich ein Handtuch. Durch die offenstehende Badezimmertür hörte er Geräusche. Er beeilte sich mit dem Anziehen und griff zum Handy, das er auf lautlos gestellt hatte. Drei verpasste Anrufe. Viktoria.

Als er die Küche betrat, saß sein Vater auf einem Barhocker an der Theke. Der Kaffeeautomat zischte, auf einem Teller lagen Sandwiches mit Käse und Schinken. Nur die halbvolle Flasche Tullamore Dew und das Whiskeyglas störten den Anschein einer heilen Welt.
„Bist du schon lange Zuhause?“, fragte Pieter. Er musterte seinen Vater, der starr, ohne mit der Wimper zu zucken, vor dem Whiskeyglas saß.
„Nicht lange.“ Er setzte sich neben ihn, nahm sich ein Sandwich, biss ab, spürte die knisternde Spannung im Raum.
„Was haben die auf dem Arbeitsamt gesagt?“
„Keine Jobs in der Nähe. Die empfehlen eine Umschulung. Autos.“ Auf einmal interessierte ihn das. Dabei hatte er ganz andere Fragen erwartet. Ob die Suchmeldungen etwas gebracht hätten, der Facebook-Aufruf, das ganze Hin- und Hergelaufe, das Nachfragen.
„Nicht mehr lange und wir ziehen hier weg. Zum Meer. Am Hafen findest du Arbeit.“ Pieter trank vom Whiskey, schenkte sich nach. „Was willst du mit Autos?“
„Was … was ist mit Bloem?“
„Wie wär’s in der Gegend um Rotterdam? Ich richte dir eine Bootswerkstatt ein. Da kannst du tüfteln, ausprobieren, lernen, machst dich später selbstständig.“
„Hast du sie aufgegeben?“ Rubens Stimme überschlug sich beinahe. „Jetzt stell doch mal den Whiskey weg!“
„Nicht in diesem Ton! Ohne mich wärst du noch in der Gosse, würdest in Coffeeshops herumlungern!“ Pieter stand auf und strich ihm kurz über den Arm. „Tut mir leid. Ich wünschte, sie wäre jetzt bei uns. Haben deine Freunde was gehört?“
„Nein.“ Es fiel ihm schwer, wieder zu sich zu kommen. „Und Luschinski?“
„Noch nicht.“ Pieter goss in zwei Tassen Kaffee, stellte eine vor ihm ab, gab Milch und Zucker hinzu.
„Viktoria … was hast du dir dabei gedacht?“ Schweiß rann auf seine Oberlippe.
Pieter hielt sich an dem bauchigen Whiskeyglas fest, ein freudiges Lächeln auf sein Gesicht. „Ich habe einen Plan.“ Sein Kichern wurde zu einem Lachen. Er trank den Whiskey in einem Zug aus. „Ich war ein wenig unterwegs, habe ein Armband gesehen, das perfekt zu Bloems Kette passt.“ Seine Augen funkelten. „Es wird ihr gefallen.“
Ihr gefallen?“ Er schob die Tasse zum Rand. Die Finger gehorchten ihm nicht mehr, der Kaffee schwappte über.
„Ich habe dir eine Blu-ray mitgebracht. Richard Wagner. Lohengrin. Du erinnerst dich, die Oper, bei der Mama …“ Pieter wischte sich eine Träne fort. „Du wirst die Stelle im Ersten Aufzug finden. Das Boot, das von einem Schwan gezogen wird.“ Er sprach immer schneller. „Darin der Ritter. Der Ritter, der ihr im Traum erschienen war. Verstehe doch! Du! – Sie!“ Sein Gesicht strahlte auf. „Der Ritter will nicht nur für sie kämpfen, sondern hält auch um ihre Hand an. Du wirst auf sie aufpassen, sie beschützen. Du wirst es besser machen, als ich. Sie wird für immer bei uns bleiben!“
Ruben, der sich die ganze Zeit nicht von der Stelle gerührt hatte, schluckte. „Wovon sprichst du?“
Pieter kramte das kleine Fotoalbum aus der Jackentasche und schlug es auf. Das Bild zeigte Bloem, die ihre Kette um den Hals trug. „Wir bekommen eine zweite Chance. Diesmal wird es klappen.“
„Was soll klappen? Welche zweite Chance? Wovon sprichst du?“
Pieter küsste das Foto. „Sie wird immer bei uns bleiben. Bei mir … bei dir, mein Junge! Wir werden wieder eine Familie sein! Zusammenleben.“ Er schlug das Album zu. „Verstehe doch! Leben!“
Ruben blinzelte seinen Vater an, der um Jahre gealtert aussah, dessen Pupillen sich verengten.
Pieter hob den Fedora von der Theke auf und strich über die Blume am Hutband, schien die nächsten Worte zu überlegen, setzte ein paarmal an. „Die ersten Jahre liefen manierlich. Ich wollte immer mehr, wollte, dass es euch gut geht. Ich … ich habe viel Geld verloren. Über eine Million. Wollte es mir schließlich besorgen, um die Schulden zu bezahlen.“ Er legte den Hut auf die Theke.
„Besorgen? Was meinst du?“
„Na, eben besorgen.“ Pieter zögerte einen Moment. „Ich hab es nicht gewollt.“
Eine erdrückende Stille breitete sich aus, in der Ruben sein Herz schlagen hörte.
„Bloem, sie … es war ein Unfall, ein Unglück. Du musst mir glauben.“
Ruben wurde kalt, er schwankte. Unfall? Seine Knie knickten einfach weg. Unglück? An der Theke Halt suchend, schaute er auf den Boden, dann in die glänzenden Augen seines Vaters. „Bloem … was …?“
„Der … der Fluchtwagen. Sie … sie saß am Steuer. Sie hätte es nicht gedurft. Sie ist …“
Mit rasendem Herzschlag starrte er seinen Vater an. „Was?“
„… ist ausgestiegen, rutschte aus. Eine Kugel, ein Querschläger …“
„Ist sie …?“
„Ja“, schluchzte Pieter leise. „Ein Unfall. Ein Unglück …“
„Nein!“, schrie Ruben. „Nein! Das kann nicht sein!“ Schweiß brach ihm aus, das Blut hämmerte ihm durch die Adern, die Nasenflügel bebten. Er hob die rechte Faust und holte aus. Mit einer schwungvollen Bewegung gelang es Pieter, dem Hieb auszuweichen. Ruben taumelte, verlor das Gleichgewicht, knallte auf den Boden. An der kalten Fliesenwand gelehnt vergrub er den Kopf in den Händen.
Er konnte nicht mehr weinen.


37 - Warum?​

Die Tür stand einen Spalt weit offen. Ein blasser Lichtschein fiel in sein Zimmer. Er hörte es klopfen, bevor jemand die Tür vollends öffnete. „Ich hab dir heißen Kakao gemacht, Ruben.“ Pieter trat ein und stellte die Tasse auf den Nachtschrank. „Mit Sahne.“
Ruben blinzelte sich Tränen aus den Augen, richtete sich im Bett auf, während sich sein Vater vor dem Bett auf den Boden setzte und den Kopf in die Hände sinken ließ. Er wandte sich dem Vater zu, schaltete die Stehlampe an und betrachtete Pieters Schatten, als treibe dessen Seele an die Wand. „Wie konntest … wie konntest du mich nur die ganze Zeit so … so anlügen?“ Ruben fuhr sich mit den Händen übers Gesicht, die Bartstoppeln, die Narbe, starrte auf den Schatten, fühlte nichts, spürte nichts.
„Ich wollte dich nicht anlügen. Ich bekam es einfach nicht übers Herz, dir …“
„Wie ist es passiert?“ Er spuckte ihm die Worte geradezu entgegen. „Wann? Wie? Warum?“
„Ruben, es …“
„Ich hab monatelang nach ihr gesucht … Wie konntest du nur?“
„Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll.“
„Ich will alles wissen!“
„Du weißt, dass ich euch liebe. Ich habe eure Mutter geliebt. Bloem, dich …“
„Warum?“, schrie er.
„Die Geschäfte liefen anfangs sehr gut … Doch ich … habe mich verzockt. Eine Million Schulden“, begann er stockend. „Dann der Einbruch beim Juwelier, als du bei der Marine warst.“
„Einbruch? Du? Seit wann bist du … bist du ein, ein … Verbrecher?“
„Bin ich nicht“, japste er. „Ich sah nur keinen anderen Ausweg. Aber es reichte nicht. Fünfhunderttausend schulde ich denen immer noch. Sie wollen das Geld nächste Woche haben.“
„Wer sind sie?“
„Du kannst dir nicht vorstellen, unter welchem Druck ich stehe. Sie rufen ständig an, verfolgen mich, bedrohen mich. Sie, sie … böse Menschen sind das. Keine Halunken oder Spitzbuben. Richtig böse, böse Menschen sind das. Wenn sie wollten, dann …“
Er riss die Augen auf, schlug sich gegen die Stirn. "Warum?", schrie er, bis seine Stimme versagte.
„Ist ja gut, Ruben“, sagte Pieter, während er die Hand in seine Richtung ausstreckte. Ruben wich sofort zurück. „Frans, der Fahrer ist ausgefallen, es musste diese eine Nacht sein, der Plan war für diese Nacht einfach per…fekt“ Pieter schluchzte, schaukelte vor und zurück. Sein Schatten schwankte an der Wand. „Bloem bekam das Telefonat mit, in dem es … sie wollte helfen“, setzte er abermals an und wechselte dauernd zwischen Brust- und Fistelstimme hin und her. „Ich hätte es nie zulassen dürfen, sie hat im Auto gewartet, es dauerte alles länger als … als geplant. Der blöde Pole bekam den Tresor nicht auf…“
„Luschinski?“
„… und als wir mit dem Schmuck zurück zum Wagen wollten, kam die Polizei. Bloem ist raus, rannte mir entgegen, wieder zurück zum Auto, die hintere Tür öffnen, rutschte beim Einsteigen aus. Sie haben auf uns geschossen! Kannst du dir das vorstellen? Wir waren unbewaffnet!“ Es folgte ein endloses, fast tonloses Gemurmel. „Bloem, Bloem. Es tut mir leid. Sie ist tot! Bloem ist tot!“
„Wo ist Bloem? Wo hast du sie hingebracht?“
„Luschinski hat sie …. Ich weiß nicht, wo sie ist. Ich war noch nicht bereit. Er weiß bis heute nicht, dass sie meine Tochter …“
„Ich hasse dich!“ Ruben trat gegen den Nachtschrank. Der Kakao schwappte über, spritzte an Pieters Hose und rann den Schrank hinab. Pieter bewegte sich nicht; regungslos blieb er in derselben Stellung sitzen, atmete ein und aus und ein und aus, und schloss die Augen.
Er fixierte seinen Vater und hoffte, er möge etwas sagen. Irgendetwas. Dann stand Ruben auf, so schwerfällig, als trüge er eine unsichtbare Tonnenlast auf den Schultern, blieb vor Pieter stehen und stieß einen wütenden Schrei aus. Er verstand immer noch nicht, was geschehen war. Er hätte niemals weggehen dürfen! Er hätte auf sie aufpassen müssen! Oh, wie er sich hasste! Seinen Vater hasste!
Er beugte sich und holte aus. Diesmal wich sein Vater nicht aus; der Schlag mit der flachen Hand traf ihn mitten ins Gesicht. „Mörder!“, presste er hervor, bevor er scharf die Luft einsog und Pieter anspuckte. „Du hättest sterben sollen! Nicht sie!“
Pieter öffnete die Augen, blickte herauf. Ganz langsam sprach er: „Ruben, wir können Bloem wieder lebendig machen.“ Er begann zu kichern, – kein hysterisches Kichern, eher das eines Wahnsinnigen, – nahm ein Taschentuch, wischte sich übers Gesicht, atmete schwer aus. „Fa-mi-li-e“, sagte er bedächtig, sprach jede Silbe einzeln aus, als habe er dieses Wort noch nie benutzt. „Hör mir zu. Der neue Juwelier. Wo das Theater früher war! Wo Juliane … Der Juwelier. Diesmal mit Viktoria. Und dir. Wir werden wieder eine Familie sein!“
„Du bist ja völlig durchgeknallt!“, brüllte Ruben. „Bloem wieder leben? Familie? Viktoria?“ Er flüchtete aus dem Zimmer und schlug die Tür hinter sich zu.

Einige Zeit blieb Ruben im Flur stehen, kratzte sich am Kopf, roch seinen Schweiß, spürte Müdigkeit, hatte Hunger, war wütend. Voller Hass.
Er presste die Augen zusammen. Unglaublich! Sein Vater ein Verbrecher? Das konnte nicht sein. Vater war immer sein Held gewesen. Hatte sich nach Mamas Tod um alles gekümmert. Um Bloem, um ihn … Was war da nur schief gelaufen?
Er war eindeutig krank im Kopf. Eine Gefahr für sich und andere. Er gehörte weggesperrt.
Gab es ausreichend Beweise? Ruben kannte keine Einzelheiten. Vater würde sich nicht selbst belasten oder gar verraten.
Er würde ihn hinter Gittern bringen, er würde es tun. Egal, wie. Nein – ganz egal war es nicht. Schließlich sollte keiner mehr zu Schaden kommen. Viktoria durfte nie mehr alleine mit seinem Vater sein.
Dann spielt er eben den beschützenden Ritter, wenn das die Rolle war, die Vater für ihn vorsah. Aber nach seinem ganz eigenen Drehbuch.


38 – Gestürzter Engel​

Ruben schloss die schwere Metalltür hinter sich, blieb an der Kaimauer stehen und schaute in den Nachthimmel. Sein Blick war müde, trüb. Bloem hatte früher oft durch ihr Fenster in den Himmel geschaut, dabei über glückliche, weiße Engel gesprochen, die auf flauschigen Wolken saßen. Kindliche Unbekümmertheit.
„Gibt es da oben auch schwarze Engel, die sich vom Himmel stürzen?“, hatte Bloem später einmal gefragt und Mutter mit großen Augen angeschaut. „Und kann ich sie auffangen, wenn ich die Arme nur weit genug öffne?“
„Wenn es sie gibt, dann kannst du sie auffangen“, sagte Mutter.
„Leben sie auf der Erde als glückliche Menschen weiter?“, fragte Bloem.
„Ja“, antwortete diesmal Vater.
Heute gab es keine Wolken. Und keine Engel, die man auffangen konnte. Es gab nur eine Welt ohne Bloem.
Sie gehörte der Erde übergeben. Neben Mama. Ein würdevoller Abschied, das war er ihr schuldig.
Bloß Luschinski wusste, wo der Leichnam war. Luschinski, Vaters Freund. Vaters Komplize. Ein Verbrecher, genauso wie Vater, dem scheinbar egal war, wo sich Bloem befand. Der nicht bereit war, es zu wissen. Wie kann er nur? "Verbrecher, Verbrecher!", fluchte Ruben vor sich hin und stieß Kieselsteine fort.
Er unterdrückte Zornestränen, holte das Handy heraus und wählte. Und sagte erst mal nichts, als Koenraad sich meldete.
„Was ist denn, Ruben? Sag doch was!“
„Bloem.“
„Was ist mit Bloem?“
„Sie ist …“ Er holte tief Luft. „Vater …“

oOo​

Pieter tupfte die Kakaoflecken mit einem Taschentuch ab. Dann zog er Rubens Bettzeug gerade, löschte das Licht und ging auf den Flur. „Ruben, wo bist du?“
Sein Sohn hatte die Wahrheit erfahren müssen. Es war notwendig und richtig. Die Zeit rannte. „Bist du noch hier?“, rief er ins Dunkle hinein.
Ruben hatte auch das erfahren, was noch geschehen würde. Geschehen müsste. Für die Familie, das höchste Gut auf Erden! Es ging nicht anders, es musste sein. Nun galt es, den nächsten Schritt zu tun. Er zückte sein Handy, musste schlucken. Ein entgangener Anruf. Unbekannte Nummer. Das konnte nur Rotterdam sein. Noch immer riefen sie an. Der weiße BMW zuletzt. Wann würden sie ihm wieder auflauern? Was wären ihre nächsten Schritte? Ruben? Er schloss die Augen, schüttelte den Kopf. Das alles führte zu nichts. Er musste handeln.
Er wischte sich übers schweißnasse Gesicht, drückte auf Wahlwiederholung.

„Du hast was getan?“, fragte Luschinski. „Ihm vom Bruch erzählt? Musste das sein?“
„Rotterdam … sie bedrohen mich“, antwortete er. „Ruben ist in Gefahr. Sie wollen Ruben, wenn ich nicht … Ich habe eine Woche Zeit.“
„Ich war schon dagegen, dass der Taugenichts überhaupt mitmacht. Was, wenn er zur Polizei geht? Weißt du, wie viel Jahre darauf stehen?“
„Das wird er nicht tun.“
„Meinst du! Hast du Einzelheiten verraten?“
„Natürlich nicht.“
„Und wenn er es anderen erzählt? Willst du Mitwisser haben? Wir machen es allein oder mit jemand anderem. Und sorg dafür, dass der Junge die Schnauze hält. Sonst tue ich es!“
„Jetzt beruhig dich, Lulu. Er wird nichts sagen, er wird mitmachen, weil er … weil er …“ Seine Stimme wurde brüchig.
„Was denn?“
„Alles wird gut“, sagte er kopfschüttelnd. „Ich gebe dir zehn Prozent mehr. Also fifty-fifty.“
„Siebzig!“
„Sechzig!“, schrie er in den Hörer. „Sorry, Lulu. Die Nerven.“
Er nestelte an seinem Hemdkragen, sprach dann mit gefasster Stimme weiter. „Pass auf! Wir treffen uns morgen um neun am Hauptbahnhof. Wir fahren dahin, schauen uns alles vor Ort an. Dann siehst du endlich die Stelle, wo wir“, er lächelte, „mit dem Rammbock …“

oOo​

„Hier, dein Kaffee.“ Koenraad stellte das Getränk ab, setzte sich neben Ruben und legte den Arm um ihn. „Ich kann’s nicht glauben … Wahnsinn. Dieses Arschloch, dieses …“, brachte er mit tränenerstickter Stimme hervor. „Weißt du, dass ich Bloem bewundert habe? Ich hab sie … Sie war so … so …“
Ruben nickte bloß und beobachtete, wie der Kaffeedampf aufstieg. Im Hintergrund lief Musik; Bässe brummten.
„Das alles hat er dir so einfach erzählt? Ein Unglück? Und nur Luschinski weiß, wo Bloem ist? Ich könnte deinem Vater den Hals umdrehen!“
„Du hast leicht reden!“
„Dafür muss er in den Knast!“
Ruben saß vornübergebeugt da, die Augen rot und geschwollen. „Es war ein Unglück. Vater hat es nicht gewollt.“
„Und wenn schon. Er hätte sie niemals da mit reinziehen dürfen!“
„Ich hätte Bloem nie allein lassen sollen.“
„Mach dir keine Vorwürfe! Er ist Schuld!“
„Aber ich hab sie allein gelassen.“
„Nur er! Wenn du ihn nicht in den Knast bringst, tue ich es! Du kommst ohne ihn aus. Die Jungs und ich haben was zurückgelegt – für schwere Zeiten.“ Koenraad mahlte mit den Kiefern. „Dieser neue Bruch, den er plant. Das wird ihm das Genick brechen.“
„Vater darf Viktoria nie wiedersehen.“
„Hör zu!“, donnerte Koenraad. „Mach dir keine Sorgen. Wir schaffen das. Wir müssen nur gut vorbereitet sein.“ Seine Stimme überschlug sich beinahe. „Lass dir nichts anmerken. Spiele den braven, verständnisvollen Sohn.“
„Ich mach’s nicht.“
„Schau dir den blöden Film an. Vielleicht findest du Hinweise.“ Dann winkte Koenraad ab. „Ach – der rettende Ritter – so ein Unsinn!“ Verächtlich verzog er die Mundwinkel. „Tut einfach so, als ob Viktoria mitmacht. Vor allem: Lass ihn im Glauben, dass es ein Unglück war.“
„Ich hab’s mir anders überlegt.“
Von nebenan war das Klappern von Billardkugeln zu hören. Ruben trank seinen Kaffee, grübelte vor sich hin, während Koenraad eine Zigarette drehte und das Hinzubröseln von etwas Gras zelebrierte. „Du magst Viktoria sehr, hm?“, fragte Koenraad. Er zündete den Joint an und zog daran. „Pass auf: Bloem … sie gilt weiterhin als vermisst. Zeig Viktoria kein Foto von ihr … wenn sie ihr wirklich so ähnlich sehen soll. Sie darf nicht misstrauisch werden. Erzähl ihr nichts von der neuen Sache. Lass es einfach geschehen. Ich werde in der Nähe sein, wir kriegen das hin.“
„Was passiert, wenn wir ihn aufhalten? Können wir das überhaupt? Was ist mit den Schulden, die er hat?“
„Das ist die Mafia, Ruben! Vergiss das nicht. Und wie sollen wir uns sonst Luschinski schnappen und erfahren, wo Bloem …?“
„Aber Viktoria! Ihr darf nichts passieren. Sie soll nicht …“
„Ich hab da eine Idee. Lass mich noch in Ruhe drüber nachdenken.“
Ruben überlegte und murmelte schließlich: „Ich muss jetzt gehen“, stand auf und verschwand Richtung Ausgang.
Koenraad folgte ihm und rief: „Wir müssen es tun, wenn wir Bloem finden wollen! Wenn wir sie beerdigen wollen!“

Ruben trat in die Pedale, fuhr Umwege, rollte langsam an den Orten vorbei, an denen sie gemeinsam Zeit verbracht hatten. Der Spielplatz, die Schule. In Gedanken sah er Bloem im Sandkasten buddeln, von der Rutsche rasen, mit ihrem Blümchen-Tornister ins Schulgebäude bummeln und auf dem Pausenhof mit ihren Klassenkameraden herumalbern.
Da der Supermarkt, in dem sie vom Taschengeld ihre Lieblingsbonbons kaufte. Die Eisdiele – dort hatte sie sich eine Kugel Vanille gekauft, ein paar Mal dran geleckt und das Hörnchen mit den Worten „Ich esse das gleich weiter“ auf dem Rand des Sandkastens gelegt; der Park, in dem sie Radfahren gelernt hatte, mit Rollschuhen ihre Kurven drehte. Wie konnte Bloem freiwillig bei einem Einbruch mitmachen? Musste sie es tun? Wurde sie gezwungen oder sah sie sich gar gezwungen, Vater zu helfen?
War sie sofort tot oder warum hatten sie Bloem nicht ins Krankenhaus gebracht? Hatte Luschinski sie einfach weggebracht? Warum hatte Vater nie gefragt, wohin? Er fand keine Antworten, trat heftig in die Pedale, schwitzte aus allen Poren.
Zuhause angekommen, stellte er das Rad vor der alten Fabrikhalle ab und blickte hinauf zu den Fenstern des Lofts. In Vaters Arbeitszimmer leuchtete Licht.
Er bestieg die Kaimauer, beugte sich vor, den Bauch ans Geländer gestützt, schaute auf die vertäuten Bootsleiber, nahm das schmatzende, schlürfende Geräusch der Wellen wahr. Sie spülten alte Sehnsüchte mit heran, schienen etwas sagen zu wollen. Eine Botschaft, die er nicht verstand. Er blickte in den Himmel und streckte die Arme aus. Sah Schwärze, hörte Stille.
Eine Zeit lang stand er mit ausgestreckten Armen da, dachte darüber nach, ob Koenraad recht hatte, wünschte sich, es wäre wahr, was Mutter und Vater damals über die schwarzen, abstürzenden Engel gesagt hatten.
Er bückte sich, suchte einen Stein, der – bei einem geschickten Wurf – mehrmals über die Wasseroberfläche hüpfen könnte und ihm abhängig von den Aufschlägen die Entscheidung abnahm. Bei ungerader Anzahl: ja, gerade: nein.
So sehr er nach einem geeigneten Wurfgeschoss suchte, er fand keins. Schließlich hob er einen großen Stein auf und warf ihn mit voller Kraft ins Wasser. Prompt sank der Stein, die ausgelöste Wellenbewegung dehnte sich stetig weiter aus.
Wir müssen es tun, wenn wir Bloem finden wollen!, hatte Koenraad ihm nachgerufen. Lange genug hatte er Bloem gesucht. Bloem zu finden, darauf kam es jetzt an. Ihr die letzte Ehre erweisen. Egal, was er dafür tun musste.


39 – Attacke! oder: „Zo zal het zijn“​

Sie fuhren in südöstlicher Richtung. Linker Hand ihre ständigen Begleiter: die mäandernde Maas und der Grenzverlauf.
Bei Venlo überquerten sie den Fluss.
Venlo. Van Houten spürte die Nähe zum Juwelier, wo es geschehen war.
Es wäre so einfach gewesen, diese Stadt weitläufig zu umfahren. Aber die andere Strecke zu nehmen hieße dreißig Kilometer Umweg. Luschinski hätte es bemerkt und dumme Fragen gestellt. Der sollte nicht wissen, was er mit Venlo außer des verunglückten Bruchs verband, es hätte sowieso nichts gebracht: Die bösen Erinnerungen attackierten ihn überall.
Wieder warfen seine Gedanken ihn dorthin zurück, wo es geschehen war. Er sah sie vor sich. Hörte die Schüsse, ihren Schrei, roch und schmeckte ihr Blut. Er versuchte, den Film anzuhalten, ihn zurückzuspulen an die Stelle, an der es eine Wendung hätte geben müssen.
Der blöde Pole hätte nicht so lange am Tresor herumfuhrwerken dürfen! Wäre ich nur gerannt, eher zurückgekommen. Sie hätte auf mich hören sollen, mir nicht zur Hilfe eilen dürfen, im Auto bleiben sollen. Nicht sie – ich hätte sterben müssen!
Aber es spulte nur noch vor.
Er wischte sich Tränen von der Wange, spürte die Lippen zittern – immer heftiger. Zügig bedeckte er den Mund, gab ein Räuspern, ein Husten vor. Wahrscheinlich hatte er wiederholt ihren Namen von sich gegeben, wie so oft in letzter Zeit, wenn er diesen Tagtraum hatte, auf der Couch eingenickt war. Manchmal war er sogar durch sein eigenes Rufen wach geworden.
Aus dem Augenwinkel sah er Luschinski, der selig vor sich hin schnarchte. Nach wenigen Metern überquerten sie die Grenze. Kein Tempo 100 mehr. Er konnte das Gaspedal durchdrücken, in der Hoffnung, Venlo und den missglückten Raub, Bloems Tod für einen Augenblick hinter sich zu lassen.

Vor dem Parkhaus des Einkaufscenters hielt er am Straßenrand an. „Aufwachen, Lulu!“
Luschinski reckte sich.
„Schau dort!“, sagte er und zeigte nach rechts. „Da hinten ist die Stelle, wo ich das mit den weißen Rittern vorgesehen hatte. Hast du den Kanister eigentlich besorgt?“
„Liegt bei mir im Kofferraum. Gefüllt.“ Das letzte Wort ging in einem Gähnen unter. „Ein Euro zehn der Liter. War ein Schnäppchen. Aber wieso hatte?“
„Erzähl ich dir später. Was ist mit dem Audi Avant?“
„Geht klar.“
„Hab ich auch nicht anders erwartet, mein Freund. Steig bitte aus, Lulu! Stell dich da drüben an einen der rot-weißen Poller, rauche eine Zigarette und tue so, als ob du auf jemanden wartest.“
„Kommt denn noch jemand? Lerne ich die vierte Person kennen?“
„Du lässt versehentlich dein Feuerzeug fallen und schaust dir beim Aufheben die Bodenfassung, die Verankerung des Pollers an. Meinetwegen kannst du dir auch den Schnürsenkel binden, wie in einem Agentenfilm. Finde heraus, wie wir die Poller schnell mit einem Schloss oder Ähnlichem sperren können, dass man sie nicht umklappen kann. Vielleicht Kabelbinder?“
„Ich dachte, wir wären Partner. Warum gehst du nicht gucken?“
„Ich habe sie mir schon angeschaut“, keifte van Houten. „Ich brauche deine Expertise.“
„Exper…?“, grummelte er. „Musst du denn wegen den blöden Pollern so’n Aufstand machen?“
„Ich hab’s dir erklärt!“ Er fuhr sich mit der Zunge über die trockenen Lippen. „Ruben und …, unser Fluchtauto steht da drüben auf dem Platz mit den Eseln, und die Polizei, falls sie überhaupt oder rechtzeitig genug kommt, kommt hier durch, von der Hauptstraße, beziehungsweise kommt hier eben nicht schnell genug durch. Und da, zu den Eseln, ist die Bordsteinkante zu hoch. Verstehst du?“
Luschinski zog die Augenbrauen herauf.
„An den Pollern müssen sie halten“, ergänzte van Houten. „Die Polizei kann nicht überall sein.“
„Aber da im Haus sind Wohnungen …“
„Und, was sehen sie? Falls da überhaupt jemand rausschaut? Schwarz Vermummte, die in ein schwarzes, unbeleuchtetes Auto einsteigen, in dem schwarz Vermummte sitzen, die in die Dunkelheit verschwinden!“
Luschinski brummte vor sich hin, schnallte sich ab und öffnete die Tür. Van Houten folgte ihm.
Die beiden gingen ein paar Schritte.
„Da, der Haupteingang, den wir …“, van Houten suchte nach den passenden Worten, „erstürmen werden! Der Rammbock! Aber das schauen wir uns gleich noch alles in Ruhe an. Erstmal die Poller! Wir müssen noch nach einer geeigneten Unterführung suchen, wo wir in deinen Wagen umsteigen. Räum den vorher schön leer.“ Van Houten grinste. „Und anschließend erzähl ich dir noch mehr. Von der Fügung.“

oOo​

Bloem finden. Egal, was ich dafür tun muss, dachte Ruben. Und wenn ich dafür meinen Vater ins Gefängnis bringen müsste.
Letztmalig schaute er hinauf zu Bloems Fenster, zu den auf die Scheibe geklebten Blumen. Wieder spürte er die Wut im Bauch. Er brauchte gar nicht mehr länger darüber nachzudenken. Die Entscheidung war gefallen.
Nur Viktoria …, sie durfte auf keinen Fall hineingezogen werden.
Er holte sein Handy hervor. „Bist du noch im Pool Palais? Ich bin gleich wieder da.“
„Sehr gut“, sagte Koenraad und klopfte Ruben, der sich neben ihn setzte, auf die Schulter. „Hab mir schon gedacht, dass du deine Meinung änderst. Ich steh dir bei, Gerrit macht auch mit. Ich erzähle dir gleich von unserer Idee.“
„Sag mal, spinnst du? Wem hast du noch alles von erzählt?“ Ruben musterte seinen Freund, der Tabak herausholte und begann, eine Zigarette zu drehen. Im Hintergrund war das Klacken der Billardkugeln zu hören.
„Du kannst dich auf mich verlassen. Und auf Gerrit. Und du weißt, was Gerrit unter der Theke liegen hat“, sagte Koenraad, „wenn mal einer unartig werden sollte.“
Ruben stockte. „Ich will das nicht!“
„Beruhige dich. Wir müssen Luschinski zum Sprechen bringen! Keiner wird verletzt. Und das Geld … wir schauen mal.“ Koenraad zog am Joint, blies genüsslich aus. „So, und jetzt hör zu, wie es laufen wird.“
Einen langen Seufzer hinausstöhnend ließ sich Ruben in den Stuhl zurückfallen.

oOo​

Mit diskretem Schmatzen schlossen die Fahrstuhltüren.
„Und, hab ich dir zu viel versprochen?“, flüsterte van Houten. „Über eine Million im ersten Fenster. Hast du genug gesehen oder sollen wir noch mal zurück? Die große Schiebetür, die Eingangstür. Rahmen, Glas. Was ist deine Meinung?“
„Ist okay. Sechshundert Pferdestärken sollten ausreichen.“
Van Houten drückte den Knopf für das Parkdeck. „Sag ich doch.“
„Da sind einige Uhren, bei denen es viel zu schade wäre, sie zu verticken“, grübelte Luschinski. „Tick, tack – tick, tack“, sang er und gab durch stoßweises Ausatmen kurze, abgerissene Laute von sich.
„Ja, aber du weißt …“ antwortete van Houten und dachte an das Schmuckstück, das er Viktoria geben würde. Das passende Gegenstück. Vom gleichen Künstler.
„Ist schon klar. Von der Kohle kann ich mir kaufen, was ich will. Aber: Wann machen wir es? Was ist mit der Fügung, von der du gesprochen hast?“
„Nicht hier. Gleich im Auto.“

„Am helllichten Tag?“ Luschinskis Stimme war scharf und durchdringend. „Du bist völlig übergeschnappt, Piet!“, sagte er und schlug mit der Faust aufs Armaturenbrett.
„Beruhige dich, Lulu.“
„Da könntest du ja direkt bei einem Fußballspiel über den Rasen spazieren und dem Schiedsrichter die Pfeife klauen! Und hoffen, unerkannt zu entkommen!“ Er sah ihn wütend an, schüttelte dann den Kopf.
„Du hast das falsch verstanden. Nee, eigentlich hast du das richtig verstanden …“ Van Houten lächelte amüsiert, war froh, zufällig auf den Artikel im Internet gestoßen zu haben. Sofort hatte er recherchiert, wie es im letzten Jahr abgelaufen war. Hatte sich Fotos angeschaut, alles gelesen, was er finden konnte. Es war mehr als ein Zufall. Es war ein Glücksfall!
„Ja, was … ja, was denn jetzt?“
„Wir brauchen die weißen Ritter nicht mehr abzulenken. Du musst kein Auto mehr anzünden.“
Luschinski horchte auf. „Ich versteh nur Bahnhof.“
„Warte, ich zeig’s dir auf der Karte“, sagte er und holte einen Faltplan aus dem Handschuhfach. „So, guck, hier ist die City, unser Einkaufszentrum mittendrin … siehst du?“
Luschinski sah ihn mit gerunzelten Brauen an, nickte.
„Und hier die andere Innenstadt.“
„Andere Innenstadt?“
In dem Augenblick klingelte van Houtens Handy. „Moment.“ Er holte es aus der Tasche und schaute aufs Display. Kurz überlegte er, dann nahm er das Gespräch an. Er musste endlich reagieren. Nein, agieren.
„Ja?“, fragte er, obwohl er wusste, wer am anderen Ende war. „Ja, ja … Ein paar Tage noch.“ Er drehte sich zur Seite, presste die Kiefer aufeinander, lauschte. „Ich gebe Ihnen mein Wort. Und jetzt lassen Sie mich endlich in Ruhe!“
Er drückte den roten Knopf, stieß Luft aus und steckte das Handy zurück. „Sorry, Lulu. Wo waren wir? Ach ja: die andere Innenstadt. Mönchengladbach ist nicht nur Deutschlands einzige Stadt mit zwei Hauptbahnhöfen, es gibt auch zwei Innenstädte. Es kommt von der Zusammenlegung mit …“
„Wen interessiert’s?“
„Ein riesengroßes Volksfest, Kirmes und verkaufsoffener Sonntag.“
„Und du meinst also, dass sich der ganze Trubel dort abspielt?“ Abwartend legte Luschinski den Kopf schief. In den Augen lag das Funkeln eines Raubtieres. „Kein Mensch hier unterwegs? Die Bullen drüben?“
Für einen Moment war nur die besänftigende Musik aus dem Deckenlautsprecher zu hören, während er sich, vor dem Spiegel stehend, sein Schnupftuch in der Anzugtasche gerade zupfte. „Zo zal het zijn.“


40 – Donnern, Zischen und Sprühen​

Ruben saß auf dem Bett, hielt sein Handy in der Hand und scrollte durch die Vermisstenseite auf Facebook. Seit Wochen hatte es keine ernstzunehmenden Neuigkeiten oder Hinweise zur Suchmeldung mehr gegeben, die er für Bloem erstellt hatte. Wie auch?
Er deaktivierte den Post und atmete kräftig aus. Mit ein paar Klicks war die offizielle Suche nach Bloem beendet. Dass dies einmal passieren würde, war ihm klar. Nur nicht so.
Mit dem Handrücken wischte er sich über die Augen, hörte die krächzende Stimme seines Vaters und lauschte. „Kannst du mal bitte kommen?“
Er schluckte, verstand, worum es ging. Den ganzen Tag plagten ihn Bauchschmerzen und er war Vater aus dem Weg gegangen, wie nur eben möglich. Nun kam der Moment, vor dem er sich gefürchtet hatte. Er musste ihn vom Gegenteil überzeugen, auf ihn einreden oder einfach mitspielen. Ach, er wusste es nicht!

Schwerfällig ging er über den Flur, blieb im Türrahmen stehen und schaute sich verblüfft um. „Was ist denn?“
Es roch nach Schweiß – vermutlich hatte sein Vater den ganzen Tag über nicht gelüftet. Neben dem Computer stapelten sich leere Kaffeetassen, links und rechts lagen vollgekritzelte und mit Kaffee beschmutzte Zettel; ein angebissenes Croissant und eine Bananenschale lagen auf den Boden. Aus den Lautsprechern des Plattenspielers erklang klassische Musik.
Sein Vater saß am Schreibtisch und starrte durch die Lesebrille auf den Bildschirm. „Nimm dir bitte den Stuhl und setz dich zu mir!“ Er rutschte ein Stück zur Seite und öffnete den Browser.
Ruben zog einen der Holzstühle neben seinen Vater und nahm Platz.
Auf dem Monitor erschien eine deutschseitige Homepage mit einem Stadtwappen. Ruben überflog den Text. Die offizielle städtische Seite von Mönchengladbach. Ein Ort, von dem er noch nie gehört hatte.
Sein Vater deutete auf den Bildschirm. „Hier steht alles über die Veranstaltung am Sonntag.“
„Und?“, fragte Ruben. „Ich hab keine Zeit, bin für ein Turnier im Pool Palais gemeldet.“
„Vergiss das! Du weißt, was auf dem Spiel steht, was passieren wird, wenn …“, er tippte auf den Monitor „Schau hier! Mach ihr das schmackhaft! Wird ja nicht so schwer sein, schließlich steht ihr jungen Leute auf so etwas. Ich gebe dir zweihundert Euro Taschengeld mit und meinen vollgetankten Wagen.“ Er grinste, schlug ihm auf die Schulter und klickte sich durch die Website. „Und hier! Noch mehr Trubel, der Höhepunkt. Ich habe mir Videos vom letzten Jahr angesehen. Punkt zweiundzwanzig Uhr beginnt es. Feuerwehr, Sanitäter, die Polizei, ja gerade die – sie alle werden den ganzen langen, lieben Tag dort sein. Und dort heißt in unserem Fall …“, er machte eine kleine Pause, „… woanders!“
Pieter lehnte sich auf seinem Drehstuhl zurück. „Echt schade, ich hätte das Donnern, Zischen und Sprühen gerne miterlebt. Aber das machen wir ja alles selbst!“ Er lachte laut auf, wechselte auf einen anderen Reiter im Browser, der eine stark vergrößerte Karte im Satellitenmodus zeigte.
Ruben war überrascht, wie sein Vater ihn plötzlich anschaute, nahezu anstierte. „Ihr beide wartet dort in meinem Auto, auf dem Platz, wo die Esel stehen. Um zweiundzwanzig Uhr!“ Dann deutete er auf einen weiteren Punkt auf der Karte. „Hier kommen Luschinski und ich raus, verschwinden werden wir zusammen in Richtung Südost. Ich schreibe dir alles auf, alle Adressen, die Route.“
„Ist das alles dein Ernst?“
„Es gibt kein Zurück!“, sagte Pieter.
„Und danach? Meinst du, dann ist alles vorbei?“
„Vorbei? Du verstehst es immer noch nicht.“ Er schüttelte den Kopf. „Es fängt gerade erst an!“, krähte er. „Aber nur wenn sie am Steuer sitzt. Hast du verstanden? Sie muss fahren! Sie! Sonst …“
„Du weißt gar nicht, ob sie die Nerven behält. Willst du alles davon abhängig machen? Deine Zukunft, meine Zukunft, unsere Zukunft?“
„Ja! Ich habe mich auch von Bloem abhängig gemacht. Das ist nichts anderes! Viktoria wird es vollenden. So soll es sein!“
„Wirklich?“, warf er ein und packte seinen Vater an die Schulter. „Wer soll diesmal sterben?“, ächzte er.
Pieter zuckte zusammen, musterte ihn. „Gut, ich mache in der Nähe einen Tunnel oder eine Unterführung ausfindig, wo wir viel früher in Luschinskis bereitstehendes Auto umsteigen können. Dann fährt sie halt nur die ersten Kilometer. Ist das ein Kompromiss?“
„Und was ist, wenn Viktoria nicht mitmacht oder ohne euch wegfährt? Was macht ihr dann?“
Pieter beugte sich nach vorne, reckte den Hals aus dem schmutzigen Hemdkragen, schob den Vorhang ein wenig zur Seite, spähte hinaus. „Siehst du den weißen BMW am anderen Ufer? Sie verfolgen mich seit Wochen, sie weichen nicht von meiner Seite. Sie wissen von dir, sie wissen von Viktoria.“
„Ich geh runter! Jetzt sofort. Die Typen knöpf ich mir vor!“, zischte er.
„Bist du wahnsinnig?“, schrie sein Vater, packte ihn am Arm. „Bleib hier! Sie haben mit dem Schlimmsten gedroht. Wenn ich denen nicht gebe, was sie verlangen …“ Hastig zog er den Vorhang wieder vors Fenster. Ein Lächeln breitete sich in seinem Gesicht aus. „Es bleibt sehr viel übrig für uns. Für dich, für Viktoria. Denk an deine Werkstatt. Denk an unsere Zukunft. Unsere Familie!“
„Wie stellst du dir das eigentlich vor?“, fragte Ruben. Es war alles sinnlos. Vater brabbelte drauf los, glitt in den Zustand der Trance ab. Als befände er sich in einer anderen Welt. Fernab der Realität. „Wie soll ich ihr erklären, was wir am Sonntag vorhaben? Dass ich mit ihr einen schönen Ausflug mache, einen tollen Tag auf einer Kirmes verbringen will, hundert Kilometer von zu Hause entfernt, im Ausland? Und dass wir zu einer bestimmten Zeit aufbrechen müssen, dass sie auf dem Rückweg am Steuer sitzen soll, dass wir an einer bestimmten Stelle anhalten und warten, zufälligerweise zwei schwarz gekleidete Typen mit Sturmhauben aus einem Juwelier herausstürmen sehen, die Taschen voller Beute? Dass wir uns zu Komplizen machen, weil wir die beiden Verbrecher, die sich überraschenderweise als mein Vater und sein Kumpel entpuppen, zur Flucht verhelfen?“
Pieter verdeckte den Mund und sah ihn für einen Moment an, dabei die Augenbrauen gerunzelt. Dann weiteten sich seine Pupillen und auf Ruben wirkte es, als bemühte er sich, einen heiseren Lachanfall unter Kontrolle zu bringen.


41 – High Fives​

Ruben zog seine Kapuze tief ins Gesicht und stieg aufs Rad. Er fuhr sehr langsam, blickte dabei ständig aus den Augenwinkeln auf den an der anderen Uferseite stehenden BMW, in dem zwei Personen verharrten.
Ruckartig änderte Ruben die Fahrtrichtung und steuerte die Fußgängerbrücke an, die über den Kanal führte. Als er die Gegenseite erreichte und auf immer näher das Auto zuradelte, startete der Motor und der Wagen rollte fort in die andere Richtung, hoppelte über Schlaglöcher und alte Bahnschwellen der einstigen Güterzuglinie. Er trat in die Pedale und schloss auf. Seine Nasenflügel bebten, Schweiß lief ihm den Rücken hinunter.
Unerwartet riss der Fahrer das Lenkrad herum, gab Gas; Staub und Kieselsteine wirbelten auf.
Ruben wendete, raste zurück zur Brücke. Die Verfolger blieben ihm auf den Fersen, bis sie vor der Fußgängerbrücke anhielten, auf der er in der Mitte stehen geblieben war. Er stieg vom Rad, spürte das Pochen seines Herzschlags in den Schläfen, schaute hinüber und zeigte den Mittelfinger.
Das Beifahrerfenster senkte sich. Ein Mann mit kurzgeschorenem Haar lehnte sich hinaus, deutete eine Pistole an und zielte auf ihn.

oOo​

In der verqualmten, stickigen Luft fiel Ruben das Atmen schwer. Ringsherum hörte er das Klackern der Billardkugeln; Gemurmel übertünchte die Popmusik aus den Lautsprechern. Er ging an den Billardtischen vorbei, roch süßlichen Duft.
Ohne Voranmeldung überkam ihm ein Schwindel und er stützte sich an der Wand ab.
Jemand tippte ihm von hinten auf die Schulter. „Alles in Ordnung, Junge?“
Ruben zog den Anorak aus und fuhr sich durchs Haar.
„Ach, du bist es“, sagte der Mann mit dem leichten Bauchansatz. „Du siehst so abgekämpft aus, als wärest du dem Leibhaftigen begegnet.“
„Sorry, Gerrit …“
„Komm, ich zeig dir, wo Koenraad sitzt. Er wartet schon auf dich. Aber vorher bekommst du noch ne Cola. Geht aufs Haus.“

„Warum treffen wir uns jedes Mal hier?“, fragte er und setzte sich neben Koenraad.
„Sollen wir in deinem Kinderzimmer darüber sprechen, wie wir deinen Vater zur Strecke bringen? Während er uns in der Küche Appel-Pannekoeken und Kakao zubereitet?“
„Es geht in erster Linie um Luschinski, vergiss das nicht! Außerdem hatte ich eher an deine Wohnung gedacht.“
„Ich hab nicht aufgeräumt.“ Koenraad schmunzelte. „Nee, echt jetzt, außerdem ist Gerrit hier, den wir sofort hinzuziehen können. Wie gesagt, mein, unser Plan …“
Ruben stand auf. „Lass uns nach hinten gehen, an den letzten Tisch.“ Er blickte sich um, hatte das Gefühl, alle Blicke auf sich zu ziehen und ging zum hinteren Tisch.
Koenraad folgte.

Nachdem Ruben ihm vom Plan seines Vaters und der Begegnung mit dem weißen BMW berichtet hatte, sagte Koenraad: „Aber zuerst das Wichtigste: Muss das gerade dieser Sonntag sein? Ich hab meinen Titel zu verteidigen!“
„Du verstehst den Ernst der Lage nicht!“
„Kann es sein, dass du schon wie dein Vater klingst?“, fragte Koenraad und holte Tabak hervor.
Ruben blinzelte. „Entschuldige.“
„Ich hab dich nur veräppelt.“ Koenraad schmunzelte und klopfte ihm auf die Schulter. „Gut, was haben wir?“
„Ich hab versucht herauszufinden, wo Luschinski lebt. Selbst in Vaters Unterlagen, die offen auf seinem Schreibtisch liegen, ist nichts über ihn zu finden. Keine Ahnung, wo er wohnt …“ Er rang nach Luft. „Ich kenne noch nicht mal seinen Vornamen. Er bleibt für immer unauffindbar, wenn wir nichts tun.“
„Hab ich doch gesagt!“ Koenraad rückte seinen Stuhl näher an den Tisch. „Was, wenn der Einbruch misslingt, Luschinski hinter Gittern kommt? Würde er verraten, wo Bloem ist?“
Ruben schüttelte den Kopf. „Und spielt Viktoria nicht ihre Rolle, die sie noch nicht kennt, die mein Vater für sie vorgesehen hat, würde dieser – so verrückt, wie er sich benimmt - ganz die Kontrolle verlieren. Und würden die Schulden nicht bezahlt, wären wir alle in Gefahr.“
„Ihr wird nichts geschehen. Glaube mir.“ Koenraad stützte den Kopf auf die Hand, massierte die Stirn. „Eine Million Schulden, böse Buben im BMW, mehrere Millionen Beute. Da bleibt definitiv genug Kohle übrig.“
„Ich glaub, wir reden aneinander vorbei.“
Koenraad befeuchtete das Zigarettenpapier. „Sollen wir den Bruch unterbinden oder einen Anteil verlangen? Was meinst du? Wir können sie auch überraschen und ihnen die ganze Beute wegschnappen. Ich kleide mich noch schwärzer als sie und setze mir meinetwegen auch eine Nixon-Maske auf, wenn es sein muss.“
„Du erzählst Unsinn. Kannst du nicht wenigstens einmal mit dem Gras aufhören, einmal einen klaren Kopf behalten?“
„Ich brauche es gegen meine …“, er schaute sich kurz um und flüsterte: „gegen meine Nervosität.“
Er verzog den Mund. „Na, das sind ja gute Nachrichten!“
„Hat der kleine Ruben etwa Schiss? Haben sie eine Fingerpistole auf dich gerichtet? Uih. Mann, die haben sich doch nur lustig über dich gemacht, wollten dir ein wenig Angst einjagen.“
„Trotzdem sollten wir uns nicht mit denen anlegen“, entfuhr es ihm.
„Hast ja Recht. Auch wenn sie nur Handlanger sind, so sitzt doch irgendwo in einer staubigen Bude irgendein dreckiger Big Boss. So eine Armee kriegen wir gar nicht zusammen, um uns die vom Hals zu halten. Aber lass uns die mal unsere kleinste Sorge sein.“

Gerrit trat an den Tisch und stellte zwei Gläser Cola ab. „Hier, Jungs.“ Er beugte sich vor, tuschelte: „Sag mal, Ruben. Was hat das mit dem Ritter aus dem Musical zu bedeuten?“
„Oper!“, entgegnete er und starrte Koenraad zornig an.
Koenraad nickte. „Ist gut, ist gut.“
„Also, wenn ihr mich braucht …“, sagte Gerrit und ging wieder zurück.
„Muss er alles wissen?“, fragte Ruben.
„Wissen? Gerrit ist dabei! Du weißt, dass wir uns auf ihn verlassen können. Außerdem ist das mit Lohengrin ja wohl wirklich merkwürdig. Ich dachte, er hätt’ vielleicht ’ne Idee.“
Er neigte den Kopf zur Seite, trank dann seine Cola aus.
„So, was haben wir sonst?“, fuhr Koenraad fort. „Wir lassen alles laufen, kümmern uns nicht um den Bruch. Ich tauche dann mit dem Schießknüppel in der Hand aus dem Dunklen auf und quatsche Luschinski von der Seite an, der mir sofort verrät, wo er Bloem verscharrt hat, sobald er das kalte Eisen an seinem Stiernacken spürt. Der wird singen, dass er Halsschmerzen kriegt. Und dann verschwinde ich wieder.“
„Das ist dein Plan? Super! Es war ein Fehler, dich einzuweihen.“ Er stand auf, ging den Kopf gesenkt in Richtung Ausgang.
„Ein Fehler? Ein Fehler ist grüne Kreide beim Poolbillard!“
Ruben drehte sich um, winkte ab, ging weiter.
„Okay, okay. Es geht um das Mädchen, dein Mädchen!“, rief Koenraad. „Mann, ich habe sie ja überhaupt noch nicht gesehen, fällt mir gerade ein. Ist sie das alles wert? Häh? Und wie enttäuscht wird sie von dir sein, wenn sie erfährt, dass du sie in Gefahr gebracht hast? Komm schon! Bleib hier, Kumpel!“
Stirnrunzelnd setzte er sich wieder an den Tisch. „Es wird nicht funktionieren.“
„Wir tun das für Bloem! Weil wir sie lieben. Und für dich. Damit du dich von ihr verabschieden kannst“, wies ihn Koenraad zurecht. „Erzähl mir mehr von Viktoria! Und dann lass uns gemeinsam überlegen, was du ihr sagen wirst. Wir regeln es so, dass keinem von uns etwas passiert.“ Koenraad drehte sich einen Joint und zündete ihn an. „Ob wir es schaffen, deinen Vater da rauszuboxen, kann ich nicht garantieren. Immerhin hat er Bloem auf dem Gewissen.“ Er qualmte, süßlicher Geruch umgab sie. Koenraad kam näher, blickte sich um und flüsterte ihm ins Ohr.
Ruben starrte ihn an, driftete ab.
„Und?“, sagte Koenraad, „haben wir ein Joint Venture?“ Erwartungsvoll hob er die Hand.
Außer dem Klicken der Billardkugeln waren nur die Klänge aus den Lautsprechern zu hören. Ruben kannte den Song. Adagio For Strings von Tiësto, die Live-Version mit Orchesterbegleitung. Er schloss die Augen, bewegte den Kopf sanft zur Musik. Erinnerungen wurden wach, wie er mit Bloem bei einem Konzert des DJs in Amsterdam war. Er hatte die Stimme seines Vaters im Ohr. Techno? Technisch klingende Klänge! Kein Wechsel der Harmonien, völlig ohne Kadenzen, schimpfte er, während er und seine Schwester sich jedes Mal vor Lachen kugelten.
Als der Synthesizer mit einem Quaken einsetzte, öffnete Ruben die Augen und gab seinem Freund High Fives.


42 – Einzige Chance​

Ruben schloss die Tür hinter sich und zog den Anorak an. Ein kühler Wind blies von Osten über den Vorplatz der Billardhalle. Besonders wohl fühlte er sich nicht, auch wenn die Cola seinen Kreislauf ein wenig auf Trab gebracht hatte.
Im trüben Licht der Straßenlaterne schaute er auf die Armbanduhr. Es dürfte noch nicht zu spät sein, dachte er. Hatte sie nicht gesagt, an Wochenenden länger aufzubleiben?
Er zitterte, war wütend auf seinen Körper. Die Bauchschmerzen waren einem mulmigen Gefühl in der Magengegend gewichen und ihm war klar, dass es nicht so schnell verschwinden würde.
Unermüdlich hatte Koenraad auf ihn eingeredet. Nüchtern betrachtet hatte sein Freund Recht. Es war die einzige Chance.
Er rieb sich am Ohr. Sicher musste er davon ausgehen, dass Luschinski für immer schwieg. Sie mussten ihn ausquetschen, zum Singen bringen, bevor er untertauchte. Wie viel Erfahrung hatte Koenraad überhaupt mit Waffen? Was, wenn Luschinski gleichfalls bewaffnet war?
Sein Kopf pochte. Schrecklich – jetzt dachte er schon über Waffen nach. Und derart viel Wenn und Aber und Fragen und Konjunktive. So wenig Zeit. Er schnappte sich sein Handy in der Hoffnung, dass der Anfang gemacht werden konnte.

Nach dem dritten Klingeln nahm Viktoria ab. „Ruben? Geht´s dir gut? Ich hab schon ein paarmal …“
„Tut mir leid, ich konnte mich nicht früher melden.“
„Wo steckst du? Ich … ich hab gerade eine Pizza im Backofen.“
„Oh, ich melde mich später wieder.“
„Nein, nein. Du kannst ruhig kommen. Ich bin noch eine Zeit lang auf und schaffe sowieso keine Ganze.“
„Okay.“ Er drückte den roten Knopf, spürte, wie Hitze in seine Wangen schoss.

oOo​

Koenraad sah, wie Gerrit die Theke umrundete und auf ihn zugeeilt kam.
„Tut mir echt leid, der arme Ruben“, sagte Gerrit und setzte sich neben ihn. „Wo ist er hin?“
„Nach Hause? Keine Ahnung.“
„Sag mal, was hältst du davon, wenn wir morgen früh einen kleinen Ausflug machen? Nur wir beide.“
Koenraad zog am Joint und runzelte die Stirn. „Was meinst du?“
„Na ja.“ Gerrit zupfte an seinem T-Shirt. Ein Geruch aus Bier und Frittenfett umgab ihm, Schweiß perlte auf seiner Stirn. „Um vorbereitet zu sein. Wir schauen uns die Gegend an! Gucken in die Schaufenster des Juweliers. Essen anschließend ’ne leckere Currywurst.“
„Nein. Wir fahren da am Sonntag hin“, tuschelte Koenraad. „Du leihst mir die Knarre und ich rede ein ernstes Wörtchen mit dem dicken Polen, sobald wir ihn sehen. So wie abgemacht.“
Gerrit errötete. „Na, das machen wir ja auch. Ehrenwort. Aber …“
„Kein Aber!“
„Lass mich bitte ausreden! Der Zapfhahn verliert in letzter Zeit viel Bier. Die Leitung müsste kontrolliert, vielleicht sogar das Stecherrohr ausgetauscht werden. Erste Kunden beschweren sich schon über schales Bier und verlangen Flaschenbier, das weniger abwirft.“
„Was willst du mir damit sagen?“
„Sieh dich um!“ Gerrit deutete hinter sich auf die Wand, an der allmählich die Farbe abblätterte, deutete auf die vom Rost zerfressenen Garderobenständer, auf alles ringsherum. „Ich möchte, nein ich muss investieren, renovieren: Beleuchtung, neue Bezüge. Die Konkurrenz schläft nicht.“ Seine Stimme brach. „Eine neue Zapfanlage, einen Beefer, einen Kaffeevollautomaten, …“
„Ja, sieh genauer hin! Und? Was für Spacken treiben sich hier rum? Die kratzen ihre letzten Euros für’n Spiel zusammen, für kalte Frikandellen und warmes Bier. Mensch, die wollen weder Steaks noch Cappuccino!“
Ungläubig schüttelte Gerrit den Kopf. „Woher weißt du das? Schau dir Villa Pool in der City an.“
„Willst du dich mit denen vergleichen? Das ist eher ein Freizeitpark als ein guter alter Billard Club wie deiner. Und überhaupt: Es geht nicht um die Kohle, sondern um Bloem. Und wenn wirklich Geld übrig bleibt, entscheidet einzig und allein Ruben, was damit geschieht.“
Gerrit knallte die Faust auf den Tisch. „Ach, mir ist Bloem egal! Sie ist tot! Tot!“
Koenraad lehnte sich vor, knurrte: „Das sagst du nur, weil du damals bei ihr abgeblitzt bist!“
„Nein, das ist … das ist …“
„Denkst du, du bist unentbehrlich? Ich kann mir auch einen anderen mit Auto und Knarre suchen.“
Gerrit stemmte die Hände an die Hüften. „Dann mach es doch!“
„Du bringst uns noch alle in Gefahr! Wenn du Quatsch baust oder einen Alleingang startest … Überleg es dir gut! Wir tun es für Ruben. Für Bloem!“ Er machte eine kurze Pause, um die Worte wirken zu lassen, und sah dabei Gerrit an, der heftig blinzelte. „Wir mögen deinen Laden so, wie er ist. Er hat Charme und Flair. Und wir mögen dich.“
Gerrit zog eine Augenbraue herauf. „Gut, wenn du meinst.“ Er stand auf und klopfte Koenraad auf die Schulter. „Wahrscheinlich reichen Internet und Google Maps aus, um alles vorher abzuchecken.“
„Nein, nein“, grübelte Koenraad. „Du hast schon recht.“

oOo​

Der Türöffner summte und Ruben drückte die Haustür auf. Das Flurlicht blendete ihn, und er hielt schützend die linke Hand über die Augen.
Der Duft des nebenanliegenden Chinarestaurants klebte in der Luft. Ihm kam es vor, als bereitete der Koch gleich hier am Treppenabsatz gebrannte Mandeln mit Knoblauch, Ingwer, Zwiebel, Koriander und anderen Gewürzen im Wok zu. Beim letzten Mal hatte er das nicht so extrem wahrgenommen. Diesmal stieg ihm alles in die Nase, und er hielt sich am Geländer und musste würgen.
Viktoria stand im Türrahmen. Er trat ein und umarmte sie freundschaftlich. „Hallo“, sagten sie gleichzeitig. Während er noch überlegte, wie lange und feste er sie halten sollte, trat sie einen Schritt zurück und lächelte schüchtern.
Sie nestelte am Kragen, bekam rote Flecken am Hals und ihr Augenlid zuckte, als sie auf die Couch zeigte und fragte: „Lust auf ein Glas O-Saft?“
„Danke.“ Er nahm Platz und blickte auf den Tisch. Aufgeschlagene Lehrbücher, Collegeblöcke, ein ausgeschüttetes Schreibmäppchen; Stifte und Radiergummis und Post-its überall.
„Ich wollte dich nicht beim Lernen stören.“
„Ist schon gut, bin fertig“, rief sie aus der Küche. „Sonst hätte ich dich nicht zum Essen eingeladen.“
Schmunzelnd stellte sie zwei volle Gläser auf den Tisch und legte Servietten daneben. Während sie die ganzen Schreibutensilien auf dem Tisch nach hinten schob, fragte sie: „Scharf?“
„Wie …?“
„Ähm, ob du Tabasco brauchst?“
„Nein, danke. Der Hausflur, die Gewürze, Schärfe, … keine Ahnung, wie du das aushältst.“
„Ich hab mich dran gewöhnt.“
Es piepte. Viktoria ging zum Backofen und kam kurze Zeit später mit einem Teller zurück, auf dem eine in Achtel geschnittene Pizza lag. Der Käseduft breitete sich aus. Sie stellte den Teller auf den Tisch und setzte sich neben Ruben. „Ich hoffe, du magst Spinat, Paprika und Zwiebeln. Und Gouda.“
Er nickte und sie nahm sich ein Stück. „Greif zu!“
Sie biss ab, kaute und schaute ihn an. „Gehts dir wirklich gut?“ Sie verdeckte den Mund mit einer Serviette. „Sorry, mit vollem Mund …“
„Mir ist ein bisschen schlecht. Das Wetter, die Anstrengungen, die Nerven. Ich weiß auch nicht.“
„Kann ich gut verstehen. Wenn meine Schwester … Ich geb dir ’n Schmerzmittel. Du musst nichts essen.“
„Doch, doch“, sagte er und nahm sich ein Stück Pizza.
Viktoria legte die leeren Teller in die Spüle und kam mit Tabletten und einer Saftflasche zurück ins Wohnzimmer. Vor dem Tisch blieb sie stehen, stellte den Saft ab, drückte eine Pille aus dem Blister und reichte sie ihm. „Hier bitte“, sagte sie und nahm Platz.
Er schluckte die Tablette mit Saft hinunter und lehnte sich auf der Couch zurück.
Sie sah ihn an, fragte zögernd: „Es gibt nichts Neues, richtig?“
Er seufzte. Wie gerne würde er Viktoria jetzt in den Arm nehmen, ihr alles erzählen. Neuigkeiten? Und ob! „Es kann sein, dass ich Bloem nie wiedersehen werde.“ Das war mal nicht gelogen. Trotzdem fühlte er sich schlecht dabei. Wahrscheinlich würde er ihr die Wahrheit am Sonntag erzählen. Oder niemals.
Sie rückte ein Stück näher. „Du siehst wirklich fertig aus.“ Sie zögerte einen Augenblick, hielt dann eine Hand an seine Stirn. „Fieber hast du keins.“
Sie nahm ihr Glas in die Hand, hielt kurz inne, stellte es zurück. „Ich denke, dass du eine Pause brauchst, mal abschalten muss. Meinst du nicht auch? Danach geht es dir besser. Glaub mir!“
„Du meinst, das Leben geht weiter?“ Sofort bereute er seinen Spruch. Er lief rot an.
„So war das nicht gemeint … Außerdem wird sie wieder auftauchen!“ Sie legte eine Hand auf sein Knie. „Ich meine, für einen Augenblick mal alles vergessen, auf andere Gedanken kommen. Wir hatten uns im Restaurant noch über Musik und Ausgehen und so weiter unterhalten.“
Er lehnte sich vor, trank einen Schluck. „Vielleicht hast du recht“, murmelte er. „Morgen hast du Uni, richtig? Hast du übermorgen Zeit?“
„Oh, wow! Ich? Gut“, platzte es aus ihr heraus. Ihre Augen glänzten. „Du hast mich erwischt. Gerne. Ja, Sonntag habe ich Zeit. Wie wäre es mit Kino, danach Essen gehen?“
„Hm“, überlegte er. „Ein … ein Kumpel von mir, dessen Schwester in Deutschland lebt, erzählte mir von einer großen Kirmes drüben. Er wollte auch dieses Jahr hin, dann kam das Billardturnier dazwischen.“ Er bemühte sich, fröhlich und gutgelaunt zu wirken. „Und er hat noch … noch viele Fahrchips vom letzten Mal übrig, ja, Wertmarken oder so etwas.“ Er krümmte sich, es schien, als würden die Bauchschmerzen ihn warnen.
„Kirmes? Bist du sicher – so wie es dir geht? Willst du etwa Achterbahn fahren? Soll dir davon noch schlechter werden?“
„Ach, bis dahin … Ich kann mich morgen den ganzen Tag ausruhen, Tee trinken, Tabletten schlucken.“
„Hm … ja, mag sein. Wo, sagst du, ist die Kirmes?“
„In Mönchengladbach. Ist eine Stunde entfernt.“
„Ich hab morgen ’ne schwere Prüfung und könnte danach auch Abwechslung gebrauchen. Ich müsste mir nur noch eine Zusatzfahrkarte für die Bahn besorgen.“
„Ich frage meinen Vater, ob er mir sein Auto leiht.“ Er schaute sie nicht an, trank einen Schluck.
„Ich hoffe nicht, er kommt mit?“
Er verschluckte sich, stellte das Getränk zurück, hustete. Sah in ihre gutmütigen Augen und wusste nicht, wie er es jemals wieder gut machen könnte. „Ich hole dich um fünfzehn Uhr ab, okay? Wenn du möchtest, können wir vor der Kirmes auch noch ein wenig in den Geschäften bummeln. Es ist verkaufsoffener Sonntag. Außerdem gibt es abends ein großes Abschlussfeuerwerk.“
„Drei Uhr geht in Ordnung.“ Sie schaute auf die Wanduhr, stand auf. „So, jetzt fährst du nach Hause und legst dich ins Bett. Ich geb dir noch Tabletten mit.“

Es wehte weiter ein lauer Wind. Ruben bückte sich, öffnete das Fahrradschloss und schreckte auf. Ihm war, als wäre ein helles Fahrzeug vorbeigerauscht. Er stand auf, blickte zu allen Seiten. Nichts. Keine Menschenseele unterwegs.
Er schaute auf … es sah aus, als trüge der Mond Sorgenfalten. Aus der Ferne lärmte die Hauptstraße, und die roten Lampions des Chinarestaurants leuchteten ihn höhnisch an. Er stand noch eine Weile da, schaute nach oben Richtung Hausflur, in dem Licht eingeschaltet wurde, während er sich den Bauch hielt, in dem es grummelte. Was hatte er getan? Sie war so gutgläubig, so fürsorglich, und er hatte sie belogen. Tränen liefen ihm über die Wangen. Er nickte vor sich hin und trat langsam den Rückzug an.

oOo​


Viktoria nahm das Handy und schrieb eine Nachricht. „Keine Ahnung, in welcher Disco du gerade steckst. Er war hier. Ganz kurz nur. Und er sah echt übel aus. Sonntag will er mich abholen. Kirmes.“
Sie legte das Handy auf den Tisch und überlegte, wo sie den Ort zuletzt gehört hatte, während sie die beiden Gläser in die Küche brachte. Auf dem Schneidebrett lagen Zwiebelschalen sowie der Stielansatz und Kerne der Paprika. Sie schob alles zusammen und warf es in den Müll.
Der Mülleimer war voll. Sie holte den Beutel heraus und band ihn an den Trägern zu. Es war ein auffälliger Ortsname. Sie kannte den Ort nur vom Namen her. Irgendwo am Niederrhein, glaubte sie. Hatte sie ihn zuletzt irgendwo gelesen? Sie schnappte sich den Schlüssel, öffnete die Wohnungstür und schaltete das Licht im Hausflur an.
Das Handy summte. Schnell legte sie den Müllbeutel im Flur ab, schloss die Tür hinter sich und nahm das Gespräch an. „Das neue Einkaufszentrum“, dachte sie laut.
„Vicky? Alles klar?“
„Sorry, Maaike, ich war nur in Gedanken.“
„Ich bin schon im Bus. War nix los. Erzähl mal, Süße! Was hat er gesagt? Habt ihr …?“
„Ruben war merkwürdig, nervös. Keine Ahnung.“
„Wie merkwürdig? Was ist passiert?“
„Wir fahren Sonntag zusammen zu einer Kirmes nach Deutschland.“
„Nur ihr beide? Brauchst du wieder ’ne Anstandsdame?“
„Ich glaube, er braucht jemanden zum Reden. Ganz losgelöst von Nijmegen, fern von allem. Den Kopf freibekommen.“
„Du klingst wie eine Psychologin.“
„Genau! Im Zomer habe ich darüber etwas in der Zeitung gelesen!“ Sie schlug sich auf die Stirn. „Die Vermisstenmeldung und darunter die Werbung über das neue Einkaufszentrum. Das war die Stadt. Mönchengladbach.“
„Geht es dir gut, Süße?“
„Sorry, ich denke nur laut. Die Kirmes ist in der Stadt, in der das neue Einkaufszentrum steht. Die … die Kleidung, die Pieter mir geschenkt hatte, war aus einer Boutique in Mönchengladbach.“
„Aha. Und … hat das was zu bedeuten?“
„Hm, Zufall. Wohl nichts. Ich muss Schluss machen. Klausur morgen früh. Wir hören uns.“
Sie steckte das Handy in die Hosentasche, ließ den Kopf kreisen, als könne sie dadurch die Gedanken verscheuchen. Die Schultern gestrafft, griff sie nach dem Müllbeutel und entsorgte ihn in der Tonne. Mach dich nicht verrückt! Freu dich auf die Kirmes mit Ruben!, sagte sie sich, während sie zurück in ihr Appartement ging. Doch das unangenehme Gefühl ließ sich einfach nicht verscheuchen.

Fortsetzung folgt
 
Zuletzt bearbeitet:
Hallo Franklyn,

oh, oh ... Das ist nicht gut. Was hat Pieter da für ein krummes Ding vor? Und warum?
„Wir sind zu viert … Ruben kommt mit.“ Noch bevor ich weiter las, fragte ich mich, wer die vierte Person sein könnte. Instinktiv dachte ich: Viktoria! Aber nein! Würde er das wirklich tun? Nein, das glaube ich nicht. Du wirst uns bald darüber aufklären.

Liebe Grüße,
 
Guten Morgen, Rainer Zufall

„Wir sind zu viert … Ruben kommt mit.“ Noch bevor ich weiter las, fragte ich mich, wer die vierte Person sein könnte.
Sehr gut, dass man da sofort weiterdenkt ... und leider bis zur Fortführung des Kapitels warten muss :)

Danke fürs Lesen und Kommentieren.

Vielleicht ging das unter: Bei Bloem (Teil 2) kam zuletzt noch das Kap. 31 hinzu.

Wünsche dir einen tollen Tag.
Liebe Grüße, Franklyn
 
Hallo Franklyn,

die 31 hatte ich gelesen. War darin ein versteckter Hinweis verborgen? Wenn man hier so viele verschiedene Geschichten durcheinander liest, dann kann da schon mal was durchrutschen.

Liebe Grüße,
 
Hallo Rainer Zufall,

die 31 hatte ich gelesen. War darin ein versteckter Hinweis verborgen?
Nein, kein versteckter Hinweis.

Wenn man hier so viele verschiedene Geschichten durcheinander liest, dann kann da schon mal was durchrutschen.
Alles gut. Nichts passiert.

Wir haben ja ein paar Mail über Planung oder Exposé gesprochen:
Langsam komm ich an eine bwz. an die Stelle des Romans, an der ich ins Stocken gerate. Ein paar Kapitel fließen noch, dann bin ich erstmal ein wenig ratlos, muss ich jetzt mal ganz im Ernst sagen. Und das trotz Planung.
Mir ist halt zwischendurch so viel anderes, Alternatives eingefallen, dass der Stoff nicht so enden wird, wie ich es mir vorgenommen habe. Mein Kopf dampft. Eine schwierige Phase.

Liebe Grüße, Franklyn
 
Hallo Franklyn,

ich schreibe in der Regel einfach drauf los, gucke mir dann später an, was ich da produziert habe. Aber so eine Phase, wo es irgendwie nicht weiter geht, habe ich da ebenso immer mal wieder. Das ist normal. Ich habe mehrere Projekte gleichzeitig laufen. Wenn ich eine solche Blockade habe, wende ich mich einer anderen Geschichte zu. Da geht in der Regel immer was.
Auch diese schwierige Phase geht vorbei. Bei mir war es dann in der Regel so, dass ich mit dem Schreiben gar nicht so schnell hinterher kam, wie die Gedanken sprudelten. Also nur Mut.

Liebe Grüße,
 
Hallo Rainer Zufall,

Ich habe mehrere Projekte gleichzeitig laufen. Wenn ich eine solche Blockade habe, wende ich mich einer anderen Geschichte zu. Da geht in der Regel immer was.
Ja, so mache ich es auch. Schreibe dann zwar nicht an anderen Roman-Projekten, sondern an Kurzgeschichten. Da hat man schneller Erfolg ist man schneller fertig.

Auch diese schwierige Phase geht vorbei. Bei mir war es dann in der Regel so, dass ich mit dem Schreiben gar nicht so schnell hinterher kam, wie die Gedanken sprudelten. Also nur Mut.
Danke fürs Aufmuntern.

Liebe Grüße, Franklyn
 
Hallo Franklyn,

jetzt geht es aber zügig weiter.
Ich bin mir nicht sicher, ob Ruben wirklich weiß, dass sein Vater ihn da mit einspannen will. Das kann doch nur schiefgehen.

Warum rief er vorher nicht an? Wieso hat er sich überhaupt unter dem Torbogen versteckt?Komma grübelte sie und blickte hinüber.

Im folgenden Absatz hast Du stets "er" geschrieben,wenn Piet sprach oder handelte. Ab und an würde ich da eher den Namen einstreuen. Zum Beispiel:

Er Pieter schüttelte den Kopf und damit auch die Gedanken von sich. „Dreißig Prozent.“
Die Kellnerin kam, stellte zwei Gläser ab, machte wieder Striche auf den Bierdeckeln.
„Vierzig!“, sagte Luschinski.
„Gut, aber dann besorgst du den Wagen. Es muss der gleiche RS 6 Avant sein. In Schwarz.“
„Hab keinen guten Draht mehr. Und den gibt es nicht so häufig.“
„Genau den“, blökte er, „oder deine Mutter schiebt bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag ihren Gehwagen die Etagen hoch!“ Er beobachte Luschinski, der sich am Kinn kratzte, alles abzuwägen schien.
„Verstehe. Gibt es noch was Spezielles, was ich wissen sollte? Was ist mit den Skizzen und den Bildern?“
Er Piet lächelte schief. „Vergiss die Skizzen, viel zu kompliziert. Die Fotos sagen alles.“ Er holte sein Handy hervor. „Der Juwelier ist fast uneinnehmbar, wie eine Burg. Aber nur fast“, sagte er, öffnete während er die Foto-App öffnete. „Du hast bestimmt früher auch Ritterfilme geguckt und weißt, wie man eine Burg erstürmt, hm?“
„Ritterburg“? Luschinski schob mit dem Arm Zigarettenpackung und Feuerzeug beiseite, stützte sich vor. „Keine Ahnung. Mit Leitern? Katapult?“
Er reichte das Handy herüber. „Wisch bitte nach rechts!“
„Schickes Einkaufscenter.“ Luschinski schob den Finger mehrmals über die Glasscheibe des Handys. „Wer ist das Mädel? Eine Kellnerin?“
Schnell nahm er van Houten ihm das Gerät aus der Hand, wischte zurück und gab es ihm wieder. „Andersherum habe ich gesagt!“ Luschinski würde sie früh genug kennenlernen Komma dachte er.

„Schau dochAusrufezeichen!

Liebe Grüße,
 
Hallo Rainer Zufall,

danke fürs Lesen und Kommentieren.
Habe deine Tipps gerne angenommen.

Ich bin mir nicht sicher, ob Ruben wirklich weiß, dass sein Vater ihn da mit einspannen will. Das kann doch nur schiefgehen.
Man wird sehen :)
Pieter muss da sicher viel Überzeugungsgarbeit leisten ...

Im folgenden Absatz hast Du stets "er" geschrieben,wenn Piet sprach oder handelte. Ab und an würde ich da eher den Namen einstreuen.
Ja, da habe ich wohl zu viele ursprüngliche Pieter zurück zu "er" geändert, weil ich dachte, dass es aus Pieters Perspektive heraus so richtig sein müsste.

Stimmt aber, wenn man an manchen Stellen den Absatz/Zeilenwechsel nicht erkennt/beachtet, könnte es schwierig sein zu erkennen, dass da nun der andere spricht bzw. agiert.

Danke für deine Hilfe.

Schönen Start ins Wochenende.
Liebe Grüße, Franklyn
 
Hallo Franklyn,

gern geschehen.
Ich habe gerade noch Wochenende. Morgen beginnt meine neue Arbeitswoche (immer 6 Tage arbeiten, 2 Tage frei).

Liebe Grüße,
 
Hallo Franklyn,

oje, jetzt ist die Wahrheit raus. Aber wo soll das denn jetzt hinführen?
Übernimmt Ruben jetzt das Kommando?
Bin sehr gespannt.

Liebe Grüße,
 
Hallo @Rainer Zufall

schön, dass du am Ball bleibst und es spannend findest.

Bin (wieder) voller Enthusiasmus, möchte den Roman, an dem ich mich schon fast festgebissen hatte, unbedingt fertig bekommen, die Geschichte zu Ende erzählen.

Schönen Tag und liebe Grüße,
Franklyn
 

ahorn

Mitglied
32 – Neues Familienmitglied

Hallo Franklyn Francis,

ein wunderbar plastisch geschildertes Kapitel. Ich muss erst einmal meine Klamotten auslüften. Die stinken nach Rauch, Frittenfett und abgestanden Bier.

Da lag der kleine Park mit dem Spielplatz – Jugendliche mit Bierflaschen lungerten auf dem verwitterten Klettergerüst herum. Dort lagen standen (Ansonsten wären sie gesprengt.) die Mietshäuser der alten Arbeitersiedlung – an vielen Fenstern hingen keine Gardinen.

Gegenüber der (von ihm) gesuchten Adresse fand er einen freien Parkplatz, schnallte sich ab, …

In der Mitte die runde Holztheke, vor der Männer standen und das Fußballspiel auf einem beeindruckenden (Für wen beeindruckend – überdimensionalen / monströs?) Flatscreen verfolgten. Der Fernseher war das einzige, das aus der archaisch anmutenden Einrichtung herausstach. Ein teures, modernes Gerät, das sich Pieter nie gegönnt hätte (Hätte? Würde.).
In einer Ecke erblickte er Luschinski, der rauchend an einem Zweiertisch saß rauchte und ihn herbeiwinkte.
„Wir haben keinen Wein“, krächzte die Kellnerin mit dem geschminkten Faltengesicht eine Kellnerin, deren Faltengesicht (für ihn) grotesk geschminkt war, und blickte Pieter ihn abschätzig an.

Die Kellnerin drehte sich um und verschwand in der Menge. Während Luschinski die Kippe im Aschenbecher ausdrückte, blieb sein Blick noch einen Moment an ihrem Rock hängen, der viel zu kurz war.
Wer denkt?
Außerdem, wie kann er ihren Rock sehen, wenn sie bereits verschwunden ist?
Pieter folgte Luschinski Blick, stierte auf ihren viel zu kurzen Rock, bis sie in der Menge verschwand.

Mit aufmerksamen Augen schaute sich Pieter nach allen Seiten um, während sich Luschinski zuerst die Kippe im Aschenbecher ausdrückte, dann umständlich eine Zigarette aus der Packung holte und sie anzündete.

Zu seiner Sturm-und-Drang-Zeit war Pieter ein paarmal hier gewesen, …

…, verspekulierte sich PUNKT DOPPELPUNKT riskante Geschäfte, dubiose Geschäftspartner.

Unter großen Armschwenkungen (Das verstehe ich nicht) blies Luschinski den Zigarettenrauch in die Höhe, wo er sich im Luftzug des Deckenventilators verflüchtigte. Seine dicke Gestalt mit den fleischigen, bloßen Armen (Bloße Arme? Was soll das sein?) nahm den gesamten Platz der Eckbank ein, auf die Pieter zweimal gepasst hätte.

„Sorry, Piet.“ Luschinski streckte sich und blickte auf den Bildschirm, während Pieter ungeduldig mit den Füßen tippelte und sich auf die zitternde Lippe biss.
Wie kann Pieter sehen, was Luschinskis erblickt. Bei mir sitzt er ihm gegenüber.

NEC Nijmegen . Und und Sportfreunde Katernberg aus Essen, für Fachkundige ein großer Name, …

Liebe Grüße
Ahorn
 
Hallo ahorn,

wieder einen großen Dank für deine Hinweise, Tipps und Verbesserungsvorschläge. Top!
Habe ich gerne übernommen.

ein wunderbar plastisch geschildertes Kapitel. Ich muss erst einmal meine Klamotten auslüften. Die stinken nach Rauch, Frittenfett und abgestanden Bier.
Hehe.

Seine dicke Gestalt mit den fleischigen, bloßen Armen (Bloße Arme? Was soll das sein?) nahm den gesamten Platz der Eckbank ein, auf die Pieter zweimal gepasst hätte.
"bloß" als Synonym zu "nackt, unverhüllt, unbedeckt"

Schönen Abend und liebe Grüße,
Franklyn
 

ahorn

Mitglied
Moin Franklyn Francis,
ja, wenn dat dar nich düchtig knistert. ;)

Sie drückte den Knopf, wartete, bis die Schritte auf der Holztreppe näher kamen, öffnete die Tür gerade so weit, wie es die eingerastete Kette erlaubte es brannte kein Licht im Hausflur. und schaute in den dunklen Flur. .

Sie deutete nach hinten rücklings zur Wohnzimmerecke.

Wahrscheinlich war das aus dem Wohnzimmer strahlende scheinende Licht nicht hell genug, …

Sie entnahm Marmorkuchen aus einer Frischhaltedose Dose und legte ihn auf einen Teller, …

„Was genau ist mit deinem Vater los?“, rief sie von hinten und kam ging (Für ihn kommt sie) dann mit den Tassen zurück.

„Hast du nicht gemerkt, dass er mich wie einen Idioten behandelt? Ruben liebt die Seefahrt, das Meer“, äffte er seinen Vater nach (Wer spricht, woher weiß sie das?). „Als wenn ich das nicht selbst sagen könnte.“

Dann kramte sie in der Handtasche. „ Und auch auch die Kette.“

Liebe Grüße
Ahorn
 



 
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